... die Knie plötzlich schlottern?

  • Hallo zusammen,


    per PN hat mich die Anfrage eines Users erreicht, welche ich gerne mit euch teilen möchte:



    Was gebt ihr dem User mit? Habt ihr selbst ähnliche Erfahrungen gemacht? Wie bekämpft ihr Angst?


    Freue mich auf zahlreiche sinnvolle Beiträge.

    PS: Ich hoffe der User und andere User mit ähnlichen Anliegen werden in Zukunft den Mut finden solche Themen selbst zu eröffnen, weil wir ihnen durch sachliche und wertvolle Beiträge beweisen, dass hier niemand Angst davor haben muss solche Themen anzusprechen.

  • Hallo unbekannter User,


    reaktion in unbekannten Situationen ist immer schwer einschätzbar. Dafür muss es nichtmal eine besonders extreme Situation sein (was eh schwer zu definieren ist weil jedem anderes extrem vorkommt).
    Ein "Versagen" kann man meiner Erfahrung nach nie prognostizieren. Auch Profis haben schon in sogar bekannten Situationen weil tägliche Arbeit auf einmal "versagt", den Blackout, das schlottern bekommen.


    Ich kann aus Erfahrung nur sagen, trainiert trainiert trainiert!
    Übt den Einsatz eurer Ausrüstung. Das kann im konkreten Fall so aussehen, das du einen Auffrischungskurs in erster Hilfe machst, das du regelmäßig deine Ausrüstung im Auto kontrollierst, den Gebrauch übst. Je öfter ein Vorgang wiederholt wird desto sicherer wird es.
    Wenn der Gang zum Kofferraum an die notfallbox, der Griff zum gurtschneider, die Beschreibung einer Situation für die Meldung an den Rettungsdienst geübt wird bekommt man dadurch Sicherheit. Im Prinzip gilt das was immer im Leben gilt, je mehr wissen, Fähigkeiten, Routine ich in einem Vorgang habe, desto sicherer führe ich ihn durch. Mit den Fähigkeiten kommt dann auch das Selbstbewusstsein und das, ich nenne es mal, starke handeln.


    Das gilt genau so wenn du zb einen BOB hast um in entsprechender Situation zu fliehen. Übe es. Führ jeden Handgriff durch, erst langsam dann Steiger das Tempo und den Stress. Es bringt nichts wenn man sich theoretisch überlegt was mache ich wenn ohne es zu probieren.
    definiere deinen Prozess/Ablauf, dann praktiziere den Prozess, mach ihn messbar und optimiere ihn.


    In einer Situation wie es dir jetzt passiert ist, wenn das schlottern schon da ist, hilft mir nur bewusst machen. Damit meine ich bewusst kurz inne halten, bewusst tief und ruhig durch atmen, bewusst machen der eigenen Fähigkeiten der Ausrüstung der Situation. Den Puls runter fahren.


    Letztlich kommt das Zittern und der Blackout durch erhöhte Ausschüttung von Adrenalin im Körper, dem kannst du durch das runter fahren des Puls durch eben das kurze inne halten entgegen wirken.


    So viel von meiner Seite, kann mich ansonsten Bens Worten nur anschließen, ein solches Erlebnis ist kein Grund zum schämen und Angst es hier "offen zuzugeben" ist mM nach unnötig. Ich denke das Forum hier ist offen und selbstkritisch genug so etwas nicht negativ, mit Spott oder ähnlichem zu füllen, sondern wird immer mit Rat und Tat zur Seite stehen. Hier sind genug Profis, die aus ihrer Erfahrung berichten und Tipps geben können. Und das schöne ist, jeder von denen war auch mal Anfänger und Schüler :winking_face:


    in diesem Sinne, weitermachen!

  • Wilde sache, hoffentlich ist alles gut ausgegangen.


    Ich war zum Glück erst bei wenigen Autounfällen dabei, habe aber auch dort erlebt, dass es einfach Menschen gibt, denen die Situation zu Kopf steigt. Das hat meiner Meinung nach nichts mit 'Feigling' zu tun, das ist einfach die Art des Menschen. Die einen bleiben Ruhig und arbeiten im Kopf wichtige Dinge ab wie Pannendreieck, Rettung rufen,... und der andere ist einfach nur geschockt.
    Ob man lernen kann damit umzugehen, weis ich leider nicht. Ich habe das Glück eher einer von der ruhig bleibenden Sorte zu sein.


    Ich würde das aber keinesfalls als Schwäche Interpretieren, du hattest immerhin den Mut anzuhalten und zu Helfen. :Gut: Das machen heute nur noch selten Menschen.
    Auch hast du mit deiner Ausrüstung der Dame aus dem Auto geholfen. Ganz gleich, wer sie verwendet hat.


    Soweit meine (etwas kurze, aber doch) ehrliche Antwort zu dem Fall.


    Lg Vento

    "Wir brauchen kein Telefon, wir haben genügend Boten!" Britische Post 1878

  • Zitat von Ben;317510

    Was gebt ihr dem User mit? Habt ihr selbst ähnliche Erfahrungen gemacht? Wie bekämpft ihr Angst?




    PS: Ich hoffe der User und andere User mit ähnlichen Anliegen werden in Zukunft den Mut finden solche Themen selbst zu eröffnen, weil wir ihnen durch sachliche und wertvolle Beiträge beweisen, dass hier niemand Angst davor haben muss solche Themen anzusprechen.


