Berlin - spannende Entwicklung bei Enteignunginitiative

  • In Berlin gibt es ja zur Zeit eine Initiative die Immobilienfirmen mit über 3000 Wohneinheiten quasi "enteignen" wollen und zwar mit dem juristischen Winkelzug über Artikel 15 im Grundgesetz zu gehen (Überführung in Gemeineigentum).


    Art. 15: Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend.


    Nun hat die Initiative genügend Unterschriften (für das Quorum über 175.000 gültige Zeichnungen) zusammen und im September wird vermutlich mit der Budestags- und Abgeordnetenhauswahl auch darüber im ersten Step von den Wählern abgestimmt.


    https://www.tagesspiegel.de/be…rscheinlich/27362292.html


    Das wird (wenn erfolgreich) extrem spannend werden. Der Artikel 15 wurde in der Vergangenheit nie genutzt und im Grundgesetz sind die Enteignungszahlungen ja schwammig vormuliert im Allgemeinen (Artikel 14 Abwägung der Interessen aber keine Definition ob Marktpreis, Richtpreis oder was auch immer als Basis genommen werden soll).


    Das ist politisch-juristisch absolutes Neuland, gerade wenn es um Größenordnungen von 35 bis 50 Milliarden Euro geht und das nur für Berlin.


    Sollte so etwas am Ende nach jahrelangen Gerichtsprozessen durchgehen wäre es eine komplette Umwälzung von Eigentumsgarantien in unserem Rechtsstaat. Dazu dann noch die willkürliche Grenze von 3000 Einheiten, da wäre dann auch unklar ob eine nächste Regierung nicht 500 Wohnungen ansetzt, oder 10, oder gleich den gesamten Immobesitz.


    Auch lustig ist, das die Beliner Landesverfassung den Eigentümern in Berlin einen noch größeren Schutz zubilligt als der Bund:


    https://pswp.de/wp-content/upl…Beitrag-Wolfers_Opper.pdf


    Ich bin mal gespannt wie das bei der Wahl ausgeht. Was es heute schon gut zeigt, ist das die Umwälzungsprozesse durch die Ungleichheit der Besitzverhältnisse immer weiter voranschreiten wird. Heute noch Berlin "in den Anfängen", morgen weiss der Geier was bundesweit.


    Für mich ein weiterer Punkt Vermögen außerhalb der Staatskontrolle und des staatlichen Zugriffs zu parken. Irgendwann werden auch da Begehrlichkeiten auftauchen wo man sagt: wer mehr als X hat muss abgeben.

    Der Bote der Wahrheit braucht ein schnelles Pferd

  • Der größte Immobilienbesitzer Berlins ist die "Deutsche Wohnen SE" mit ca. 160.000 Wohnungen in Berlin. Bei dieser Aktiengesllschaft sitzt ja auch der Blackrock mit 11,5% Anteil, mit im Boot. Allein die Diskussion um die mögliche Enteignung hat deren Aktienkurs ordentlich angefeuert: Von 42, 4 € am 13.5., auf 51,5 € heute am 26.5.21. Wenn diese Wohnungen tatsächlich wieder ins Gemeineigentum zurückgeführt werden sollten, gibts fett Steuerzahlerkohle als Entschädigung an die Deutsche Wohnen, und die anderen. Denn eine Enteignung ohne Entschädigung wirds kaum geben.

    Zunächst hat die Stadt Berlin, so ab etwa 2005 bis 2010 zahlreiche Wohnungen für lau an Privatunternehmen verscherbelt: https://www.berliner-mieterver…/online/mm0106/010614.htm Jetzt soll der Steuerzahler diese Wohnungen für ein Vielfaches wieder zurückkaufen, nur um sie dann anschließend, zum sozial verträglichen Tarif, günstig vermieten. Eine (Steuer-) Geldverbrennungsmaschine ohnegleichen, die keine einzige neue Wohnung schafft.

    Die richtige Lösung wäre ein öffentlich geförderter Bau, nicht nur Neubau, sondern auch Sanierung, und Erweiterung bestehender Gebäude und Strukturen. Dann gäbs auch wieder sowas wie einen "Wohnungsmarkt", den es ja in Berlin zur Zeit eher nicht gibt.

  • Art. 15 wurde nie genutzt?

    Hmm, dann müssen die Bauern, deren Felder (1, 2, 3) nach Enteignung in Bauland umgewandelt wurden irgendwie anders enteignet worden sein.

