Psychotherapie. Ein wenig Licht ins Dunkle der Gedanken bringen

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  • Guten Morgen!


    Ausgehend von dem Thread "Unruhe und Nervosität" hier möchte ich etwas zum Verständnis beitragen.

    Da meine Erfahrungen sich ausschliesslich auf das deutsche Gesundheitswesen beziehen und es sicherlich große Unterschiede zwischen den Ländern gibt, bitte ich beim Lesen diesen Umstand zu beachten.

    Ausgehend war eine Frage, in der ein Lebenspartner berichtet, dass seine Freundin unter Unruhe und Nervosität leidet. Er wolle wissen, was "man" da machen könne, beschreibt kurz eine schwierige Lebenssituation der Freundin mit "stressigen" Lebensbedingungen und deutet an, dass mittlerweile auch er unter der Situation leide.


    In den folgenden Antworten sind mir sehr typische Kernaussagen besonders aufgefallen:


    - "Tu was, was Dir gut tut."

    - "Die Wartezeiten auf einen Therapieplatz sind unzumutbar lange."

    - "So schlimm, dass man eine Psychotherapie bräuchte, ist das ja noch gar nicht."

    - "Erst als Selbstmordgefahr in´s Spiel kam, da hat sich was hinsichtlich der Termine etwas verbessert, und dann hat es immernoch zu lange gedauert."

    - "Der kinderpsychiatrische Dienst..."


    Vielleicht ein guter Grund, einemal grundlegende Dinge über Psychotherapie zu betrachten:


    Psychotherapie:

    ist ein bewusster und geplanter interaktionelaler Prozess zur Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszuständen, die für behandlungsbedürftig gehalten werden, in Richtung auf ein definiertes, nach Möglichkeit gemeinsam erarbeitetes Ziel mittels lehrbarer Techniken auf der Basis einer Theorie des normalen und pathologischen Verhaltens. In der Regel ist dazu eine tragfähige emotionale Bindung notwendig. (Definition von Strotzka, 2011).


    Es wird stren unterschieden zwischen erwachsenen-psychotherapie und Kinder- und Jugendpsychotherapie. Die Ausbildung hierzu ist eine komplett andere.

    Ich schreibe hier nur über das, wovon ich mich auskenne, und das ist die Erwachsenen-Psychotherapie und die Psychiatrie für Erwachsene.

    Psychotherapie gibt es ambulant (Praxen), teilstationär (z.B. Tagesklinik) und stationär (z.B. im Krankenhaus)


    Psychotherapie aus Sicht der Krankenkassen:


    Es gibt bis Herbst 2020 drei Wege, eine Psychotherapie, die durch die gesetzlichen Krankenkassen bezahlt wird, anbieten zu dürfen:


    - psychologische Psychotherapie (Das heisst ein Psychologie-Studium (Bachelor und Master und dann eine Zusatzausbildung

    - Medizinstudium und anschliessende Facharztausbildung

    - Therapeut mit Psychotherapieerlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz


    Seit Herbst 2020 gibt es die Möglichkeit, direkt ein Psychotherapiestudium aufzunehmen. Diese hat derzeit noch keine gültige gesetzliche Grundlage und ich weiss nicht viel darüber, da solche Betrachtungen sehr weit hinter mir liegen...(manchmal fühle ich mich so alt)


    Es gibt eine Vielzahl von psychotherapeutischen Verfahren, die Krankenkassen erkennen derzeit (d.h. sie zahlen für) 4 Verfahren:

    - Verhaltenstherapie

    - tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie

    - Analytische Therapie

    - systemische (Familien-) Therapie


    Eine Psychotherapie ist eine durch die Krankenversicherung bezahlbare Leistung. Hier unterscheidet die gesetzliche Krankenkasse folgende Therapieformen:

    - Akuttherapie (12h a 50 min) zur Stabilisierung

    - Kurzzeittherapie (max. 2x12h a 50 min)

    - Langzeittherapie (i.d.R. max 80-100h) je nach Verfahren, 48 h bei der systemischen Therapie


    Hinzukommen als abrechenbare Leistung die psychotherapeutische Sprechstunde (auch Vorraussetzung für eine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankankassen), diese ist

    3 mal 50min lang.

    Hinzukommen sogenannte psychotherapeutische Gespräche, hier können bis zu 15x 10 min pro Quartal (drei Monate) abgerechnet werden.


