Ich denke, wir sind uns alle einig, dass unsere moderne Gesellschaft auf einen großen Stromausfall nicht im notwendigen Maß vorbereitet ist. Auf ein dauerhaftes Fernbleiben jeglicher Stromversorgung wird man sich auch nicht vorbereiten können, denn das würde bedeuten, dass man parallel zum jetzigen Stromversorgungssystem ein vollständiges Ersatzsystem vorhalten müsste, das die Versorgung 1:1 übernehmen kann. Abgesehen davon müsste dieses Reservesystem wesentlich (eigentlich absolut) ausfallsicherer sein. Das kann kaum funktionieren.
Was man aber vorbereiten kann, ist eine punktuelle Ersatzversorgung und das Vorhalten von primitiven Ersatzmitteln, die helfen, eine stromlose Zeit irgendwie zu überbrücken.
Gleichzeitig muss man neben diesen Vorsorgemaßnahmen schauen, was nötig ist, um eine Eskalation der Lage in kritischen Infrastrukturen einzufangen. Schon heute, bzw. immer noch sind aus gutem Grund viele kritische Systeme mit stromlosen Rückfallebenen ausgestattet:
- Aufzüge können (wenn sie nicht zu groß sind) per Handkurbel bzw. Ablassventil bewegt werden, um Personen zu befreien.
- Gebäude mit Aufzügen haben immer auch Treppenhäuser (= stromlos funktionierendes Ersatzsystem)
- automatische Türen/Tore/Schranken haben in der Regel immer eine manuelle Notbedienmöglichkeit (für Laien nicht unbedingt ersichtlich, oder man braucht etwas Werkzeug)
- Trinkwassernetze haben Hochbehälter mit einem Tagesbedarf an Wasser+Löschwasserreserve, der per Schwerkraft für Druck im Leitungsnetz sorgt. Bei Gebäuden die höher liegen als die Hochbehälter, setzt man (elektrische) Druckerhöhungsanlagen ein, in den unteren Etagen kommt das Wasser aber stromlos aus der Leitung)
- öffentliche Abwassersammler entwässern ebenfalls per Schwerkraft, zumindest über Notüberläufe ist das immer gewährleistet (was in den Abwassersystemen auf privaten Grundstücken passiert, ist was anderes, Abwasserquellen, die unter dem Kanalspiegel des öffentlichen Sammlers liegen, dürfen dann halt nicht mehr benutzt werden, aber das merken die Betroffenen sehr schnell.
- kritische Einrichtungen, die ohne Strom nicht funktionieren, sind an sich prinzipiell schon mit Notstrom versorgt, der vor Ort per Aggregat oder anderen Systemen erzeugt wird. Hier ist das Problem, dass die Durchhaltefähigkeit der Notstromquelle in vielen Fällen noch nicht ausreichend groß ist. Bisherige Anforderungen an Notstromsysteme lagen im Bereich von einigen Stunden bis zu einem Tag. Hier muss (und wird teilweise schon) nachgebessert. Der behördliche Digitalfunk in verschiedenen dt. Bundesländern wurde mit Notstromsystemen auf Basis von Systemen mit Wasserstoff-Brennstoffzellen ausgestattet, der lt. Anforderungskatalog mindestens 72h Notstrombetrieb ermöglicht. Im Rahmen der Programme NIP (2013) und NIP II (2018) wurden knapp 700 Digitalfunk-Basisstationen in Baden-Württemberg, Bayern und Brandenburg damit ausgerüstet. Oftmals funktionieren vorgeschriebene Notstromanlagen nicht oder nicht mal über die vorgeschriebene Betriebsdauer. Das muss abgestellt werden, das ist Schlamperei und liegt häufig an Sparvorgaben der Geschäftsführung, vor allem bei renditeorientierten Einrichtungen (Krankenhäuser, Pflegeheime). Da muss der Gesetzgeber ran. Ein Thema ist die Lagerfähigkeit von fossilen oder biologischen Flüssigkraftstoffen (Dieselpest), für das man Konzepte braucht (regelmäßiger Umschlag der Lagerbestände, chemische Zusätze oder neuartige/synthetische Kraftstoffe mit besserer Haltbarkeit). Vergleicht man den möglichen Schaden mit den Kosten einer Notstromversorgung, ist in den meisten Fällen die Notstromanlage das kleinere Übel. Man muss allerdings die Einrichtungsbetreiber direkt in die Haftung nehmen und sie zu Notstromvorhaltung zwingen.
