Erst mal Danke für das Thema, es ist sehr wichtig und beschäftigt mich auch. Als Stadtmensch mache ich meinen Urlaub vor allem in der Region und auf dem Land. Habe dort schon mit verschiedenen Landwirten gesprochen und möchte auch mal ein paar Sachen erzählen.
Soweit ich das vor Ort gesehen habe, gibt es mehrere "Geschäftsmodelle" auf dem Land. Ich beschreibe das einfach mal so, wie ich es vor Ort gesehen habe und wie ich es aus den Gesprächen mit den Leuten kennengelernt habe.
Vollerwerbsbetrieb
Das geht heutzutage nur noch in industriellen Ausmaßen, mit riesigen Flächen, mit Hybridsaatgut, bei Viehzucht und Milchwirtschaft mit zugekauften Futtermitteln usw. Ein Familienbetrieb kann so etwas heutzutage kaum noch aus eigener Kraft stemmen. Meistens sind es industrielle Großbetriebe mit Angestellten, die meist aus dem Ländlichen stammen und ihre ursprünglichen Betriebe entweder aufgegeben haben oder maximal nur noch im Nebenerwerb bzw. zur Selbstversorgung betreiben. Auch wenn diese Betriebe sehr groß sind und bis zum Anschlag durchrationalisiert sind, können sie ohne Subventionen nicht überleben. Die Konkurrenz durch Billigimporte ist zu groß. Die Grundregel für diese Betriebe lautet: Wachstum oder dicht machen. Die Nahrung, die dort produziert wird, wird industriell weiterverarbeitet und findet man schließlich in den Supermärkten und bei den Discountern.
Zu-/Nebenerwerbsbetriebe
Davon gibt es noch einige, aber immer weniger. Ursache dafür ist der Generationenwechsel. Ein Betrieb ist wie ein Kleinkind, er braucht Aufmerksamkeit rund um die Uhr und die jüngeren Generationen kommen mit dieser Bindung nicht mehr klar (und ziehen in die Stadt und arbeiten lieber in einem Büro vor dem Bildschirm). Diese Betriebe überleben nur, wenn Teile der Belegschaft zusätzlich noch in einem Großbetrieb als Angestellte arbeiten oder andere Einkommensquellen wie z.B. den Tourismus (Ferienwohnungen, Ferien auf dem Bauernhof, Ponyhof, Rittergut usw.) erschließen oder sich sehr stark auf z.B. Bio, Demeter usw. spezialisieren, eine Käserei betreiben, einen Hofladen einrichten, über die Wochenmärkte tingeln, Biosupermärkte, Naturkostvertriebe beliefern usw. Viele der Betreiber arbeiten sehr hart und tun das häufig vor allem noch aus Idealismus und Naturverbundenheit.
Selbstversorger
Ich habe auch Höfe kennengelernt, auf denen die Leute als Angestellte in Agrargroßbetrieben arbeiteten und in ihrer Freizeit ihr eigenes Land zur Selbstversorgung bewirtschaften. Diese haben betreiben auf ihren Höfen zumindest die leicht handhabbaren Sachen noch selbst, z.B. Kleintierzucht, Futteranbau, Obst, Gartenbau usw. Größere Haustiere wie Rinder oder Schweine werden seltener gehalten, weil der Futteranbau dafür nicht mehr ausreicht und Futter zugekauft werden muss. Getreideanbau findet man dort selten, da er sehr aufwendig ist. Einige der Hofbetreiber erschließen sich noch durch Tätigkeiten für die öffentliche Hand zusätzliche Einkommensquellen, wie z.B. Mäharbeiten, Baumpflege, Winterdienst, Müllabfuhr. Die meisten von ihnen haben noch einen eigenen Maschinenpark. Der Verdienst ist äußerst schmal und viel davon geht für die Wartung und Instandhaltung der Maschinen, Treibstoffe usw. drauf. Vieles wird außerhalb des Geldsystems durch Eigenversorgung oder Nachbarschaftshilfe erledigt.
Probleme
Ich sehe in diesen Entwicklungen viele Probleme: Knowhow geht durch die hohe Arbeitsteilung in Großbetrieben verloren. Im Kleinbetrieb ist es wichtig, die natürlichen Kreisläufe zu kennen, zu wissen, wie man mit Unkraut und Schädlingen umzugehen hat, ohne einfach das Monsanto-Gift draufzukippen usw. usw. usw. Lebensmittel werden durch die Agroindustrialisierung zu „toten“, vergifteten, unnatürlichen Lebensmitteln. Die Abhängigkeiten von wenigen Agrokonzernen steigt. Usw.
