Bevölkerungsverhalten in Krisen und Katastrophen

  • Herbert Saurugg hat einen schönen Text zum Verhalten der Bevölkerung bei Krisen geschrieben:


    http://www.herbert.saurugg.net…n-krisen-und-katastrophen


    Darin räumt er u. a. mit der romantisierenden Prepperparanoia, dass nach fünf Tagen ohne Strom Anarchie und Aufruhr in den Straßen herrscht, recht gründlich auf. Andererseits formuliert er auch, dass das Unterstützen prosozialer Aktivitäten in der Masse stark von Unterstützung durch und Kommunikation mit den BOS abhängt. Lesenswert!


    Mit besten Grüßen vom studierten Hessen
    (Acht Semester Psychologie, null Erfolg)

  • Dann hier konsequenterweise das Paper, auf dem Sauruggs Zusammenfassung basiert:


    http://smarter-projekt.de/wp-c…enbefragung_Juli_2017.pdf


    Beim Lesen wird auch klar, dass den Forschenden durchaus systemische Schwächen wie politische Erwünschtheit einer bestimmten Haltung klar waren, und dass sie sie bewusst auszufiltern versucht haben. Scheint also soweit Hand & Fuß zu haben...


    Und: Die „nur bei mir und außerdem“-Fraktion kenne ich als Vater zweier kleiner Jungs, Führungskraft und Sanitäter zu Genüge, die kann ich sowas von wegignorieren, dass sie beginnen an ihrer eigenen Existenz zu zweifeln...


    :)


    Mit besten Grüßen vom lesenden Hessen

  • Wenn ich laienhaft widersprechen darf:


    Wir (alle in diesem Forum) bereiten uns (unter Anderem) auf einen Blackout vor. Der Wochen oder länger andauert.
    So etwas gab es zuletzt im Mittelalter bis vor der Entdeckung der Elektrizität :winking_face:
    Natürlich gibt es da keine Präzedenzfälle, auf die man zurückgreifen könnte.


    Auch hat sich seit der Nachkriegszeit das Verhalten ein weeeenig geändert. Geh mal heute Abend in einen Supermarkt Deiner Wahl. Lade den Einkaufswagen voll mit Böllern und warte einfach nur ab.
    Das bereits wird ausreichen, dass Du angepöbelt wirst. Vergleichbar sieht es mit anderen Angeboten in Supermärkten aus. Kinderklamotten an dem Tag an dem das Angebot gilt.
    Die Muttis werden euch in Fetzen reißen.
    Das obwohl an nichts ein Mangel besteht.


    Das beweist absolut nichts. Beides nicht.Allerdings ist auch nicht klar, ob und wann ein Blackout eintreten wird. (um nur eines der denkbaren Szenarien anzusprechen.)
    Doch der Grundgedanke tendiert hingegen in die Richtung: "Lieber haben und nicht brauchen als brauchen und nicht haben".
    [MENTION=11351]Abendrot[/MENTION] : Ja. Leider haben wir nur das zu befürchten. Alles was cool ist, Zombieapokalypse, Alieninvasion, Angriff der Killerschafe und Haitornados kriegen nur die Amis :)

  • Bei einem "lokalen" Problem wie in Friaul oder Müsterland (beides angesprochen) mache ich mir auch weniger Gedanken, obwohl Blicke nach London, Paris oder New York etwas anderes zeigen.
    Nur ob dieses altruistische Verhalten auch dann noch andauert wenn in ganz Europa der Strom ausfälllt oder 2 m Schnee liegt oder ....


    Hier ein Beispiel wie Leute in Wien bei günstigen Fernsehern reagieren: Wiener Media Markt bei Rabattschlacht verwüstet

  • Hallo Samui,
    tut mir leid, da widersprechen zu müssen, aber die Forschungsergebnisse aus tatsächliche Großschadenslagen decken sich da nicht mit Deiner Erwartungshaltung und Deiner anekdotischen Wahrnehmung. Die Erkenntnisse aus dem Paper sind ja nicht in verstaubten Universitätsbüros, sondern aus der Auswertung der Erlebnisse von Praktikern in der Praxis entstanden und scheinen, soweit es die kleine Datenbasis hergibt, statistisch signifikant.


