Die Türkei ist de facto seit Jahren neutral und nur noch de jure Natomitglied. (Von daher ist auch das russische Geheule über die Natormitgliedschaft Schwedens und Finnlands substanzlos.)
Allerdings kann sich die Nato bzw. die Hegemonialmacht USA einen Ausschluss nicht leisten, so lange die Türkei nicht ganz auf die russische Seite übergeht, und das nicht nur aus der Projektion einer künftigen militärischen Gegnerschaft heraus. Dazu muss man sich nur mal die Geografie anschauen. Mit der Türkei kann die Nato den Mittelmeerzugang Russlands blockieren und Russland im Kaukasus bedrängen bzw. hat einen direkten Landzugang zu den dortigen Konfliktstaaten an der Flanke Russlands. Die USA selbst hat damit zudem einen Verbündeten, der direkt an den Feindstaat Iran angrenzt, logistisch günstig zum Interessengebiet im Nahen Osten liegt und zumindest einen Luftfahrtzugang zum Mittleren Osten bietet. Angesichts dieses Werts der Türkei muss man in Washington akzeptieren, dass Erdogan sich sehr viele Freiheiten herausnimmt.
Umgekehrt wird es sich aber auch die türkische Regierung gut überlegen, wie weit sie gehen kann. In Äquidistanz zu USA und Russland hat sie gegenüber beiden viele Freiheiten. Wenn sie aus der Nato aussteigen würde, müsste sie sich stärker Russland unterordnen. Außerdem wird der Nachbar Iran, mit dem nach nicht zuletzt aus religiösen Gründen verfeindet ist, durch die US-Präsenz in der Türkei stärker zurückgehalten als es der Türkei alleine gelingen würde. Und nicht zuletzt kann man in wirtschaftlich schwierigen Zeiten natürlich mehr Unterstützung der USA beanspruchen, wenn man offiziell noch Bündnispartner ist.