    Zum Genehmigungsverfahren:


    Nicht genehmigungspflichtig sind:

    - Gespräch, Sprechstunde


    Anzeigepflichtig (das heisst, man muss die Krankenkasse darüber informieren, dass es stattfindet sind:

    - Akuttherapie


    Genehmigungspflichtig sind:

    -Kurzeittherapie (erfahrene Therapeuten beantragen die Feststellung der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen und bekommen diese dann nach etwa 3 Wochen)

    - und Langzeittherapie (Hier und auch bei Kurzzeittherapien durch weniger erfahrene Kollegen muss ein Bericht an einen Gutachter geschrieben werden, etw 3 DinA4 Seiten mit Angabe von Krankheitsbild, Psychodynamik (Wie ist das Bild zu erklären) Behandlungsansätze und Prognose). Der Gutachter entscheidet, ob es sinnvoll ist, die Krankenkasse übernimmt dann die Kosten oder lehnt den Antrag ab. (Einschub: Nach etwa 25 jahren der Kassentätigkeit habe ich noch nie einen Antrag abgelehnt bekommen.) Sollte der Antrag abgelehnt werden, gibt es die Möglichkeit, einen Widerspruch einzulegen, dann geht der begründete Widerspruch an einen sogenannten Obergutachter, der dann über den Antrag entscheidet.)



    In Abgrenzung dazu gibt es


    - Die "Psychiatrie"


    (kleiner Tipp: alles was mit -iatrie endet kommt von griechisch ἰατρός (iatrós), deutsch ‚Arzt‘. Also Geriater, Pädiater und Psychiater sind immer Ärzte.


    Diese lustigen Gesellen kommen in stationärer (Krankenhaus), teilstationärer (Tagesklinik u.ä.) und ambulanter Form (Praxis) daher.


    - Der "psychiatrische Dienst"


    Meist offizielle Stellen beim Kreis, mehrere Berufsgruppen arbeiten zusammen (Psychiater, Psychotherapeuten, Sozialpädagogen, gesundheitswissenschaftler, Verwaltungsangestellte etc.) Hier wird Beratung und die verpflichtende Dienstleistung nach den einzelnen Gesetzen und Vorschriften sichergestellt. Aber i.d.R. keine Psychotherapie im eigentlichen Sinn sondern nur die Begelitung auf dem Weg dahin.


    - "Beratungsangebote"


    Viele Träger (Caritas, Diakonie, AWO, Kirchen, Vereine) bieten Hilfe und Beratung an. Meist oder so gut wie nie jedoch Psychotherapie.



    So, reicht erstmal.

    Wenn es Fragen gibt: dazu ist das Forum ja da.


    Im nächsten Abschnitt gehe ich mal auf die im erwähnten Thread gemachten Äusserungen ein.


    Bis dann

    DocAlmi

    Ordnung ist das halbe Leben. Ich bin eher an der anderen Hälfte interessiert.:nono:

  • DocAlmi

    Hat den Titel des Themas von „Psychotherapie. Ein wenig Licht ins Dunkle der bringen“ zu „Psychotherapie. Ein wenig Licht ins Dunkle der Gedanken bringen“ geändert.
  • In den folgenden Antworten auf den Therad sind mir sehr typische Kernaussagen besonders aufgefallen:


    1.) "Tu was, was Dir gut tut."


    Zu 1.)


    Wenn es mal so einfach wäre.

    Ich erinnere mich gut, wie eine Kollegin von mir in der geschlossenen Station eine sehr betagte, schwerst depressive Patientin nach derbem Selbsttötungsversuch am Arm stütze und mit ihr im Park spazieren ging. Ich konnte einen Gesprächsfetzen mitbekommen, als sie der Patientin sagte: "Ach, machen Sie sich doch nicht immer so schwere schwarze Gedanken, denken sie doch mal an was Schönes..."

    Ich hab mir die Kollegin dann zu einem Gespräch geholt und versucht ihr zu erklären, dass sie von der Patientin etwas erwartet oder ihr etwas vorschlägt, was diese einfach nicht kann. etwa so, wie wenn ich einem Blinden sage, er solle doch mal die Augen aufmachen und einfach nur auf den Boden guggen, dann würde er auch nicht stolpern.


