Moin @ll,
ich möchte die Gedankengänge mal mit einem (ungefährlichen) realen Szenario aus der jüngeren Vergangenheit füttern, allein um zu zeigen, wie schwierig es im "Ernstfall" sein kann, gesicherte Erkenntnisse für eine realistische Lageeinschätzung zu erhalten. Halb Deutschland hat über die "Maggikalypse" vom 11.06.2013 in Köln gelacht...
Einige Stichpunkte zur Zeitachse:
In den frühen Morgenstunden war im (nördlichen) Stadtgebiet ein starker "Maggigeruch" wahrnehmbar
Ab 06:40 Uhr liefen in der EZ der Berufsfeuerwehr bereits zahlreiche Anrufe besorgter Bürgerinnen und Bürger auf, die den Vorfall meldeten und sich erkundigten, wie sie sich zu verhalten haben.
Im folgenden wurde die "Analytic Task Force" mit mehreren Messfahrzeugen eingesetzt, um die Quelle und ein evtl. Gefahrenpotential zu erkunden.
Um 07:32 Uhr informierte die Feuerwehr die Öffentlichkeit mit einer ersten Eilmeldung. Bis zu diesem Zeitpunkt war ein Mitarbeiter der Stadt wegen der aus dem Geruch resultierenden Übelkeit durch den Rettungsdienst in eine Klinik verbracht worden.
Die telefonische Rückfrage bei den Feuerwehren des Umlandes erbrachten keinerlei Erkenntnisse.
Die fortwährend gezogenen Luftproben erbrachten bei gaschromatographischer Auswertung keinerlei Gefahrenpotential, während sich der Geruch auch im Umland wegen der wechselnden Windrichtung immer weiter wahrnehmbar ausbreitete.
Um 09:30 Uhr stellt ein Blogger ein Google-Maps-Tool zur Verfügung, um Bürgern die Möglichkeit zu geben, ihre Wahrnehmung mit Ortsangabe online abzugeben. Er wollte so der Feuerwehr eine Karte mit den Wahrnehmungen zur Verfügung stellen...
Um 10:45 Uhr bittet die Feuerwehr den Notruf nur noch im Extremfall für Meldungen zu nutzen und verweist für Informationsanfragen auf das Callcenter der Stadt. Der Notruf drohte zu diesem Zeitpunkt zu überlasten...
Gleichzeitig wurde ein Hubschrauber zur Lageerkundung eingesetzt.
Während der Geruch sich immer weiter ausbreitete waren keinerlei Erkenntnisse über die Quelle verfügbar, es gab nicht den geringsten analytischen Hinweis auf ein gesundheitliches Risiko.
>>> Einschub:
Welche Information würde ein Prepper in diesem Moment erwarten? Was würde sich der Skeptiker denken, der davon ausgeht, dass eine offizielle Stelle primär verharmlost und die Losung "alles unter Kontrolle" verbreitet?
Zu welcher Entscheidung würden diese beiden Menschen kommen?
Ich kürze den Tagesverlauf ab:
Um 14:00 Uhr konnte die Situation aufgeklärt werden:
In einem Neusser Chemiebetrieb ereignete sich um 03:15 Uhr ein Feuer in der Produktion von Aromastoffen für die Lebensmittelindustrie. Hierbei wurde über einen Schornstein Soloton freigesetzt, das Aroma des Liebstöckels, dem Maggikraut. Dieser Stoff ist nicht gesundheitsschädlich, allerdings reagiert die menschliche Nase sehr, sehr empfindlich darauf.
Der Nordwind trug den Geruch nach Köln und die später erfolgte Winddrehung verteilte ihn über die Region.
Was sich jetzt wie eine Posse aus der Provinz liest, zeigt jedoch wie schwierig es sein kann, in einer Lage wirklich sichere Erkenntnisse zu gewinnen und daraus ein belastbares Lagebild zu zeichnen. Im Beispiel hat es von Ereignis bis Wahrnehmung der Wirkung bereits fast 3:30 h gedauert, bis zu Klärung und sichern Informationsmöglichkeit der Öffentlichkeit über 10:45 h!!!!!
Und das trotz massivem Einsatz aller Analyse- und Aufklärungsmöglichkeiten!
Wer jetzt sagt, beim letzten Hochwasser waren Zwitscherer und Gesichtsbuchleser besser informiert, als offizielle Stellen, der unterschlägt, dass diese immer nur punktuelle Informationen (vulgo Einzelmeldungen) transportieren. Um jedoch die Öffentlichkeit solide zu Informieren und auch entsprechende Entschlüsse für einen Einsatz fassen zu können benötigt man nun mal gesicherte Informationen, die in einer Synopse zur Lage verdichtet werden. Ein Berg von Einzelmeldungen / Einzelbeobachtungen ohne Background ist noch keine Lage.
Was wäre denn in diesem Beispiel gewesen, wenn irgendwer den Tipp zur Flucht in die Welt gesetzt hätte?
Wir reden hier von einer Großstadt jenseits der Million mit einem dicht bevölkerten Umland...
Ich möchte niemandem seine Fluchtplanung ausreden oder schlecht reden! Ich möchte an einem so harmlosen, ja fast lustigen Beispiel nur veranschaulichen wie schwierig es sein kann, eine gesicherte Basis für eine Entscheidung zu finden, die ja doch auch einiges an (persönlichen) Konsequenzen haben kann. Ich denke da jetzt einfach mal daran, dass sich jemand entscheidet wg. vermutlicher Bedrohung durch einen Chemieunfall in der Nähe morgens ins Auto zu springen und nach Westen zu fahren, statt zur Arbeit.
Mir geht es in dem Post einfach darum zu zeigen wie wichtig es ist mal einen Schritt zurück zu treten und versuchen Probleme aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln zu betrachten. Behaltet bei aller Vorbereitung das maximale Maß an Flexibilität im Kopf, es kommt anders, als geplant. Immer, versprochen!
Christian