    Dem User kann ich nur sagen: Mut ist, wenn man trotz dieser quälenden Angst weiter macht! Und den hast Du für mich EINDEUTIG bewiesen. Kenne das Gefühl, nichts wofür man sich schämen müsste. Einfach eine Programmierung aus Urzeiten, um sich selbst zu schützen.


    Das kann man trainieren, indem man sich immer wieder solchen Situationen stellt. Hört sich vielleicht hart an, funktioniert aber. Es ist dazu z.B. von Vorteil, in einer Gruppe wie Feuerwehr, THW, RK uä. zu sein.

  • Schwierige Sache, aber in gar keinem Fall ein Grund zur Scham.


    Wichtig ist ja auch, dass sich jemand um Notruf, Absicherung etc kümmert.
    Das machen halt dann diejenigen die nicht direkt helfen können.


    Leider weiß ich keinen wirklich guten Rat außer den schon genannten. Also üben mit dem Gear, Kursauffrischung usw. Das gibt eine gewisse Sicherheit.
    Trotdem gibt es einfach Situationen wo das nicht mehr reicht und man dann einfach nicht kann wie man will.


    Für mich persönlich kann ich sagen, dass ich helfen kann, aber das Letzte mal ist auch schon Jahre her. Also sehe ich da auch keine absolute Sicherheit.
    Ich bin Jahre lang LKW gefahren (International) und habe dabei so einiges erlebt und sehen müssen.
    Um nicht zu sehr ins Detail zu gehen, einfach gesagt, alles,Tote, Verbrannte, und sehr viel Blut.


    Aber ich konnte immer direkt helfen. Danach, da war ich zum Teil so fertig, dass es mir unmöglich war meinen LKW weiter zu bewegen. Ich brauchte da immer zeitlichen Abstand.
    Ja, dann haben meine Knie gezittert und ich war ein Häuflein Elend. Eimal hat mir sogar die Polizei einen Jägermeister zur Beruhigung gebracht....


    Ich denke einfach dass es Menschen gibt die das können und andere eben nicht.
    Aber, wie gesagt auch "nur" den Notruf absetzen ist wichtige Hilfe.
    Oder sich um geborgene eventuell verstörte nicht Schwerverletzte kümmern. Es gibt in solchen Extremsituationen genug zu tun!


    meint
    der Boxer,
    der manchmal noch heute von diversen Unfallen träumt und schweißnass aufwacht

    Das Leben ist das, was dazwischen kommt, wenn man alles geplant hat

  • Wie die meisten hier schon gesagt haben: Trainieren von bestimmten Situationen bzw. den Umgang mit entsprechenden Werkzeugen hilft.
    Sobald der Vorgang vom Körper so stark verinnerlicht ist, dass er das ganz automatisch macht, kommt er auch leichter wieder aus einem Blackout heraus.
    In so einem Fall wird dann einfach die "Automatik" abgespult, bis du wieder klar denken kannst.


    Gruß,
    Kc

  • Ich kann mich den anderen nur anschließen. Ich finde es sehr mutig (trotz) zitternden Knien anzuhalten und zu helfen.


    Für deine Angst brauchst du dich absolut nicht schämen.


    Mir ist es schon ähnlich ergangen, ich bin seit Jahren Ersthelfer bei uns im Betrieb und trotzdem ist mir ganz anders wenn mich jemand ( als Ersthelfer) ruft.


    LG Bulli

  • Bei mir ist es eher umgekehrt. Was habe ich mir gewünscht, nie in eine Situation zu kommen, wo es um Leben und Tod geht. Nein, bereits zwei mal musste ich Personen versuchen zu reanimieren. Zweimal erfolglos. Ich hatte jedes mal das Gefühl, neben mir zu stehen. Da gab es nur eines: du musst funktionieren.


    Nach den Einsätzen bin ich jeweils in ein tiefes Loch gefallen. Ich glaube, mann muss versuchen, eine Art Tunnelblick zu entwickeln und sich nur auf die Hilfe zu konzentrieren. Jede Art Selbstmitleid muss man ablegen, dann funktioniert man wie eine Maschine.


    Andererseits kommt Selbstschutz vor der Rettung anderer. Was hast du davon, wenn du mit Herzinfarkt neben dem Hilfsbedürftigen liegst?

  • Hallo,


    dass einem in so einer Situation mal die Knie schlottern, ist ganz menschlich und passiert selbst ausgebufften Profis, die glauben, schon alles in Einsätzen gesehen zu haben. Es kann gut sein, dass beim nächsten Mal die Knie überhaupt nicht schlottern und man einfach "funktioniert". Das lässt sich kaum vorhersagen und auch nur bedingt (weg-)trainieren. Trainieren lässt sich m.E. nur das stumpf mechanische abspulen erlernter Handgriffe, aber das ist noch keine Garantie dafür, dass man dann im Ernstfall immer planmässig funktioniert. Auch Polizisten kotzen mal hinters Gebüsch bei nem Verkehrsunfall.