- Bei großtechnischen Anlagen, von denen ohne Strom ein große Gefahr ausgeht, sind heute schon mehrfach redundante Notstromsysteme vorhanden (Atomkraftwerke, Chemiewerke). Auch hier hapert es bisweilen an der Durchhaltefähigkeit der Anlagen, insbesondere sind Wartungsphasen kritisch. Wenn ich in einem Kraftwerk drei Notkühlsysteme habe und eines davon gerade wegen Wartung stillgelegt ist und dann ein weiteres System bei Stromausfall nicht anspringt, hängt die Notkühlfunktion am seidenen Faden. Das ist halt das Restrisiko. Die Notstromversorgung der Atomkraftwerke in Deutschland und der Schweiz ist allerdings recht solide. Es werden zum Antrieb der Generatoren 10- bzw. 20-Zylinder-Dieselmotoren verwendet, deren Motorsteuergeräte nach NATO-Standards strahlungsresistent sind (die Chips dazu gehen über meinen Schreibtisch). Typischerweise hat man drei große 6.000PS-Notstromgeneratoren (20-Zylinder) in normalen Betriebsgebäuden und zwei verbunkerte 3.000PS-Generatoren (10-Zylinder). Ein Generator genügt für die Aufrechterhaltung der Notkühl- und Überwachungssysteme. Die Motoren sind permanent vorgewärmt und können nach 14 Sekunden mit voller Leistung belastet werden.
- Sollte es in einem Atomkraftwerk oder einer anderen Anlage mit radioaktivem Material zu einem Zwischenfall kommen, ist in D die Kerntechnische Hilfsdienst GmbH am Zug. Hier gibt es Spezialisten, die Arbeiten auch bei hoher Strahlenbelastung und kontaminierter Umgebung durchführen können. Deren Material ist in Seecontainern verlastet und kann per LKW aus dem eigenen Fuhrpark oder mit Bahntransport ins Einsatzgebiet gebracht werden. Dabei ist die Gruppe komplett autark mit Stromerzeugern bis 196kVA, ferngesteuerten Robotern (inkl. einem großen Hydraulikbagger), mobiler Einsatzzentrale, Erkundungsfahrzeugen, geländegängigen LKW und Logistikeinheiten (Küche, Büro, Umkleide etc. für 130 Einsatzkräfte) ausgestattet. Die Feuerwehren im Umfeld kerntechnischer Anlagen sind mit speziellen ABC-Zügen ausgestattet, die regelmäßig Strahlenschutzübungen durchführen. Ich gehe nicht davon aus, dass bei einem Blackout die Bedienmannschaft der AKWs nach Hause geht und die Anlagen sich selbst überlässt.
In industriellen Großanlagen (z.B. der Chipfertigung meines Arbeitgebers) dienen Notstromversorgungen hauptsächlich dazu, die Anlagen kontrolliert herunterahren zu können. Fällt der Strom aus, übernehmen bei uns dezentrale USV nahtlos die Versorgung der kritischen Systeme, bis der 400kVA-Generator läuft. Der verbraucht bei 75% Last rund 60l Diesel pro Stunde. 1.000l stehen zur Verfügung, rechnerisch also gut 16h Notstrombetrieb. Das dient in erster Linie dazu, Schäden an den millionenteuren Großgeräten zu vermeiden und unkontrollierte Freisetzung von Gefahrstoffen zu verhindern.
Das Hauptproblem bei einem allgemeinen Stromausfall ist die Gleichzeitigkeit. Es können (und werden) gleichzeitig sehr viele Notlagen auftreten.
- In D gibt es allein über 600.000 Personenaufzüge. Wenn zum Zeitpunkt des Stromausfalls in 10% der Fahrstühle Personen sind, hab ich auf einen Schlag 60.000 Einsatzstellen zur gleichen Zeit. Es gibt aber "nur" 23.000 Feuerwehren. D.h. im Schnitt müsste jede Feuerwehr zeitnah drei Personenrettungen schon in Stunde eins nach dem Stromausfall durchführen.
- Gleichzeitig werden aber dutzende wenn nicht hunderte Züge von Eisen-, U- und Stadtbahnen an blöden Stellen liegenbleiben (in Tunnels, auf Brücken, in Gefahrenbereichen). Der ICE-Tunnel bei Fulda ist fast 11km lang, Österreich hat sechs Eisenbahntunnels länger als 10km in Betrieb und bald kommt der Brennerbasistunnel mit 55km dazu: die Schweizer lächeln da nur milde (der Gotthard-Basistunnel ist 153km lang, der Lötschberg-Tunnel 88km) - aus solchen Tunnels spaziert man nicht eben mal zu Fuß raus. Die Bahnen haben für solche Havarien eigene dieselgetriebene Rettungszüge (davon gibt es in D sechs Stück) oder können mit anderen dieselgetriebenen Zügen die liegengebliebenen Züge erreichen und evakuieren. Oder man schleppt die Züge mit Dieselloks in den nächsten Bahnhof. Bei einem gleichzeitigen Anfall von z.B. hundert liegengebliebenen Zügen dürfte das aber mindestens 2 Tage dauern, bis alle geborgen sind. Und dann stehen 600 Zugpassagiere als displaced persons (DPs) in irgendeinem Kaff am Bahnhof und müssen versorgt werden.
