Ausbau und Digitalisierung der Halbleiterindustrie in Europa möglich?

  • Wird man es in Europa schaffen eine größere Halbleiterindustrie aufzubauen?

    Die Abhängigkeit gegenüber Asien ist hier schon sehr stark und sollte der Fall eintreten und Lieferprobleme (China vs. Taiwan) auftreten, wären ziemlich viele Bereiche betroffen. Dann würde der Alltag wie wir ihn heute kennen nicht mehr lange aufrecht zu erhalten sein.

    Gibt es auch etwas, wie man sich persönlich auf so ein Szenario vorbereiten kann?

  • Ich sage es mal etwas provokant. Der Mensch hat tausende von Jahren ohne Halbleiter gelebt.

    Er wird es auch schaffen mit weniger zu überleben.

  • Europa muss bei der Chipproduktion kleine Brötchen backen. Selbst die in den Startlöchern stehenden Neubauprojekte (Intel Magdeburg, TSMC/Infineon/Bosch in Dresden) werden nicht die Spitze des technisch möglichen produzieren können, sondern etablierte Brot-und-Butter-Technologien umsetzen. TSMC spricht von 28nm-Prozessen, die man sich in Dresden vorstellen könne, wenn Bosch und Infineon mitziehen. Die schon seit Jahren in Dresden ansässige Globalfoundries-Fab produziert 22nm-Chips.


    Die Spitze der Chiptechnik ist gerade bei 3nm (Intel USA, Samsung, TSMC TW), Davon sind wir in Europa eine Größenordnung entfernt. Und das lässt sich auch nicht mal soeben aufholen. Und wenn Taiwan als Lieferant (60% des Weltmarkts an Chips) ausfallen sollte, dann kollabieren alle produzierenden Unternehmen, die diese Chips benötigen. Da sind auch Branchen dabei, um die es nicht schade ist, wenn sie schrumpfen: Krypto-Mining, Gaming-Grafikkarten, Spielkonsolen, Smartphones alle 2 Jahre neu usw.

    Die Autoindustrie macht nur 5% des Umsatzes bei TSMC aus. Die überlebt einen Ausfall Taiwans.

    Spannender wird es mit Apple, NVIDIA und allen, die leistungsfähige Grafik-Gadgets herstellen (Tablets, Notebooks etc.).


    Ansonsten wäre das ein Anlass, Produktion stärker als Kreislaufwirtschaft zu sehen und weniger auf Ex&Hopp. Also langlebigere Produkte und reparierbare Produkte. Die Chips als solche gehen ja eigentlich nicht kaputt. In unseren Lebensdauertest weisen wir bei Chips 20 Jahre durchgehenden Vollastbetrieb nach, ohne Ausfälle. Man muss halt die Randbedingungen bezüglich Temperatur und Spannung einhalten, dann hält ein Chip praktisch unbegrenzt.


    Die Gier nach immer kleineren Chipstrukturen wird ja durch künstlich geweckte Nachfrage bestimmt: Fernsehen&Video funktionierte 50 Jahre lang in VGA-Auflösung. Heute gilt FullHD schon als veraltet, 4K/UHD ist der Standard, 8K steht in den Startlöchern. Die Streaming- und Gaming-Industrie ist der Haupttreiber dabei. Wirklich notwendig ist das nicht, um im Alltag über die runden zu kommen, sein Land zu verteidigen, Lebensmittel zu produzieren, Wissen zu vermitteln, Spaß zu haben.


    Wenn man es mal auf die wirklich wichtigen Bereiche reduzieren würde, dann blieben als kritische Chip-Anwender

    - Verteidigung (Radarsysteme, Navigation, Lageregelung)

    - Gesundheit (med. Diagnostik, med. Implantate etc.)

    - Luftfahrt (& Raumfahrt - ist in Sachen Chips eher erzkonservativ)

    - Kommunikation (Breitbandnetze, 5G-Ausbau, Satellitenkommunikation)

    - Steuerungstechnik (Automatisierung, Verkehr, Maschinenbau)

    - Datenverarbeitung (Server, PCs, BigData/KI, Überwachungstechnik)

    - Leistungselektronik (Ansteuerung von Motoren, Generatoren, Wandler, Laderegler, Laser)

    - Sensortechnik (MEMS, Hall-Sensoren, Bildsensoren, Radar-Chips/Terahertz-Technik)


    Und eben die weniger wichtigen Bereiche

    - Krypto-Mining-Hardware

    - Mobiltelefone, Tablets, Spielkonsolen, Gaming-PCs

    - Unterhaltungselektronik (Beamer, TVs, Musiksysteme, Licht-/Tontechnik in der Event-Branche)


    Was bei einem Ausfall Taiwans ernsthaft betroffen wäre, hab ich mal markiert.