    Selbstverständlich hat die Stadt die Grundstücke erst nach der Enteignung (10 Jahre juristischer Streit) in Bauland umgewandelt - wo kommen wir denn hin, wenn der Bauer dadurch den Reihbach macht und nicht die Stadt!


    Wäre ich jedenfalls internationaler Investor würde ich diesen Vorgang mit Argusaugen verfolgen und je nach Ausgang meine Investitionen in diesem Land abziehen oder erst gar nicht investieren.

    Gut für den privaten Immobilienkäufer, aber obs für die Wirtschaft insgesamt gut ist?


    Das Verlustrisiko von 100% des eingesetzten Kapitals durch verrückte Regierungen muss dann zwingend in die Investition eingepreist werden und der Ertrag muss das Risiko rechtfertigen. Ertragerhöhung durch Mieterhöhungen wird schwierig wegen Mietdeckel.


    Was würdet ihr denn tun, wenn bei einem eurer Assets ein 100% Verlust deutlich wahrscheinlicher wird, aber ihr die Rendite nicht steigern könnt?

    Ich würde einfach in andere Assets gehen.... Mir doch egal ob mein Erspartes hüben oder drüben Ertrag abwirft...


    Aber ich bin ja auch simpel gestrickt und verstehe die Antriebe dieser sinnvollen Enteignung wohl nicht.


    Und das Blackrocks Kurse feiern ist nicht nachvollziehbar. Glauben die im Ernst die bekommen einen fairen ausgleich? Das ich nicht lache. Abgespeist werden die über den gesetztlich festzulegenden Rahmen (Almosen!). Die Stadt Berlin ist ja bekannt für große Rücklagen. lol


    LG

    Bo

  • Von einem vielleicht erfolgreichen Volksbegehren, das bis zu einer eventuellen Verwirklichung noch verschiedene politische, bürokratische und juristische Hürden überspringen muss (und dies imho nicht schaffen wird) auf eine Gefährdung des persönlichen Vermögens zu schließen, scheint mir etwas weit hergeholt.


    Und wenn es tatsächlich zur Enteignung kommen sollte, dann werden DW und ihre Eigentümer sehr wohl in der Lage sein, eine angemessene Entschädugung juristisch durchzusetzen. Dabei werden sie sich nicht auf deutsche Gerichte beschränken müssen. Dass Berlin kein Geld hat, ist kein Argument. Als öffentlicher Akteur kann es sich umfangreich am Finanzmarkt bedienen. Das Schöne dabei: Damit leiht die Stadt sich letztlich auch wieder Geld bei privaten Anlegern. Die würden im Fall einer Enteignung also zweimal verdienen: Liquide Mittel (die derzeit mangels Anlagemöglichkeiten zugegebenermaßen ein Problem sind) und die Rendite aus der Kreditvergabe an die öffentliche Hand. Aber dazu wird es in der Form wohl nicht kommen.

  • Art. 15 wurde nie genutzt?

    Hmm, dann müssen die Bauern, deren Felder (1, 2, 3) nach Enteignung in Bauland umgewandelt wurden irgendwie anders enteignet worden sein.

    Selbstverständlich hat die Stadt die Grundstücke erst nach der Enteignung (10 Jahre juristischer Streit) in Bauland umgewandelt - wo kommen wir denn hin, wenn der Bauer dadurch den Reihbach macht und nicht die Stadt!


    Du musst juristisch unterscheiden zwischen "Überführung in Allgemeinwohl" und "Enteignung". Die Initiative will die Überführung die zwar auch mit Entschädigungen verbunden ist, aber juristisch ein ganz anderer Schnack ist.


    Die Enteignung findet hundertfach im Jahr in Deutschland statt für Autobahnbau, Bahnhofsbau, Braunkohledorfwegbuddelabbau etc.


    Das jetzt neue ist eben gerade der gewählte Weg der Überführung und dieser wurde bisher nie beschritten, eröffnet neue Möglichkeiten und wenn er begangen wird kann man damit die Büchse der Pandora öffnen für Umverteilungsphantasien.


    Artikel 15 ist gesondert zu sehen von Artikel 14 GG. Er bezieht sich nur bei Entschädigungen auf die 14 und dann bleibt immer noch die Frage der Höhe der Entschädigung.


    Ist dann auch immer eine Frage wie das höchste "Gericht" zu der Entscheidungszeit politisch ausgerichtet ist von der Besetzung her.

