Ketzerische Frage: Warum Paracord?!?

  • Durch den "Suche Seilspanner"-Thread ist bei mir wieder mal die alte "Warum überhaupt Paracord"-Frage hochgepoppt.


    Zugegeben: Ich habe selbst ein paar m Paracord zu Hause, bin aber absolut kein Fan davon - ausgenommen für Zierknoten und zum Knotenüben.


    Paracord (Abkürzung für Parachute Cord - also Fallschirmspringerschnur) ist ja ursprünglich (lies: nach dem ersten Weltkrieg) dazu entwickelt worden, um Fallschirm und -springer aneinanderzukoppeln. Dadurch war es notwendig, dass sich die Schnur mindestens 30% dehnen können muss (um abrupte Laststöße abfangen zu können - ähnlich wie Sicherungsseile im Alpinsport). Reepschnur hingegen


    In der Praxis ist mir eine 4mm Reepschnur wesentlich lieber, da es in fast allen Anwendungsfällen schlicht und ergreifend besser ist! Mal abgesehen von der Tatsache, dass ich die Einzelfäden herausnehmen kann (dafür habe ich im BOB und EDC Maurerschnur - die ist extrem stabil, aber knotenfrei) hat Paracord für die meisten Anwendungsgebiete schlicht und ergreifend zu viel Reck. In Kombination mit der glatten Oberfläche halten Knoten dann einfach nicht so gut*).
    Zum Abspannen von Hängematten oder Tarps eignet sich die Reepschnur ebenfalls besser, da sie nicht ständig nachgespannt werden muss.
    Zusätzlich hat Reepschnur bei gleichem Durchmesser eine etwa 40% höhere Bruchlast...


    Griffwickelungen mit Paracord sind rutschiger als mit Reepschnur (aufgrund der unterschiedlich fein gewobenen Oberfläche). Und wenn ich schon unbedingt eine Notfallschnur dabei haben möchte, kann ich ja unter die unterste Lage Paracord noch ein paar m (geflochtene) Angelschnur geben. Dann habe ich immer noch eine vollwertige Reepschnur UND einen dünnen Faden...
    Zusätzlich kommt bei Paracord dazu, dass es mittlerweile ein Massenartikel geworden ist. Unter dieser Bezeichnung werden von vielen Herstellern und Shops teilweise grottenschlechte Imitate verkloppt. Reepschnur ist (zw. 4 und 8mm) genormt, da kann man zumindest gewisse Minimalanforderungen voraussetzen...


    Abseilen ist selbst mit hochwertigem Paracord ein hochriskanter Akt: Bei 250kg statischer (Bruch-)Last und der Tatsache, dass ein Knoten die maximale Tragkraft um einen tlw. hohen zweistelligen Prozentsatz reduziert, ist der Bewegungsspielraum arg begrenzt (dynamische Lasten können ein Mehrfaches der statischen bedeuten).
    Lies: Ein mit einem Mastwurf gesichertes Paracord trägt einen (inkl. Ausrüstung) 90kg-Mann gerade noch so. Die dynamische Beanspruchung darf hier gerade mal 40% betragen. Eine 4mm-Reepschnur hätte immerhin 100% Sicherheitsreserve.



    Langer Rede kurzer Sinn: Meiner Meinung nach taugt Paracord für Tand, Schnickschnack und Bastelei. Für ernsthafte Anwendungen nehme ich ernsthafte Materialien :grosses Lachen:



    LG,


    Maresi


    *) Klar kann man mit dem richtigen Knoten (z.B. Blutknoten, Clinchknoten) jede noch so glatte Schnur sicher verknoten. Aber bei gleichem Knoten (z.B. Kreuzknoten) hält Paracord schlechter als Reepschnur...

    Arbeite, als wenn du ewig leben würdest. Liebe, als wenn du heute sterben müßtest.

  • Ich hab neben Paracord auch Reepschnur da und benutze das öfters auch lieber. :) So ketzerisch ist deine Anmerkung gar nicht.

    -<[ Nunquam-Non-Paratus ]>-

  • Gute Punkte, die du ansprichst. Ist immer die Frage was man von so einer Schnur erwartet. Verkauft wird was gekauft wird und daher gibt es unter der Bezeichnung Reepschnur auch undefinierbare Chinaware. Wenn ich richtig gegoogelt habe sollte Reepschnur (also eine die diese Bezeichnung verdient) mindestens die Anforderungen der EN564 erfüllen (Reissfestigkeit 1/5xDurchmesser in mm² = kN)
    Wenn ich das Marktangebot danach filtere, komme ich für 4mm Reepschnur (326kg) auf einen Meterpreis von 7 Euro. Dagegen stehen 40 Cent für 750er Paracord nach MIL-C-5040H Type IV (340kg).
    Reepschnur gibt es übrigens auch mit einzeln ausziehbarer Seele. Das ist alles nur mal schnell zusammengegoogelt, also kein fundiertes Fachwissen.


    Ich denke mal, beides hat seine Berechtigung und bei beiden muss man aufpassen was man kauft.


    LG. Nudnik

  • Denke, das ist auch historisch gewachsen, weil die ersten (englischsprachigen) Survival-Anleitungen für die Fallschirmspringertruppen und Piloten waren.
    Dort war das eben verfügbar und wurde daher zum Grundbegriff von "Überlebensschnur" für mehrere Generationen.
    Je nach Anwendungszweck gibt es sicher entweder Alternativen oder sogar bessere Lösungen.