    Wie kann man sich auf so etwas vorbereiten?

    - beruflich: keine Job in einer der unterstrichenen Branchen haben

    - privat: seine persönlichen Gerätschaften auf dem laufenden Halten, vielleicht mal ohnehin fällige Erneuerungen bei IT-Technik angehen. Wer technisch versiert ist, kann sich ggf. auch Elektronikkomponenten als Ersatzteil auf Lager legen (z.B. Steuergerät E-Bike oder Wechselrichter/Solarregler der PV-Anlage). Grundsätzlich bei Geräteanschaffungen auf Langlebigkeit, Reparierbarkeit und große Verbreitung achten.

  • ...ich weiß. Mir ging es um das Angebot von Massenware in den Mediamärkten und im Onlinehandel. Da ist das Angebot an 16k-Geräten noch überschaubar. Und für Messen zusammengetackerte Einzelstücke zum 6stelligen Preis zähle ich auch nicht mit.

  • ok, 28nm ist schon etwas angestaubt, aber AMD A10 wurden zum Beispiel damit gemacht, als Client prinzipiell auch heute noch ausreichend. 22nm wäre schöner, da wäre man bei Intel in der Core iX Generation, damit lässt sich schon gut arbeiten.

    Mindestens zwei Stufen in der CPU Fertigung könnte man sich sparen wenn endlich mal sauber programmiert werden würde. Aber wenn heute Webseiten eine größere Codebasis haben als früher Betriebssysteme (inklusive grafischer Oberfläche) braucht man sich nicht wundern. Und ja, damit schimpfe ich nicht nur auf Windows, auch unter Linux wird Software so zusammengekittet, dass eine saubere Installation nicht mehr möglich ist und dann kommt eine Abstraktionsschicht und Middleware zur anderen, bisher war es halt günstiger den ganzen Haufen Dreck (man verzeihe meinen Ausbruch) mit Hardware zuzuschütten.

  • Ich sage es mal etwas provokant. Der Mensch hat tausende von Jahren ohne Halbleiter gelebt.

    Er wird es auch schaffen mit weniger zu überleben.

    Nur ist halt jetzt vieles darauf ausgelegt. Ist wohl auch nicht so leicht, technisch wieder einige Schritte zurück zu machen. Wenn man sich ein paar Menschen ansieht, dann kennen die sich ja nicht einmal mehr mit einen Stadtplan aus. Wenn ihnen Google Maps nicht genau sagt, wo sie langgehen sollen, kommen sie nie an.

    Wirklich notwendig ist das nicht, um im Alltag über die runden zu kommen, sein Land zu verteidigen, Lebensmittel zu produzieren, Wissen zu vermitteln, Spaß zu haben.

    Stell es mir nur schwer vor, da alle Bereiche wieder down zu graden. Sicherlich geht es auch ohne, nur wie lange dauert da der Umstieg?

    Wenn jetzt die Autos keine Sitzheizung mehr haben, wird man es überlegen. Aber du führst ja auch Bereiche an, bei denen es anscheinend kritisch werden kann.

    Wie kann man sich auf so etwas vorbereiten?

    - beruflich: keine Job in einer der unterstrichenen Branchen haben

    - privat: seine persönlichen Gerätschaften auf dem laufenden Halten, vielleicht mal ohnehin fällige Erneuerungen bei IT-Technik angehen. Wer technisch versiert ist, kann sich ggf. auch Elektronikkomponenten als Ersatzteil auf Lager legen (z.B. Steuergerät E-Bike oder Wechselrichter/Solarregler der PV-Anlage). Grundsätzlich bei Geräteanschaffungen auf Langlebigkeit, Reparierbarkeit und große Verbreitung achten.

    Ja wäre auch interessant sich da ein kleines Packet zusammenstellen zu können. Zumindest mit den wichtigsten Dingen.

    Ich trau mir zwar nicht zu meine Geräte selbst zu reparieren, aber da könnte man dann ja jemanden finden im Fall der Fälle.


    Heißt also im Grunde, wir in Europa brauchen uns gar nicht erst einreden, wir könnten es ohne Asien auf dem Chipmarkt schaffen?

  • Sollte Taiwan als Chip-Schmiede ausfallen, würde das ja nicht den globalen Rückfall in die Steinzeit bedeuten, aber man bräuchte vermutlich +/-5 Jahre, um das zu kompensieren. Vorausgesetzt, die dafür in Frage kommenden Standorte (Südkorea und USA) werden nicht zeitgleich beeinträchtigt. Besonders geschützt sind Chipfabriken ja nicht.