- Das Problem der DPs wird bei einem Blackout hunderttausende Menschen betreffen: Pendler auf dem Weg von oder zur Arbeit, Reisende, Urlauber, Dienstleister, Monteure etc. Die sind dann alle irgendwo, nur nicht zuhause.
- MIt etwas Glück bekommt man die akuten Notlagen von Tag 1 weitgehend bewältigt, also Leute aus mißlichen Situationen befreit und keine akute Lebensgefahr mehr.
- Gleichzeitig werden sich aber neue medizinische Notlagen entwickeln, etwa bei Patienten, die auf technische Systeme angewiesen sind (Beatmung, Dialyse) oder mit speziellen Medikamenten behandelt (Insulin) oder Spezialnahrung (Magensonden) versorgt werden müssen. Zum einen werden Beatmungs- und Dialyse-Anlagen nach und nach weniger verfügbar sein und Lieferketten bei Medikamenten und Spezialnahrung werden abbrechen. Erschwerend kommt hinzu, dass ich mit den Anbietern und Dienstleistern nicht mehr elektronisch oder telefonisch kommunizieren kann und ich dann z.B. Dialysezentren persönlich abklappern muss.
- So etwas geht aber nur, wenn ich noch mobil bin (Auto, Kraftstoff). Die Verfügbarkeit von Autos wird mit jedem Tag abnehmen, weil ich nicht mehr tanken kann. E-Autos wären theoretisch autark, aber dann braucht man z.B. inselfähige Solaranlagen, die E-Autos laden können. Das gibt es bislang nur bei ein paar Freaks oder in Modellversuchen. Könnte aber in 5-10 Jahren sich weit verbreitet haben, dann wäre eine rudimentäre Mobilität weitgehend gegeben. Zumindest, wenn die Sonne scheint.
- Liefer- und Fahrdienste werden sehr schnell ausfallen. Nicht nur im Onlinehandel (der ja sofort nicht mehr erreichbar sein wird), auch bei sozialen Diensten (Pflege, Essen auf Rädern) oder der Schülerbeförderung.
- Kritisch ist auf alle Fälle die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln. Die muss schnell organisiert werden. Das sollte vorwiegend über die normalen Wege (Einzelhandel) abgewickelt werden. Die haben die Lagermöglichkeiten, die Infrastruktur und vor allen: dort sind schon Lebensmittel für den ersten Ansturm. Aus Kriegszeiten kennt man die Rationierung (Bezugsscheine, Lebensmittelkarten). Man wird so etwas einführen müssen, damit nicht Oberschlaumeier wagenweise Zeugs aus den Läden karren, das sie selbst in 10 Jahren nicht wegfuttern könnten. Deshalb wird man eine begrenzte Abgabe von Lebensmitteln pro Person machen müssen. Also kein offener frei zugänglicher Supermarkt, sondern Abgabe über einen geschützten Schalter (und wenn man provisorisch die Eingangstüren mit dicken OSB-Platten zubaut und nur ein paar Ausgabefenster vorsieht. Es würde auch keine freie Auswahl geben, sondern vorgegebene Sets z.B. für Alleinstehende, Familien, kleine Kinder usw. So wie das bei Tafelläden heute auch schon gemacht wird. Bevor man was bekommt, muss man sich registrieren und bekommt eine Bezugskarte, z.B. für eine Woche Gültigkeit. Darauf wird abgestrichen, was man bekommen hat. Verliert man die Karte, hat man Pech gehabt. Das war bei Lebensmittelkarten auch schon so. Geht nicht anders. Und man hat das Bezahlungsproblem erstmal gelöst. Das müssen Einzelhandel und Kommunen zusammen hinbekommen. Und ja, auch bei einem Blackout wird man ein Stromaggregat, einen Laserdrucker und einen Laptop zusammengestöpselt bekommen, um solche Bezugskarten gestalten und ausdrucken zu können.
- Bei der Wasserversorgung muss man schauen, was geht. Im schlimmsten Fall müssen die Leute zur Wasserstelle hingehen. Wenn es in bestimmten Gebieten kein Wasser und sonst nichts gibt, dann werden sich die Leute auf die Beine machen müssen und in andere Gebiete gehen (Binnenflüchtlinge).