    Wir alle sind negativen Einflüssen unterworfen, im täglichen Leben. Kritik von Vorgesetzten, Terminstress, drängelnde Autofahrer auf der Autobahn, schleichende Halbtote, die mit haarsträubenden 23 Km/h in der angedeuteten Linkskurve dem tod direkt in´s Auge blicken etc.

    Dies alles geht uns auf...also es belastet uns.

    Ebenso belastet und positives.

    Denken wir einmal an die Kantine. Ein Objekt der Lust nimmt am Nachbartisch platz. Man empfindet sexuelle Erregung und möchte seine Wünsche ausleben. Wird aber uncool, egal wie es ausgeht.

    Denn wir können nicht direkt drauf reagieren. "Hallöchen Popöchen, wie schauts aus kleine Maus? Knick-Knack" kommt jetzt nicht so gut an, also meistens...

    Folgt also die Kontrolle der Emotionen, das heisst mein Bewusstsein muss irgendwie mit dem Unbewussten in Kontakt treten und die Energie muss irgendwo hin, möglichst ohne Schaden anzurichten. Es kommt die Abwehr in´s Spiel, ich muss meinen Wunsch den Drängler hinter mir zu erschiessen und über das Objekt der Begierde direkt in der Kantine herzufallen, irgendwie in den Griff kriegen.

    Dazu stehen mir, je nach erlerntem Verhalten, diverseste Möglichkeiten offen.

    Ich werte ab (Was interessiert mich der nichtssagende Tuppes hinter mir im Auto, soo schön ist die Kollegin doch gar nicht, die Nase is eh viel zu gross)

    Ich rationalisiere (wenn ich jetzt bremse und der knallt mir drauf, bringe ich mich nur in Gefahr oder wen ich meinem Chef jetzt an den Po fasse, dann verlier ich meine Arbeit)

    Ich ironisiere, ich verschiebe, projeziere, sublimiere, negiere etc. was das Zeug hält.


    Das mache ich jeden Tag, und jeder der das liest, und selbst wer das nicht liest, macht das jeden Tag. Wir Menschen funktionieren so. Vielleicht nicht in den Beispielen, die ich mir ausgedacht habe (memo an mich, welche Kollegin hattest du denn da vor Augen), aber wir bemühen diesen Mechanismus ständig und immer.


    Warum fällt das niemandem auf?


    Weil es praktisch immer funktioniert. Diese Mechanismen führen zu einer Kontrolle der primären Prozesse, wir bewegen uns dann im gesellschaftlich normierten und verhalten uns konform.

    Wenn es nicht funktioniert, lesen wir in der Zeitung darüber, hören bei Gericht davon oder unterhalten uns mit anderen darüber. Achtet mal darauf, wie oft ihr das selber tut.


    Zurück zum Thema:


    Ich bin das, was man so psychisch gesund nennt (Die einen sagen so, die anderen ....)und das setze ich bei Euch mal voraus.

    Ihr erlebt negative dinge und diese Belasten Euch.

    Diese Belastung muss irgendeinen Ausgleich finden.

    Urlaub, Buchlesen, Bogenschiessen, Messer schleifen, Löcher in Holz bohren etc. Unendliche Möglichkeiten des Ausgleichs.

    Wir reagieren uns ab mit dem ergebnis, es geht uns besser. Ich betrachte meine schönen Löcher im Holz, suche meine Pfeile, klappe das Kapitel zu, sitze am Strand von Pelokilikymnos und betrachte die Welt durch den Boden einer Rotweinflasche. Es gibt schlimmeres.


    Das doofe ist: das funktioniert bei gesunden Menschen so.


    Es gibt Seelenzustände, da funktioniert das nicht mehr.


    Beispiel: Mein Vater ist vor ein paar Wochen plötzlich unerwartet verstorben. Ich reagierte ziemlich Lehrbuchmäßig mit Fassungslosigkeit, Entsetzen, Unglaube und tiefer Trauer.

    Wenn da jetzt einer in dem Moment gesagt hätte: "Lies doch mal n gutes Buch" oder "Wie wärs mit Erdbeereis mit Schlagsahne" hätte die Gefahr eines primärprozesshaften Impulsdurchbruchs mittels mindestens Ura mawashi geri bestanden. (Für Freunde der friedfertigen gepflegten körperlichen Auseinandersetzung: Halbkreis -Fusstritt, gerne zum Kopf).