    Im Bestand müsste man diese Zeit mit dem vorhandenen Equipment überbrücken. Das sollte kein allzugroßes Problem sein. Am ehesten dürfte es bei Festplatten in Rechenzentren zu Herausforderungen kommen. Wenn Festplatten wegen fehlender Chips nicht produziert werden können, dann können defekte Festplatten nicht einfach ausgetauscht werden, wie bisher. Bei Dauerbetrieb halten Serverfestplatten so 3-5 Jahre, je nach Betriebsbedingungen (Temperatur, Ein-/Ausschaltzyklen) und Modell. Das gilt natürlich auch für IT-Systeme in rauer Umgebung (z.B. zur Steuerung von Produktionsanlagen in der Industrie). Man müsste Festplatten dann ggf. aufarbeiten und die verschlissenen Teile austauschen, die Chips sind da in den seltensten Fällen defekt.


    Von einem Chipmangel sind in erster Linie produzierende Betriebe betroffen, die Chips bzw. Elektronik in ihre Produkte einbauen. Wenn man mal davon ausgeht, dass zumindest in den entwickelten und gesättigten Märkten die Kunden allesamt mit den Produkten und Geräten versorgt sind, die sie so brauchen, dann können diese Kunden zunächst weiter machen wie bisher, solange ihre Geräte funktionieren und ihren Zweck erfüllen.


    Ein Großteil unserers Konsums (als der Kauf neu produzierter Dinge) passiert ja nicht aufgrund einer objektiv vorhandenen Notwendigkeit, sondern ist entweder Ersatzbeschaffung für ein vorhandenes Gerät oder die Erfüllung eines Besitzwunsches. Wenn man ein iPhone X besitzt, braucht man kein iPhone 13, man will es vielleicht. Dito bei Fahrzeugen: wenn ich einen 5 Jahre alten voll funktionsfähigen PKW habe, brauche ich keinen neuen.


    D.h. von einer akuten Chipkrise betroffen sind vor allem diejenigen, die mit hohen Wachstumsraten in neue Märkte gehen und deren Geschäftmodell im Wesentlichen auf Wachstum beruht.


    Bei einem Ausfall Taiwans als Lieferant für Mikrochips müsste man neben einem raschen Ausbau der regionalen Produktionskapazitäten (das läuft ja schon an) auch über eine (staatliche/EU-weite) Bewirtschaftung der Fertigungskapazitäten nachdenken, um z.B. den Umbau des Energiesektors nicht zu gefährden (dazu müsste man bei einem Konflikt mit China aber auch PV- und Wind-Komponenten verstärkt bei uns produzieren) und die Verteidigungsfähigkeit sicherzustellen und auszubauen (Raketenabwehr, autonome Systeme).


    Diese Bereich brauchen ja zum Glück nicht unbedingt 3nm-Chips, die sind eher im Bereich Multimedia/Internet/Smartphones nötig und zunehmend für KI-Rechencluster, auf die man aber auch erst mal ne Weile noch verzichten könnte.


    Wenn man das nötige Kleingeld hat, sich mit den Exportbeschränkungen abfindet und einen guten Draht zu NVIDIA hat, könnte man sich einen Schrank mit GH200-Chips vollpacken. Das ist der aktuellste Monster-Chip für KI: die darauf befindliche GraceArm CPU (enthält 72 Neoverse V2 Arm v9 Cores) steuert bis 480GB DDR5 RAM an, die on-Chip GPU H100 kann mit weiteren 576GB "fast access" RAM umgehen. 256 dieser H200-Chips können über eine 900GB/s schnelle NVLink-Verbindung gekoppelt werden und zusammen dann 150TB RAM(!) ansprechen.

    Gefertigt werden diese und auch die schon in Serie produzierten anderen KI-Chips von NVIDIA allesamt bei TSMC. Der GH200 in 4nm.


    Für ein Produktionsunternehmen, das Produkte mit Chips herstellt, dürfte es schwierig werden, sich Vorräte über mehrere Jahre anzulegen, dafür dürfte gar nicht genug Kapital vorhanden sein und die Gefahr, dass man sich unverkäufliches Inventar anschafft, ist hoch (z.B. wenn man DDR4-Speicherchips einlagert, der Markt aber nach zwei Jahren nur noch Produkte mit DDR5-Chips akzeptiert). Das hätte Apple in den Anfangsjahren beinahe mal das Genick gebrochen: man hatte Speicherriegel und Festplatten zigtausendfach im Lager, die aufgrund der technischen Weiterentwicklung der Computer plötzlich unverkäuflich waren.