    Zitat

    Die Annahme, dass Menschen sich kopflos und irrational, mithin panisch, in großen Schadenslagen verhalten, fußt auf keiner empirischen Grundlage. Zwar ist das menschliche Verhalten nach Eintritt einer Katastrophe kontextabhängig (z.B. Art des Schadensereignisses) und emotionaler als im Alltag, aber statt dem häufig angenommenen Aggressions- und Fluchtverhalten überwiegt die Suche nach Anschluss und Zugehörigkeit bei den Betroffenen. Es geht in erster Linie darum, Geborgenheit und Schutz zu suchen und den Zustand wichtiger Bezugspersonen (z.B. Familien, Freunde, Kollegen) zu erfahren.


    Klar hat sich das Verhalten seit der Nachkriegszeit geändert - aber es wird sich auch in einer Krise wieder ändern. Sehr schön dieses Zitat zum Thema:


    Zitat

    Somit kann auch hier festgehalten werden, dass das Sprichwort „Krisen schweißen zusammen“ einen hohen Wahrheitsgehalt aufweist und sich auch wissenschaftlich belegen lässt.


    Natürlich gibt es in der Masse immer Ausreißer in beide Richtungen: die Sozialpsychologie und Soziologie befasst sich da aber nicht mit dem Individuum, sondern der Gruppe und der Menschenmenge, und wie diese sich verhalten und beeinflussen lassen. Umkehrschluss: Spacken gibt‘s immer, aber sie sind nicht die Regel!


    Mit besten Grüßen vom nicht panikenden Hessen


    [COLOR="silver"]- - - AKTUALISIERT - - -[/COLOR]


    Zitat von Don Pedro;315285

    Hier ein Beispiel wie Leute in Wien bei günstigen Fernsehern reagieren: Wiener Media Markt bei Rabattschlacht verwüstet


    Falsche Prämisse: Das würde ich jetzt nicht als existenzbedrohende Kise für eine größere Menschenmenge definieren - hier werden unterschiedliche psychologische Prozesse / Motivationen bedient...

  • Zitat von Maxe;315290

    Interessant auch der weiterführende Link zu den "Selbsthilfe-Basen":
    http://www.herbert.saurugg.net…lackout/selbsthilfe-basis


    .....


    Und hier der Link zum "Handbuch"


    Leitfaden „Selbsthilfe-Basis“ Dezentrale Anlaufstellen für die Selbstorganisation der Bevölkerung im Katastrophenfall


    http://www.saurugg.net/wp/wp-c…/04/Selbsthilfe-Basis.pdf


    falls jemand den Link übersehen hat.

    :waving_hand: bis dann - nutze die Zeit - Wissen schafft Zukunft - epwin - 6DPNC6RE - epwin02@web.de; :winking_face:

  • Interessanter Text und ich / du / wir, können einfach nur hoffen das es wirklich alles so friedlich abläuft.


    Das Problem was ich haöt wirklich seh, das es sowas wie einen totalen Blackout oder sonstige Krise in großen Ausmaß einfach nicht gegeben hat. Selbst in den beiden Kriegen ging das Leben gröstenteils noch weiter und es gab Informationen, sowie eine Handlungsfähige Regierung mit Polizei etc.


    Wenn jetzt z.b. wirklich mal der Strom ausfällt und das dann nicht nur in Köln oder nur NRW oder Deutschland sondern komplett Westeuropa oder sogar komplett Europa wo man auch nicht mehr weiß wo die Hilfe herkommen soll, dann wird es vermutlich spannend...aber wenn es so extrem werden sollte, dann mach ich mir eher um die ganzen AKWs Gedanken und eher weniger dadrum das mir jemand meine 30 Dosen Ravioli klaut.