  • Paracord benutze ich weil ich das Zeugs da habe, Hanf oder Sisal wenn es in der Natur zurück bleiben soll und Maurerschnur weils ursprünglich mein Beruf war das Zeugs zu benutzen.:-)


    Wenn ich eine dünne und abartig reißfeste Schnur benötige gibt es nur eins auf dem Markt - Dyneema.:Gut:


    https://de.wikipedia.org/wiki/Dyneema

    Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom..........;-)

  • Reck ist ja nicht das grundsätzliche Problem, solange es sich nicht nur aufs länger werden beschränkt....


    Wenn sich dadurch eine Art grundsätzliche Spannung aufbauen lässt ist das für zB Spannleinen eines Zeltes ganz gut...


    Wenn die allerdings bei zB Regen länger werden, wie auch silnylon ist das natürlich kontraproduktiv...
    Müsste man Mal probieren!

  • Ich denke der Einsatzzweck bestimmt das Material des Seils. So als Beispiel auf einem Boot:
    Ein nicht dehnbares Seil für die Segel, weil Du mit einen dehnbaren Seil Dir selber viel Arbeit machst wenn Du jedesmal wieder nachtrimmen und nachspannen musst. Für Festmacherleinen werden hingegen dehnbare Seile bevorzugt weil es sonst bei Wellenschlag jedesmal so auf die Beschläge knallt dass irgendwann dieselbigen ausgerissen werden.
    Ich verwende beides und habe beides im Fundus.

  • Reepschnur mit 400 kg Bruchlast gibt es schon ab 55 ct/m - EN-geprüft. Für 7 Euro/m ich schon etwas sehr besonderes erwarten. Ein Dyneema-Seil zB...


    Ich gebe zu, dass mich die durchaus positiven Rückmeldungen fast schon überraschen - meist stehe ich mit dieser Meinung alleine da. Liegt vermutlich daran, dass hier überwiegend Praktiker unterwegs sind... :Gut:

    Arbeite, als wenn du ewig leben würdest. Liebe, als wenn du heute sterben müßtest.

  • Zitat von Maresi;317483

    Abseilen ist selbst mit hochwertigem Paracord
    ein hochriskanter Akt


    Ich wäre gar nicht auf diese Idee gekommen! :staun:
    Wenn man sich abseilen möchte, sollte einem das eigene Leben ein paar Meter Kletterseil wert sein!


    Ich habe ebenfalls Paracord und etwas Reepschnur, beides hat seinen Sinn, wie ihr schon geschrieben habt.
    Bei Paracord sehe ich ebenfalls den Preisvorteil.


    Gruß, Schwarzstart

    -<[ N u n q u a m - N o n - P a r a t u s ]>-

  • Für alle bisher angefallenen Alltagsaufgaben war bei mir Strohballengarn gut genug.
    Das bekomme ich von den Bauern säckeweise nachgeworfen.


    Wenn es bei längerem Gebrauch nicht ausfranseln soll, flechte ich es.
    Dann hält es erstaunlich viel aus.
    Aber wieviel genau, kann ich natürlich nicht sagen.


    Abseilen oder andere lebenswichtige Aktionen würde ich damit nur machen,
    wenn im Notfall nichts besseres zur Hand ist.
    Aber gerade weil es auf dem Land allgegenwärtig ist, ist die Chance hoch,
    dass man spontan kein anderes Bindematerial findet als dieses.


    Insofern wäre es gut, wenn man grobe Schätzwerte hätte, welche Last wievielfädig geflochtenes Strohgarn etwa trägt...


    Nachtrag: hab mal technische Daten zu Polypropylen-Pressengarn recherchiert:
    Die Fadenlänge wird in m pro kg angegeben.
    Je dicker der Faden, desto weniger m pro kg und desto höher die Reissfestigkeit in daN (deka-Newton)


    Typische Werte handelsüblicher Pressengarne:
    320 m/kg -> 140 daN
    150 m/kg -> 200 daN
    110 m/kg -> 400 daN


    Ein Beispiel für die Relation von Reissfestigkeit zur Knotenfestigkeit:
    Rf: 380 daN -> Kf: 230 daN


    Wenn ich nun das Garn dreifach flechte, verdreifacht sich dann auch die Reissfestigkeit in daN ?


    Nachtrag 2: Hier noch eine schöne Tabelle Bruchkraft in daN - Nutzlast in kg:


    http://www.sammt.de/Polypropylenseil.htm

  • Nein, sie verdreifacht sich nicht. Jede Ablenkung von der Seelenachse reduziert die Reißfestigkeit. Prizipiell hängt die Erhöhung daher davon ab, wie stark der Winkel der einzelnen Stränge von der Mittelline abweicht. Je nach Flechtwinkel wird die Reduktion ca. 25 - 40% betragen (Flechtwinkel 20 bis 40°). Als Faustregel würde ich sagen: Eine Flechtung mit drei Strängen verdoppelt die Reißfestigkeit.

    Arbeite, als wenn du ewig leben würdest. Liebe, als wenn du heute sterben müßtest.