    Was Unternehmen tun können, ist jetzt schon von TSMC bzw. Taiwand als LIeferland wegzugehen. Die europ. Autoindustrie macht das ja schon: VW&Co haben ihre Chipaufträge in großem Stil an TI und Infineon verlagert, deswegen hat TSMC die Planung für ein eigenständiges Werk in Dresden ja erst mal auf Eis gelegt, weil es absehbar nicht ausgelastet wäre.

    Mittelfristig ist das Schicksal von Taiwan damit eh besiegelt: die globale Industrie wird Taiwan als Chipquelle immer stärker meiden, je konkreter die Gefahr eines Ausfalles wird. Damit wird Taiwan für den Westen aber zunehmend uninteressant und dürfte dann quasi kampflos an die VR China fallen. Vielleicht zunächst als Sonderwirtschaftszone wie Hongkong nach dem Auslaufen des Kolonialstatus. Denkbar wäre sogar ein Deal Chinas mit den USA (ggf. unter einem republikanischen Präsidenten, dem Freiheit und Demokratie noch weniger wert sind und dem China als Wirtschaftspartner wichtiger ist, als gegen ihn einen Krieg zu führen.


    Wir als Privatpersonen habens nicht in der Hand, nur indirekt, in dem wir weniger elektronische Wegwerfprodukte konsumieren, z.B. alle 5 Jahre ein neues Handy statt alle 2 Jahre. Oder alle 10 Jahre einen PC, TV etc.

  • Heute morgen war im Deutschlandfunk davon die Rede, dass IBM, Infineon und TSMC je eine Chipfabrik in Deutschland bauen wollen. Bekomme das aber leider nicht mehr genau zusammen.

  • Wir als Privatpersonen habens nicht in der Hand, nur indirekt, in dem wir weniger elektronische Wegwerfprodukte konsumieren, z.B. alle 5 Jahre ein neues Handy statt alle 2 Jahre. Oder alle 10 Jahre einen PC, TV etc.

    Na da bin ich ja gut mit drin. PC dreimal aufgerüstet und läuft. Alles mit bebrauchten Teilen erneuert. Alter 12 Jahre.


    Handy, noch ein altes Nokia 73 als Reserve ,prepaid, mit einigen Euronen.


    Letztes Jahr ein Smartphone geschenkt bekommen von einem Kumpel, ein Sony, 5 jahre alt. Gegen einen Korb voll mit Produkten aus meinem Garten. Wird mich auch noch, solange es hält, begleiten.

  • Sollte Taiwan als Chip-Schmiede ausfallen, würde das ja nicht den globalen Rückfall in die Steinzeit bedeuten, aber man bräuchte vermutlich +/-5 Jahre, um das zu kompensieren. Vorausgesetzt, die dafür in Frage kommenden Standorte (Südkorea und USA) werden nicht zeitgleich beeinträchtigt. Besonders geschützt sind Chipfabriken ja nicht.


    Im Bestand müsste man diese Zeit mit dem vorhandenen Equipment überbrücken. Das sollte kein allzugroßes Problem sein.

    Naja, in die Steinzeit werden wir schon nicht zurück fallen, aber für die Wirtschaft ist das wohl schon die Apokalypse.


    Man nehme das wertvollsten Unternehmen der Welt: Apple.


    Was genau sollen die für ihre Käuferschicht produzieren ohne Zugriff auf ausreichende Mengen modernster Mikroprozessoren?


    Dort ist es offensichtlich, aber auch unsere Automobilindustrie wäre vermutlich schwer beschädigt, der Maschinenbau, die Rüstungsindustrie und was sonst noch alles...


    Und ein Kollaps der Weltwirtschaft betrifft mich als Aktionär auch, möglicherweise nach einer Weile auch als Arbeitnehmer.


    Dass ich da einfach eine alten Laptop halt 3 Jahre weiter nutzen würde statt ihn wie bisher alle 5-6 Jahre zu ersetzen ist da eher ein unbedeutender Nebenaspekt.

    Aus gegebenem Anlass: ich distanziere mich hiermit ausdrücklich gegen jeden Form von Gewaltphantasien gegen andere, den Staat oder staatliche Organe. Ich betreibe prepping als Krisenvorsorge und als Hobby und tausche mich hier mit Gleichgesinnten aus.

  • Letztes Jahr ein Smartphone geschenkt bekommen von einem Kumpel, ein Sony, 5 jahre alt. Gegen einen Korb voll mit Produkten aus meinem Garten. Wird mich auch noch, solange es hält, begleiten.

    Ich nutze elektronische Geräte auch viel länger als üblich und wenn ich könnte würde ich mein Samsung S5 active heute noch gebrauchen, ich finde das sogar besser als mein aktuelles.