  • Zitat von Maxe;315290

    Ich habe damit zwar leichte "Bauchschmerzen", da es nach zivil-militärische Zusammenarbeit (CIMIC) / Militärisierung der Gesellschaft riecht, aber wenn es dann nützt ...


    (in Loriot-Tonlage zu lesen) Mooooo-ment! Da muss ich als ZMZ-Nutzer und -ausgebildeter widersprechen, CIMIC ist nicht die Militarisierung der Gesellschaft, sondern die Struktur, innerhalb derer BW-Fähigkeiten durch die zivile Gesellschaft (BOS) in Katastrophenlagen angefordert und genutzt werden können. ZMZ-I ist für uns BOS die Telefonnummer, die wir anrufen können, wenn wir mal nicht weiterkommen und Olive Autos und Menschen brauchen. BW-Komponenten werden dabei durch die zivilen Führungsstäbe gelenkt, die jeweiligen VerbindungsKdos sind als Fachberater in den Stäben vertreten.


    Mit besten Grüßen vom rot-weiß-oliven Hessen

  • Vielen Dank für den Artikel des Herrn Major Saurugg. Ich hoffe da kann ich jetzt auch in D beruhigt die alte Bundestagsdrucksache 17/5672 , Technologiefolgeabschätzung zum flächendeckenden Stromausfall (2011) ins Altpapier schmeissen.


    Damals führten die vom Bundestag beauftragten Experten auf Seite 100 etwa aus :

    Entgrenzungen brechen sich Bahn; Beispiele dafürsind etwa Gewalttätigkeiten, Alkoholkonsum, Sexualisie
    rungen, Raubzüge, Zusammenrottungen, Bandenbildung.


    Als Quelle für diese These war Vierboom/Härlen 2009, S. 16 . Warum diese These nicht mehr gelten soll, eschließt sich mir nicht.
    Andererseits vermisse ich bei Saurugg Quellenangaben.

    Gegen Ende der Studie kommen die Verfasser der Bundestagsdrucksache zu folgendem Ergebnis :


    Die Folgenanalysen haben gezeigt, dass bereits nach wenigen Tagen im betroffenen Gebiet die flächendeckende
    und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit (lebens)notwendigen Gütern und Dienstleistungen nicht
    mehr sicherzustellen ist.


    Die öffentliche Sicherheit ist gefährdet, der grundgesetzlich verankerten Schutzpflicht für Leib und Leben seiner Bürger
    kann der Staat nicht mehr gerecht werden. Damit verlöre er auch eine seiner wichtigsten Ressourcen – das Vertrauen seiner Bürger.


    Die Studie stammt wohlgemerkt aus dem Jahr 2011 und bezog sich auf die damals schon hier gelebt habenden . Ein Zuwuchs um eine bestimmte Bevölkerungsgruppe ab 2015 ist da noch gar nicht berücksichtigt.


    Interessant auch die Treibstoffversorgungstudie des BBK, auf die hier kürzlich hingewiesen worden ist. Dort ist ja auch die Rede von einer besonderen physischen Sicherung von Schwerpunkt-Tankstellen mit Notstromversorgung für öffentliche Zwecke zum Schutz vor Kundenansturm und Pünderungen. Das ist wohl gemerkt die Aussage eines Bundesamtes.


    Vielleicht bewegen wir uns ja gerade bei dieser Frage am Knackpunkt der Problematik des Begriffs preppen / Prepper.


    Die einen sind voll "Prepper-Romantik" und beziehen in ihre Szenarien marodierende, plündernde Horden ein und gehen davon aus, daß der Staat nicht mehr in der Lage ist die Öffentliche Sicherheit und Ordnug aufrecht zuhalten.

    Für die anderen Vorsorger stellt sich die Frage , ob der Staat die Sicherheit und Ordnung aufrecht halten kann überhaupt nicht, da
    wir nach den Ausführungen von Herrn Saurugger r ja in einer Gesellschaft von fast nur Gutmenschen leben , in der ja alle nur solidarisch und lieb zu einander sind. Nichtgutmenschen sind dann die anderweitig erwähnte "Rechtsmilitaristen"-Brut.


