Addendum zu „Atomkraft wird dämonisiert“

  • Zitat von el presidente;170961

    Waldschrat
    :zany_face: Ich habe keine Ahnung was du da geschrieben hast. Aber ich glaube du wolltest sagen, dass die Strahlung harmlos ist?


    Hallo El Presidente,


    ab einem gewissen Grenzwert ist Sie es sicher nicht mehr. Alles oberhalb von 1 Sv als akute Ganzkörperdosis ist definitiv unbekömmlich, Organdosen, etwa Schilddrüse durch 131I können deutlich drunter liegen.


    Ich würde im Gelände definitiv Reissauss nehmen, wenn mein Alarmdosimeter mir mehr als 0,1 mSv/h anzeigt - und ich würde da sehr schnell werden.


    Andererseits, wenn Du in der norddeutschen Tiefebene lebst, sammelst Du so pro Jahr 1 mSv an völlig natürlicher Hintergrundstrahlung auf (kosmische Strahlung, natürliche radioaktive Mineralien im Boden), im Schwarzwald oder im Erzgebirge kann das locker die zehnfache Dosis sein. Nur wir ich schon mal schrieb: Ausweislich des deutschen Krebsregisters sind Schwarzwald und Erzgebirge notorisch gesunde Gegenden.


    Ich habe auch schon mal im indischen Bundesstaat Kerala gelebt. Auch hier eine fette Hintergrundstrahlung durch Monazitsände, in einigen Landesteilen durchaus 50 mSv/a.


    Ich habe mich da natürlich auch mal um Statistiken bemüht. Erhöhte Inzidenz von Tumorerkrankungen oder Fehlbildungen in Kerala? Fehlanzeige!


    Klar, ionisierende Strahlung macht DNS-Schäden. Aber wir haben natürliche Reparaturmechanismen an Bord, weil unsere Spezies und deren Vorgänger seit Jahrmilliarden mit Radioaktivität leben.


    Ich sage mal, das ist wie Gewalteinwirkung von aussen. Wenn Du mit dem Messer abrutschst und Dich in den Finger schneidest, kein Problem, Verband drauf, repariert sich von selber. Wenn Du mit 100 km/h vor die Mauer fährst, End of Game.


    Der Schnitt in den Finger sind 100 mSv als Akutdosis, die Fahrt vor die Mauer 4-5 Sv


    Aber ich glaube auch bei der Radioaktivität an den alten Spruch von Paracelsus "Sola dosis facit venenum" - allein die Dosis macht das Gift. Wir sind halt ganau dann dumm dran, wenn unsere eingebauten genetischen Reparaturmechanismen überfordert werden.


    Es bringen sich in Deutschland übrigens sicher mehr Leute pro Jahr mit Zucker, industriell aufbereiteten Kohlehydraten, Tabak und Alkohol um als mit Radioaktivität.


    Viele Grüsse


    Matthias

    They who can give up essential liberty to obtain a little temporary safety, deserve neither liberty nor safety.
    Benjamin Franklin (1775)

  • So einfach würde ich das nicht sehen, ich weiß es wird in einigen Kreisen immer die Schwellenwerttheorie diskutiert, diese ist aber unter den meisten Nuklearmediziner nicht akzeptiert.
    Es gilt eigentlich, daß jede Strahlung in ihrer kleinsten Enheit kann Erbgutschädigungen machen, also es gibt keinen Schwellenwert. Zum Glück gibt es Reparaturmechnismen, die sehr viel ausgleichen, aber nicht alles. Die Schwellenwerte brauchen wir um gewisse berufliche Risiken besser abschätzen zu können, diese sind aber nicht immer rational begründet.


    Und zur Strahlentherapie bei Krebserkrankungen, sie ist in vielen Fällen segensreich, aber sie hat auch ihre Nebenwirkungen, Zunahme von Zweitkarzinomen nach 10-15 Jahre sind ein bekanntes Problem, vor allem in Kombination mit Chemotherapien, je nach Krebserkrankung 10-20%.


    jonn

  • @ Waldschrat:
    Radioaktive Strahlung ist problemlos, weil es ja auch natürliche Strahlungsquellen gibt ...
    EIn Physiker mag eine solche Aussage sogar selber glauben, biologisch ist es ziemlicher Blödsinn.
    Es ist eben alles eine Frage der Dosis. Hat schon Paracelsus an den ganz gewöhnlichen Giften festgestellt.
    Mit Stoffen, die Jahrhunderte oder Jahrtausende strahlen, kann man nur dann ganz komfortabel leben, wenn die Strahlung gering genug ist, d.h. wenn die Menge dieser Substanzen in der Biosphäre klein genug ist.
    Die Biosphäre hat gelernt, mit der natürlichen Strahlung z.B. des K40 zu leben. Die Zellen haben auf molekularer Ebene Reparaturmechanismen, um Schäden durch zerschossene DNA oder Proteine zu reparieren. Die werden aber überfordert, wenn die Strahlung zu stark ist. Wenn das in deinem Körper enthaltene biologisch aktive und notwendige Kalium nicht zu 0.012%, sondern zu 50% in Form von K40 wäre, hättest Du ein Problem (oder sehr wahrscheinlich keins mehr).


    Das Argument, wer die gleich starke Strahlenquelle legal besitzen wolle wie was jeder als K40 im Körper hat brauche eine Bewilligung, habe ich nicht verstanden.
    Was willst du damit sagen?


    "Ich kann es messen, also habe ich es im Griff" ist naiv, siehe Fukushima-Debakel, um nur ein Beispiel zu nennen.
    Wenn strahlende Stoffe in zu grosser Menge in die Umwelt gelangen, kann man gar nichts mehr machen - die Definition einer Sperrzone ist ja wohl keine Massnahme, um Schäden zu beheben.

  • Zitat von jonn68;170974

    So einfach würde ich das nicht sehen, ich weiß es wird in einigen Kreisen immer die Schwellenwerttheorie diskutiert, diese ist aber unter den meisten Nuklearmediziner nicht akzeptiert.