    ABER: das Problem mit Smartphones ist, dass man keine Softwareupdates und auch keine Sicherheitsupdates mehr bekommt. Die TAN Generatoren für mein online banking laufen z.B. darüber und auch meine Emails rufe ich darüber ab. Beides Bereiche, wo ich keinen Eindringling gebrauchen kann, der mir dann potentiell mein Leben zerstört.

    Deshalb ersetze ich die, sobald es keine Sicherheitsupdates mehr gibt, ob ich will oder nicht :frowning_face:


    MfG

    Aus gegebenem Anlass: ich distanziere mich hiermit ausdrücklich gegen jeden Form von Gewaltphantasien gegen andere, den Staat oder staatliche Organe. Ich betreibe prepping als Krisenvorsorge und als Hobby und tausche mich hier mit Gleichgesinnten aus.

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  • man nehme das wertvollsten Unternehmen der Welt: Apple.


    Was genau sollen die für ihre Käuferschicht produzieren ohne Zugriff auf ausreichende Mengen modernster Mikroprozessoren?

    Das ist die Verantwortung der Unternehmensführung. Sprich Aufbau von Second Source Lieferanten oder umfängliche Lagerhaltung. Ansonsten gilt frei nach dem IT-Admin-Spruch: "Kein Backup? - Kein Mitleid."


    Tesla war von der Chipkrise weniger betroffen als andere Autohersteller, weil Tesla Chips selbst entwickelt und im eigenen Auftrag bei verschiedenen Fabs fertigen lässt, während andere Autohersteller sich von Zulieferern die stets benötigte Menge quasi ans Band liefern lässt. VW-Kostenoptimierer Lopez lässt grüßen.

    Ein typischer Automotove-Chip hat ein paar Quadratmillimeter Fläche, ein 300mm-Wafer hat rund 70.000mm² Gesamtfläche. Da passen, sagen wir 25.000 Chips drauf. 2018 lag der Durchschnittspreis für einen fertig prozessierten Wafer von TSMC bei 1.382 US-Dollar oder 5,5 Cent pro Chip in unserem Beispiel.

    Ein typisches Fertigungslos sind 100 Wafer, macht 2,5 Mio. Chips für 138.000 Dollar. Das Lagervolumen von vier Waferboxen, die man dazu benötigt, entspricht einem Umzugskarton. Im Antriebsstrang eines Verbrenner-Autos findet man heute bis zu 300 Halbleiterbauteile (wobei da neben komplexen chips schlichte Transistoren oder Hallsensoren mitgezählt werden) und weitere 300 Halbleiter im Infotainment- und Wohlfühl-Bereich des Autos. Macht 600 Halbleiter. Das bringt man in 150 Standard-Lagerschränken unter, die beanspruchen 75m² Stellfläche. Ist also überschaubar. Luftdicht in Stickstoffamtosphäre eingeschweisste Wafer sind problemlos 10 Jahre lagerbar.


    Vereinfacht man das für eine Milchmädchenrechnung mal auf 600 Chips pro Auto zum TSMC-Durchschnittspreis, dann kostet mich ein Lagerbestand von 600 x 2,5 Mio. Chips auf Wafern rund 83 Mio. Will ich von jedem Chip 10 Mio. am Lager haben (VW produziert weltweit rund 9 Mio. Autos pro Jahr), kostet mich das entsprechend 332 Mio. Bei einem Konzerngewinn von 2,65 Mrd. entspricht das 12% des Jahresgewinns.


    Wenn man weiss, dass ich Chips nicht mal hier und mal da kurzfristig bestellen kann, sondern mein Lieferant wegen immer vollausgelasteter Linien Vorlaufzeiten hat und die reine Chipproduktion (derzeit) rund 4-6 Monate dauert, dann sollte ich einen Lagerbestand von wenigstens einem halben Jahr sicherstellen, auch wenns Geld kostet. Das würde ich als Minimum guter kaufmännischer Unternehmensführung sehen. Und wenn ich einen Worst Case einplanen will, sprich Lieferkettenabriss durch Krieg oder Pandemie, dann wäre ein Jahresvorrat an kritischen Bauteilen nicht schlecht.


    Es ist halt immer ein Abwägen in der Chefetage nötig. Und oft sind dort die "Techniker" unterrepräsentiert und die Börsen- und Finanzspezialisten haben das Sagen. Und die tun einen Teufel, bevor sie 12% des Jahresgewinns in "dämliche Chips" stecken (weil sie das alte Apple-Lagerbestands-Syndrom fürchten). Und dann holt man sich als Unternehmen, wenn die Lieferkette reisst, halt eine blutige Nase und muss ganz schnell ganz viel Geld investieren, um irgendwie doch an das Material zu kommen, während gleichzeitig die Umsätze wegbrechen, weil man nicht liefern kann.

