Hallo miteinander,
ich hatte vergangene Woche die (ziemlich anstrengende) Gelegenheit, eine umfangreiche, über 30 Jahre angewachsene waschechte "Previval"-Werkstatt aufzulösen... Die Geschichte spielt in Ostdeutschland, der bald 85jährige Werkstattinhaber ist aus meiner Verwandtschaft und musste aus gesundheitlichen Gründen sein "Hobby" aufgeben, auch weil er aus dem (gemieteten) Hof in eine barrierefreie altersgerechte Wohnung umzog.
Die Werkstatt muss man sich als einen ca. 150 Jahre alten Backsteinbau vorstellen, der früher mal ein Kuhstall mit Milchraum und Futterküche gewesen war. Zu DDR-Zeiten war das Gebäude ungenutzt leergestanden und wurde 10 Jahre vor der Wende vom seitherigen Werkstattinhaber, der im Hof unmittelbar danebem wohnte, quasi "besetzt". Nach der Wende fielen die Immobilien in die Hände einer kommunalen Wohnbaugesellschaft, die fortan als Vermieter auftrat. Das nur am Rande.
Eingerichtet war die Werkstatt als Schmiede, als Schreinerei und als kleines Sägewerk. Im Schreinereibereich standen drei unterschiedlich grosse schwarze gusseiserne Hobelmaschinen (von 30cm Hobelbreite bis zum 2-Tonnen-Monstrum mit Dickenhobel) aus der Gründerzeit, eine ebenso gut 100 Jahre alte Fräse und eine Bandsäge zur Verfügung. Alle diese Maschinen waren ursprünglich ohne eigenen Antrieb und wurden per Transmissionsriemen von einer zentralen Antriebsquelle angetrieben. Der alte Werkstattmeister rüstete alle Maschinen selbst auf E-Motoren und Keilriemenantrieb um.
Das "Sägewerk" befand sich im Freien unter einem weit ausladenden Vordach des Gebäudes und bestand aus einer feststehenden - selbst gebauten - grossen Kreissäge und einer 10m langen Bahn aus zwei aufgebockten U-Profilen aus Eisen. In dieser Bahn konnte ein Schlitten mit Rollen von Hand an der Kreissäge entlang geführt werden. Auf diese Weise konnte aus ganzen Baumstämmen Balken, Kanthölzer, Latten und schmale Bretter gesägt werden.
Damit und in Verbindung mit den Hobelmaschinen und der Fräse war die Anfertigung aller für Haus und Hof benötigten Konstruktionshölzer und Möbelhölzer komplett autark möglich. Man brauchte lediglich Bäume und Strom, was beides auch in der Mangelwirtschaft der DDR offenbar genügend vorhanden war.
Die Schmiede bzw. Schlosserei war in einem weiteren Raum untergebracht. Eine kleine Esse für Schmiedekohle wurde von einem Gebläse mit selbstgebautem elektrischen Antrieb versorgt. Das (heute unübliche) Glühen des Eisens in Kohle sorgt für kohlenstoffreichen Stahl, der für robuste gute Klingen, Krautmesser, Meissel etc. sorgt. Geschmiedet wurde auf einem knapp 200kg schweren Amboss von 1902, der auf einer 50cm hohen Baumscheibe mit fast 1m Durchmesser mitten im Raum ruhte. Der Rest der Schlosserei war mit allen Geräten zur Metallbearbeitung ausgestattet: Schraubstöcke, Schlagscheren, Biege-Apparate, langsam laufende Bohrmaschinen, Schleifböcke, Vorrichtungen zum schärfen von Bohrern und Sägeblättern und drei riesigen E-Schweissgeräte, die teilweise aus dem Werftbau stammten. Zwei der Geräte ebenfalls Eigenbau-Konstruktionen. Im Freien befand sich eine - logischerweise auch selbstgebaute - stationäre Trennscheibe mit 40cm-Trennscheiben, auch über den an allen Maschinen in der Werkstatt vorzufindenden Keilriemenantrieb durch einen Drehstrommotor. Mit der Trennscheibe können selbst Stahlträger sauber abgeschnitten werden.
So nun kommts: alle diese Maschinen, die in den letzten zwei Jahren gar nicht mehr benutzt wurden und die teilweise kaum geschützt im Freien stehen, heftig Flugrost angesetzt haben und wie Schrott aus einer Mad-Max-Kulisse aussehen, funktionieren perfekt! Stecker rein, Keilriemenspannung geprüft. Stern-Dreieck-Schalter umgelegt und WOW! Übrigens, eine Hobelwelle mit 50kg Masse macht bei Nenndrehzahl ein absolut beeindruckendes Geräusch, schwer zu beschreiben, es ist ein sonores tiefes Heulen kombiniert mit einem satten Brummen, das vom Hobelmesser kommt, das die Luft "durchschneidet". Man bekommt fast ehrfürchtigen Respekt vor so einer Maschine.