    Hallo Jonn, wir haben ein ziemlich robustes Immunsystem. Einzelstrangbrüche der DNA reapariert die Zelle selber mit Bordmitteln. Bei Doppelstrangbrüchen erfolgt immuninduzierte Apoptose.


    Wenn sich das im Rahmen hält, kann unser Körper sehr gut damit umgehen. Es gibt sogar die Hormesistheorie, die ich nicht teile und eher der Esoterik zurechne, ich halte es allerdings mit Paracelsus, dass allein die Dosis das Gift macht. Ich kann mich auch mit jedem Lebensmittel umbringen, wenn ich es ohne Sinn und Verstand im Übermass geniesse.



    Meint


    Matthias

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    Benjamin Franklin (1775)

  • Zitat von Waldschrat;170994

    wir haben ein ziemlich robustes Immunsystem. Einzelstrangbrüche der DNA reapariert die Zelle selber mit Bordmitteln. Bei Doppelstrangbrüchen erfolgt immuninduzierte Apoptose.


    Leider kann das Immunsystem dies nicht vollständig und zuverlässig erledigen, sonst wäre Krebs viel seltener. Ein Therapieansatz von Krebs ist es ja, entartete Zellen durch Medikamente für das Immunsystem erkennbar zu machen, damit dieses solche Zellen unschädlich machen kann.


    Es gibt Hinweise darauf, dass nur die erhaltene Dosis für gewisse Krebsarten entscheidend ist, so wie bei Hautkrebs wegen UV-Strahlung. Man akkumuliert also im Laufe des Lebens genetische Defekte und wird oft einfach nicht alt genug, um seinen Krebs zu erleben.
    Demnach wären "gesunde" Gegenden nicht wegen der erhöhten Strahlung aus geologischen Ursachen besonders gesund, sondern trotzdem, weil dies durch andere Ursachen überkompensiert wird.
    Wäre DNA vollständig reparierbar, dann wäre ein Schwellenwert der Dosisleistung zu erwarten.


    Um diese Dinge und Zusammenhänge statistisch sauber zu erfassen, sind grosse Datenmengen von gesunden und kranken Leuten und flächendeckende Zeitreihen von Messungen der radiokativen Strahlungsbelastung nötig. Hier wird behördlicherseits gemauert und - ich vermute - mit den gleichen Tricks gearbeitet, wie beim Asbestproblem (Erkrankungen später als 10 Jahre nach Ende der Exposition gelten nicht mehr als ursächlich) oder bei der Arbeitslosigkeit (wer ausgesteuert ist gilt nicht mehr als arbeitslos und belastet die Arbeitslosenstatistik nicht mehr). Weil grosse fianzielle Interessen auf dem Spiel stehen und weil die Behörden nicht völlig unabhängige Untersuchungen machen, sondern viele Daten von den Betreibern erhalten, werden - ich vermute - "um die Bevölkerung nicht unnötig zu beunruhigen" gewisse Daten unter Verschluss gehalten oder bewusst gar nicht erst erhoben und diesbezügliche Studien von Dritten bewusst erschwert oder verhindert.


    Zitat von Waldschrat;170994

    Wenn sich das im Rahmen hält, kann unser Körper sehr gut damit umgehen.


    Kurzfristig ja.
    Daraus darf man aber nicht schliessen, dass Radioaktivität harmlos sei. Mit radioaktiven Substanzen herumzusauen ist so wie ein wenig zu zündeln, um die Feuerwehr fit zu halten.

  • Ich finde es fragwürdig, willkürlich geschaffene Radioaktivitätsquellen gegen die natürliche Hintergrundstrahlung ausspielen zu wollen.
    Schon die natürliche Hintergrundstrahlung hat (überwiegend negative) Effekte - sonst würde die Evolution langsamer verlaufen.
    Und künstlich hergestellte Belastungen werden nicht gegen natürliche ausgetauscht, sondern kommen noch zusätzlich oben drauf.
    Und zwar oft in anderer Form, z.B. in Form inkorporierter strahlender Teilchen.
    Und ohne dass die betroffenen Personen dieses Risiko durch eigenes Verhalten beeinflussen können, wie es bei schädlichen Genussmitteln der Fall ist.


    Und aus der Tatsache, dass unsere Körpersubstanz einen gewissen Anteil strahlende Elemente enthält, kann man nicht ableiten, dass dieselbe Menge strahlender Elemente in kompakter handhabbarer Form in der Hand von inkompetenten oder böswilligen Personen kein Unheil anrichten kann und daher aus gutem Grund strengen Regeln unterworfen ist.


    Wie ist denn die allgemeine Lebenserwartung in Kerala?
    Sterben die Leute vielleicht vorzeitig an den Folgen von Armut, bevor sie klinische Krebsformen entwickeln können?
    Ist damit etwa die "Unschädlichkeit" der natürlichen Umgebungsstrahlung erwiesen?
    Würde sie rechtfertigen, die Leute dort noch zusätzlich mit Radioaktivität aus technischen Anlagen zu belasten?
    Vielleicht - wenn sie dadurch durch besseren Verdienst und mehr Energie ihre Lebensqualität steigern - aber kann derselbe Effekt nicht viel besser durch regenerative Energienutzung erreicht werden?

  • Der Anteil der Kernenergie an der Endenergieversorgung Deutschlands ist ziemlich gering, ich sage mal ziemlich leicht ersetzbar. Die Frage lautet also, ob man sich den Spaß "so nebenher" leisten, ohne damit irgendwas nenneswertes zu bewirken.


    Will man hingegen eine nukleare Energieversorgung Deutschlands aufbauen (Stichwort: reduzierung von Energieimporten, Klimaschutz), dann müssten wir über grob 100-200 neue Reaktoren in Deutschland sprechen und den Einsatz der Brütertechnologie inkl. der ganzen Plutoniumwirtschaft mit allem was dazu gehört.
    Die Technik dazu ist weder ausgereift, noch ist sie bezahlbar. Die Russen bauen gezwungerenmaßen einen mit flüssigem Natrium gekühlten "Plutonium-Verbrenner" in Obninsk, nicht weil das so toll wäre, sondern weil sie nicht wissen, wie sie sonst die START Verträge einhalten können


    Kernfusion ist in 50 Jahren verfügbar oder auch nicht. Bringt und heute nix und bezahlen müsste das auch einer wollen.