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  • Oh man, schon wieder so ein Faden, teilweise getrieben von Angst und ohne tiefe Substanz.


    Wir leben in einer Zeit, in der Volksbegehren und Petitionen stark zunehmen. Anscheinend haben einige zu viele Zeit. Sei es drum, es ist ihr Recht.


    Gerade das linke Berlin hat immer wieder Probleme damit, dass es stark wächst. Und wo kommen die Wohnungen her? Von Unternehmen.

    Was wäre, wenn der Staat Wohnungen managen würde? Dann würden viele über Klüngel und Misswirtschaft heulen.


    Zur Frage der Enteignung gibt es auch mehrere Rechtsgutachten, die im Netz zur Verfügung stehen:


    Gutachter: Kann Berlin die Deutsche Wohnen enteignen? (lto.de)


    Viel Spaß beim lesen - ich erwarte dann einmal von einer hierzu berufenen Person eine Zusammenfassung mit Subsumtion :winking_face:


    Und zu Vergesellschaftung und Enteignung ein kurzer Artikel:

    Microsoft Word - WD 3-115-19_AB_Die Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG und die Vergesellschaftung_RedGr_final.docx (bundestag.de)




    Der Wohnungsbau durch den Staat dürfte eher scheitern. Also machen es Unternehmen, die natürlich Geld verdienen wollen - und das im linken Berlin. Natürlich kommen da einige auf die Idee, von ihrem Recht Gebrauch zu machen. Na und? Wo ist jetzt das Problem? Glaubt hier ernsthaft jemand, die Unternehmen würden enteignet oder das Eigentum vergesellschaftet werden?


    Diese Diskussion ist doch auch wirklich nicht neu. Der Artikel aus #1 ist aus dem Jahr 2019 und verweist auf eine Initiative aus 2018. Geschrieben wurde er von einer Kanzlei POSSER SPIETH WOLFERS & PARTNERS , die -was für ein Wunder- eine Abspaltung von Freshfields ist und sich mit Öffentlichem Wirtschaftsrecht befasst. So ein Zufall, da gründet sich eine Kanzlei 2018 neu und schreibt gleich einen Meinungsartikel in einer juristischen Fachzeitschrift über eines der Kernthemen, in dem sie tätig ist. Nun, das könnte auch der Mandatsgewinnung dienen, oder?



    Für mich ein weiterer Punkt Vermögen außerhalb der Staatskontrolle und des staatlichen Zugriffs zu parken. Irgendwann werden auch da Begehrlichkeiten auftauchen wo man sagt: wer mehr als X hat muss abgeben.


    Aha. Leider habe ich noch nicht gehört, wie das Vermögen außerhalb einer Staatskontrolle geparkt werden soll. Wann erfahren wir hier näheres?


    Wäre nicht das eine sinnvolle Information zur Vorbereitung auf Krisen?




    Die Enteignung findet hundertfach im Jahr in Deutschland statt für Autobahnbau, Bahnhofsbau, Braunkohledorfwegbuddelabbau etc.


    Tja, irgendwo müssen die ganzen Wohnungen ja stehen, die gebaut werden sollen. Und irgendwo müssen die Autobahnen hin, damit wir mit dem Wohnmobil nach Spanien können. Und da Energiewende mit Solarausbau doof ist, müssen Dörfer für den Tagebau weg, damit dann später Seen entstehen können. Klar ist Enteignung nicht schön - aber wer profitiert davon? Wir alle.

  • Oh man, schon wieder so ein Faden, teilweise getrieben von Angst und ohne tiefe Substanz.


    Hallo mueller,


    unterlass bitte diese Unterstellungen. Hier ist überhaupt keine Angst vorhanden sondern eine Beobachterposition wie sich das rechtlich entwickelt weil es wirklich Neuland ist und je nachdem wie so etwas in Zukunft ausgehen wird wenn es das erste mal Durchexerziert wird starke gesamtgesellschaftliche Auswirkungen haben kann.


    Die Substanz kann dir keiner liefern, weil es eben ein neues Vorgehen ist und wir hier wohl alle keine höheren Richtergrade sind.


    Zum Parken von Vermögen außerhalb staatlicher Kontrolle habe ich in genügend anderen Fäden genug geschrieben, dass solltest du auch sehr gut wissen weil du häufig anderer Meinung bist 8was auch vollkommen ok ist).


