Notstromversorgung deutscher Kernkraftwerke

  • Es gibt bei den großen Netzbetreibern (Amprion, Tennet, 50hz etc.) sogenannte "Netzwiederaufbaupläne".

    Dort sind systemkritische Verbraucher nach Priorität, sowie sämtliche Kraftwerke benannt, die je nach Umfang des Netzausfalls

    das Netz in einer bestimmten Reihenfolge wieder aufbauen.

    Auch im Kernkraftwerken gab und gibt es solche Einrichtungen. Dazu konnte man z.B. Kernkraftwerke, die sich bei einen großflächigen

    Netzausfall im sogenannten "Lastabwurf auf Eigenbedarf" selbst versorgen, wieder auf ein nicht vorhandenes Netz schalten. Die wird über eine bestimmte Synchronisier-Einrichtung (Kraftwerksentkopplung) gemacht. Die jeweiligen Schaltleitungen für die Höchstspanungsnetz geben dies dann vor. Für Biblis gab es z. B bei einem großflächigen Blackout mit nicht erfolgreichem Lastabwurf (als Notstrombetrieb) eine vorrangige Sonderschaltung von Wasserkraftwerk Vianden, die bei einem Blackout innerhalb 2 Stunden verfügbar gewesen wäre (wurde vom dem Jahreswechsel 1999/2000 scharf getestet...)

    Das ganz Netz aber wieder aufzubauen (unter anderem die ganzen über den Unterfrequenzschutz abgeschalteten Mittelspannungsnetze) wird aber dauern. Vor allen Dingen, da es immer weniger schwarzstartfähige Kraftwerk gibt. Selbst die 4 geplanten 300MW Gaskraftwerke in Süddeutschland (besondere Netzbetriebsmittel ist der richtige Ausdruck) werden nicht schwarzstartfähig sein. P.S. der Eigenbedarf eines Kernkraftwerks liegt bei ca 5% (In Biblis waren das ca. 65MW bei 1300MW Bruttoleistung).

  • Ryche - vielen Dank für die Einblicke! Wie sieht es mit der Stromversorgung der KKWs im Falle eines Blackouts zur Kühlung aus? Ich habe mal gelesen, dass die Kraftwerke aufgrund der hohen Stromproduktion nicht im Inselbetrieb gefahren werden können. Sie können daher (angeblich?) den zur Kühlung benötigten Strom nicht selbst herstellen. Ist das richtig?

    Es gibt natürlich Notstromaggregate und Dieselreserven. Aber da hätte ich bei einem Blackout kein gutes Gefühl ... das BBK überlegt schon seit Jahren, wie man den gebunkerten Treibstoff aus den Vorratslagern in großer Menge ohne Stromversorgung bekommt

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  • Ryche - vielen Dank für die Einblicke! Wie sieht es mit der Stromversorgung der KKWs im Falle eines Blackouts zur Kühlung aus? Ich habe mal gelesen, dass die Kraftwerke aufgrund der hohen Stromproduktion nicht im Inselbetrieb gefahren werden können. Sie können daher (angeblich?) den zur Kühlung benötigten Strom nicht selbst herstellen. Ist das richtig?

    Es gibt natürlich Notstromaggregate und Dieselreserven. Aber da hätte ich bei einem Blackout kein gutes Gefühl ... das BBK überlegt schon seit Jahren, wie man den gebunkerten Treibstoff aus den Vorratslagern in großer Menge ohne Stromversorgung bekommt

    Ich dachte immer der Treibstoff (also Diesel) wird oberirdisch gelagert und nur die Rohölreserve lagert in tiefen Kavernen. Aber gut, auch daran muss man kommen. Auf der Seite des Betreibers hab ich nur gefunden dass mit leistungsstarken Pumpen Seewasser in die Kavernen gepumpt wird und vereinfacht das Öl dann oben rausläuft.

    Da einige Kavernen auch für Gas verwendet werden, bei rund 200 Bar, sollten doch ein paar Gasturbinen für die Förderung reichen. Problematischer sehe ich die Anbindung an das Pipelinenetz, diese Pumpstationen wird man schwerer versorgen können. Nächste Raffinerien wären Lingen und Hamburg. Liegt alles sehr weit im Norden. Da wäre es interessant wie eine Verteilung über das Bundesgebiet im Ernstfall funktionieren soll. Wäre auch historisch interessant, im WK III Ernstfall wäre Deutschland am Fulda Gap praktisch geteilt gewesen, einen Nord-Süd Transport nennenswerter Mengen zu Raffinerien wie Ingolstadt und Karlsruhe stelle ich mir sehr ambitioniert vor. Oder hat man damit gerechnet dass die Alpenpipelines unbehelligt bleiben?