    Frieder

  • Hallo Frieder,


    gerne liefere ich Dir ein paar Informationen nach, die Du leider überlesen hast -


    Zitat von frieder59

    Andererseits vermisse ich bei Saurugg Quellenangaben.


    Doch, die Quelle steht unter dem Saurugg-Text - ich hatte sie in Beitrag #3 dieses Threads auch noch mal verlinkt:


    Zitat von Hiking Hessian

    Dann hier konsequenterweise das Paper, auf dem Sauruggs Zusammenfassung basiert:


    http://smarter-projekt.de/wp-content..._Juli_2017.pdf


    Die von Dir zitierten Vierboom & Härlen sind Wirtschaftspsychologen, die ein Auftragsgutachten zu dieser Thematik erstellt haben. Leider liegt mir das Gutachten nicht vor; dem von Dir zitierten Text "Technologiefolgeabschätzung zum flächendeckenden Stromausfall" kann man aber entnehmen, dass dem Gutachten keine empirisch erhobenen Daten zu Grunde lag.


    Die von Saurugg zu Grundlage genommene Studie entstand im Auftrag eines gemeinsamen Projektes des Bundesamtes für Bevölerungsschutz und Katastrophenhilfe und des Bundesministeriums für Forschung und Bildung, also auch im weitesten Sinne im Auftrag der Bundesregierung. Von daher verstehe ich Deinen polemischen Seitenhieb


    Zitat von frieder59

    Ich hoffe da kann ich jetzt auch in D beruhigt die alte Bundestagsdrucksache (...) ins Altpapier schmeissen.


    nicht. Der Einschätzung


    Zitat von frieder59

    Die Folgenanalysen haben gezeigt, dass bereits nach wenigen Tagen im betroffenen Gebiet die flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit (lebens)notwendigen Gütern und Dienstleistungen nicht mehr sicherzustellen ist.


    widerspricht keiner; deswegen sind wir ja Vorsorger, Prepper, oder wie auch immer wir es nennen. Aber für die These, dass bereits nach wenigen Tagen des Stromausfalls


    Zitat von frieder59

    Entgrenzungen [sich] Bahn [brechen]; Beispiele dafür sind etwa Gewalttätigkeiten, Alkoholkonsum, Sexualisierungen, Raubzüge, Zusammenrottungen, Bandenbildung.


    gibt es keine haltbare Datenbasis und Vermutungsgrundlage. Zu solchem Verhalten kommt es eher nach längerer Zeit, und wenn dieses Verhalten durch die Führung (formelle oder informelle Führer) ermutigt und gefördert wird.


    Wie ich selber in dem von Dir auch zitierten Thread schrieb:


    Zitat von Hiking Hessian

    Versteh' mich bitte nicht falsch: Ich (...) halte durchaus nicht die Welt für einen Ort voller flauschiger Einhörner.


    - ich habe durchaus Mittel und Wege, meine Grundrechte auch auf Grundlage des §32 StGB durchzusetzen. Man wird mir also kaum vorwerfen können, dass ich die Möglichkeit mich bedrohenden gesetzlosen Handelns anderer ignoriere.


    Ich finde aber Deinen Gebrauch solcher Dogwhistle-Schlagwörter der Neurechten wie


    Zitat von frieder59

    Gutmenschen

    und

    Zitat von frieder59

    bestimmte Bevölkerungsgruppe ab 2015


    als problematisch - siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/…_der_politischen_Rhetorik und


    Zitat von Matthias Steinbeis

    [FONT=&amp]Das rechte Sprachspiel erkennt man daran, dass eine Behauptung gemacht wird, die einen bestimmten Effekt provozieren soll, und wenn man sich auf diese Provokation einlässt, dann wird diese Reaktion als Angriff gewertet, der dann wiederum die Behauptung rechtfertigt. (...) Und derjenige, der die Behauptung gemacht hat und eigentlich eine Begründung schuldig dafür wäre, der spart sich diese Begründung.[/FONT]


    Von daher werde ich darauf auch nicht weiter eingehen...