    Ich hatte vor Jahren auch ein Erlebnis als einer der Ersthelfer an einem Unfallort, ein klassischer "Land-Unfall": ein Traktor fährt auf der Landstrasse, will spontan nach links in einen Feldweg einbiegen. In dem Moment kommt von hinten ein Golf dahergebrettert, den Traktor zu überholen, Golf rammt Traktor, Traktor kippt um. PKW ziemlich deformiert, der schwere Allradtraktor liegt mitten auf der Fahrbahn auf der Seite. Wenn man so nichtsahnend dazukommt, eine ziemlich surreale Szene. Ein zwei Autos anderer Ersthelfer standen auch schon da. Aber der Traktorfahrer sass bzw. lag noch in seinem Fahrerhaus. Ich also ausgestiegen, an einer Frau vorbeigegangen, auf den Traktor zu. Die Frau sagte im Vorbeigehen noch "Ich bin Krankenschwester." Zu mehr war sie aber nicht in der Lage, auich später nicht. Sie stand wie angewurzelt da, während um sie herum ein fast schon munteres Treiben an Ersthelfern herrschte. Ich hab dann den - zum Glück quietschlebendigen - Fahrer aus dem Traktor gezerrt, er hatte eine mächtige Platzwunde am Kopf und sah entsprechend "wild" aus: überall Blut. Aber er war fit und stabil und sehr lebhaft, wollte per Hand seinen Traktor wieder aufrichten (Schock...) "Ich muss doch aufs Feld, ich muss doch aufs Feld...". Ein anderer Ersthelfer kam mit Verbandkasten und versorgte die Platzwunde des Mannes. Irgendwas fehlte mir aber noch, der Golf sah ziemlich übel aus...wo war der Fahrer des PKW? Ich fragte also in die Runde der Ersthelfer: "Wo ist denn der Golf-Fahrer?!" Und der Ersthelfer direkt neben mir, der gerade den Traktorfahrer verband, sagte "Das bin ich." Respekt. Er sah äusserlich unverletzt aus und hat trotz des Crashs "funktioniert". Einer der übrigen Ersthelfer hatte mittlerweile einen Notruf abgesetzt und der RTW kam auch ziemlich bald angefahren. Nachdem der Patient übergeben war, stieg ich zu meiner Familie ins Auto und wir fuhren einkaufen, was der Grund unserer Fahrt gewesen war. Aber ganz spurlos ging der unerwartete Einsatz auch nicht an mir vorbei: als ich den Einlaufswagen nach dem Einkauf wieder wegbrachte, fielen mir meine Unterarme auf: sie waren komplett blutverschmiert... Mir und auch meiner Family war das nicht aufgefallen... (Schock).


    Also niemand muss immer 100% funktionieren. Man darf auch mal "neben sich stehen". Und im Fall des "Knieschlotter-Erlebnisses" war ja das Besorgen des Gurtschneiders eine sehr wichtige Massnahme, insofern trotz Angst durchaus "funktioniert".


    Grüsse
    Tom

  • Hallo Foris,
    Hallo unbekannter Nutzer,
    Hallo Ben,


    zunächst mal Danke an Ben und den unbekannten Nutzer, dieses Thema anzubringen. Ist sehr wichtig, auch sowas zu besprechen.


    Grundsätzlich schließe ich mich den Vorrednern an, trainiert, kennt die Ausrüstung, kennt Eure Techniken, und spielt vielleicht das ein oder andere Szenario im Kopf durch.


    Aber vergesst nicht: Angst ist normal. Angst ist gut. Angst hält euch am Leben. Angst zu haben, bedeutet NICHT, dass man ein Feigling ist. Woher kommt Angst? Angst ist ein Modus, mit dem der Körper auf eine Situation reagiert, die sicher oder zu erwartend eine Gefahr für sich und/oder andere Personen darstellen kann. Dafür muss es entweder etwas angeborenes sein (Angst vor Raubtieren, Schlangen etc., Sehen von Blut,...), etwas gesellschaftlich oder aus der Bildung erlerntes oder selbst durchlebtes (Unfälle, Waffen, Misserfolg bei Prüfungssituationen,...) oder eine Situation, die der Mensch nicht kennt.
    Und ich denke, letzteres war am ehesten der auslösende Aspekt. Du weißt, ein Unfall ist gefährlich. Du weißt, es können Menschen verletzt sein. Du weißt, dass der Verkehr ein Risiko darstellt. Du kennst deine Ausrüstung, hast vielleicht Kurse besucht, dich im Kopf vorbereitet. Aber dann passiert etwas, was den besten Profi aus der Bahn hauen kann: Es kommt unerwartet. Jetzt auf Gleich. So, wie ich das las, war der User direkter Zeuge des Ereignisses. In diesem Moment erkennt das Bewusstsein eine Gefahr, und schaltet zunächst in die Selbsterhaltung. Der Betroffene hat das Ereignis gesehen.


    Dann muss das Gehirn folgendes durchgehen: Was ist passiert? Betrifft es mich? Gefährdet es mich? Kenne ich die Gefahr? Habe ich schonmal damit zu tun gehabt? Hatte ich eine Handlungsstrategie? War die Strategie gut, oder hat sie mir geschadet? Handle ich wieder nach dieser Strategie? Oder um es kurz zu machen, denn dafür ist das Jahrtausende alte Gehirn gebaut: Kampf oder Flucht? Und diese Entscheidung muss in Sekunden fallen.
    Das ist auch der Grund, warum Profis zB im Beruf distanziert und professionell handeln können, es im privaten aber bei ähnlichen Situationen zu Problemen kommen kann. Ein kurzes Erlebnis, das ich hatte: Ich, als Rettungsassistent, habe einiges erlebt. Unfälle zB. Leichte, schwere, tödliche. Nach Aufregung in den ersten Schichten wich das einer Distanz. Ich bekomme die Meldung, fahre hin, arbeite ab, gut ist. Irgendwann kam ich in den letzten Jahren insgesamt 4-5x privat an schon geschehenen Unfällen vorbei, und leistete Erste Hilfe. War auch alles kein Problem. Dann, eines Tages, ganz lapidar eigentlich: Im Supermarkt fährt ein kleines Kind mit einem Fahrrad mit Stützrädern so eine stufenlose Rolltreppe herunter, nimmt richtig Fahrt auf, und knallt wenige Meter von mir entfernt in ein Schaufenster. Durch das Geschrei des Vaters, der hinterherrannte, sah ich kurz vor dem Einschlag in der Scheibe hin. Mir ging, was mir ein wenig peinlich ist, durch den Kopf: "Was ein blödes Kind" und wie automatisiert ging ich einfach weiter. Erst nach mehreren Metern wurde mir klar: "Das ist wirklich passiert! Du musst helfen!" Dann ging es.