    Fachartikel werden übrigens immer in dem Bereich veröffentlicht wo die jeweilige Kanzlei oder Law Firm tätig ist. Das isr normales Gebahren zur eigenen Reputation und auch Kundengewinnung. Machen hunderte andere Firmen und Organisationen auch, auch welche die dir vielleicht genehmer sind.


    Also, unterstell mir bitte weder Angst noch sonst irgendwas, ich habe den Eingangspost neutral gehalten und lediglich darauf hingewiesen das es eine interessant zu beobachtende Entwicklung ist.

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  • Lieber Bärti,


    bitte entschuldige, da habe ich Dich wohl missverstanden. Ich hatte den üblichen bedrohlichen Nachsatz wie


    Irgendwann werden auch da Begehrlichkeiten auftauchen wo man sagt: wer mehr als X hat muss abgeben.


    wohl falsch interpretiert.


    Fachartikel werden übrigens immer in dem Bereich veröffentlicht wo die jeweilige Kanzlei oder Law Firm tätig ist. Das isr normales Gebahren zur eigenen Reputation und auch Kundengewinnung. Machen hunderte andere Firmen und Organisationen auch, auch welche die dir vielleicht genehmer sind.


    Nun, ein fachlicher Diskurs ist immer gut. Aber dies war nun wirklich kein Fachartikel sondern nur eine "Meinung" und ist daher in der Rubrik "Standpunkt" veröffentlicht worden. Also eher ein Kommentar als eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Thema.




    Zum Parken von Vermögen außerhalb staatlicher Kontrolle habe ich in genügend anderen Fäden genug geschrieben,


    OK, stimmt. Du hast viel über Gold und andere Edelmetalle geschrieben. Ob diese aber außerhalb der staatlichen Kontrolle liegen, bezweifele ich. Daher meine Nachfrage.

  • Hi Müller,


    ein paar Dinge hierzu:


    Der „bedrohliche" Nachsatz resultiert aus Diskussionen mit Kollegen aus dem Anwaltsbereich (nein, ich bin kein Anwalt sondern ein Abteilungsleiter einer Support-Abteilung) genau über den Bezug Immos/Grund und Boden und Artikel 14 und theoretisch möglichen Folgen die weitergehend sein könnten. Die mit denen ich darüber spreche sind auch nicht irgendwelche Hirsels, sondern Anwälte die sehr hoch in der Hierarchie im deutschen Rechtsgeschäft stehen. Ich arbeite noch (ich wechsele demnächst) seit 16 Jahren in einer der größten Law-Firms weltweit. Im deutschen Markt ist die Thematik ein Thema und nicht zu klein.


    Erzähl mir auch bitte nichts wie warum und wann in diesem Bereich Fachartikel verfasst werden, wenn du den Bereich überhaupt nicht kennst, insbesondere dessen Beziehungen, Verpflichtungen etc.

    Sorry, es war ein Fachartikel, aber sei es drum, nimm ihn als Meinungsartikel das macht keinen Unterschied.


    Und, ich halte gerade EM auch weiterhin für einen guten, vom Staat nicht nachverfolgbaren Besitz, aber das ist nicht das Thema hier.

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  • Der Kern des Problems ist doch ein anderer: der Konflikt zwischen renditehungrigen Investoren und den Menschen, die zu kämpfen haben, ihr Dasein zu finanzieren (Stichwort (Unter-) Mindestlohnbeschäftigte, Geringverdiener, Rentenmütter etc.). Und von dieser Gruppe gibt es leider sehr viele, nach einer Veröffentlichung des DGB gab es 2017 in D rund 23 Mio. sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigte und 22 Mio. "atypisch" Beschäftigte, das sind Minijobber und Teilzeitbeschäftigte.


    Es ist zwangsläufig ein Problem, wenn die grundlegenden Dinge der Daseinsvorsorge privatisiert werden und Rendite erwirtschaften müssen, die das Unternehmen verlässt (Dividenden, Zinszahlungen), dann wird eine Preisspirale in Gang gesetzt und die "Produkte" dieser Unternehmen werden immer teurer, oft wird dabei gleichzeitig die Unternehmenssubstanz lediglich genutzt, aber nicht mehr gepflegt oder in sie investiert. D.h. das Unternehmen wird auf Verschleiß gefahren, um die Rendite weiter zu maximieren. Dabei ist es egal, ob es sich um Wasserwerke, Stromproduzenten, Verkehrsdienstleister oder Wohnraumvermieter handelt.