    Die kurze Zusammenfassung des Quelltextes, auf den Saurugg sich bezieht, ist: Soziale Gemeinschaften zerbrechen nicht zwingend in Großschadenslagen, im Gegenteil kann es zu gemeinschaftsstärkenden Effekten kommen. Zu diesem Schluss kommen die Autoren auf Grundlage empirischer, d. h. im Nachgang von Großschadenslagen erhobener, statistisch signifikanter Daten. Weiterhin werden aus dieser Studie Folgerungen gezogen, wie die BOS und die staatlichen Strukturen solches prosoziales Verhalten stärken und unterstützen können. An keiner Stelle wird die Möglichkeit der Ausweitung ungesetzlichen oder antisozialen Handelns wie z. B. Plünderungen durch Verbrecher ausgeschlossen.


    Warum Du, Frieder, deswegen die Erkenntnisse der Studie rundweg ablehnst, und deswegen die haltlose Behauptung gegen anders denkende aufstellst, wir würden nicht den (zumindest vorübergehenden) Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung in Betracht ziehen, erschließt sich mir nicht.


    Kannst Du es mir noch mal ohne Polemik und belastete Schlagwörter auf sachlicher Grundlage erklären?


    Mit besten Grüßen vom Hessen

  • Hallo,


    ich finde die Idee der "Selbsthilfe-Basen" von Saurugg gut. Irgendwo muss man ja anfangen - auch als geschmähter Gutmensch. Ob z.B. ein Blackout nach wenigen Tagen in einem blutigen Gemetzel mündet, oder nicht, hängt nicht zu letzt davon ab, wie hungrig und versorgt die Menschen sind. Sich über Ansätze wie von Saurugg zu amüsieren (und in Gedanken dabei die eigene Schusswaffe zu tätscheln) ist wenig konstruktiv. Auch der wehrhafte vollausgerüstete Prepper wird irgendwann die Hilfe anderer Menschen brauchen. Und ob z.B. ein Zahnarzt unter vorgehaltener Waffer besser behandelt, sei mal dahin gestellt.


    Previval und Preparedness bedeutet nach meinem Verständnis vor allem die Vorbereitung der Zivilgesellschaft auf Krisen, um diese erfolgreich durchstehen zu können. Da sind Sauruggs Selbsthilfe-Basen ein durchaus tauglicher Ansatz.


    Grüsse
    Tom

  • [MENTION=113]tomduly[/MENTION] DANKE! Das ist mit weniger Worten und klarer als ich es konnte formuliert das, was ich denke!


    Mit besten Grüßen vom versöhnlichen Hessen

  • Oha, so dass ist doch mal wieder ein Thread wie ich ihn gerne mag. Soweit mal Danke dafür das hier wieder ein akademisches Niveu für den Bereich der Krisenvorsorge aufgegriffen wird.


    Wie der Hesse weiß komme ich ja selber aus dem Bereich und habe auch die ein oder andere Erfahrung damit.
    Mir fehlen, nach dem ersten querlesen, bei der gesamten Betrachtung von Herr Saurugg einige Differenzierungen:


    Als erstes muss man im heutigen Deutschland unterscheiden wo man sich aufhält.
    In einem Ballungsraum wie dem Ruhrgebiet muss man mit ganz anderen Verhaltensmustern rechnen als im ländlichen Westerwald oder tiefstem Bayern. Hierbei greife ich ganz bewusst nicht die Bevölkerungsstruktur auf, sondern beziehe mich auf die höhere Verfügbarkeit von Ressourcen, den geringeren Bedarf und die geschichtlich gewachsene höhere Selbstschutzfähigkeit und Leidensfähigkeit der dortigen Bevölkerung. Alleine der zur Vefügung stehende Raum darf nicht unterschätzt werden. Eine Gruppe die einen Mangel an irgendetwas hat wird größer und dehnt sich faktisch aus. In einer Stadtlage wie Essen, Köln oder ähnlichem kann alleine dieses zu Problemem führen. Man siehe hierzu alleine die bereits heutigen Problemviertel in Großstädten. Im ländlichen Raum besteht außerdem eine statistisch signifikant höhere Einbindung der Bevölkerung in Strukturen wie Bürgervereine, Jagdgesellschaften, Sportvereine oder sogar Feuerwehren und anderen relevante Gruppen.