Selbstverständlich war die Werkstatt mit tausenden Werkzeugen aus einem halben Jahrhundert gefüllt, nach einer mehrtägigen Putzorgie mit WD40 waren selbst uralte Schieblehren und Handbohrwinden wieder gängig und sahen richtig edel aus (seither zählt WD40 für mich zu den Survival-Basics...).
Ein Bordwerkzeugkasten von einem DKW (mit dem heute als "Audi-Ringe" bekannten Logo) und ein vollständiger Ratschenkasten aus der Vorkriegszeit von Göls, bei dem die Ratsche noch spielfrei läuft (sag das mal ner China-Ratsche aus dem Baumarkt..).
Dazu kam ein mehrere Tonnen schweres Materiallager: Eisen in allen Formen und Längen, hunderte Keilriemen, dutzende E-Motoren, Stecker und Schalter, hunderte Meter Elektrokabel. Und Schrauben, Muttern, Scheiben, und und und. Eine Spezialität des Schmiedemeisters waren seine extrem stabilen Meissel, die bei den Handwerkern in der Umgebung absolut beliebt und bis heute im Einsatz sind: er "organisierte" auf abenteuerliche Weise von einem russischen Schrottplatz bei Magdeburg die Bolzen der Panzerketten ausgemusterter T-34-Panzer. Die Bolzen sind aus ultrahartem Stahl. Er bestach die russischen Wachposten mit Wodka, damit die bei ihrer Patrouille das Loch am Zaun des Schrottplatzes eine Zeit lang umgingen und er in Ruhe Bolzen aus den Panzerketten ziehen konnte (wenn er viel und guten Wodka dabei hatte, halfen sie sogar beim Aufladen der ca. 4cm dicken und fast 60cm langen Bolzen).
Warum erzähle ich das alles?
Im Grunde war diese Werkstatt ein S&P-Projekt in der DDR-Realität. Mit einem Bestand an relativ wenigen verschiedenen Spezialteilen, die man kaum selber fertigen kann (Keilriemen, E-Motoren, Eisenmaterial, Stromkabel, Kugellager) und einem "richtigen" Sortiment an Werkzeug und (selbstgebauten) Maschinen konnte diese Werkstatt autark (bis auf Strom und Bäume für Holz) im Prinzip alles anfertigen und reparieren, was an Mechanik, Haus- und Hoftechnik, Gartengeräten, Fuhrwerken, Zäunen, Brunnen usw. zum Leben benötigt wurde.
Ein Stück weit Vorbild für meine eigene "Bastel-Werkstatt" und auch eine Anregung zum Nachdenken: was ist S&P-mässig sinnvoller: eine solide uralte Bandsäge oder ein digitales Speicheroszilloskop (das ist mehr so meine berufliche Ecke)? Allein die Tatsache, dass der ganze teils über 100 Jahre alte Maschinenpark, der wenig gepflegt, dafür aber viel genutzt wurde, heute noch komplett funktionsfähig ist, hat mich schwer beeindruckt.
Was ist nun mit der Werkstatt passiert? Ich hatte zum Glück genug Zeit, alles an Geräten und Werkzeugen und Material zu inventarisieren. Von den Werkzeugen (die natürlich überall chaotisch verstreut herumlagen) habe ich quasi im Arche-Noah-Prinzip immer die zwei am besten erhaltenen in Werkzeugkästen sortiert, so entstanden komplette Werkzeugkästen mit "Schlosserwerkzeug", "Schreinerwerkzeug" usw. Dieses Werkzeug, zwei Schweissgeräte, Werkbänke, Ständerbohrmaschinen, Schlagschere, Biegeapparat und zentnerweise Kleineisen, Schrauben, Bolzen etc. habe ich bei den Schwiegereltern in der Nähe eingelagert bzw. dort eine verkleinerte Version der Werkstatt wieder eingerichtet. Leider war definitiv keine Möglichkeit vorhanden, die Holzbearbeitungsmaschinen und die komplette Schmiede einzulagern bzw. innerhalb der Familie wieder aufzustellen.
Die Schmiede und die Maschinen wurden per Zeitungsinserat beworben und verkauft, auch wenn mir (und ganz besonders dem alten Inhaber) dabei das Herz blutete. Immerhin ging die Schmiede an einen Schmied und zentnerweise Schmiedekohle wurde einem Freilichtmuseum spendiert, das eine komplette alte Schmiede als Schaubetrieb hat. Ende der Woche werde ich mal ein zwei Bilder der alten Werkstatt hochladen, im Moment komme ich nicht an die Daten ran...
Grüsse
Tom