    Es gibt Momente, da reicht bisher Erlerntes eben nicht mehr aus. Ein depressiver Patient KANN keine Freude empfinden. Deswegen nutzt es nichts, diesem zu sagen, er solle etwas freudvolles machen.

    Die Unfähigkeit zur Freude ist gerade das kennzeichen bestimmter psychischer Ausnahmesituationen.

    Wer Angst hat, der ist rationalen "Rechnungen" nicht zugänglich. Die Überschattung des Erlebens mit einem Überfluten des Gefühls der Angst ist gerade Kennzeichen der Angst.

    Wenn wer Flugangst hat, dann nutzt es nicht, diesem zu erzählen, er solle sich mal die Wahrscheinlichkeit eines Flugzeugabsturzes ausrechnen. Er hat Angst. Punkt. Das gefühl der Angst hat die Kontrolle übernommen. Apelle an die Vernunft sind sinnlos. Und er hat ja gerade Angst, weil er sich nicht Ablenken kann. Deswegen sind Ablenkungsversuche wenig hilfreich.


    Im Gegenteil: Der Betroffene erlebt sich als "aussenstehend", als "unfähig", als "defizitär" wenn ich ihm darlege, dass er sich doch einfach nur normal verhalten soll.

    Die Normalität des Betroffenen ist im Moment eine andere als "deine" Normalität. Und die Frage, wer da gerade die richtige Realität hat, mag philosophisch spannen sein, ist aber für den betroffenen nicht hilfreich.


    "Tu dir was Gutes" funktioniert im Zustand der bewussten Auseinandersetzung mit einem Problem. In Zuständen, in denen das Unbewusste die Kontrolle hat, sind solche Versuche ehrenhaft und nachvollziehbar, funktionieren aber meist nicht oder zumindest nicht nachhaltig.


    DocAlmi

    Ordnung ist das halbe Leben. Ich bin eher an der anderen Hälfte interessiert.:nono:

  • Beispiel: Mein Vater ist vor ein paar Wochen plötzlich unerwartet verstorben. Ich reagierte ziemlich Lehrbuchmäßig mit Fassungslosigkeit, Entsetzen, Unglaube und tiefer Trauer.

    Wenn da jetzt einer in dem Moment gesagt hätte: "Lies doch mal n gutes Buch" oder "Wie wärs mit Erdbeereis mit Schlagsahne" hätte die Gefahr eines primärprozesshaften Impulsdurchbruchs mittels mindestens Ura mawashi geri bestanden.

    Ein sehr anschauliches Beispiel. Danke dafür. :thumbs_up::thumbs_up::thumbs_up:


    Als "Gesunder" ist es oft nicht nachvollziehbar was in dem Betroffenen vorgeht.

  • ... 2.) "Die Wartezeiten auf einen Therapieplatz sind unzumutbar lange."


    Kurze Betrachtung der Lebensrealität einer psychotherapeutischen Praxis.


    Eine Woche hat 5 Arbeitstage.

    Ein Tag hat 8 Arbeitsstunden.


    Macht 40 Arbeitsstunden die Woche.


    Eine Psychotherapie erfordert in der Regel eine Sitzung pro Woche.

    Sie dauert im Schnitt etwa 60-70 Stunden an.


    Also 60-70 Wochen. Da ich mit meinen Patienten sehr ungern in Urlaub fahre, wir nicht immer gemeinsam krank werden und ich hin und wieder auch mal gerne unbegleitet zu einer Fortbildung fahre zieht sich eine Psychotherapie ungefähr 2 Jahre hin.


    Meiner Einschätzung nach ist der Beruf des Psychotherapeuten anstrengend.

    Das ist in der Wahrnehmung meines Umfelds sehr unterschiedlich. Von "sei mal ehrlich, das sind doch alles nur überspannte Lehrersgattinnen, die auch mal ein bisschen Aufmerksamkeit wollen (O-Ton aus der Familie) bis zu "das könnte ich nicht, mir jeden Tag Probleme und Sorgen anhören" und gipfelnd in "Psychiater und Psychotherapeuten haben doch selber alle einen an der Waffel" als Ausdruck einer antipsychiatrischen Grundhaltung ist mir da nix fremd.


    Ich behaupte, dass es kaum Möglich ist, mehr als etwa 30-32 "echte" Psychotherapiepatienten gleichzeitig zu behandeln. Der Rest ist minderschwer, Einsamkeitsproblematik, psychosoziale Hilfestellung und Rentenjäger.