    Weiterhin muss man auch die demographische Lage betrachten. Im ländlichen Bereich (oder auch städtischen) wo vermehrt eine Bevölkerungsgruppe Ü50 anzutreffen ist, kann man eher von einer reflektierten und lösungsorrientierten Hernagehensweise an die "Katastrophe" ausgehen als in einem Bereich wo die Bevölkerung vor allem aus 20-40 jährigen alleinstehenden besteht.


    Auch ist das versammelte Bildungsniveu sicherlich zu betrachten.


    Ohne jetzt hier eine Abhandlung zu schreiben möchte ich zur Verdeutlichung einfach mal grade zwei sehr vereinfachte und ggf. überzogene Gruppen darstellen


    Gruppe 1:
    500 Personen in 125 Wohneinheiten in 5 Häuserblocks, vereinzelte Einfamilienhäuser
    grober Altersschnitt 25,5 Jahre
    Großteils typische Harzer oder Personen mit geringem Einkommen und geringer Bildung
    Sozialgefüge in dem Bereich höchstens durch "Leidensgemeinschaften", Jugendgangs oder ein Kickboxverein
    Ethnische multifokale Gesellschaft mit Konfliktpotential wie z.B: Kurden-Türken, Bayern-Franken (und das jetzt nur rein wissenschaftlich gemeint)


    Gruppe 2:
    500 Personen in 200 Wohneinheiten vermehrt EFH´s, einige Mehrparteienhäuser mit max. 6 Parteien
    grober Altersschnitt 35 Jahre
    leicht überdurchschnittliches Bildungsniveu, diverse Rentner, hoher Familienanteil
    Gutes Sozialgefüge in vielen Vereinen
    Großteils homogene ethnische Bevölkerung, gut integrierter externer Bevölkerungsanteil



    Und jetzt völlig egal welche Katastrophe kommt und egal wie lange sie anhält. Die Unterschiede die hier aufkommen sind denke ich offensichtlich.

  • Hallo Hamster,


    ja, da bin ich durchaus bei Dir. Die mithin am häufigsten betrachtete Großschadenslagen zu dem Thema war die Schneekatastrophe im Münsterland. Dort haben wir recht „traditionelle“ soziale Strukturen, viele funktionierende Gemeinschaften (Dorf, Verein, Familie...) und vor allem Platz. Da man sich auch so kennt, ist die Schwelle (und der unterschwellige soziale Druck), sich zu benehmen und gegenseitig zu helfen eine ganz andere, als im sozialen Brennpunkt mit Plattenbauten, wo man nicht mal den Nachbarn auf der anderen Treppenhausseite kennt. Im Gegenteil würde ich sogar vermuten, dass die vermeintliche Anonymität antisoziales Verhalten befördern könnte: siehe der soziologische Übergang von der Gruppe zur Menge. Auf‘m Dorf bewegt man sich normalerweise in Gruppen, man wird als Individuum wahrgenommen und nimmt andere ebenso wahr - das eigene Verhalten beeinflusst das Verhalten der anderen. In der Menschenmenge ist das anders.


    Jetzt könnte ich mal ganz ketzerisch den Schluss ziehen, dass zum „Prepping“ unbedingt als Vorsorgemaßnahme dazugehört, auf‘s Dorf zu ziehen und sich da in die Gemeinschaft zu integrieren...