    Abhängigkeit von Russlands Gas. Man schaue sich mal an, wo das Gas hingeht: Im Energiesektor im Wesentlichen zur Beheizung von Gebäude und in Spitzenlastkraftwerke oder KWK Anlagen. Nirgens davon ist es sinnvollerweise und in großen mengen durch Atomkraft zu substituieren. Würde man's mit dem Klimaschutz ernst meinen, dann würde man Erdgas/Methan auch im Mobilitätssektor stärker verwenden.


    Um die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu reduzieren braucht es völlig andere Strategien als Atomkraftwerke (die heute geplant sowieso die nächsten 10 Jahre noch keine einzige kWh liefern würden). Mal davon abgesehen, dass wir auch eine fast 100%ige Abhängigkeit von Uranlieferungen haben, die ehemaligen eigenen Vorräte stecken ja heute in den russischen Bomben.


    Die Energiekonzerne wollen ja jetzt den betreib und Rückbau auf den Staat auslagern und sind im ersten Angebot bereit, dafür 30 Milliraden Euro an Rücklagen herzugeben. Da dürfte noch mehr drin sein. Kosten wird es natürlich VIEL mehr, aber das ist eiegntlich eh jedem klar, genauso wie sonnenklar ist, dass das so oder so der Steuerzahler bezahlen muss.
    Ich würde den Deal machen und die Teile abwicklen. Eine bessere und "billigere" Chance, nur mit einem blauen Augen aus der Hochrisikotechnik raus zu kommen bekommen wir nicht. Was ns dann die Endlagerung kostet (das Lager ist vermutlich auch in 50 Jahren fertig, pünktlich mit dem 1. Fusionsreaktor, haha...) weiß eh keiner. Ist wahrscheinlich auch besser so.


    So teuer können die erneuerbaren Energien garnicht werden, so teuer wie Atomstrom uns am Ende jetzt schon kommen wird, auch wenn wir hoffentlich keinen s-GAU bei uns bezahlen müssen (3x auf Holz klopf)


    Und wer mal sehen will, wie schrecklich und furchtbar das Leben ohne Atomstrom ist mit frierenden und hungerenden Leuten in der finsteren Stube, der besuche mal Norwegen, Island, Österreich, Italien, Neuseeland, Australien oder eben eins der über 100 anderen Länder, die bisher auf diese scheinbar unverzichtbare Technologie sehr wohl verzichtet haben.


    Näme man der Welt heute alle Atomkraftwerke weg, die Endenergieerzeugung läge auf den Niveau von vor ca. 3-4 Jahren. So gro´ß ist die bedeutung und darum das ganze Geschiss.


    Atomkraft hatte nach der Euphorie der Anfangsjahre nur zwei wesentlichene Zweck und Antreiber: 1. Prestige. 2. Atombomben bauen.


    Dort wo diese Motivation heute fehlt wird auch kein neues AKW mehr gebaut (mit wenigen Ausnahmen)


    mfg


    PS: Würde man den kompletten(!) Straßenverkehr Deutschlands elektrifizieren ohne Effizienzverbesserung bei den Fahrzeugen selbst, dann Läge der Strombedarf dafür bei ca. 200TWh/a. Der Stromverbrauch Deutschland bewegt sich heute bei 600TWh/a. Alleine die bisher installieren Wind- und Solarkraftwerke kommen schon an die 100TWh/a heran (je nach Wetter)
    Das angestrebte Ziel von 1 Mio. "Elektroautos" bis 2020 hat auf den Stromverbrauch einen vernachlässigbaren Effekt, das geht im Rauschen unter.


    PPS: Die Radioaktivität ist mir vergleichsweise egal, bei diesem Tod spielt eh der Zufall mit rein. Was mir nicht egal ist sind die enormen Kosten und dass AKW die größten anzunehemnden Katastrophenverstärker überhaupt sind. Jede Katastrope kann durch AKW zur Mega-Katastropa werden. Erfolgreiches S&P in einem Land mit AKW ist für extreme Szenarien nahezu ausgeschlossen. So viele Technologien gibt es nicht, von denen in großen Krisen ähnliche hohe Gefährdungspotenziale ausgehen.

    Aus gegebenem Anlass: ich distanziere mich hiermit ausdrücklich gegen jeden Form von Gewaltphantasien gegen andere, den Staat oder staatliche Organe. Ich betreibe prepping als Krisenvorsorge und als Hobby und tausche mich hier mit Gleichgesinnten aus.

  • Etwas, was wie eine gottgegebene Grösse dargestellt wird, ist das ganz und gar nicht: der Energieverbrauch.
    Das Problem "Stromerzeugung" lässt sich besser und kosteneffizienter auf der Verbrauchsseite lösen.
    Stichworte: Standby-Geräte. Widerstands-Elektroheizungen.
    Wäre Stromsparen ein Thema, hätte jeder, der mit Öl heizt, eine Wärme-Kraft-Kopplungsanlage und würde zudem mit einer Wärmepumpe heizen, um die Abwärme der Sache wirklich optimal nutzen zu können. Es ist immer noch völlig normal, jedes Jahr 2000 Liter besten Treibstoff (Heizöl EL) zu verheizen und zum Energiesparen hat man dann diese blöden Energiesparlampen.


    Hier spielt die Architektur eine grosse Rolle, die aber noch immer nur von wenigen Bauherren wahrgenommen wird.
    Man dämmt zwar, aber was rein passive Technik bringen könnte (z.B. durch funktionelle Anordnung von Fenster- und Dachflächen), wird bei weitem nicht ausgeschöpft.
    Als Folge davon sehen neue Häuser in Palermo fast gleich aus wie in Oslo. Dann "braucht" man eben so und so viele kWh Energie von aussen, die von der Umwelt bereitgestellt werden müssen.