Lösungsansätze
Ich habe mit den Leuten auch über Lösungsansätze gesprochen. Es gibt mehrere Möglichkeiten, kleine und größere.
1. Saisonal und regional essen
D.h. Erdbeeren dann, wenn Erdbeerzeit ist, im Winter eher Wurzelzeugs, im Sommer eher Frisches. Hilfreich: Ein Saisonkalender für Obst und Gemüse wie dieser hier: http://www.eurotoques.de/filea…de/pdf/Saisonkalender.pdf
Im Supermarkt grundsätzlich nicht so etwas wie Trauben aus Neuseeland oder Äpfel aus Chile kaufen.
2. Kooperativen
Man kann eine Kooperative gründen, in der jedes Mitglied einen Betrag X pro Monat für Lebensmittel berappt und mit verbindlicher Zusage für die nächsten mindestens 12 Monate einem ausgewählten Kreis an Landwirten direkt verbindlich zur Verfügung stellt und die Abnahme der produzierten Waren ohne Zwischenhändler und zu einem vernünftigen Preis garantiert. Viele kleinere, vernünftig produzierende Betriebe haben haben das Problem dass wenn die Sachen fertig sind, sie keine Vertriebsstrukturen und Abnehmer haben und – im Fall der Selbstversorger – vieles einfach am Feld und auf den Bäumen vergammeln lassen müssen. Auch die Haltbarmachung, also Einlegen, Einwecken, Fleischverarbeitung usw. ist für sie auf die Dauer viel zu aufwendig. Einer meinte: „Wir haben inzwischen so viel Marmelade, dass wir darin ersaufen. Und ich habe mal ausgerechnet, was die Tiefkühltruhen in meinem Keller so an Strom brauchen. Ich sollte alles, was ich darin habe, einfach wegschmeißen und in den Supermarkt gehen, das wäre billiger.“ Kooperativen zu gründen ist zugegebenermaßen aufwendig.
3. Naturkostlieferservice
Das ist sozusagen eine fremdorganisierte Form von Kooperative. Gibt es in allen großen Städten. Ich nutze selbst einen und bekomme 1x pro Woche saisonale Frischware aus der Region. Die Zusammenstellung überlasse ich dem Lieferservice. Das ist zwar auf den ersten Blich etwas teurer als Aldi oder Lidl, aber auf den zweiten ist es sehr viel preisgünstiger. Ich muss mich nicht fragen, was ich kochen soll, die Entscheidung wird mir abgenommen. Das spart Zeit. Es kommt direkt nach Hause, was bleibt, ist 1x alle 2 Wochen ein Großeinkauf der Grundnahrungsmittel. Das spart wieder Zeit und es spart Geld, weil man durch weniger Einkäufe auch einfach nicht so viel teures Junkfood, Süßigkeiten und so etwas kauft. Ich koche mehr und esse weniger Fertigzeugs oder anderes Zeugs mit hohem industriellen Verarbeitungsgrad. Das spart Zeit, weil man einfach weniger krank ist. Die Zeit zum Kochen nehme ich mir, weil ich sie durch die ersparte nervige Einkauferei habe, weil es Spaß macht, weil es keinen Spaß macht, dabei zusehen zu müssen, wie das mühsam angebaute Zeug verschimmelt und weil man sehr viel dadurch lernt. Und es ist schlicht und einfach billiger, weil man nicht so viel davon essen muss. Klingt komisch, ist aber so. Das Industriefutter ist vom Energie- und Nährstoffgehalt einfach schlechter (auch wenn immer das Gegenteil behauptet wird). Man ist einfach schneller satt.
Dann noch ganz allgemein: nur das kaufen, was man auch regelmäßig isst, keine Lebensmittel vergammeln lassen und wegschmeißen. Die selben Leute, die immer herumjammern, dass Naturkost so teuer sei, lassen viel vergammeln und schmeißen es weg. Merke ich jedes Mal, wenn ich zu den Mülltonnen gehe. Da liegen ganze (bei Aldi einst billig gekaufte) Obststiegen und Brotlaibe drin, oder ungeöffnete Dosen, weil das MHD 2 Tage abgelaufen war.
Das Teuer-Argument zieht übrigens nicht. Habe meine Haushaltsausgaben der ehemaligen Supermarktzeit mit der heutigen Naturkostlieferservice-Zeit verglichen: Die Ausgaben für Lebensmittel sind exakt gleich geblieben.
Euer Hotze.