    Ich weiß natürlich nicht, ob man das auf jeden beziehen kann. Aber seitdem weiß ich, dass es einen riesigen Unterschied macht, ob man etwas selbst sieht, Zeuge ist, dadurch auch irgendwie Betroffener ist, oder ob man eine Situation von außen betritt. In dem Moment hat mein Kopf auch gesagt: Flucht! Das ist vollkommen normal.


    Also fassen wir zum Thema Angst zusammen: Angst gehört dazu, ist normal, kann jeden treffen, und soll eigentlich vor Gefahren schützen. Und vergessen wir nicht: Zeugen sind oft auch Betroffene!




    Und es gibt noch einen anderen Mechanismus: Die abgegebene Verantwortung! Es ist gut möglich, dass du, unbekannter User, "besser", oder sagen wir gezielter, gehandelt hättest, wärest du allein gewesen.
    Es gibt Studien, die das Verhalten von Ersthelfern untersuchten. Man fand zB heraus, dass, je mehr Leute da sind, desto weniger halfen aktiv. Man präparierte am Straßenrand einen Unfall, und hielt Fahrzeuge an, die weitergefahren waren. Es stellte sich heraus, dass es zwei Mechanismen gab: Der vordere Fahrer gab die Verantwortung ab an den hinteren, und der hintere nahm sich das Verhalten des Vordermanns zum Vorbild. Übertragen auf die geschilderte Situation kann das zB bedeuten, dass der, der wie gelähmt wirkt, im Unterbewussten denkt: Vielleicht kann es der andere besser?


    Lieber unbekannter User, oder auch andere in solchen Situationen: Geht nicht zu hart mit euch ins Gericht! Ihr seid Menschen, "Zivilisten". Es macht einen Unterschied, ob man zu einer Situation kommt, oder sie miterlebt.


    In dem Sinne


    Gruß


    Avesjünger




    PS: Übrigens können, das weiß man heute, auch Unfallzeugen eine PTBS oder ABR aufzeigen! Solltet Ihr oder ein Mensch den Ihr kennt mal sowas durchleben, passt auf, dass er oder sie danach nicht hilflos alleine mit dem erlebten fertig werden muss!

  • Lieber User, Du bist nicht der Einzige, der "kein Blut sehen kann", und das hat überhaupt nichts mit Feigheit zu tun, sondern ist eine nur sehr bedingt beeinflussbare physiologische Panikreaktion, wie die Kollegen oben erklärt haben.


    Leider bin ich auch sehr stark betroffen.
    Ich wäre wirklich gerne Tierarzt geworden, aber das war völlig unmöglich.
    Bin schon bei harmlosen Sachen wie zugucken beim Krallenschneiden am Hund aus den Latschen gekippt.
    Oder meine Mutter hatte sich am Hosensaum den Grosszehnagel ausgerissen, da hat das Erzählen schon gereicht.


    Lehrvideos im Biologieunterricht und die Grusel-Unfallfilme von der Berufsgenossenschaft stehe ich nur durch,
    indem ich die Augen fest zukneife und mir die Ohren zuhalte (fällt im Dunkeln zum Glück nicht auf).


    Bei meinem Erste-Hilfe-Kurs gab ich das perfekte Übungsobjekt mit echtem Schockzustand ab -
    inhaltlich habe ich leider nicht allzuviel mitbekommen.


    In der Landwirtschaft habe ich dann allmählich geübt, bei Kalbungen von Kühen und sogar Kaiserschnitten zu helfen.
    Ich sage ganz klar, wo meine Grenzen sind und dass ich alle Randaufgaben machen kann, bei denen ich nicht hingucken muss.


    Neulich habe ich es sogar geschafft, einem LKW-Fahrer die stark blutende Hand zu verbinden, die er sich an einem Schrottstück geschnitten hatte.
    Ich hab ihm gesagt: "Mir wird gleich schlecht" und er hat geantwortet: "Ich helfe Dir, wir kriegen das zusammen hin".


    Wenn man gleich klar sagt, dass man sehr leicht umkippt, haben die meisten Menschen Verständnis und geben einem Aufgaben, die man trotzdem bewältigen kann,
    schirmen einen so gut es geht ab und lenken einem mit lockerem Geplauder ab, soweit in der Situation möglich.


    Zu mir hat noch niemand gesagt "Stell Dich nicht so an", weil die meisten wissen, dass man nichts dafür kann.

  • Tja,


    ich hatte auch mal eine Situation, die mich ziemlich mitgenommen hat. Ist zwar schon über 25 Jahre her aber ich kann mich erinnern, als wäre es gestern gewesen.
    Wir waren zu zweit, nachts auf einer Bundesstrasse unterwegs als uns ein roter Golf mit geschätzt 150kmh überholte. Als er ein paar Hunder Meter an uns vorbei war passierte es.
    Auf der Gegenfahrbahn war ein LKW. Hinter dem LKW scherte ein Wagen zum überholen aus. Das entgegenkommende Fahrzeug, ein weisser BMW und der Golf prallten nahezu frontal aufeinander. Der BMW hatte sicher auch mindestens 100kmH drauf. Das Geschwindigkeitsdelta lag also irgendwo bei 250kmh. Keine Bremslichter. Dafür ging es zu schnell.


