Danke Euch für die kritische Betrachtung dieses schlecht recherchierten und mit Unkenntnis systemischer Zusammenhänge geschriebenen Artikels.
Einige Gedanken von mir dazu: zunächst zu den immer wieder erwähnten Zeiträumen, innerhalb derer der Strom nach einem (großflächigen) Ausfall wieder verfügbar sein soll. Da gibt es länderspezifische Unterschiede. In Österreich, wo man über mehr schwarzstartfähige Wasserkraftwerke verfügt, geht der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) Austrian Power Grid (Österreich und die Schweiz haben je eine Regelzone mit je einem Übertragungsnetzbetreiber, Deutschland vier) davon aus, dass binnen 48 Stunden der Strom wieder fließt: https://www.apg.at/stromnetz/sichere-stromversorgung/ "Die regelmäßigen Simulationen und Krisenübungen zeigen, dass die APG in der Lage ist, das Stromnetz binnen 12 bis 48 (kurz 10 bis 24) Stunden wieder in einen ordentlichen Betriebszustand zu bringen und die sichere Stromversorgung somit wieder herzustellen. Dies geschieht mit dem Hochfahren sogenannter schwarzstartfähiger Kraftwerke (u.a. Pumpspeicherkraftwerke) mittels derer Versorgungsinseln etabliert und anschließend zusammengeschlossen werden."
Dabei wird nicht explizit gesagt, dass es hier um die Verantwortungsebene der Übertragungsnetzbetreiber geht, also Höchstspannungsnetze. Die nach einem Spannungsverlust durchzuführenden Maßnahmen auf den mittleren und unteren (Verteil-)Netzebenen sind nicht berücksichtigt. In Deutschland gehen übrigens die ÜNB von 72 Stunden aus.
Wie tomduly richtig beschreibt, ist die Wiederherstellung der Stromversorgung nur ein Teil. Durch den Ausfall des Stroms ist auf jeden Fall auch die Kommunikationsinfrastruktur (insbesondere Mobilfunk, Internet) betroffen. Das ist das wirkliche Problem eines Blackout-Szenarios: selbst, wenn der Strom wieder da ist, heißt das noch lange nicht, dass wieder alles "normal" ist. Deshalb beschreibt die Gesellschaft für Krisenvorsorge drei Phasen:
Phase 1:
Die Erfahrung ist zunächst wie bei einem normalen Stromausfall.
Phase 2:
Es kommt zu Auswirkungen auf stromabhängige Systeme, zunächst auf die Telekommunikation, also jeglichen Austausch von Informationen und Daten über Festnetz, Mobilfunk und Internet.
Betroffen sind auch Wasser, Abwasser, fast alle Heizsysteme, zunehmend auch die Versorgung mit Lebensmitteln.
Phase 3:
Diese Phase wird häufig unterschätzt. Es kann sein, dass teilweise und zeitweise wieder Strom zur Verfügung steht, dass also z.B. wieder gekocht werden kann. Die in Phase 1 und 2 unterbrochenen stromabhängigen Systeme und Versorgungsketten werden aber noch lange nicht wie gewohnt funktionieren. Diese Phase wird auch regional sehr unterschiedlich ablaufen. Daher kann es keine eindeutige Zeitangabe geben. Auch kann man sich nicht auf die Angaben der Netzbetreiber verlassen, die sich nur auf ihre Fähigkeit zur Wiederherstellung der Stromerzeugung und des Stromtransports beziehen.
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„Blackout“ ist ein mehr als ein großer Stromausfall, er ist ein Stromausfall PLUS. Ich kann hier nur die Schlagwörter aufführen,
• unbeabsichtigt, unvorhergesehen und unkontrolliert
• kein Ereignis, das allein durch eine einzige Ursache ausgelöst wird.
• länger andauernd und wegen daraus resultierender gravierender gesellschaftlicher und ökonomischer Folgen lange nachwirkend
• großräumig und „entgrenzt“, überregional (ggf. europaweit)
• reduziert Hilfemöglichkeiten, weil als eine Folge für die meisten Menschen / Kommunen / Regionen keine direkte, unmittelbare Hilfe aus regional benachbarten Regionen / Bundesländern / Nachbarstaaten möglich sein wird
• systemübergreifend wegen der Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Systemen: kaskadenartige Ausfälle von (kritischer) Infrastruktur (Energie, Verkehr, Bankwesen, Finanzmarktinfrastrukturen, Gesundheitsversorgung, Trinkwasser, Abwasser, digitale Infrastruktur, Kommunikationsinfrastruktur, öffentliche Verwaltung, sowie Produktion, Verarbeitung und Vertrieb von Lebensmitteln).
• führt zu Multigefahren und –risiken. Das heißt, wir müssen nicht nur mit einer Ursache und deren Folge zurechtkommen, dem Fehlen von Strom, sondern wir müssen mit einer Vielzahl von Aspekten umgehen, die gleichzeitig oder nacheinander auftreten und mit deren Folgen wir ebenfalls zu tun haben
• zerstört Logistikketten und –netze und führt zum Ausfall der Logistik =„Güter in einem resilienten System von der Erzeugung/Produktion bis zur Nutzung/Verbrauch so zu planen, zu koordinieren, zu lagern, zu transportieren und zu kontrollieren, dass die richtigen Güter in der richtigen Menge, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, zu den richtigen Kosten und in der richtigen Qualität ankommen.“
• ist „daseinsbedrohend“ da der Zugang zu existentiellen Gütern und Leistungen für alle Bürger unterbrochen wird
• in seinem Ablauf einmalig
Immer wieder wird beschrieben, wie unwahrscheinlich ein solches Ereignis wäre. Das ist Wunschdenken und beruht auf fehlendem Verständnis für Risiken, Wahrscheinlichkeiten und Folgenabschätzung. Stichwort: Truthahn-Illusion.
Allein der Blick auf die Maßnahmen der Stromversorger (auf allen Ebenen) oder auch die Auswertung der Unterlagen der ENTSO-E (Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber) zeigt, wie ernst diese das Thema nehmen und leider auch, wie oft in den vergangen Jahren wir knapp an der Erfahrung eines solchen Szenarios vorbeigeschrammt sind.
Dennoch werden immer wieder bestimmte Medien, Parteien und Politiker, Influencer oder Lobbyisten auf die Unwahrscheinlichkeit hinweisen. Oft finden sich dahinter bestimmte Interessen (z.B. Atomlobby) oder einfach nur die Suche nach Klicks und Aufmerksamkeit.
In Österreich gibt es mehr Risikobewusstsein und daraus folgende Risikokommunikation. Da hat Deutschland noch Nachholbedarf. In D geht es immer gleich um Angst ("German Angst" ), die zu einer Risikoaversion führt: man spricht nicht gerne über Risiken, Entscheidungen werden oft zögerlich getroffen, um negative Konsequenzen zu vermeiden. Es besteht zwar ein starkes Sicherheitsbedürfnis und der Wunsch nach Kontrolle über die eigene Umgebung, man verlässt sich aber auf den Staat und die Versicherungen.
Daher: bleibt kritisch, informiert Euch bei verlässlichen Quellen und checkt gegen. Misstraut allen, die einfache Antworten anbieten und komplexe Zusammenhänge "ganz einfach" erklären wollen.