    Ganz krass ist das an Altersheimen zu beobachten: googelt mal "Seniorenresidenz Rendite", ihr werdet staunen. Das ist der Hauptgrund, warum ein Platz im Pflegeheim monatlich 2.000-4.000 Euro kostet, je nach Pflegegrad und Zimmergröße und das Personal dennoch unterbesetzt, unterqualifiziert und selbst prekär beschäftigt ist.

    Oder im öffentlichen Nahverkehr: in der Region Stuttgart wurde der Betrieb der Regionalbahnstrecken vor zwei drei Jahren neu ausgeschrieben, der bisherige Betreiber Deutsche Bahn wurde vom niederländischen Konzern Abellio krass unterboten und Abellio bekam den Zuschlag, den Stuttgarter Regionalbahnverkehr betreiben zu dürfen. Jetzt verlangt Abellio kräftige Zuschüsse vom Land und droht offen damit, in die Insolvenz bzw. ein Schutzschirmverfahren zu gehen, wenn der Staat nicht deutlich mehr zuzahlt. Das ist einfach nur schamlos und niederträchtig. D.h. der Steuerzahler darf hier nun mit dreistelligen Millionenbeträgen aushelfen, damit der "günstigste Bieter" seinen Schmalspurservice überhaupt weiterbetreibt.


    Ein Problem bei gewinnorientierter Wohnungsvermietung ist, dass die Vermieter keinerlei Druck haben, ihre Bestandswohnungen nachhaltig und energieeffizient zu betreiben. Der Mieter zahlt ja die Energiekosten komplett und künftig auch noch die CO2-Steuer, wenn seine Bude mit einer fossilen Heizung befeuert wird.


    Ein anderes Problem ist die Gentrifizierung, dass man also Bestandsbauten entmietet und auf ein erheblich höheres Niveau saniert, um sie dann an zahlungskräftige Kundschaft für ein mehrfaches an Quadratmetermiete vermieten zu können. Es werden also weniger zahlungskräftige Mieter aus den Wohnunge verdrängt, der soziale Friede gefährdet.


    Was in Berlin abgeht, ist allerdings ein selbstverschuldetes Problem der Stadt. Hätte man die stadteigenen Wohnungen nicht vor 20-30 Jahren verhökert, bräuchte man sie auch nicht wieder zurückkaufen. Natürlich verunsichern Enteignungsverfahren bzw. -drohungen die Vermieterbranche. Andererseits gefährden die derzeitigen Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt eindeutig den sozialen Frieden. Siehe oben: die Hälfte der Beschäftigten in D kann sich Wohnraum von gewinnorientierten Vermietern jetzt schon nicht mehr oder bald nicht mehr leisten.


    Der soziale Wohnungsbau muss gemeinnützig bleiben (bzw. es wieder werden) und darf nicht als Renditevehikel für Investoren dienen. Auf dem "normalen" Wohnungsmarkt können sich privatwirtschaftliche, gewinnorientierte Vermieter von mir aus austoben, wie sie wollen. Nicht aber auf dem Wohnungssektor für sozial Schwache (und dazu zähle ich auch Altersheim- und Pflegeheimplätze für Menschen mit niedrigen Rentenbezügen). Das ist der Fehler im System und aus meiner Sicht auch ein berechtigter Grund für staatliche Eingriffe. Den Fehler haben allerdings die Städte gemacht, als sie ihre Sozialwohnungen en bloc abgestossen haben, um sich kurzfristig Kapital zu beschaffen.


    Grüsse

    Tom

    Einmal editiert, zuletzt von tomduly ()

  • Hi Tom,


    sehe ich genau wie du. Interessant ist es aber einen Schritt weiter zu gehen und diese Entwicklung mal ins Extrem zu überziehen (darum ging es unter anderem bei meinen Diskussionen mit den Partnern in der Law-Firm). Hast du eine Gesellschaft "geschaffen" die quasi mit immer geringerem Mittelstand in (viele) Arme und (wenige) Reiche aufgeteilt wird und wenn dazu noch viele Arme immer mehr Schwierigkeiten haben die Grunddaseinsvorsorge alleine Meistern zu können, dann verschieben sich die politischen und damit verbunden aus die gesetzgebenden Machtverhältnisse.