    Für mich sah es aus, als würde der Golf rückwärts auf uns zu fliegen. Mein Freund machte eine Vollbremsung. Der Golf verschwand 50m vor uns im Wald. Der BMW verschwand hinter uns aus unserem Gesichtsfeld. Hinter uns hielt ein dunkler Passat mit zwei Mann. Einer der beiden rief uns zu, sie kümmeren sich um den BMW. Dann fingen sie an die Stelle abzusichern.
    Ich nahm ebenfalls das Pannendreieck und den Verbandskasten. Mein Freund fuhr los um eine Telefonzelle zu suchen. Handy gab es noch nicht. Nachdem ich das Pannendreieck aufgestellt hatte lief ich zu dem Golf.


    So etwas hatte ich vorher noch nie gesehen und musste ich danach gottseidank nie wieder sehen. Zwischen Lenksäule und Fahrersitzlehne waren vielleicht noch 5cm Platz. Dazwischen war der Fahrer eingequetscht. Das Gesicht bzw. der Kopf war eine einzige blutende Masse. Auf der Rückbank hing eine Frau im Gurt, die nicht ansprechbar war.
    In der Windschutzscheibe war Beifahrerseitig ein großes Loch, das wie sich später rausstellte vom Beifahrer stammte, der irgendwann im Lauf des Unfalls aus dem Auto geschleudert wurde. Er war nicht angeschnallt.


    Die Frontpartie des Autos war komplett zerstört und aus dem Metallklumpen der mal der Motorraum war, fing es stark zu rauchen an. Mittlerweile war eine gefühlte Ewigkeit vergangen und weder von meinem Freund noch von Rettungskräften war irgendwas zu sehen.


    Ich versuchte verzweifelt die Fahrertür aufzubekommen, weil mittlerweile Flammen aus dem Motorraum schlugen. Ein völlig sinnloses Unterfangen, denn die Tür war auf die halbe Länge zusammengequetscht aber in dem Augenblick war mit rationalem Denken nicht viel los. Ich wollte nur irgendwie die Frau aus dem Auto bekommen.
    Keine Chance...


    Irgendwann hörte ich schreie aus dem Wald und fing an die Quelle zu suchen. Ein weiteres Fahrzeug war stehen geblieben und der Fahrer half mir dabei. Wir fanden den Beifahrer aus dem Golf. Keine Ahnung wie der da hingekommen ist aber er war sicher 50m vom Golf entfernt.
    Wir wollten ihn aus dem Wald bergen, was im Nachhinein betrachtet auch völliger Schwachsinn war, weil wir damit nur das Risiko erhöhten ihn weiter zu verletzen und ob er nun im Wald lag oder sonstwo war wohl ziemlich egal. Egal wo wir ihn anfassten, er schrie wie am spieß. Beine gebrochen, Arme gebrochen, stark blutende Wunden etc.
    Was wirklich sinnvolles haben wir wohl nicht getan.


    Nach einer gefühlten Ewigkeit kam mein Freund zurück und fast zeitgleich traf ein Feuerwehrzug ein. weitere 10 Minuten später kamen dann Rettungsfahrzeuge.
    Um uns gekümmert hat sich niemand, ich war nur heilfroh als die Rettungskräfte endlich da waren.


    Der Fahrer des roten Golf war wohl sofort nach dem Aufprall tot, die zwei Beifahrer starben ebenfalls. In dem weissen BMW saßen 4 Personen. Drei haben schwer verletzt überlebt einer starb ebenfalls.


    Danach konnte ich eine Woche nicht ins Auto steigen und ein paar weitere Wochen fuhr ich extrem vorsichtig und wahr wohl mehr ein rollendes Verkehrshindernis.
    Ich habe sehr oft an diesen Vorfall denken müssen und es hat sicher ein ganzes Jahr gedauert bis ich davon erzählen konnte, ohne dass mir Tränen kamen.
    Nun ist das 25 Jahre her und ich muss immer noch schlucken, während ich darüber schreibe.


    LG. Nudnik

  • Zitat von tomduly;317521

    ...dass einem in so einer Situation mal die Knie schlottern, ist ganz menschlich und passiert selbst ausgebufften Profis, die glauben, schon alles in Einsätzen gesehen zu haben.


    Das kann ich bestätigen, ich habe ca 15 Jahre in der Notfallmedizin/Intensivstation auf dem Buckel...


    Vor ca 3 Wochen verlasse ich das Haus um ganz normal zur Uni zu gehen, nach ca. 50m Menschentraube, 2 Polizisten die hilflos aus der Wäsche schauen, Person am Boden Blutlache unter Kopf, wird von Passanten festgehalten, keine sichtbare Reaktion des Patienten...


    Ich habe erstmal 1-2min gebraucht um zu checken, was da überhaupt Phase ist, habe dann die Erstversorgung übernommen, aber auch ich hatte weiche Knie und zittrige Hände, nachdem ich realisiert hatte, dass der Mensch atmet und sich minimal bewegt kam etwas Ruhe rein;
    trotzdem ist mir rückblickend aufgefallen, dass ich sehr lange gebraucht habe um einige Basics abzuspulen, die ich im Job mit Kollegen zig mal trainiert und im Einsatz angewendet habe und dass meine Übergabe an den RettDienst recht konfus lief.