    Energieverbrauch ist übrigens kein Thema, in den Bauforen wird seitenlang über diverse Küchen- und Badezimmereinrichtiungen und maximal mögliche Fremdfinanzierungen diskutiert, um sich den ganzen Plunder leisten zu können. Die Heizung muss vor allem "wirtschaftlich", d.h. billig sein. Dass z.B. jede nicht verbrauchte Kilowattstunde nicht zugekauft werden muss und das Haus dadurch im Krisenfall wesentlich besser bewirtschaftet werden kann, interessiert kaum jemanden.


    Zudem: wenn ich pro Jahr 5000 kWh durch meine Wärmepumpe jagen muss, bin ich auch dafür, dass AKWs sicher sind, wenn sonst der Strom knapp würde.

  • Zitat von jp10686;170980


    Das Argument, wer die gleich starke Strahlenquelle legal besitzen wolle wie was jeder als K40 im Körper hat brauche eine Bewilligung, habe ich nicht verstanden.
    Was willst du damit sagen?


    Was will ich damit sagen? ich trage "völlig legal" 8.000 Bq 40K im Leib, das ist ein richtig fetter Betastrahler mit einer Zerfallsenergie von 1,3 - 1,5 MeV. Da geht was ab. Wie ich schon sagte, ich kalibriere meine Messtechnik mit Kaliumchlorid. Sässe ich auf einem Zentnersack Kalidünger, dass sässe ich auf 500.000 Bq eines extrem potenten Betastrahlers. Kann ich mir lizenzfrei und ohne irgendwelche Lehrgänge und Prüfungen bei der BayWa kaufen, in jeder gewünschten Menge. Ab 10 Säcke Lieferung per LKW frei Haus. Dann sitze ich auf 5 MBq eines potenten Betastrahlers. Völlig legal.


    Wollte ich dagegen mehr als 5.000 Bq des etwas schwächeren Betastrahlers 137Cs (2 Zerfallsmechanismen mit 0,5 und 1,1 MeV) im Laborbedarf erwerben, dann brauchte ich eine Lehrgang mit Prüfung und eine behördliche Zulassung als Nuklidlabor, die ich für meinen Hobbyraum garantiert nicht kriegen würde.


    Die biologische HWZ von 137Cs liegt übrigens mit 110 Tagen sehr nahe bei der von 40K und dem nichtradioaktiven 39K. Weil halt alle als Alkalimetalle ziemlich gleich verstoffwechselt werden, Cs wir praktisch wie K verstoffwechselt, wird auch über Kaliumkanäle in die Zellen eingebaut und wie K über die Nieren eliminiert.


    Ganz plakativ: 8.000 Bq 40K sind genauso schädlich oder unschädlich wie 8.000 Bq 137Cs


    ... und wir diskutieren hier teilweise über 600 Bq pro Kilo 137Cs in bayrischen Wildsauen.



    Man sollte halt auch mal auf die Relation achten.


    Zumal ich maximal 1 kg bayrische Wildsau im Jahr esse, bei einer biologischen HWZ des 137Cs von 110 Tagen...


    Was will ich damit sagen? 5.000 Bq 137 Cs lassen mich ziemlich kalt.


    Ich hab jetzt mal aus Neugier ein bisserle rumgerechnet:


    Was würde mir passieren, wenn ich die 5.000 Bq starke (genehmigungspflichtige!) 137Cs-Quelle ganz einfach nehmen und aufessen täte. Ich bekäme sage und schreibe 70 µSv ab. Die kann ich mir auch auf drei Interkontinentalflügen holen, und am Boden eine natürliche Hintergrundstrahlung von rund 2,5 mSv/a in meiner Gegend ...


    Übrigens ist auch bei Stewardessen und Piloten auf der Langstrecke, die das beinahe täglich machen, keine erhöhte Tumorinzidenz bekannt. Aus Sicherheitsgründen werden nur die Stewardessen während einer Schwangerschaft in den Bodendienst versetzt.


    Viele Grüsse


    Matthias

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  • Es zweifelt ja auch niemand daran, dass die Radioaktivität in dieser Menge relativ harmlos ist.
    Bei Super-Gaus geht es aber um Terabecquerels, die über die Bevölkerung verteilt werden, also um sehr viel grössere Mengen Radioaktivität.
    Deshalb halte ich den Exkurs über die Harmlosigkeit von Radionukliden am Beispiel von 40K für wenig zielführend.


    Abgesehen davon, auch bei Chemikalien werden Kompromisse gemacht, um den Alltag zu bestehen. Oder willst Du Normalbenzin bleifrei nur gegen Giftschein tanken können?

  • Zitat von jp10686;171163

    Es zweifelt ja auch niemand daran, dass die Radioaktivität in dieser Menge relativ harmlos ist.
    Bei Super-Gaus geht es aber um Terabecquerels, die über die Bevölkerung verteilt werden, also um sehr viel grössere Mengen Radioaktivität.


    Nun, ich habe mal in den VDI-Nachrichten einen hochinteressanten Artikel über Tschernobyl und die Folgen gelesen.


    Es gab reichlich Todes- und Krankheitsfälle bei den Feuerwehr- und Armeeangehörigen, die man mit unzureichender Ausrüstung und ohne Dosimetrie an den Unfallort geschickt hat. Das war schlicht und einfach kriminell. Die Leute wurden verheizt.


    Es gab in Folge eine erhöhte Inzidenz von Schilddrüsentumoren bei Kindern, weil man Iodblockade unterlassen hat. Auch das kriminell, Kaliumiodid ist eine Massenchemikalie, hätte 1 ct pro Kind gekostet. Hätte bevorratet sein müssen.


    Ansonsten hielten sich die gesundheitlichen Folgen in Grenzen.


    Und da wurden Terabequerels frei.

    Zitat von jp10686;171163

    Abgesehen davon, auch bei Chemikalien werden Kompromisse gemacht, um den Alltag zu bestehen. Oder willst Du Normalbenzin bleifrei nur gegen Giftschein tanken können?