    Das ist dann der Punkt erreicht, wo Eigentum "bedroht" ist, auch wenn es nach der Menschenrechtskonvention garantiert ist, aber mit „Einschränkungen":


    https://www.menschenrechtskonvention.eu/eigentum-9388/


    Was wir hier in Berlin sehen ist ein erstes "Aufbegehren" wobei keiner weiss wie es ausgehen wird. Wahrscheinlich ist natürlich, dass ein solches Begehren abgeschmettert werden würde, denn sonst würde unser ganzes System in Frage gestellt werden müssen bezüglich der Rechtssicherheit von Immos. Aber heute weiss halt keiner wohin der Hase laufen wird und das macht es spannend. Und wenn es doch "durchgehen" würde, dann hätte man die Box der Pandora geöffnet. Mir ging es eher um diesem "abgehobenen", theoretischen Ansatz was passiert, wenn wir hier keinen gesellschaftlichen Konsens mehr erhalten können. Es gibt dafür Tendenzen die jetzt noch im Kleinen genau in diese Richtung gehen, aus genau den Gründen die du geschrieben hast.

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  • Der soziale Wohnungsbau muss gemeinnützig bleiben (bzw. es wieder werden) und darf nicht als Renditevehikel für Investoren dienen. Auf dem "normalen" Wohnungsmarkt können sich privatwirtschaftliche, gewinnorientierte Vermieter von mir aus austoben, wie sie wollen.

    Das hat was für sich, aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Die Bedingungen für den gemeinnützigen Wohnungsbau sind hierzulande schwierig (in Österreich beispielsweise besser, in der Schweiz durch ein spezielles Genossenschaftssystem zumindest anders, in vielen anderen Ländern noch schlechter, weil praktisch nicht vorhanden). Das liegt unter anderem daran, dass die Wohnungsgemeinnützigkeit in den 1980er abgeschafft wurde ("Neue Heimat" - die ganz Alten erinnern sich). Eine weitere Besonderheit ist die Befristung der Sozialbindung, die es so afaik in keinem anderen Land gibt.


    Dazu kommt, dass die Privatinvestoren ja nicht wie Invasoren über den deutschen Wohnungsmarkt gekommen sind. Die haben schlicht Kohle mitgebracht, die der Staat nicht aufbringen wollte. Die Wohnungen, die sie mit privatem Geld gebaut oder renoviert haben (ist ja nicht so, dass die ausschließlich Bestände kaufen und runterrocken), hätten sonst öffentliche Wohnungsbauunternehmen finanzieren müssen, letztlich mit Steuern, oder Genossenschaften hätten die bauen müssen. Dabei hätte die "Finanzierung" auch nur zum Teil in der für die Genossen nicht nötigen Gewinnerzielung gelegen, zum anderen Teil auch wieder in Steuervorteilen und damit letztlich bei der Gemeinschaft der Steuerzahler. Und öffentliche Unternehmen bringen auch immer die Gefahr von Ineffizienz und Korruption mit sich (siehe wieder "Neue Heimat"). Zumindest ersteres treiben die Shareholder den Privaten gründlich aus.


    Ein weiteres Problem ist, dass der "normale" Wohnungsmarkt ja nicht "normal" bleibt, zumindest nicht in Städten mit starkem Zuzug. Da steigen die Preise so stark, dass sich Normalverdiener zunehmend keine Wohnungen mehr leisten können. Die stecken in einer Falle: Sie verdienen zu viel für ein Anrecht auf eine Sozialwohnung und zu wenig, um auf dem freien Wohnungsmarkt zum Zug zu kommen. Jetzt könnte man einfach die Einkommensgrenzen für Sozialwohnungen hochsetzen. Nur drücken die Leute dann noch mehr auf die zu wenig vorhandenen Sozialwohnungen. Davon müssten dann noch mehr gebaut werden, und das wieder mit Geld aus der Steuerkasse oder Staatsschulden.


    Letztlich wird es keine große Lösung geben, weder durch Enteignungen noch durch mehr privaten Wohnungsbau. Das Grundproblem, dass Fläche nicht beliebig vermehrbar ist (kann man schon bei diversen Nationalökonomen des 19. Jahrhunderts nachlesen) und dass immer mehr Menschen in die Städte streben, lässt sich so einfach nicht auflösen.

  • Und öffentliche Unternehmen bringen auch immer die Gefahr von Ineffizienz und Korruption mit sich (siehe wieder "Neue Heimat"). Zumindest ersteres treiben die Shareholder den Privaten gründlich aus.


    Ja, leider. Auch bei gewerkschaftsnahen Unternehmen wie beim Handelskonzern coop (da habe ich mir immer ein Eis als Kind gekauft...).