  • Alle deutschen Kernkraftwerke können oder konnten sich über den eigenen Turbosatz und Generator selbst versorgen. Der Reaktor wird in einem solchen Fall mit einer Last von ca. 30 - 40% gefahren, der Turbosatz (also die Kombination Turbine/Generator) wird mit einer konstanten Drehzahl von 1500min-1 gefahren. Der Eigenbedarf (also ca. 5%) wird über den Generator erzeugt und über die Generatorableitung auf den sog. 27kV-Knotenpunkt geleitet. Von diesem aus werden die Eigenbedarfstransformatoren versorgt. Die Anbindung an Höchstspannungsnetz (Blocktransformatoren) ist über die 27kV-Leitungsschalter getrennt. Die Differenz zwischen im Reaktor erzeugter Leistung (30 - 40%) und der Last des Eigenbedarfs (ca. 5%), also der zu viel produzierte Dampf, wird bei Druckwasserreaktoren über die sog. FDU (Frischdampfumleitstation) direkt wieder in den Kondensator geleitet und dort direkt kondensiert, ohne Arbeit verrichtet zu haben (also wenn auch physikalisch falsch... vernichtet). In Siedewasserreaktoren wird der zu viel produzierte Dampf in den Kondensationskammern wieder kondensiert. Der Fall "Lastabwurf auf Eigenbedarf" ist ein deutschen Kernkraftwerden eine Standard-Transiente, die bei der Auslegung immer schon betrachtet wurde. Ich hatte einmal das große Glück, als Schichtleiter den Test eines solchen Falls durchzuführen. Dabei wurde unsere Anlage bei ca. 80% Leistung (also ca. 1000 MW Elektr. Bruttoleistung) vom Netz getrennt. Der Reaktor wird dabei automatisch auf 40% gedrosselt, und die entsprechenden Regelungen und Begrenzungen fahren die komplette Anlage dann dahin, wo sie sein soll, hat alles perfekt funktioniert. Dieser Fall ist extra dafür gemacht, dass bei Netzausfall die Anlage gedrosselt weiter betrieben werden kann. Für den Fall, das dann nicht funktioniert, würde die Anlage dann bei einem Netzausfall in den Notstrombetrieb fallen. Da die Notstromdiesel nicht den kompletten Eigenbedarf bei Betrieb abdecken können (ca. 65MW), erfolgt bei Notstrombetrieb immer Abschaltung des Reaktors (RESA = Reaktorschnellabschaltung). Diverse Großaggregate (Hautspeisepumpen, Hauptkühlmittelpumpen etc. werden abgeschaltet. Der dann noch erforderliche Eigenbedarf wird über im Normalfall 4 Notstromdiesel (je nach Anlage) versorgt, Davon reichen immer zwei Diesel, um die erforderliche Versorgung sicherzustellen, (also Auslegung je nach Anlage 4 x50%, bei neuen Anlagen sogar 4 x 100%) Die Kühlung des Reaktors erfolgt je nach Anlage mit An-und Abfahr-, bzw. Notspeiseepumpen. Der durch die Kühlung des Reaktor entstehende (nicht radioaktive) Dampf wird beim DWR (Druckwasserreaktor) über die Abblasestation über Dach in die Atmosphäre abgegeben, beim SWR (Siedewassereaktor) ist der Dampf leicht radioaktiv und wird in der Kondensationskammer innerhalb der Anlage kondensiert. Die Kühlung der Kondensationskammer erfolgt dann über externen Nachkühlpumpen. Der Dieselvorrat in deutschen Krenkraftwerken muss gemäß KTA min. 36 Stunden reichen. Alle Betreiber haben entsprechende Verträge, die auch bei Stromausfällen (Blackout) entsprechenden Nachlieferungen an Dieselkraftstoff innerhalb 24 Stunden sicherstellen. Weiterhin gibt es nochmals Notstandssysteme, die als Backup zur Verfügung stehen, mit eigenen Wasser- und Dieselreserven. Alle deutschen Kernkraftwerke sind in den Netzwiederaufbauplänen der Netzbetreiber berücksichtig, und werden vorrangig wieder versorgt (wie schon beschrieben, Biblis innerhalb 2 Stunden vom Wasserkraftwerk Vianden aus). Je nach Zeitdauer des Netzausfalls werden die Anlagen dann im Inselbetrieb weitergefahren (das geht theoretisch unbegrenzt lange, bis der Brennstoff dann nach ca. 15 Monaten zu Ende geht). Im Notstrombetrieb werden die Anlagen dann nach der Reaktorabschaltung nach einer bestimmten Zeit kaltgefahren, und dann erfolgt die Kühlung des Reaktors mit den Nachkühlpumpen (auch wieder 4fach vorhanden, zwei reichen zum Abkühlen, ein reicht dann im stationären Zustand aus, um die Kühlung sicherzustellen). Dies sind aber nur die Daten von deutschen Kernkraftwerken. wie das generell im Ausland aussieht, weis ich nicht genau. Die neueren Anlagen sind überall auf der Welt ähnlich aufgebaut (also 4fach redundant). Die ganz neuen Anlagen in China und Russland haben mittlerweile viele passive Kühleinrichtungen, die ohne Hilfsenergie auskommen (übrigens sind die neuen Anlagen in China und Russland extrem gut und sicher gebaut, die stehen unseren Kernkraftwerken in nichts mehr nach). Bei den alten Anlagen gibt es extrem viele Unterschiede....da stecke ich nicht so im Thema drin. Aber um es kurz zu machen, ein Blackout stellt für die deutschen Kernkraftwerke erstmal kein Problem dar, das ist in der Auslegung mit berücksichtigt. Übrigens haben alle Kernkraftwerke in Deutschland immer 3 Netzanbindungen, Hauptnetz (400kV) , Reservenetz (220 oder 110kV), und ein Not- oder Hilfsnetz (meisten 20kV vom örtlichen Versorger). Ich hoffe ich konnte euch eine kleine Einblick geben....

  • Ryche vielen Dank deine ausführlichen Darstellungen; hat für mich viel neue Informationen und mein Verständnis zur Sache verbessert.


    Gruß

    Kcco

    Gsund bleiben

    Keep clam and chive on

  • Top, vielen Dank, sehr gut auch für mich als Laien erklärt.


    Ben


    Könnte man die Beiträge von Ryche in einen eigenen Thread packen zwecks Wertigkeit? Vielleicht "Verhalten von Kraftwerken in der BRD im Blackout" oder ähnlich...


    Danke und Gruß