    Ein sehr spannendes Thema. Ich bin ein friedliebender Mensch, aber wenn ich morden wollte, dann würde ich mir Alltagschemikalien auswählen, die es an jeder Strassenecke zu kaufen gibt. Ich bin heilfroh, dass die meisten Menschen nicht wissen, was man mit Alltagschemikalien tun kann. Siehe etwa die Aum-Sekte in Japan und der Sarinanschlag auf die Tokyoter U-Bahn.


    Das Zeug ist absolut trivial zu machen. Es freut mich nur immer, dass religiöse Fundamentalisten wenig Ahnung von Naturwissenschaft haben. Sie haben erstens das ziemlich veraltete deutsche Verfahren aus dem 2. WK statt dem modernen amerikanischen Verfahren (binärer Kampfstoff) verwendet, das übrigens auch noch leichter zu kochen ist wie das steinalte deutsche Verfahren und sie wussten nicht wirklich, wie man das Zeug ausbringt (Stichwort: Dampfdruck).


    Das hat vermutlich tausenden Menschen das Leben gerettet.


    Wenigstens wurden sie dafür aufgehängt. Ich bin sonst kein Befürworter der Todesstrafe, aber die haben sich den Strick redlich verdient.



    Meint


    Matthias

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  • Hmm ... Glaubst Du, die Schweizer könnten das Jod innert nützlicher Frist (Stunden nach dem GAU) ALLEN KLeinkindern im Grossraum Bern verteilen, wenn Mühleberg platzt? Glaube ich nicht, denn solche Unfälle pflegen sich nicht vorher anzukündigen und nachher wird man jedesmal herausfinden, dass der Unfall voraussehbar gewesen wäre und dass sträflicher Leichtsinn im Spiel war. Ausserdem setzt das voraus, dass die zuständigen Behörden sich über die Schwere des Unfalls selber im Klaren sind und sofort entsprechend handeln.
    Gewöhnlich werden solche Unfälle aber Stunden und Tage schöngeredet.
    Jedenfalls hat das weder in Japan noch in Russland noch sonstwo bei grosstechnischen zivilen Katastrophenunfällen irgendwann funktioniert. Von Japan nimmt man an. dass die Leute dort wesentlich disziplinierter seien als bei uns - eine Bananenrepublik mit verrotteten Infrastrukturen ist dieses Land jedenfalls nicht.
    "Fenster und Türen schliessen, Radio hören, für die Bevölkerung besteht keine Gefahr"
    Bei grenznahen AKWs (in Mitteleuropa sind alle grenznah) würde es auch noch internationale Zusammenarbeit voraussetzen.


    Bleibt noch das Kalte-Krieg-Szenario, nämlich dass alle immer mit Jodtabletten und Gasmaske griffbereit draussen herumlaufen.


    Und was ist mit den auf Jahrhunderte hinaus unbewohnbaren Gebieten wegen Verseuchung? Das Iod ist nach ein paar Wochen weg, die anderen Sauereien leben leider deutlich länger. Man kann sich ja den Spass machen und 1000 km2 um Mühleberg oder Beznau total räumen - 1000km2 ist die typische Grösse so einer Zone nach einem GAU.


    Ich habe mir anlässlich Fukushima im Frühjahr 2011 aufgrund der Angaben der Wikipedia durchgerechnet, wie gross die tatsächliche Eintretenswahrscheinlichkeit eines Super-Gaus war (INES 6 oder 7). Demnach gab es in der Geschichte der friedlichen Kernkraftnutzung bis Ende 2010 knapp 16'000 Reaktorbetriebsjahre und 5 solche Unfälle, was eine Super-GAU-Wahrscheinlichkeit von unangenehm hohen 1:3200 ergibt.
    Man kann nun darüber streiten, was ein "solcher Unfall" sei, ob Harrisburg (Katatrophenverhinderung durch Schwein gehabt) oder Majak dazugehören oder nicht.
    Jedenfalls kommt man auf Wahrscheinlichkeiten in der Grössenordnung von 1:10'000, und das ist deutlich schlechter als was die Betreiber angeben.
    "Vernachlässigbar klein" ist das jedenfalls nicht.
    Diese sehr grobe Hochrechnung zeigt auch, warum kein Versicherer bereit ist, einen AKW-Unfall unbegrenzt hoch zu versichern. Die können viel besser rechnen als ich und suchen sich ihre Daten nicht irgendwo im Internet zusammen.



    Zum Vergleich: In der Schweiz gibt es etwa 5.7 Millionen zugelassene Motorfahrzeuge und rund 350 Verkehrsunfälle mit Todesfolge (Quelle:BFS).
    Damit ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Motorfahrzeug im Laufe eines Jahres einen tödlichen Unfall verursacht, 350/5'700'000 = 1/16'000
    und folglich in der gleichen Grössenordnung, aber deutlich geringer als die Eintretenswahrscheinlichkeit eines Super-Gaus bei einem kommerziellen Kernreaktor.


    Mit anderen Worten, es gelang den Betreibern in der Realität bisher nicht, einen Kernreaktor sicherer zu betreiben als einem Autofahrer, keinen zu Tode zu fahren.


    Man kann das nun alles schönrechnen (Majak und Teschernobyl waren die Russen, nicht vergleichbar mit westlichem Standard, und es gibt keine besoffenen AKW-Operateure, und und und ... :frowning_face: Aber die Zahlen sind Tatsache.

  • Zitat von jp10686;171201

    Hmm ... Glaubst Du, die Schweizer könnten das Jod innert nützlicher Frist (Stunden nach dem GAU) ALLEN KLeinkindern im Grossraum Bern verteilen, wenn Mühleberg platzt?


    Du solltest es im Haus haben. Kostet nicht viel. Wenn Du ein paar Euro ausgeben willst, dann ist Kaliumiodid Lannacher 65 mg Dein Freund, wenn Du Dich für Chemie interessierst so wie ich, dann hast Du einen Topf Kaliumiodid zu Hause stehen, der ein Bataillon versorgen könnte und weisst auch, wie das zu dosieren ist.