    Mein Fazit daraus ist, dass man auch als Profi von sowas kalt erwischt werden kann.
    Wenn man auf die Wache geht, sich Einsatzkleidung anzieht, durch den Melder alarmiert/informiert wird, 4min Anfahrt hat... hat man mentale Vorbereitungszeit und ein ganz anderes Mindset, als wenn einen sowas zufällig privat anspringt.


    Ich glaube sowas kann man nur begrenzt planen/üben. Ich persönlich kann/will auch im Alltag nicht mit ständiger, unterbewusster Alarmbereitschaft rumlaufen.



    Danke an alle, insbesonders dem Beitragsstarter für das Teilen der Gedanken/Erfahrungen.

    IN LIBRIS LIBERTAS

  • Zitat von Peterlustig;317511

    In einer Situation wie es dir jetzt passiert ist, wenn das schlottern schon da ist, hilft mir nur bewusst machen. Damit meine ich bewusst kurz inne halten, bewusst tief und ruhig durch atmen, bewusst machen der eigenen Fähigkeiten der Ausrüstung der Situation. Den Puls runter fahren.


    Kann ich bestätigen.


    Danke für den Thread!



    Gruß Einzelkämper

  • Moin moin,


    Ich schließe mich dem an, das in unbekannten Situationen die eigene Reaktionen schwer einzuschätzen sind.


    Hatte eine ähnliche Erfahrung als 100m weiter im Feld ein Kleinflugzeug abgestürtzt ist. http://www.haz.de/Umland/Patte…ugzeugabsturz-verletzt#p1




    Da ich nicht der erste war am Unfallort habe ich mich erstmal auf dem Weg zum Flugzeug gemacht und mir Kurzinfos bei den Ersthelfern geholt. Im endeffekt habe ich dann nur noch Gaffer verjagt. Ich selbst habe mich dann auch aus dem staub gemacht als die Rettungskräfte eintrafen.


    Der anblick der Im Flugzeug sitzenden Insassen war nicht angenehm, jedoch waren schon 4 Ersthelfer direkt bei den Opfern zu gange.


    Weiche Knie hatte ich trotzdem und hatte auch ein paar Tage dran zu knabbern.


    LG Temeon

  • Zuerst möchte ich sagen, ich finde es super toll, dass mal jemand den Mut hatte, so ein Thema überhaupt anzusprechen. Sonst wimmelt es ja in den Survival und Bushcraft Foren nur von besonnenen todesmutigen Einzelkämpfern, die den Grizzly mit dem Victorinox töten.
    Tatsächlich gibt es nicht viel was man gegen die „Ausfallerscheinungen“ unternehmen kann, aber es ist gut wenn man die Erfahrung gemacht hat, weil dann kommt das beim zweiten Mal und dritten Mal nicht mehr überraschend. Wichtig ist ,wie auch andere schon gesagt haben, das man trotzdem das macht was eben zu tun ist, und sich nicht überwältigen lässt von seinen Gefühlen.
    Als Laie und Amateur werden wenige Menschen so oft in solche Situationen kommen (zum Glück) , das sie so viel Übung haben, dass sich diese Reaktion dann irgendwann nicht mehr einstellt.
    Das kling blöd und selbstsüchtig, aber folgender Gedankengang kann helfen:
    1. Feststellung….ICH selbst bin nicht betroffen…Aufatmen…Durchatmen…
    2. Feststellung… Es ist niemand betroffen zu dem ich ein eigenes innerliches Verhältnis hätte
    3. Es mag bessere Menschen geben, um in dieser Reaktion zu agieren..aber ICH bin nun mal da
    4. Ich bin die beste (so traurig das ist) Chance die das Opfer jetzt hat…also ran

  • Erstmal danke für diesen Thread. Es ist sicherlich nicht einfach sich sein vermentliches "Versagen" einzugestehen, und sogar hier in diesem Forum kund zu tun.


    Aber was ist eigentlich passiert? Direkt nach dem Lesen des Eingangspost dachte ich mir, der anonyme Poster hat eigentlich entscheidend geholfen. Denn das Rescuetool das er bereit gestellt hat was sehr entscheidend für die Erstversorgung. Auch ist er stehen (freiwillig) geblieben und war bereit zu helfen. Das Hirn hat also nicht ausgesetzt. Was passiert wäre, wenn nur er alleine da gewesen wäre weiß wohl keiner. Ich denke aber, dann hätte er erste Hilfe geleistet.
    Es war aber wer da der das erledigt hat, Darum passt das schon. Bei allen erste Hilfe Kursen die ich bis jetzt gemacht habe war immer der Leitsatz: "Am Schlimmsten ist es nichts zu tun" und "man kann nur soweit helfen, wie man dazu in der Lage ist!" Und der Threadersteller hat etwas getan. Natürlich gibt es Potential. Vielleicht hilft es auch die Situation nochmals zu reflektieren, und für sich selbst zu schauen, was hat man gemacht, was könnte man noch mehr machen.


    Dem Unfallopfter wurde heholfen, und das ist das Wichtigste.