  • Wenn man weiss, dass ich Chips nicht mal hier und mal da kurzfristig bestellen kann, sondern mein Lieferant wegen immer vollausgelasteter Linien Vorlaufzeiten hat und die reine Chipproduktion (derzeit) rund 4-6 Monate dauert, dann sollte ich einen Lagerbestand von wenigstens einem halben Jahr sicherstellen, auch wenns Geld kostet. Das würde ich als Minimum guter kaufmännischer Unternehmensführung sehen. Und wenn ich einen Worst Case einplanen will, sprich Lieferkettenabriss durch Krieg oder Pandemie, dann wäre ein Jahresvorrat an kritischen Bauteilen nicht schlecht.

    Anforderungen an die Lagerhaltung kennt man vom Militär.


    Ich bezweifle, dass 99% der Bundesbürger ihre schicken modernen PKW zu "Militärpreisen" kaufen wollen oder auch können.

    Aus gegebenem Anlass: ich distanziere mich hiermit ausdrücklich gegen jeden Form von Gewaltphantasien gegen andere, den Staat oder staatliche Organe. Ich betreibe prepping als Krisenvorsorge und als Hobby und tausche mich hier mit Gleichgesinnten aus.

  • 332 Millionen Euro für eine "strategische Chipreserve" von 1 Jahr umgelegt auf 9 Mio. Autos macht 37 Euro pro Auto. Ein Satz Fussmatten kostet bei VW zwischen 45 und 75 Euro.

    Es geht in dem Fall ja nicht drum, das Auto in Rüstungsgüterdimensionen zu verteuern, sondern das Unternehmen gegen solche Lieferkettenprobleme resilient zu machen und im Falle eines Ausfalls der Chipbelieferung überleben zu lassen. Aber wie gesagt: "Kein Backup - kein Mitleid". Halt bitter für die Beschäftigten und die Regionen in denen so ein Unternehmen dann wegen sowas strauchelt.

  • 332 Millionen Euro für eine "strategische Chipreserve" von 1 Jahr umgelegt auf 9 Mio. Autos macht 37 Euro pro Auto. Ein Satz Fussmatten kostet bei VW zwischen 45 und 75 Euro.

    Wenn man an Deine 5ct pro Chip glaubt und Wafer einlagert statt Bauteile, die man auch tatsächlich selber verbauen kann.


    Und dann braucht man ja auch noch eine strategische Reserve bei allen anderen Teilen, denn was, wenn da die Zulieferer ausfallen?

    Aus gegebenem Anlass: ich distanziere mich hiermit ausdrücklich gegen jeden Form von Gewaltphantasien gegen andere, den Staat oder staatliche Organe. Ich betreibe prepping als Krisenvorsorge und als Hobby und tausche mich hier mit Gleichgesinnten aus.

  • Ich bin in dem Bereich tätig. Und erlebe seit gut 2 Jahren mehr oder weniger verzweifelte Chefs von Mittelständlern, die früher 3 Tage Lieferzeit für "ihre" Chipbestellungen gewohnt waren und im Höhepunkt der Chipkrise dann mit Vertröstungen ihrer Lieferanten wie "voraussichtlich in 24-36 Monaten wieder lieferbar, zum 5fachen Preis" klarkommen mussten. Hätten sie wenigstens die wichtigsten Chips auf ein paar Wafern einlagern lassen, wären sie fein raus gewesen.

    Der eingelagerte Wafer ist das eigentliche Asset. Ist der erst mal produziert und hat man ihn in der Hand (bzw. in guten Händen - ist Teil des Geschäftsmodells meines Arbeitsbereichs), dann ist der Rest der Weiterverarbeitung (sägen der Wafer, bonden der vereinzelten Chips in IC-Gehäuse, testen, verpacken der Bauteile auf Gurte für die Verarbeitung in Bestückungsautomaten usw.) vergleichsweise Pillepalle, da brauchts keine aufwändigen Reinräume und auch keine millionenteuren Spezialmaschinen. Und man findet weltweit Anbieter für diese Dienstleistungen.


    Es geht ja bei Taiwan um die Frage der absoluten Oberklasse bei Halbleiterbauteilen im unter 10nm-Bereich. Der ganze Rest an Elektronikbauteilen usw. ist weltweit an vielen Standorten verfügbar. Taiwan hat ein "single source" Problem (was gleichzeitig - noch - eine Art Überlebensgarantie ist).