    Die Frist für die Einnahme ist in der Tat kurz. Stunden


    65 mg für das Kind und 130 mg für den Erwachsenen wird auf der Analysewaage abgemessen.


    Shit... die Analysewaage ist aus dem Regal gefallen und kaputt auch das macht nichts, wir kennen ein paar chemische Tricks und Notbehelfe:)


    siehe Abschnitt SSKI in dem von mir referenzierten Artikel

    Zitat von jp10686;171201

    Gewöhnlich werden solche Unfälle aber Stunden und Tage schöngeredet.


    Deswegen ist mein Reden ja auch immer, ihr solltet Euch abgesetzt haben, bevor irgendein Regierungssprecher auch nur auf die Idee kommt zu dementieren, dass es eine Gefahr gibt.


    Das Zauberwort heisst Information, eines ist dieses Forum, ein anderes internationale Kurzwellenstationen, ein drittes ganz simpel das Internet. Während meiner morgendlichen Fahrt mit dem Zug zur Arbeit schaue ich mir z.B. nzz.ch faz.net und spiegel.de als Regellektüre an. Wegen meiner beruflichen Beziehungen zu Indien auch die Times of India


    Im Zweifelsfall grundsolide, eigene, lagerhaltige Messtechnik.


    Auch wen das jetzt ein völlig exotischer Fall aus dem Bereich der Verschwörungstheorien ist, ich würde Dir binnen 5 Minuten einen Nachweis auf Cholinesterasehemmer fahren. (Also Sarin, Tabun, Soman, VX, die üblichen Verdächtigen) Da wäre noch nicht mal mein Chemielabor gefragt, das wäre ein simples Drägerröhrchen für knapp einen Euro.


    Zitat von jp10686;171201


    Jedenfalls hat das weder in Japan noch in Russland noch sonstwo bei grosstechnischen zivilen Katastrophenunfällen irgendwann funktioniert.


    Auch das sehr spannend. Beide Fälle waren kein technisches Versagen , sondern kriminelles menschliches Fehlverhalten. Ich habe es schon in anderen Beiträgen geschildert.



    Tschernobyl. Ich habe einen notorisch unsicheren graphitmoderierten Reaktor. Sowas würde ich nicht bauen. hätte ich es, würde ich mit extremer Vorsicht damit umgehen.


    Dann hatten wir nur in dieser Nacht im Leitstand Leitungspersonal, die nicht nach technischer Kompetenz, sondern nach kommunistischer Linientreue ausgesucht wurden. Die meinten dann mal, mit einem zur Wartung abgeschalteten Reaktorblock Versuche im Bereich der Unterkritikalität fahren zu müssen. Eigentlich weiss mann, dass Unterkritikalität bei einem saumässig unsicheren graphitmoderierten Reaktor erst recht unsicher ist.


    Was ist passiet? Der Reaktorkern ist in 135Xe abgesoffen und war nicht mehr steuerbar. Eigentlich kann jeder mitteleuropäische zwanzigjährige Student, der mal Reaktortechnik 1 gehört hat, das Wort Xenonvergiftung buchstabieren.


    Fukushima: Es lohnt sich auch für Ingenieure, einen Blick in Geschichtsbücher zu werfen. Die teilweise wesentlich höheren Tsunamis der letzten dreihundert Jahre waren gut dokumentiert. Die Notstromdiesel in den Keller des Kraftwerks zu stellen, war nicht nur eine Dummheit, es war ein Verstoss gegen jeden ingenieurmässigen Sachverstand.


    Die Kraftwerke waren auf eine Magnitude 9 ausgelegt, haben sie überlebt und technisch das getan, was sie tun sollten. Sie sind in die Notabschaltung gegangen.


    Hätten die Dieselaggregate für die Notkühlung nur 30m weiter den Hang hoch gestanden (das Gelände steigt dort ziemlich steil an) wäre nichts passiert

    Zitat von jp10686;171201


    Von Japan nimmt man an. dass die Leute dort wesentlich disziplinierter seien als bei uns


    Man nimmt es nicht nur an. Sie sind es. In jeder Situation im Alltag. Die Höflichkeit ist im Vergleich zu Europa traumhaft



    Viele Grüsse


    Matthias


    - der im Januar mal wieder in Yokohama war

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    Benjamin Franklin (1775)

  • Ich bin eine technische Null. Ich habe nur meinen halbwegs gesunden Menschenverstand, und der konnte immer wieder beobachten, dass, wo Menschen sind, Fehler gemacht werden. Natürlich ist man hinterher immer schlauer- mir ist z.B. völlig schleierhaft, wie man in Erdbeben- und Überschwemmungsgebieten überhaupt irgendetwas bauen kann- geschweige denn ein AKW.


    Im Falle des Falles- gelänge es vielen von uns vielleicht, das Weite zu suchen. Weil wir vielleicht besser informiert sind, weil viele von uns Fluchtorte haben, vor allem aber, weil viele von uns wirtschaftlich in der Lage dazu sind.


    Für ein bisschen Energie die Gesundheit vieler Menschen, und deren Lebensgrundlage, die Anbauflächen und die Sauberkeit der Gewässer auf´s Spiel zu setzen, noch dazu, ohne das Volk zu befragen/entscheiden zu lassen, halte ich für kriminelles menschliches Handeln.


    [COLOR="silver"]- - - AKTUALISIERT - - -[/COLOR]


    Zitat von Survival-Asia;170606


    Aber die Befürworter der atomare Energiegewinnung waren in der Regel (wenn sicher auch nicht alle) sehr gut situierte bis hin vermögende oder gar reiche Bürger, die von dieser neuen Energiegewinnung geradezu begeistert waren, aber aufgrund Ihres Besitztums das Allermeiste zu verlieren hatten.
    Ist das nicht paradox?