    Ich wünsche jedem hier incl. mir, daß er in Zukunft nie in so eine Situation kommt,

  • Ich selber hatte auch schon so eine Situation: https://www.previval.org/forum/showthread.php/29461-Der-große-Was-habe-ich-heute-für-meine-Preparedness-getan-Thread?p=283371&viewfull=1#post283371


    Über meine Gefühlslage in diesem Fall habe ich nur am Rande geschrieben (Gedanken danach). Aber auch ich hatte eher weiche Knie.
    Ich kam aber nicht als Ersthelfer auf den Platz und somit konnte ich "neutraler" drangehen.


    Schlimmer war für mich allerdings ein Erlebnis, welches mir vor etwa einem halben Jahr passierte.
    Ich wollte vor dem Geschäft von einer Kreuzung auf die Straße fahren und habe ein Auto übersehen, welches aber noch bremsen konnte und mich anschließend vorfahren lassen wollte. Hintendran kam eine Autofahrerin, die das stehende Auto nicht gesehen hat und dann volle Kanne reinfuhr.
    Ich war da auch ziemlich durch den Wind. Eigentlich wusste ich, dass ich nicht Schuldig war und dennoch trug ich eine Mitschuld und wäre am allerliebsten davongefahren. Doch bin ich ausgestiegen und habe erstmal realisiert, dass die Fahrerin des hinteren Autos ausgestiegen war um nach ihrem Kind zu schauen.
    Der Fahrer der mich Vorfahren lassen wollte, berichtete mir, dass er soweit okay sei.
    Dann zur Frau gegangen und festgestellt, dass diese aufgeschürfte Finger hatte. Eigentlich wars keine wirklich erwähnenswerte verletzung. Aber ich habe dennoch den Verbandskasten hervorgeholt - eigentlich mehr um mich abzulenken - und habe ihr die Finger verbunden und für den Jungen habe ich noch ein Pixibuch im Auto gefunden.
    Dennoch war ich sehr froh, kam noch eine Arbeitskollegin und brachte den Vorschlag, dass wir doch ins Geschäft reingehen sollen um dort das Unfallprotokoll auszufüllen.
    Dadurch gab es wieder einen Plan, wie weitermachen, die Hilfslosigkeit verschwand wieder und im Geschäft konnte ich die beiden ihr Unfallprotokoll ausfüllen lassen, und den beiden Kaffee bringen und dem Kind Schokolade (welche eigentlich für die Kunden wäre) geben.
    Am Ende kam alles gut und die Frau kam am nächsten Tag nochmals ins Geschäft um sich bei mir nochmals zu bedanken.


    Aber ich war während dem Einsatz und auch nachher durch den Wind. (ging zwei Stunden später noch Schießen, habe aber nach 10 Min wieder abgebrochen weil ich immer noch nichts getroffen habe)


    Meine Erfahrungen:
    - Am besten ist es, wenn jemand (1 - 2 Pers) nebendran steht und das ganze führt. Es muss nicht einmal professionell sein. (der Hinweis, von der Arbeitskollegin, ins Geschäft gehen war mehr ein Vorschlag und hat dennoch sehr geholfen, ich selber war zusehr mit der Situation beschäftigt, dass ich das naheliegendste nicht gesehen habe) - Ist übrigens auch bei den Profis oft so. Der Feuerwehrkommandant stürzt sich nicht mit dem Schlauch ins Geschehen, sondern steht daneben und führt den ganzen Anlass.


    - Hauptsache man macht etwas und wenn es nur ein Pflaster aufkleben ist um die Wunde "zu verdecken". Denn etwas tun ist immer noch besser als ohnmächtig daneben zu stehen. Denn beim nichtstun, beginnen die Gedanken zu rotieren und man gerät in Panik.


    Ich bin übrigens auch einer, der ziemlich schnell umkippt. Aber wenn ich abgelenkt bin, funktioniere ich. Dafür kann es sein, dass ich danach umkippe.
    Abhärten geht übrigens. War mal längere Zeit im Krankenhaus und musste jeden Tag eine Spritze in den Oberschenkel machen mit Blutverdünnungsmittel (glaube ich). Anfänglich wurde es mir jedes Mal schwarz vor Augen. Nach 1,5 Wochen wars dann kein Problem mehr.


    Das größte Versagen ist es übrigens, nichts zu machen.
    Auch hiervon kann ich berichten. Letztes Jahr in Italien, auf dem Heimweg von Italien auf der Autobahn.
    Im Verkehr etwa 3 Autos vor mir verliert ein Autofahrer total die Kontrolle über sein Fahrzeug und kracht frontal in die Leitplanke.
    Ich bin danach weiter gefahren und habe gesehen, dass der Fahrer sich noch selbständig abschnallen konnte. G
    ründe fürs Weiterfahren: Ich kann kein Wort italienisch. Hätte weder dem Verunfallten, noch mit der Polizei noch mit sonstwem verständigen können. Wir waren ziemlich spät dran und von der Zeit her wäre ich danach total im Scheixx gewesen.
    Aber auch diese Situation hing mir noch nach. Eigentlich wusste ich, dass ich sowas von verloren gewesen wäre in dieser Situation und dennoch fühl(t)e ich mich als totaler Versager, der einfach weiterfuhr (auch heute noch).

    Gruss Chevron


    46738 Mal editiert, zuletzt von Chevron (morgen, 11:55)

  • Moin @ll,


    auch von mir Dank für den Thread. Mittlerweile tummel ich mich schon locker mehr als 40 Jahre in der „Blaulichtfakultät“ und kann auch bei Notfällen in der Familie erst einmal völlig gelassen reagieren und professionell handeln. Wie es mir dann hinterher geht, steht allerdings auf einem anderen Blatt...
    Und ich habe bestimmt schon reichlich völlig schräge Situationen gesehen - ebenso kann ich von mir behaupten auch und gerade durch die Tätigkeit in Katastrophenschutz und Auslandshilfe, die ich bis heute neben dem Rettungsdienst betreibe, einen recht hohen Trainingslevel aufrecht zu halten!