  • Mir scheint, die Diskussion geht bei den Halbleiter nur immer um das "Frontend" (= Fertigung der Wafer). Dazu kommt aber, dass man auch das Rohmaterial (Silizium / Wafer) haben muss und vom "Backend" (Wafer vereinzeln, testen und in das Gehäuse bringen) hat noch nie jemand gesprochen. Was nützen die geplanten Fabs in Europa, in denen Wafer prozessiert werden, aber es dann überhaupt kein Backend in Europa oder den USA gibt? Bei den großen Halbleiterherstellern findet das Backend zu 100 % in Asien statt (China, Malaysia, Vietnam, etc). Es wird zwar immer schön von der Diversifizierung des Frontends gesprochen, aber Backend ist wie gesagt nur in Asien. Kann sich von den Kosten her niemand in Europa oder den USA leisten.


    Im Auto sind sind zwar einige High-End Halbleiter drin (z.B. Qualcomm und NVIDIA SoCs für Infotainment und Data Fusion und natürlich auch Safety MCUs wie Infineon Aurix in 40 nm), der Großteil ist aber nach wie vor in recht "groben" process nodes wie z.B. 180 nm. MOSFETs, analoge Chips (Op Amps, Stromversorgungen, etc.), CAN Transceiver, ... die Liste ist schier endlos. Dann das Hühnefutter, hundert von Z-Dioden, Bipolartransistoren, Dioden, ESD-Dioden, ...

    Schön, wenn man sich einen Kopf um die High-End Prozesse und Produkte macht, aber ohne die "Standard" Komponente läuft auch nichts.


    Dann die ganze Ausrüstung und Chemie, die man benötigt und die oft nur von einem oder zwei Herstellern weltweit geliefert werden können. Während der Krise war z.B. mal kein Mould Compound lieferbar (die schwarze Masse für das Gehäuse), Produktion steht damit. Für automotive Chips kann nicht einfach etwas anderes eingesetzt werden, sondern es sind oft nur ein oder zwei Typen freigegeben. Niemand will den Aufwand (= Kosten) treiben, mehr als zwei freizugeben. So auch bei den Herstellern der Fahrzeug-Elektronik. Viele Standardbauteile sind auch als "second source" angelegt (technisch identisches Bauteil von zwei verschiedenen Herstellern), aber aus Kostengründen eben keine "third source" von einem dritten Hersteller - einer der beiden wir schon liefern können. Und von komplexeren Bauteile gibt es überlichweise sowieso keine "second source".


    5 Cent pro Chip ... bei kleinen Bauteilen sind die Gehäuse- / Backend-Kosten höher als die Siliziumkosten. Für 5 Cent bekommt man heutzutage vielleicht noch eine ESD Diode in hohen Stückzahlen, aber sicher nichts mit mehr als drei Pins. Und den Wafer kann man auch nicht ins Steuergerät löten. Backend war während der letzten Krise auch oft der limitierende Faktor.

    Die Chipindustrie strebt eine Marge von > 50 % an und automotive qualifizierte Bauteile sind durch den zusätzlichen Aufwand (Dokumentation, Test, Qualifikation, ...) immer teurer.
    Dieser Artikel schreibt etwas von 450 USD:

    Semiconductor spending in cars to rise 55.6% by 2026 | Electronics360

    Wenn ich mir die letzten Preiserhöhungen anschauen, dürfte man in der Zwischenzeit deutlich darüber liegen.

    Mir ist klar, dass die 5 Cent auf auf den Wafer bezogen sind. Aber das ist meiner Meinung nach noch nicht mal die halbe Miete.


    Das ganze Thema ist viel komplexer, als erzählt wird. Wafer Fabs in Europa können ein sinnvoller Schritt sein, nützen ohne Backend aber nur begrenzt. Und von den Kosten her will niemand die gesamten Halbleiterherstellung in Europa oder den USA machen. Am ehesten noch die USA für militärische Bauteile, das dürfte aber einen sehr begrenzten Umfang haben.

    Einmal editiert, zuletzt von Waschbär ()

  • Zwei der tragenden Technologien bei der Chipherstellung (post Wafer) - derer sich auch TSMC bedient - kommen aus Europa (ASML/NL, Zeiss/DE).

    Dass sich TSMC keine "Filiale" mit bleeding edge im Ausland aufbaut, sollte verstaendlich und kein "Grund" sein.


    Asianometry hat auf YT einiges ueber TSMC - und Computer/Chip im allgemeinen.

  • Mir scheint, die Diskussion geht bei den Halbleiter nur immer um das "Frontend" (= Fertigung der Wafer).

    Das ist bezogen auf Taiwan ja auch so. Packaging, Test usw. passiert ja nicht dort, sondern eher in Malaysia, Indonesien, Mainland China etc.

