Die Langzeitkosten sind der Killer, gerade in Verbindung mit einer Wirtschaft wo ganze Sektoren schlagartig wegbrechen und nicht wiederkommen werden und dann noch die Folgekosten für Langzeitschäden bei einigen Krankheitsverläufen und dauerhaft höhere Kosten im Gesundheitswesen etc.
Ist das so? Welche Sektoren brechen wegen Corona schlagartig weg und kommen nicht wieder? Gastronomie und Kultur? Massentourismus? Der stationäre Einzelhandel? Ich sehe das nicht so. Aufgrund der Lockdowns geht es speziell diesen Bereichen momentan katastrophal schlecht, keine Frage, aber das ging es den Stummfilm-Stars nach Einführung des Tonfilms auch. Will sagen, dass die Menschen wegen Corona nicht aufhören, gastronomische Angebote wahrzunehmen oder sich bei kulturellen Angeboten entspannen und amüsieren oder Dinge einzukaufen. Zwar ändern sich diese Bereich gerade dramatisch, sie verschwinden aber nicht. Bzw. werden die untergegangenen Anbieter durch andere mit anderen und angepassten Geschäftsmodellen ersetzt.
Die Pandemie wirkt wie ein Katalysator und beschleunigt Änderungsprozesse wie ein Hyperraumantrieb.
Vor der Pandemie erlebte ich in unserem ländlichen Raum ein Sterben der gehobenen Landgasthöfe und Ausflugslokale in weitem Umkreis. Mit den Lockdowns befürchtete ich das schlimmste, dass uns die wenigen noch verbliebenen Restaurants auch noch verschwinden. Aber was passiert: ich kann mittlerweile aus einem Angebot von fünf Lieferdiensten von Gaststätten verschiedener Couleur wählen (vorher gab es einen Pizzaservice, der unseren Ort angefahren hat) und ich habe im Umkreis von 5 Kilometern sechs Möglichkeiten bei guten bzw. "gutbürgerlichen" Restaurants, Essen auf Bestellung abzuholen. Natürlich ist ein Lockdown gepaart mit zunehmendem Homeoffice tödlich für eine auf Pump finanzierte hippe Tagesbar im Frankfurter Bankenviertel. Aber so what.
Mit einem "Pubertier" im Haushalt kann ich die Veränderung des kulturellen Angebots live miterleben. Radio und Fernsehen sind für einen 12jährigen heute uninteressant geworden, stattdessen läuft Youtube als TV-/Radio-Ersatz. Die Stars dieser Generation heißen AviveHD, Standart Skill, MontanaBlack, CapitalBra, Arazhul - und man höre und staune: Joko & Klaas. Linearfernsehen fristet nur noch ein Nischendasein, Serien schaut man gezielt auf Netflix oder Disneyplus (The Mandalorian...) und Kinofilme über Amazon prime. Natürlich kann man die Konzert- und Festivalveranstalter bedauern (was wäre ich gerne dieses Jahr endlich wieder in Wacken), aber wenn man ehrlich ist, dann sind auch Konzerte in den letzten Jahren immer mehr zur Bühne für eine gute Streaming-Performance geworden, die Showtechnik auf die Aufnahme optimiert, nicht auf das Live-Publikum. In der Kulturbranche werden nach wie vor Milliardenumsätze gemacht, nur nicht in den Clubs und Konzertarenen.
Ich habe im Dezember selbst einen nahestehenden betagten Angehörigen an die Pandemie verloren, das ist brutal, das ist hart. 88% der Corona-Toten in D sind über 70 Jahre alt. Die Pandemie verjüngt unsere Gesellschaft, ob wir das nun makaber finden oder nicht, sie tut es. Für gewinnorientierte Seniorenresidenzen ein Desaster, wenn die Pflegegrad-3-Klienten vorzeitig versterben. Deren im Arbeitsleben gezahlten Renteneinzahlungen müssen nicht mehr ausgezahlt werden, ebenso die Pflegeleistungen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft teilte im Dezember mit, 2/3 der Kliniken geraten in Schieflage, weil wg. Corona viele der planbaren Eingriffe nicht durchgeführt (und damit nicht als gewinnbringende Einnahmen abgerechnet) werden könnten.
Haben das die Volkswirte in ihren Trilliarden-Kosten-Abschätzungen eingepreist? Oder gehen sie einfach nur vom Status Quo vor Corona aus und extrapolieren die gesellschaftlichen Kosten einfach nur weiter und addieren ganz viel "Corona-Aufpreis" drauf?
Mogeln sie vielleicht nicht auch andere Systemkosten elegant mit rein, wie den Strukturwandel in der Mobilitätsindustrie, dem Energiesektor? Diese Branchen unterliegen zyklisch technologie- und nachfragebedingt Änderungen, wie es anderen Industrien auch ging. Manche passten sich an, manche verschwanden (z.B. die deutsche Unterhaltungselektronikindustrie, die europäischen Mikroelektronikhersteller usw.). Unterm Strich hat uns das aber nicht ärmer gemacht. Menschen sind flexibel und anpassungsfähig. Wer früher bei Thomson in Esslingen Bildröhren für Farbfernseher gefertigt hat, baut heute (noch) Dieselmotoren in Untertürkheim und schraubt morgen vielleicht Batterieblöcke bei Dräxlmaier in Sachsenheim zusammen (was die dort tatsächlich jetzt schon machen).
Preisen die Trillionen-Propheten keck die Klimakosten ein (Stichwort Küstenschutz/Meeresspiegelanstieg)? Kalkulieren Sie die globale Machtverschiebung nach Asien auch nur ansatzweise ein?
Die Pandemie wird vor allem tradierte liebgewonnene Lebensweisen "alter Gesellschaften" verändern, sie wird gleichzeitig eine Chance für bisher als "Schwellenländer" belächelte Regionen der Welt sein, während die "white old men" sich verzweifelt an ihren Pfründe festklammern.
Natürlich kann man gigantische Schäden berechnen, wenn z.B. wie in Manhattan, die erzielbaren Mieten für Büroflächen um 50% einbrechen (Homeoffice...) oder wenn durch den ausbleibenden Flugtourismus Blingbling-Destinationen wie Dubai plötzlich ein Einnahmeproblem haben. Oder wenn reichtumsverwöhnte Saudis mangels Nachfrage nach Öl Kredite aufnehmen müssen, um ihren Staatshaushalt zu stemmen. Aber sind das finanzielle Schäden, die uns als Spezies Mensch auf dem Planeten Erde wirklich weh tun? Mir scheint manchmal, die prognostizierten finanziellen Schäden durch Corona entstehen hauptsächlich im Bereich des "big money".
Die allermeisten Untergangsprophezeihungen von Finanz-Analysten haben sich im Nachhineinen in der Realität als nicht belastbar erwiesen. Nicht alles
was man mit einer Zahl bepreisen kann, hat in der Realität auch derartige Auswirkungen, wie es die Summe glauben lassen will. Aber es ist gut für Klicks und Buchverkäufe.
Grüsse
Tom