    Allerdings hat es mich vor ein paar Jahren auch „eiskalt erwischt“ ...
    Die Situation war harmlos, ich war privat unterwegs und wartete an einer Tankstellenausfahrt auf freie Fahrt, als ein älterer Fahrradfahrer regelwidrig aus der falschen Richtung angedüst kam, nicht bremste, dafür brüllte und mir vors Auto kippte. Ich hab ihn nicht berührt, er hat mich nicht berührt ...
    Verletzungen? Bagatelle! RTW wollte er nicht ... Erste Hilfe wollte er nicht ... als er anfing, sein Fahrrad zu fotografieren und seine Einkäufe noch über die Straße kullerten schrillten bei mir die Alarmglocken und ich wollte die Polizei hinzuziehen. Obwohl ich an einer großen mir bekannten Kreuzung stand *und* die Straßennamen hätte ablesen können, war ich nicht in der Lage, einen korrekten Notruf abzusetzen!


    Die aufnehmende Beamtin mußte mit mir Schritt für Schritt durch das Notrufschema gehen ... und ich habe weiß Gott in meinem Leben schon unzählige Notrufe abgesetzt, angenommen, Rückmeldungen und Nachforderungen abgesetzt!


    Es gibt verschiedene Mechanismen, die dafür sorgen, daß der Mensch funktioniert - oder auch nicht...


    Da spielt das Adrenalin auch schon mal eine paradoxe Rolle, in dem es eher den Fluchtintinkt steigert (der dann unterdrückt wird und die Folge eher eine Paralyse ist), insbesondere wenn die Situation völlig unverhofft kommt oder der Mensch persönlich involviert ist.


    Anders herum ermöglicht genau dieser Stoff auch ein optimales Handeln in Notsituationen und setzt Energie frei, die genutzt werden kann.


    Die spannende Frage ist, was ist/sind der/die entscheidenden Faktoren, die die Weiche in die eine oder andere Richtung stellen?


    Training und Vorbereitung - wie in diesem Faden mehrfach zu recht angeführt - helfen mit Sicherheit. Aber am Ende des Tages ist es auch immer eine Frage von „Set und Setting“ also wie ist/entwickelt sich die Situation und wie sind meine aktuellen (!) persönlichen Vorraussetzungen?
    Bin ich topfit und ausgeruht oder ausgepowert? konnte ich mich einen Augenblick vorbereiten und ist meine Awareness hoch oder werde ich ins sprichwörtliche kalte Wasser geworfen? Gibt es zwischen der Notfallsituation und meiner persönlichen Lebenssituation eine (vielleicht auch zuerst nicht offensichtliche) Verbindung und ich projiziere den Notfall auf mein Leben?


    Allein diese wenigen Fragen zeigen bereits auf, daß es eine vielfältige Wechselwirkung gibt/geben kann!


    Nein, es gibt kein Patentrezept. Und nein, niemand (!) kann - insbesondere im privaten Umfeld/Alltag ein Fehlverhalten ausschließen!
    Das ist keine Schwäche, das ist kein Versagen!


    Der einzige Rat kann IMVHO sein, sich so weit als möglich vorzubereiten, die eigenen Grenzen zu erkunden und die eigene Resilienz zu steigern. Und sich darüber im klaren zu sein, daß es persönliche Grenzen gibt und der Mensch nicht immer auf 120% Leistung laufen kann!


    Der Mensch braucht Erholungsphasen und muß lernen, seine Selbsterwartung nicht zu hoch anzusetzen ...


    Hoffe, meine Gedanken plausibel rübergebracht zu haben ...


    Christian

    Hier wird das Licht von Hand gemacht ... und der Motor gehört nach hinten!

  • Das der eigene Körper einen in Notsituationen einen Strich durch die Rechnung macht, konnte ich auch im letzten November bei mir erleben.
    Es war kein Unfall, keine Person kam zu schaden.


    Von gleich auf jetzt kamen Mengen von Wasser aus unserer abgespannten Badezimmerdecke und setzten innerhalb weniger Minuten die frisch renovierte Diele und das Schlafzimmer unter Wasser.


    Ich stand nur da und schrie und schrie und rannte anschließend wie ein wild gewordenes Eichhörnchen durchs Treppenhaus.Meine Nachbarin von unten war ganz ruhig, fragte nach Tüchern, Eimer, Kehrblech und half mir mit den Wassermassen fertig zu werden. Immer wieder fing ich wie ein Schlosshund an zu heulen und am ganzen Körper zu zittern. Ich ließ mich kaum beruhigen, auch meinem Mann (der direkt nach meinem Anruf nach Hause kam) war es nicht möglich mich dauerhaft zu beruhigen. Selbst am nächsten Tag fing ich immer wieder an zu weinen.


    Als ich mich Tage später wieder unter Kontrolle hatte, war ich mega enttäuscht von mir. Wenn ich schon bei einem Wasserschaden so austicke, was ist denn dann erst wenn das Schicksal mal so richtig zu schlägt?! Bin ich überhaupt überlebensfähig in Extremsituationen? Seit dem bin ich mir da so gar nicht mehr sicher.

    - Der wichtigste Vorrat ist Wissen, den können selbst Plünderer nicht mitnehmen -