    Ich finde nicht.
    Ein vermögender/reicher Bürger hat oft mehr als ein einziges Häuschen an einem einzigen Standort. Und er hat auch die Möglichkeit, sich schnell zu entfernen. Das Kostbarste- das Leben- ist somit nicht gefährdet. Und Diamanten und Goldbarren lassen sich unkompliziert mitnehmen.
    10 Jahre nach dem GAU finden sich auch sicherlich Käufer für das nicht optimal placierte Häuschen- war ja alles nicht sooo schlimm- im 10 km- Umkreis eines AKW hat ganz sicher keiner dieser Befürworter gebaut/gekauft.

    [SIGPIC][/SIGPIC]Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, das Geheimnis der Freiheit ist der Mut

  • Zitat von Waldschrat;171322

    Du solltest es im Haus haben. Kostet nicht viel.


    Hab ich. Frag doch bitte mal in den Kindergärten und Schulen in deiner Umgebung, wie es dort aussieht. Dazu gab es auch mal eine recht interessante Reportage, in der der Schulleiter mit „Brandschutz“ und „draußen sammeln“ kam und die Kindergärtnerin nichts von diesen Tabletten gehört hat.



    Zitat von Waldschrat;171322


    Auch das sehr spannend. Beide Fälle waren kein technisches Versagen , sondern kriminelles menschliches Fehlverhalten. Ich habe es schon in anderen Beiträgen geschildert.


    Hast Du. Und jedes Mal wird’s nicht besser. Die menschliche Komponente zu vernachlässigen ist ja offenbar ein gewaltig hohes Risiko. Und mit der Argumentation „der Mensch ist schuld“ kann man letztlich immer kommen. Der baut solche Teile.




    Zitat von Waldschrat;171322


    Tschernobyl. Ich habe einen notorisch unsicheren graphitmoderierten Reaktor. Sowas würde ich nicht bauen.


    Hinterher ist man natürlich immer schlauer. Stattdessen empfiehlst du schnelle Brüter, die mit flüssigem Natrium gekühlt werden. Für mich nicht gerade der Inbegriff von sicher. Geschweige denn wirtschaftlich.




    Zitat von Waldschrat;171322


    Die Kraftwerke waren auf eine Magnitude 9 ausgelegt, haben sie überlebt


    Nicht alles war auf eine Magnitude 9 ausgelegt.

    Zitat

    Die Kühlsysteme seien jedoch nach Vorgaben der Betreiberfirma nur für Erdbeben von maximal Stärke 8 ausgelegt worden.



    Und weiter:

    Zitat

    Das Erdbeben löste am 11. März ab 14:46:46 Uhr (Ortszeit) eine Vielzahl von Aktionen in Block 1 aus. Der Reaktor wurde planmäßig automatisch heruntergefahren und gleichzeitig wegen Ausfall der externen Stromversorgung auf Notstrombetrieb umgeschaltet. Arbeiter berichteten später von gebrochenen Rohren im Reaktorgebäude, aus denen Wasser herausschoss. Eines der Notkühlsysteme (Isolation Condenser) schaltete sich kurz ein und ging wieder außer Betrieb. Ein anderes (Containment Cooling System) kühlte danach vorerst den Sicherheitsbehälter, der den Reaktordruckbehälter umschließt. Tepco bestritt später, dass das Erdbeben nennenswerte Schäden oder Sicherheitsprobleme verursacht hätte, musste aber bereits kurz darauf ein ähnliches Dementi für Block 3 zurückziehen.

    Wiki


    Zitat

    Tokyo Electric Power Company
    has released data which suggests the March 11th earthquake damaged a critical piping system in the No. 3 reactor at its Fukushima 3 Daiichi nuclear plant.
    The utility said that analysis of pressure and temperature data from the days after the quake shows that the No.3 reactor lost its cooling system on March 13th.
    Much of its nuclear fuel likely melted down and collected at the bottom of the pressure vessel over the next 24 hours.
    The analysis also shows that piping in an emergency cooling mechanism, known as a high-pressure coolant injection system, may have been damaged by the earthquake. The system is designed to maintain the water level inside the reactor vessel during an emergency.


    Earthquake Report


    Übrigens: man hat nicht nur „einfach so“ die Notstromaggregate in den Keller gestellt, sondern auch noch eine Tsunami-Schutzmauer errichtet. Die war 5,70 Meter hoch. Dass der Tsunami mit Wellen von 13-15m eintraf, damit konnte ja wohl niemand rechnen :Ironie: Vielleicht haben sich die Ingenieure darauf verlassen. Glaubt man den Angaben des GFZ Potsdam, so gab es immerhin 100 Tsunamis über 10m seit 1562 und 26 über 30m. Ist natürlich die Frage, ob man das mitberücksichtigt. Auch die 30m höher hätten bei einem 35m Tsunami (der danach durch die Presse ging) nichts gebracht.


    Noch etwas: Erdbeben und Tsunamis sind keineswegs stochastisch unabhängig. Es ist also nur begrenzt sinnvoll, beides zu trennen. Das Erdbeben hat den Tsunami ausgelöst. Ob jetzt nichts passiert wäre, hätte man die Notstromgeneratoren einige Meter höher aufgestellt, das bleibt Spekulation.



    Beste Grüße

  • Das ist es ja eben ...


    Zitat von Waldschrat;171322


    Tschernobyl. Ich habe einen notorisch unsicheren graphitmoderierten Reaktor. Sowas würde ich nicht bauen. hätte ich es, würde ich mit extremer Vorsicht damit umgehen.


    Fukushima: Es lohnt sich auch für Ingenieure, einen Blick in Geschichtsbücher zu werfen. Die teilweise wesentlich höheren Tsunamis der letzten dreihundert Jahre waren gut dokumentiert. Die Notstromdiesel in den Keller des Kraftwerks zu stellen, war nicht nur eine Dummheit, es war ein Verstoss gegen jeden ingenieurmässigen Sachverstand.