    Demnach ist eine Praxis mit sagen wir mal 32 Patienten für den Zeitraum von zwei Jahren voll ausgelastet.



    und:

    Es gibt so "wenige" Praxen, weil die Bedarfsplanung und der Schlüssel, nachdem Praxen eröffnet werden dürfen aus 19paarundachtzig stammt.

    Es sind einfach zu wenige.

    Die Kassen, die kassenärztliche Vereinigung und der gemeinsame Bundesausschuss wollen nicht mehr, weil PT ist teuer.


    Viele meiner Kollegen, ich auch, führen keine Warteliste. Es ist schlicht und ergreifend Unsinn, eine Warteliste von mehr als 5 Therapiebedürftigen zu führen.

    Folgende Lösung hat sich in meiner Praxis und denen meiner Kolleginnen und Kollegen herauskristallisiert.

    Der Großteil der Patienten hat eine auf Jahre ausgelegte Psychotherapie. Ausgefallene Stunden, also Absagen von Terminen werden mit Sprechstundenterminen oder Kurzgesprächen belegt. Diese werden sehr kurzfristig (3 Tage bis max 1 Woche) belegt. In diesen Terminen wird Diagnose, Therapiebedürftigkeit, Grundzüge der Problemstellung, therapeutische Möglichkeiten etc. abgeklärt.

    Einige davon bedürfen einer Akuttherapie. Diese Patienten können nicht Monatelang auf einen Platz warten. Hier erfolgt die Entscheidung spätestens nach 2-3 Terminen in der Sprechstunde. Akuttherapien beginnen akut, also nicht länger als etwa 1-2 Wochen. Sollte kein Platz frei sein, erhält der Hilfesuchende Hilfestellung bei der Versorgung durch Weitervermittlung, Anbindung an andere Hilfsangebote oder einfach durch ein Schreiben, gerichtet an Kollegen mit dem warum und weshalb ich denke, dass eine Akuttherapie sinnvoll ist. Ausserdem hat jeder, der meine Praxis betritt, meine Handynummer. Ich habe nur eine Nummer, privat wie beruflich und wenn ein Pat. in eine Krise gerät, dann darf er mich gerne anrufen, auch mitten in der Nacht. Das klappt seit mehr als 20 Jahren, und obwohl mir Kollegen und freunde da etwas Unverständnis entgegenbringen, habe ich keine Veranlassung, da irgendetwas dran zu ändern.



    Zur eigentlichen Psychotherapie und einer Betrachtung der Wartezeit:


    Psychodynamische Prozesse, die Leid erzeugen, haben ihren Ursprung in einer Zeit, die Jahrzehnte zurückliegt.

    Die Betroffenen rennen seit Jahren und Jahrzehnten mit den Beschwerden rum.

    Bei Aufnahme einer Psychotherapie kommt ein Prozess in Gange, der sich über Jahre hinzieht und dessen Erfolge man oft erst nach Abschluss einer Therapie oder mitunter noch später bemerkt.

    Wir vollbringen keine Wunderheilungen (OK, für Privatpatienten jeden dritten Mittwoch im Monat wirke ich schon mal Wunder).

    Die Wartezeit (zum beispiel drei oder vier Monate) ist gemessen an der Krankheitsgeschichte und der zu erwartenden Therapiedauer nahezu unerheblich.


    Eine Psychotherapie ist mitunter sehr sehr belastend. Man braucht ein gehöriges Maß an Stabilität und Sicherheit, um solche Belastungen auszuhalten.

    Deswegen sind hochakute, schwere und gefährliche Zustände aus meiner Sicht nix für eine Psychotherapie.

    Mit einem Gegenüber, bei dem ich befürchten muss, dass ein Ansprechen eines belastenden Aspektes zu dem Wunsch, sich zu entleiben führt, kann ich nicht arbeiten. Entweder schraube ich dann meine Intervention auf ein Minimum zurück oder spreche es gar nicht an. Dann kann ich aber nicht helfen. Ein Dilemma.

    Deswegen ist vorher intensiv zu prüfen, inwieweit eine Psychotherapie überhaupt (zum gegenwärtigen Zeitpunkt) Sinn macht.


    Wer so krank ist, dass er eine Wartezeit nicht aushält, ist in einer Psychotherapie eh wahrscheinlich nicht richtig.