Das ist so die Gemengelage. Ob nach zwei Tagen die ersten Atomkraftwerke überkochen, weiss ich nicht. Ich halte es für unwahrscheinlich, aber man kann es nicht völlig ausschließen. In Ländern mit sehr vielen AKW (Frankreich) oder Ländern mit sehr alten AKW (Belgien, Osteuropa) oder bei heruntergwirtschafteten Anlagen und niedrigeren Standards ist das Risiko natürlich höher. Statistisch haben wir in Europa hauptsächlich Windströmungen von West nach Ost (wegen der Erddrehung). Tschernobyl war allerdings ein Beispiel, dass Ausnahmen die Regel bestätigen: die Fallout-Wolke zog zunächst nach Westen und drehte dann direkt nach Norden ab, bevor sich die Reste der Wolke weit im Osten wiederfanden.
Eine so starke dauerhafte Verseuchung der Umwelt nach einer AKW-Havarie, die das Land unbewohnbar macht, begrenzt sich auf einen Bereich von max. 150km in der Windrichtung, die beim Austritt der radioaktiven Partikel herrscht. Das ist schlimm genug, macht aber nicht ganz Europa unbewohnbar. Natürlich kann man sich Endzeit-Szenarien vorstellen, in denen aus allen AKWs auf dem Kontinent das ganze radioaktive Inventar bei beliebig drehenden Windrichtungen schön gleichmäßig verteilt würde. Dann müsste man um jedes AKW einen 150km-Radius ziehen und zur Sperrzone für Jahre bis Jahrzehnte erklären. Das wäre für geografisch kleine Länder (Benelux, CH) und Länder mit sehr vielen AKW (Frankreich) ziemlich doof, aber in Flächenländern mit wenigen AKW wie D kein Totalausfall, auch wenn man große Ballungsgebiete umsiedeln müsste.
Parallel dazu gehe ich davon aus, dass alles dafür getan wird, eine Stromversorgung wieder hinzubekommen. Das kann auch dazu führen, dass bestimmte Bereiche recht schnell wieder versorgt werden können und andere auch nach längerer Zeit noch nicht. Je nach Schadensursache und -umfang. Dann muss man von diesen Bereichen aus nach und nach die anderen Bereiche aufbauen und bis dahin von diesen "Strominseln" aus versorgen und unterstützen.
Sehr wahrscheinlich ist, dass Regionen mit lokalen Kraftwerken, die schwarzstartfähig sind, sehr schnell regional wieder ein Teilnetz versorgen können. Oder dass spezielle Sondernetze wie z.B. der Bahnstrom über eigene Kraftwerke entweder gar nicht vom Blackout betroffen sind bzw. rasch wieder online gehen können. Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage einiger Bundestagsabgeordneter im Januar 2020 geht hervor, dass in D 174 Anlagen mit Leistungen größer 10MW schwarzstartfähig sind und 26 Anlagen davon von den Übertragungsnetzbetreibern für den Netzwiederaufbau nach einem Schwarzfall vorgesehen sind. Es handelt sich überwiegend um Wasserkraftwerke sowie vereinzelt um Öl- und Gaskraftwerke.
Die Aufgabe jedes einzelnen von uns sehe ich darin, sich selbst und sein Umfeld auf die unmittelbaren Auswirkungen eines großen Stromausfalls vorzubereiten. Dazu gehört natürlich das Notfallset "Gaskocher, Taschenlampe, Batterieradio, Getränke, Lebensmittel" dazu (kann man auch den Leuten einfach mal schenken oder ungefragt in den Keller stellen). Aber auch am Mindset sollte man arbeiten und andere anregen, die dann entstehenden Situationen mal durchzudenken ("Wie komme ich nachhause?", "Wie erreiche ich meine Kinder/Eltern/Großeltern", "Wie versorge ich meine Haustiere?", "Wie vermeide ich Risiken, um die Lage nicht zu verschlimmern?" usw.).
Gleiches kann man auch am Arbeitsplatz durchspielen. Ein gepackter Rucksack mit Schlafsack, Taschenlampe, zwei Flaschen Wasser und einer Notration passt in jedes Auto und in jeden Büroschrank/Spind am Arbeitsplatz. Das verschafft einem deutlich mehr Handlungsspielraum, wenn einen der Blackout zur falschen Zeit am falschen Ort erwischt.
Wer dann noch mehr tun möchte, kann sich ehrenamtlich in Vereinen oder Hilfsorganisationen engagieren. Das erweitert den Horizont und man vergrößert seinen Handlungsspielraum nochmal. Oder man engagiert sich (kommunal-)politisch, dann kann man noch mehr bewegen.
Grüsse
Tom