    Ähnlichen Hinterher-Sachverstand dürfte es für jeden derartigen Unfall geben.
    Gesamthaft betrachtet ist derartiger Umgang mit bekannten und unbekannten Risiken oder nicht bedachten Möglichkeiten jedem System eigen, das von vielen Menschen gemeinsam entworfen, gebaut und betrieben wird. Fallbeispiel Zeppelin: Jeder Gymnasiast bekam schon damals mit, dass Wasserstoff wunderbar brennt.
    Wenn man eine Unfall-Statistik in viele Einzelereignisse auseinanderdröselt, wird jeder Unfall zu einem Spezialfall und es wird in Zukunft nur immer zu weiteren Spezialfall-Desastern kommen, die so nicht vorhersehbar waren und für die man hinterher eine unglückliche Verkettung von Umständen und konkrete Regelverletzungen von Personen meistens des mittleren Kaders vom technischen Dienst herausfinden wird.
    Viele Spezialfälle ergeben zusammen eine statistische Betrachtungsmöglichkeit, die ich oben durchgerechnet habe und wo es keine Rolle spielt, warum genau ein bestimmter Unfall zustandegekommen ist.


    Die unbewussten Risiken "sowas würde ich nicht bauen" - weiss man erst hinterher. Sie wären noch entschuldbar.
    Die aus finanziellen Gründen bewusst eingegangenen Kompromisse oder besser Verantwortungslosigkeiten (Bauen im Erdbebengebiet, usw.) sind deshalb schlimm, weil es keinen Grund zur Annahme gibt, dass Menschen mit Verantwortung sich in Zukunft anders verhalten werden.


    Es gibt auch keinen Grund zur Annahme, dass dies in Europa besser gemacht wird als anderswo. Dieser saloppe Umgang mit seltenen Risiken kann man jeden Tag sehen, wenn wieder mal am Steuer telefoniert oder ein Dach ohne Absturzsicherung repariert oder ein 40 Jahre altes AKW trotz technischer Mängel weiterhin am Netz belassen wird. Es ist auch nicht weiter tragisch, solange die Unfallfolgen für die Gesellschaft verkraftbar sind, d.h. solange nur die handelnden oder nicht handelnden Einzelpersonen betroffen sind.
    Sind die Folgen zu gravierend, wie beim ebenfalls durch fahrlässige Ignoranz von Informationen hervorgerufenen Staudammbruch von Vajont, dann wird es grenzwertig.
    Bei AKWs sind diese Folgen nicht mehr tolerierbar.


    Das alles ist unabhängig vom nach wie vor ungelösten Problem der radioaktiven Abfälle, die im Regelbetrieb, also ohne Unfall, entstehen.
    Man stelle sich vor, wie unsere heutigen Bauprojekte aussähen, wenn man überall auf "sichere Endlager" aus der Römerzeit (lächerliche 2000 Jahre her), aus dem Mittelalter und aus allen möglichen Perioden der Menschheitgeschichte stiesse, um die man sich kümmern müsste, bloss weil die früher auch gerne billige Energie wollten.

  • Hier ein aktueller Vorfall in Indien:


    Nachdem die kommerzielle Inbetriebnahme des AKWs in Kudankulam seit 2008 ständig ohne Angabe von Gründen verschoben wurde und nun eigentlich erst Ende diesen Jahres erfolgen sollte, wurde es nun doch hochgefahren.


    Prompt trat Heißdampf aus und verbrühte sechs Arbeiter teils schwer...
    Angeblich trat keine Radioaktivität aus und es ist alles völlig ungefährlich...




    http://www.indien.antiatom.net/ungluck-im-akw-kudankulam/

    http://www.boell.de/de/2014/04…diens-atomenergieprogramm

  • Zitat von Tolot;171340

    Hab ich. Frag doch bitte mal in den Kindergärten und Schulen in deiner Umgebung, wie es dort aussieht.


    Hallo Totot, ich könnte da, obwohl Kernkratbefürworter, im Notfall mit ganz anderen Dosen aushelfen. Für die Iodblockade der Schilddrüse hätte ich 1000g Kaliumiodid (aus anderen Gründen, Analyselabor)im Haus. Damit könnte ich Iodblockaden ohne Ende durchführen. Die Analysewaage zur Abwägung einer Kinderdosis von 65mg und einer Erwachsenendosis von 130mg stände daneben.


    Ebenso die sehr genaue Befragung, ob Schilddrüsenvorerkrankungen (autonome Knoten) vorliegen können, die auf eine Iodgabe mit einer potentiell lebensgefährlichen thyreotoxischen Krise reagieren können.


    Auch hier gilt das Gebot für Ersthelfer: Du musst als erstes mit den Leuten reden, soweit ansprechbar und dann gemeinsam mit ihnen entscheiden, was du machst.



    Meint


    Matthias

    They who can give up essential liberty to obtain a little temporary safety, deserve neither liberty nor safety.
    Benjamin Franklin (1775)

  • Hallo Matthias,


    das finde ich auch ganz ernsthaft gut, dass Du das kannst und im Notfall aushelfen würdest (was generell unabhängig von der eigenen Meinung bzgl. Kernkraft erfolgen sollte :face_with_rolling_eyes: ).
    Aber, einfach gesagt, Typen wie Dich gibt es nicht an jedem Kindergarten und an jeder Schule innerhalb eines 40 km Radius eines jeden AKWs.


    Weswegen es unterm Strich wahrscheinlich die vernünftigere Idee wäre, mindestens die Leiter der jeweiligen Einrichtungen entsprechend zu schulen, sowie die Medikamente vorrätig zu haben.
    Da solche Maßnahmen bisher augenscheinlich nicht ergriffen wurden, kann man schon von kriminellen Tendenzen sprechen...


    Beste Grüße

  • Zitat von jp10686;171201

    Hmm ... Glaubst Du, die Schweizer könnten das Jod innert nützlicher Frist (Stunden nach dem GAU) ALLEN KLeinkindern im Grossraum Bern verteilen, wenn Mühleberg platzt? G...


    Das Jod ist schon längst verteilt worden, ich habe die zwei Pakungen die vom Bund einem geschickt wurden und die Gefahren Zone wo Jod präventiv an die Bevölkerung verteilt wird, wird vergrössert.