    Mir ist nicht gekannt, dass Staatskonzerne oder gewerkschaftsnahe Konzerne jemals in D gut funktionierten. Irgendwann kommt die Politik ins spiel und dann ist es aus mit der Wirtschaft.


    @ Bärti (nur ganz kurz):

    Ich weiß doch was Du arbeitest.... (das hattest Du mir doch alles bereits einmal erzählt - damals nanntest Du Dich allerdings glaube ich "Bürovorsteher").

    Ich nehme noch einmal unseren alten Vergleich: Auch eine Krankenschwester macht sehr gute Arbeit und spricht viel mit Ärzten, kann sogar Neulingen viel beibringen. Dennoch würde ich mich lieber vom Arzt operieren lassen.


    Natürlich ist es wichtig, auch ein klassisches Bedrohungsszenario aufzubauen, um zu wissen, was in der Theorie passieren kann. Wichtig ist dabei allerdings zu beachten, wie groß die Wahrscheinlichkeit dabei ist.

  • Ich kenn nur die beiden österreichischen Modelle des gemeinnützigen Wohnbaus.

    Das erste die Gemeinde baut selbst und vergibt diese Wohnungen an die von ihr festgelegten Bedürfdigenkreis (zB Bedürftige, junge Alleinerziehende usw) ab. Hier entsteht die Thematik von Entstehung von sozialen Brennpunkten und Vergabe nach ‚persönlichen Belieben’ , weil der Bedarf nie gedeckt ist. Die Betriebskosten/Miete werden individuell angepasst.


    Bei Variante zwei den Wohnbaugenossenschafften muss bei Einstieg in die Genossenschaft ein sehr hoher Genossenschaftsanteil einbezahlt werden. Die Anteil verringert sich von Jahr zu Jahr um einen Prozentsatz oder fixen Betrag, Sodas er nach ca. 15 bis 20 Jahren aufgebraucht ist. Die Die Betriebskosten sind eher hoch im Vergleich zu einer am freien Markt gemieteten Wohnung.
    Jedenfalls ist es eine KapitalVernichtung, wenn der Einstiegsanteil fremdfinanziert wird.
    Die Schaffung von Eigentum wird dadurch fast unmöglich.

    Ich sehe auch den geringen Anteil an Wohneigentum in Deutschland 42%, wie auch Österreich 55%als größtes Thema und die Erhöhung dessen als Lösung des Themas. (Griechenland 75% Spanien 76%)


    Gruß Kcco

    Gsund bleiben

    Keep clam and chive on

  • Die Anteil verringert sich von Jahr zu Jahr um einen Prozentsatz oder fixen Betrag, Sodas er nach ca. 15 bis 20 Jahren aufgebraucht ist.

    Dann haben eure Wohnungsbaugenossenschaften irgendwie ein anderes Konzept als in Deutschland. 🙄🤷‍♂️

    Ich hatte in Hamburg eine zeitlang eine Genossenschaftswohnung.

    Da wurden zu Anfang Anteile "gekauft". Mit diesen Anteilen erwarb man einen grundsätzlichen Anspruch auf eine Genossenschaftswohnung und konnte bei Vorliegen der Voraussetzungen (Wohnberechtigungsschein, der an das verfügbare Haushaltseinkommen gekoppelt war) und einer verfügbaren Wohnung dieselbige auch beziehen.


    Jedes Jahr gab es einen Rechenschaftsbericht. Aus dem ging klar hervor, was mit den erwirtschafteten Geldern angestellt wurde. In der Regel Renovierungs- und Sanierungsmaßnahmen, Reparaturen, Rücklagenbildung, Neubau... Was besonders nett war: es wurde auch stets eine Art "Dividende" ausgeschüttet, so dass am Ende des Tages eine größere Summe verfügbar war als vorher.


    Aber klar, Wohneigentum im klassischen Sinne sieht anders aus. Aber die Wohnungsbaugenossenschaften, die ich kenne, legen großen Wert auf Werterhaltung und investieren in ihren Bestand, so dass er eben nicht verlottert wie die Bestände von so mancher Heuschrecken-Wohnungsgesellschaft.

    aus Niedersachsen, DE gesendet...


    "Der Klügere gibt nach! Eine traurige Wahrheit, sie begründet die Weltherrschaft der Dummheit." Marie von Ebner-Eschenbach


    Dorfleben. Entweder du liebst es oder du liebst es nicht. Es gibt kein Versuchen!