    Ich gebe dir völlig recht, dass sehr vieles in der Halbleiterei von einzelnen Anbietern abhängt. Nur ist mein Ansatz der, dass es einfacher ist, einen anderen Assemblierer oder ein anderes Testhaus zu finden, als eine Alternative für einen Chip, den ein Kunde gerade in 4nm bei TSMC fertigen lässt. Fällt TSMC aus, war es das mit diesem Chip. Hab ich genügend prozessierten Wafer im Lager, dann schmerzt es weniger, wenn China als Standort fürs Assembly ausfällt, dann gehe eben ich nach Indonesien oder sonst wo hin. Nur die Fab, die die Wafer herstellt, kann ich nicht ohne weiteres wechseln, die Chips sind mit den Designbibliotheken der Waferfab für einen speziellen Prozess entworfen worden. Eine Migration des Chipdesigns von einer Technologie zu einer anderen geht vielleicht noch bei einem 90nm-Prozess mit vertretbarem Aufwand, aber ein 4nm-TSMC-Design wirst du nicht auf einen 4nm-Intel-Prozess transferiert bekommen, ohne die gesamte Schaltung komplett neu zu machen, sofern es überhaupt geht.


    Immerhin gibt es in der EU inzwischen ein paar Köpfe, die wissen, dass man möglichst die gesamte Lieferkette zur Chipherstellung beherrschen sollte. Darum wurde z.B. der Verkauf des dt. Siliziumwafer-Herstellers Siltronic an einen chinesischen Konzern gestoppt. Vor ein paar Jahren noch musste die damalige Bundesregierung etwas unsanft von den USA motiviert werden,den Equipmenthersteller Aixtron nicht an China gehen zu lassen.


    Das Problem bei der Sache ist, dass ausgerechnet die Halbleiterfertigung ein extrem globales Thema ist, nur so waren/sind die bisher erreichten technologischen Fortschritte möglich geworden. Vor 20 Jahren war man sich definitiv sicher, dass unter 100 Nanometern Strukturgröße Schluss ist, vor 10 Jahren sprach man von einem Ende bei 10nm, heute wird an 2nm-Prozessen geforscht. Mittlerweile geht man davon aus, dass das "Ende" der Verkleinerung erst erreicht wird, wenn die Strukturen bei einer Atomlage als Breite bzw. Höhe ankommen. Den "Single-Electron-FET" gibt es ja schon eine ganze Weile, das ist ein Transistor, der durch ein einzelnes Elektron durchgesteuert werden kann.

    Solche Sachen sind aber nicht in einer staatlich betreuten/geschützten Planwirtschaft möglich. Frankreich hat das unter Sarkozy versucht und alle Fertigungsschritte zur Chipfertigung ins Land geholt bzw. im Land gehalten. Das bedeutet aber auch, dass man dann technologisch stehen bleibt, quasi eine Chiptechnik hat, die auf einem bestimmten Stand eingefroren wird. Allerdings braucht man dann trotzdem Maschinen und Verfahren von extern, die man zukaufen muss. Weil aber global die Entwicklung weiter geht, hat die nationale "geschützte" Chip-Lieferkette bald den Anschluss verloren und wird inkompatibel. Banale Beispiel: die Durchmesser der Silizium-Wafer. Bis weit in die 1990er Jahre waren 6-Zoll bzw. 150mm Durchmesser der Standard. Alle Anlagen waren auf dieses Maß ausgelegt. Dann setzte sich das 200mm-Wafer-Format durch, weil die Rohwafer nun in hinreichend guter Qualität verfügbar waren. Und da die Prozessierung eines Wafers in etwa gleich teuer ist, egal, ob man einen 150 oder 200mm Wafer bearbeitet, wollte die Industrie natürlich die größeren Scheiben. Heute werden Massenprodukte auf 300mm-Wafern, teilweise sogar auf 460mm-Wafern gefertigt. Die Maschinen dafür können keine kleineren Formate wie 150mm oder 200mm mehr verarbeiten. Viele Equipmenthersteller bieten heute gar keine Unterstützung für kleinere Waferformate an. Das hat Frankreich (ST Microelectronics) eine Menge Lehrgeld gekostet.


    Von daher sollte es das Ziel der internationalen Politik sein, nicht auf nationale Alleingänge zu setzen, sondern zu versuchen, den internationalen Austausch von Wissen, Dienstleistungen und Waren weiter zu ermöglichen. Nur dann sind weiterhin Fortschritte in der Mikroelektronik möglich oder auch nur das Halten des erreichten Technologieniveaus.


    Das ist natürlich eine Gratwanderung, gerade zwischen den Blöcken "alte westliche Industrienationen" und "nach globaler Dominanz strebendem China". Aber auch China wird gerade von hausgemachten Problemen eingeholt und dürfte mit dem demografischen Wandel und der Bewältigung der Folgen des Klimawandels eigentlich genug zu tun haben und sollte eigentlich keinen internationalen Konflikt wegen Taiwan anzetteln.