    :winking_face:


    Das ist sogar nur halb spaßig gemeint. Ich persönlich lebe mit Absicht ländlich-sittlichem Umfeld, und habe hier ein besseres Gefühl, was Sicherheit und Vorbereitet sein angeht. Seien es bauliche Sicherheit, das Verhältnis von Ressourcen zu Bewohnern, die Einbindung in ein soziales Gefüge mit gegenseitiger Nachbarschaftshilfe, die niedrigere Gewalt- und Eigentumskriminalität, die generationenübergreifende Weitergabe von Wissen und Fertigkeiten - und die soziale Akzeptanz der Gruppe gegenüber Gruppenmitgliedern, die in irgend einer Hinsicht leicht von der Norm abweichen (zum Beispiel paranoide, amateurfunkende gescheiterte Akademiker) ist nach meiner Erfahrung auch höher.


    Man könnte also die Hypothese aufstellen, dass, wenn die Schneekatastrophe nicht im Münsterland, sondern zwischen Köln-Finkenberg* und Duisburg-Marxloh** niedergegangen wäre, sich die Umfrageergebnisse bei den Helfern der BOS im Nachgang anders dargestellt hätten.


    Ich halte es aber für schwierig, da nur auf Grund der sozialen Gemengelage Prognosen aufzustellen. Wird sicher spannend, das Ganze mal im Nachgang einer Großschadenslagen unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten. Nimmt aber nichts von der grundlegenden Hypothese, dass andauernde Großschadenslagen innerhalb einer Gruppe, die ein verbindendes Element hat - und sein es nur: Wir sind alle Bewohner unserer Plattensiedlung - zusammenschweißt und Zusammenarbeit fördern kann.


    Mit besten Grüßen vom auf dem Land lebenden Hessen
    —> Verträgt sich mit Nachbarn
    —> Ist dankbar für Dorfgemeinschaft


    * nur ein Beispiel!
    ** auch nur ein Beispiel!!

  • Hmmmm, sagt der in Waldhessen lebende Thüringer, ich glaube nicht an Ponnyhof während eines deutschlandweiten mindestens 10 Tage dauernden Blackouts an sozialen Brennpunkten. Als anschauliches Beispiel was passieren könnte mögen die Plünderungen nach dem Hurrikan Irma in Florida dienen.


    http://www.epochtimes.de/polit…ommen-video-a2213052.html


    Man male sich besagten Stromausfall einhergehend mit Zusammenbruch der Trinkwasser und Nahrungsmittellieferungen sagen wir mal in Berlin Neukölln aus. Wer mag kann einen anderen mit ähnlichen Bevölkerungsstrukturen versehenen sozialen Brennpunkt einsetzen.


    These:


    Tag 1: Wos der Licht brennt nisch? Heizung kalt und Winter ist.
    Tag 2: Der scheissendreggen Handy geht nisch, Klospühlung alle und nix Wasser aus Hahn?
    Tag 3. Cola, Bier, Wodka und Mineralwasser alle, Kühlschrank leer. Man schaut sich in Gruppen um wo noch was zu holen ist.
    In der Nacht zu Tag 4: Vom Supermarkt bis zur letzten Dönerbude wurde alles sozialistisch umgelagert was geht.
    Tag 4: Die Schwarzmarktpreise ziehen an, Harz 4 reicht dafür nicht. Man zieht in größeren Trupps los um außerhalb des Bezirks zu schauen was zu holen ist.
    Tag 5: Straff organisierte Banden gehen weiträumig auf "Einkaufstour". Die sich schon vorher nicht in den Brennpunkt trauende Staatsgewalt ist völlig machtlos.


    Bis Tag 10 möchte ich jetzt gar nicht gehen.


    Auf dem Dorf


    Tag 1: Stromausfall, egal wir machen Kerzen an. Da Winter ist wird der Ofen angeheizt, Essen ge- und Wasser abgekocht.
    Tag 2: Klospühlung geht nicht. Man läuft mit dem Eimer zum Bach und holt sich das Nötigste.
    Tag 3: Eine Bürgerversammlung wird einberufen, Vorräte gesichtet und nachgeschaut wer Hilfe braucht.
    Tag 4: Es wird bekannt gegeben das die ortsansässige Mühle Mehl abgibt und Holz für das alte Backhaus braucht.
    Tag 5: Gerüchte über gewisse marodierende Mobs aus Neukölln erreichen das etwas entfernter liegende Dorf. Diese neue Lage wird im Dorfkrug von Sportschützen und der Jägerschaft erörtert.
    Tag 6: Die Zufahrtsstraßen werden von Lausbuben und der frisch gegründeten Bürgerwehr überwacht. Da hinten der Aussiedlerhof brennt schon. Opa Werner holt seinen alten K98 nebst Munition aus dem Schrank und gesellt sich zur Truppe.
    Tag 7: Ich glaub das Weitere spare ich mir jetzt.