    Zumindest in einer PT, die konfliktorientiert und defizitorientiert arbeitet.

    Es mag Kolleg*innen geben, die das anders sehen, aber das ist das Schöne daran. Nicht jeder Therapeut*in eignet sich für jeden Patienten. Das muss im Gespräch gefunden werden.


    Und noch was Praktisches:


    Kommt ein Mann zum Arzt...(sie verstehen) und sagt folgendes:

    Mann: "Isch rufe für mein Frau an, die hat eine DRINGENDE Überweisung zur Pschüchieterapie. Ich will einen Termin ausmachen, damit Sie bei Ihnen mit einer Therapie anfangen tun kann."

    Ich: "Ich würde gerne mit Ihrer Frau selber re..."

    Mann:" Die kann nit, die is grad nit da."

    Ich: "Wo ist sie denn?"

    Mann: "Die tut arbeiten."

    Ich: " Dann muss sie mich nach ihrer Arbeit oder am Wochenende anrufen."

    Mann: "das geht net, die hat immer viel zu tun. (ärgerlich) deswegen rufe ich Sie ja an!"

    Ich: " Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber ich muss schon wissen, worum es geht, und das erfahre ich am besten von...."

    Mann: "Mein Frau und ich wir haben keine Geheimnisse, isch kann ihnen alles sagen"

    Ich: "Das ist schön, dennoch möchte ich mit Ihrer werten Gattin selber gerne..."

    Mann: "Also machen sie jetzt eine Therapie mit meiner Frau oder nicht?"

    Ich: "das hängt ja von dem gespräch mit Ihrer Frau ab..."

    Mann: "Also nit?"

    Ich: (ausweichend: "wie gesagt, ich muss da vorher mit Ihrer Frau persönlich sprechen...Wann hat sie denn Zeit?"

    Mann: "Die kommt um 19 Uhr nach Hause, jeden Tag. Auch Samstag. Die geht um 6 aus dem Haus und kommt um siebene wieder nar Hus."

    Ich: (etwas Augenrollen dabei: " ja wann will sie denn dann zu den Therapiesitzungen kommen? Etwa einmal die Woche?"

    Mann: "Ja um 20 Uhr oder so"

    Ich: "Da hab ich aber schon lange Feierabend."

    Mann: "Sie ham nicht um 20 Uhr noch auf? komisch...."


    Hier schaltet mein Gehirn ab. Der Rest ist Hirnstammreflex und entbehrt sinnvollen Inhalt.


    Was lernen wir daraus?


    1.) Selber anrufen!


    2.) Zu Telefonzeiten anrufen (steht auf der Seite der jeweiligen kassenärztlichen Vereinigung, wo man auch die Telefonnummern aller zugelassenen Therapeuten findet.


    3.) Nicht versuchen, den oder die Therapeut*in festzunageln. Ein Therapieversprechen am Telefon ist unseriös und unhaltbar.


    4.) Was willst Du? Du willst einen Termin, um den oder die Therapeut*in kennenzulernen. Nicht mehr nicht weniger. Also frag danach. Du willst ein Erstgespräch, oder eine Sprechstunde. (ja woher soll ich das denn wissen? Ich erwarte von meinen Patienten, dass sie sich informieren über Psychotherapie. Tun sie das nicht, kläre ich gerne auf, aber bitte freundlich im Ton.)


    5.) Bei ablehnender Antwort vielleicht einfach mal nach 2 oder drei Wochen nochmal anrufen.

    Ich bekomme pro Woche ungefähr 20-30 Anfragen. Wenn wer dabei ist, der zweimal anruft (und mir das auch sagt) dann weiss ich: Hoppala, da ist jemand, der sich echt bemüht. Mit solchen Leuten zu arbeiten macht mehr Freude und ist erfolgreicher, als wenn da das arme Vögelchen im Nest sitzt, den Schnabel weit aufsperrt, schreit wie am Spiess und mir vermittelt: Fütter mich, fütter mich. Ich selber tu nix. Du bist verantwortlich für mein Wohlergehen.

    Nein, bin ich nicht!


    6.) Freundlich sein. Ich möchte am Telefon nicht angekackt werden. "Ahh, sie gehen ja nie ans Telefon, wenn ich grad drangehe ist nahezu ein Therapieausschlussgrund."