    "Dein Rad kann viel mehr, als du ihm zutraust. Das findet schon seinen Weg. Einfach laufen lassen, wenig bremsen, den Flow finden." (ein Freund zu einem Silk Road Mountain Race Teilnehmer)

  • Wenn man bei viel-gehypten Wiener Modell mal hinter die Fassade schaut bleibt vom verklärten Blick aus deutschen Metropolen nach Wien am Ende auch nicht mehr viel ünrig:


    https://www.spiegel.de/wirtsch…fb-4429-9057-2e2141713bc5

    Haha, selten so viel Blödsinn in einem Artikel gelesen.


    Ich habe einige Jahre in Wien in einem Gemeindebau, Baujahr 1923 gelebt. 65m², 2 Zimmer Wohnung, frisch saniert, für 470 Euro Miete inkl. Betriebskosten. So günstig wohnst du sonst nirgends, außer wenn du schon Jahrzehnte eine Gemeindebauwohnung hast, wie mein Schwiegervater. Der sitzt alleine (geschieden) in einer 92m² Gemeindebauwohnung und zahlt dafür 290€ Miete inkl. Betriebskosten.


    Das Gute für Geringverdiener ist auch, dass du keine Kaution oder Provision bezahlen musst. Du ziehst einfach ein. Und alle Verträge sind unbefristet. Das heißt, wenn du immer deine Miete bezahlst, bringt dich niemand aus deiner Wohnung raus, bis du stirbst.


    Dass Wien eine der schönsten und lebenswertesten Städte der Welt ist, wird jedem klar sein, der schon mal dort war und in der Welt etwas rumgekommen ist. Das gilt für den Interviewpartner wohl nicht.

  • Empirica ist halt ein Dienstleister für die Immobilienwirtschaft. Dass der die frei wirtschaftenden Akteure in dem Gebiet propagiert, ist nicht verwunderlich.


    Nach meiner Auffassung sind die betriebswirtschaftlichen Negativzahlen, die es in einigen Bereichen des öffentlichen Wohnungsbaus in Wien wohl gibt, nicht wirklich ein Gegenargument. Auch öffentlicher Wohnungsbau setzt die ökonomischen Zusammenhänge nicht außer Kraft. Wenn ich niedrige Mieten anbiete als sie marktüblich wären, dann muss an irgendeiner Stelle ein Defizit auflaufen. Das ist halt eine politische Entscheidung, dass man lieber das eine will und dafür das andere in Kauf nimmt.


    Sicher wird auch in Wien nicht alles positiv sein. Was ich gelesen habe, sind zum Beispiel sehr hohe Hürden, um neu in Gemeindewohnungen hinein zu kommen, weil die Mietverträge auch vererbt werden. Das wiederum führt unter anderem dazu, dass der frei finanzierte Anteil am Wiener Wohnungsmarkt extrem teuer sein soll. Wie gesagt: Habe ich nur aus Sekundärquellen.

  • Was ich gelesen habe, sind zum Beispiel sehr hohe Hürden, um neu in Gemeindewohnungen hinein zu kommen, weil die Mietverträge auch vererbt werden.

    Naturgemäß ist die Wartezeit auf eine Gemeindewohnung sehr lange, weil viele so eine günstige Wohnung haben wollen.


    Aber das Erben von Mietverträgen ist mittlerweile sehr schwierig geworden. Du musst glaube ich zumindest 2 Jahre vor dem Ableben des Hauptmieters auch in der Wohnung gemeldet sein, wenn du die Möglichkeit haben willst. Außerdem wird der Mietzins auf das marktübliche Niveau angehoben. Das heißt die Wohnung meines Schwiegervaters würde mich statt 290 dann wohl eher 700 Euro kosten. Immer noch günstig, aber erheblich teurer als zuvor.

  • Es stimmt, dass du als Erbe und Nachmieter einer Gemeindewohnung eine neu angepasste Miete zu bezahlen hast. Wenn, wie bei meiner Mutter, seit 50 Jahren bewohnt, macht das eine deutliche Erhöhung aus. Um die Wohnung als direkter Nachkomme zu erben, musst du dort nicht gemeldet sein.

    Wenn du die Wohnung ohne Erbanspruch "übernehmen" willst (egal ob der Vormieter stirbt oder ausziehen will), musst du mindestens 2 Jahre dort gemeldet gewesen sein. Dafür musst du mit dem Vormieter nicht verwandt sein, betrifft also zB "Lebensabschnittspartner"...