    Hochgebildete Geisteswissenschaftler, Soziologen und was weis ich für Größen versuchen in kultivierten Gedankenbahnen zu erörtern, wie ein zusammengewürfeltes, bildungsfernes, und hungriges (Un) -kulturgemisch reagiert wenn das Wasser nicht läuft, die Kinder hungrig schreien, die Weiber keifen und die Prollkiste nur noch 10 Liter Sprit hat.:devil:


    Du bist einfach zu gebildet, zu kultiviert, zu sozialverträglich, zu nett mein freundlicher Waldhesse. Ich wünsche uns allen das du auch genau das bleiben darfst.;-)

    Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom..........;-)

  • Zitat von Miesegrau;315344


    Auf dem Dorf


    Ich wüsste hier in der erweiterten Region kein Dorf, in dem die beschriebenen romantischen Vorstellungen funktionieren würden. Erst mal haben die meisten Dörfer eine vierstellige Bevölkerungszahl, wodurch ähnlich gravierende Probleme größerer Menschenmassen auftreten dürften, wie sie für größere Siedlungen erdichtet werden. Eine Koordination per Bürgerversammlung dürfte aus diesem Grund ebenfalls schwierig werden. Selbst in den kleineren Dörfern verfügt nur eine Minderheit über Holzöfen, und die Neigung zur Lagerhaltung dürfte dort nur unwesentlich ausgeprägter sein als in den Städten. Bei uns im Landkreis gibt es exakt eine Mühle. In Dörfern unter 500 Einwohnern findet man in aller Regel keinen lokalen Einzelhandel mehr und in der Größenordnung bis 1000 bestenfalls noch eine Bäckereifiliale, einen Metzger und eine Kneipe, vielleicht noch eine Pizzaria oder einen Dönerladen. Landwirte sind längst nicht mehr in jedem Dorf vorhanden, und wenn, dann ist aufgrund der Spezialisierung und Professionalisierung fraglich, ob die größere Mengen verwertbarer Nahrungsmittel auf dem Hof haben.


    Und in der Summe halte ich Studien (deren Methodik man sich sicher jeweils genau anschauen muss) als Einzeleinschätzung auf der Grundlage welches Erfahrungsschatzes auch immer.

  • Mag sein, hier funktioniert das alles noch so einigermaßen.:-)


    https://www.niederaula.de/


    Auch nicht gerade klein. Und ich weis schon warum ich genau hier wohne und nicht in Neukölln.;-)


    Edit: Ich war schon da unten wo es brennt und noch ein Stückchen tiefer. Meine Studien der menschlichen Abgründe sind tiefgreifend, ernüchternd, poesiefrei und Augen öffnend. Ich habe nix dagegen wenn wer an das Gute im Menschen glaubt, es sei ihm gegönnt so lange als möglich. Meine Erfahrungen zwingen mich allerdings vorbereitet zu sein wenn es dann doch anders kommt.

    Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom..........;-)

  • Ich bin kein Psychologe, aber ich denke das beim Menschen relativ schnell die Urinstinkte durchbrechen werden wenn es ans Eingemachte geht. Irgendwo habe ich einen tollen Spruch gelesen, so nach dem Motto "Die Zivilisation ist nur eine dünne Haut die (von einer Krise) schnell abgestreift wird". Und davor fürchte ich mich. Denn wenn Menschen schon bei billigen Fernsehern so ein Theater machen, was passiert dann wenn es um Lebensmittel oder mehr geht.