    Doch, tu ich, aber ich kann nur mit einem nach dem anderen nacheinander telefonieren. Und wenn ich mit person A spreche, dann muss Person b warten. is doof, aber Therapeuten sind unteilbar und ich betreibe jetzt kein Call-Center.

    Ich bin übrigens verpflichtet, wöchentlich 200 min am telefon zu warten, ob wer anruft. Also nahezu 3,5h.

    Vergütung:

    0 €


    Mindestlohn: Freundlichkeit.

    Ich mach den Beruf nicht wegen des Geldes, aber auch ich muss meine Rechnungen zahlen.

    So eine Praxis macht Fixkosten von etwa 5-6000 € pro Monat.

    Müssen erst mal rein, sonst muss ich zumachen.



    So, wie immer zu lange.

    DocAlmi

    Ordnung ist das halbe Leben. Ich bin eher an der anderen Hälfte interessiert.:nono:

    3 Mal editiert, zuletzt von DocAlmi ()

  • Sehr interessant zu lesen.

    Was empfiehlst du halbwegs gesunden Menschen während der aktuellen Pandemie damit sie stabil bleiben ?

  • Wirklich sehr interessant, herzlichen Dank, DocAlmi! :thumbs_up:


    Und passt gerade. Ich habe kürzlich irgendwo (ich glaube, in der ZEIT, bin mir aber nimmer sicher - ich versuche gerade noch, den Artikel wiederzufinden) einen guten Artikel gelesen über die Auswirkungen des nun schon seit gefühlten Eeeeeeeeewigkeiten andauernden Abstandhalten-Müssens, von Ausgangssperren, Reiseverboten und Quarantäne. Es ging um das tiefe Gefühl der Einsamkeit, das uns Menschen eigentlich gerade weltweit verbindet, das andererseits aber zu den letzten wirklichen Tabuthemen gehört. Die meisten spielen es herunter, wie es ihnen geht. Selbst auf ehrlich gemeinte Nachfrage wird gern relativiert ("im Vergleich zu jemandem, der ..... geht es mir noch ganz gut"). Und ich habe noch niemanden erlebt, in der ganzen Zeit über wirklich noch niemanden, der mal freiheraus zugegeben hätte, es ginge ihm gerade beschissen, er fühle sich verdammt einsam und er sehne sich nach menschlicher Nähe. Niemanden, der das, warum auch immer, offenbar mit großer Scham behaftete Wort "Einsamkeit" (buhuhuu :ghost:) in den Mund genommen hätte.


    Darüber und über andere psychische Reaktionen auf die Pandemie wollte ich mal was posten und war schon am Überlegen, ob das Thema besser in einem separaten Thread aufgehoben wäre, oder doch eher unter "Covid-19: Erfahrungen & Austausch". Oder vielleicht hier? Schreibt mal, was Ihr dazu meint.


    Den Austausch darüber finde ich durchaus sehr wichtig und prepperrelevant, denn um in Krisenzeiten klarzukommen und möglichst gute Karten zu haben, bedarf es nicht nur ausreichender Vorräte, Gerätschaften und Skills, sondern auch die psychische Kompetenz, um mit Ausnahmebedingungen für Seele und Geist umgehen zu können. So umgehen zu können, dass man stabil bleibt und es einem trotz aller Kacke am Ventilator so gut wie eben möglich geht. Was nicht nur für jeden selbst wichtig ist, sondern ganz im Sinne unseres Preppermottos "Service To Others" eben auch notwenidig zum Wohl der Gemeinschaft, Um Gestresste, Entkräftete, Überforderte, Gelähmte und Verzweifelte aufbauen zu können, um ihnen neuen Mut machen zu können, um durch Humor Momente der Erleichterung zu verschaffen, zum Durchhalten zu motivieren. Um sich anderen zuzuwenden, sie mit einzubeziehen und ihnen das Gefühl zu geben, sie werden nicht übersehen und alleingelassen ..... Auch bei EInsätzen in Krisengebieten und in Kriegen braucht es nicht nur Material / Waffen und damit geübte Spezialisten. Für den Erfolg solcher Operationen genauso unabdingbar sind Ärzte / Sanis und Geistliche / Seelsorger. Und einfach auch den offenen Austausch unter den Kameraden.


    Drum ist die Nachrage von @Vollzeitvater eine sehr gute! Gerne würde ich darüber mehr von unseren Profis lesen.