Der letzte Tag auf der Cap Anamur
Da einiges an Formalitäten erledigen musste setzte die Cap Anamur vor dem Hafen der Stadt Puerto Princessa
seinen Anker. Die Schiffsmannschaft und wir veranstalten eine Art Zusammenkunft am Abend bevor wir das Schiff
verließen. Jemand hatte eine Gitarre von den Matrosen geliehen. Einige gaben vietnamesischen Liedern zum Besten.
Am Ende versuchten mehrere von uns, uns bei der Mannschaft zu bedanken. Ich betone extra auf “versuchten“
weil man eigentlich gar keine passende Wörter dafür fand, um sich bei jemandem zu bedanken, der einem das
Leben gerettet hatte. Schon komisch. Für jeden Pickel gibt es einen schönklingenden lateinischen Namen aber
ein passendes Wort als Dank fürs Lebensretten existiert in keiner Sprache. Sechs hundert fünf und neunzig Menschen
auf dem Oberdeck. Muttern mit ihren Säuglinge, Vätern mit Söhnen, Schwester, Bruder, Familie…alle hatten geweint
oder zumindest feuchte Augen.
Der Mannschaft erging es auch nicht besser. Geweint hatten sie fast alle obwohl sie sicherlich nicht zum ersten Mal
solchen Abschied erlebten.
3.Kapitel.
Die Zeit im Camp
Am nächsten Morgen packte ich unser Hab und Gut zusammen. Handtuch, Zahnbürste, Zahncreme. Das war’s. Dann setzte
ich nach einem Monat meine Füße auf festen Boden. Die ersten paar Minuten kam es mir vor, als ob der Boden schaukelte.
Mein Gehirn hatte die Schaukelei auf dem Schiff angepasst und täuschte mir diese immer noch vor.
Wir stiegen auf einem Kipplader, also ein kleines LKW mit kippbarer Ladefläche, und wurden ins Flüchtlingslager gefahren.
Als wir durch das Tor fuhren, liefen mehrere Leute neben den LKW und riefen uns zu: Wo kommt ihr her? Jemand aus dem
10. Bezirk? Jemand aus …? Es ging so hektisch zu wie in einem Ameisenhaufen. Es waren so viele Menschen vor uns schon hier.
So hatte ich mir es nicht vorgestellt. Ich dachte als man uns auf der Cap Anamur von dem Camp erzählte, es lebten vielleicht
ein bis zwei hundert dort. Aber es waren achtzehn tausend Menschen.
Ein paar Fakten zu der Flüchtlingslager Palawan.
Koordinaten: https://maps.google.com/maps/m…22713,0.038581&dg=feature
Das Camp existiert 1979 bis 1993, gegründet von UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees ). Größe zu meiner
Zeit etwa 1,5 km lang, 500 m breit. Es lebten je nach Fluchtuation bis zu 18 000 Menschen im Camp. Insgesamt sollten bis zu 50 000
sich hier aufgehalten haben.
Wir bekamen einen Code für unsere Gruppe. 4/72/695 Cap Anamur. Das 4. Boot mit 72 Menschen an Bord von 695 gerettete der
Cap Anamur. Wären wir z.B. in Subic Bay gestrandet mit 45 Menschen an Bord würden wir den Code 45 Subic Bay bekommen.
Alles klar so weit?
Einen gelben Zettel als Ausweis, eine Strohmatte als Unterlage, eine dünne Decke, eine Unterhose, einen Topf, Geschirr und
Besteck erhalten jeder von uns. Dann mussten wir zur Check-In Untersuchung. Das lief so ab, dass wir durch ein Zelt in zwei
Reihen marschierten und einige philippinische Männer in Zivil uns kurz betrachteten und uns weiter schickten.
Mit der Ausrüstung unterm Arm standen mein Vater und ich ratlos vor dem chaotischen Durcheinander der Menschenmassen.
Niemand hatte danach um uns gekümmert. Wir wussten nicht wo wir hin sollten, wo wir schlafen konnten. Unter dem Vordach
einer der größeren Gebäude fanden wir etwas Schutz vor der Sonne. Papa lief noch eine Weile herum um einen Schlafplatz zu
suchen, fand den leider nicht. Überall lagen und saßen Leuten. War auch kein Wunder. Fast 700 auf einen Schlag. Wie sollte
man sich so schnell alles organisieren können.
Wir beschlossen erstmal da zu bleiben wo wir waren. Als die Nacht einbrach schlugen wir unser Nachtlager unter dem Vordach auf.
Zu unserem Glück fing es auch noch an zu regnen. :traurig:
Ich war sooo Müde. Nicht nur körperlich sondern auch seelisch. Nach all den Strapazen der Fluch, den spartanischen
Lebensbedingung auf dem Schiff und dann auch noch das. Ich riss mich die ganze Zeit zusammen um nicht zu jammern, um alles
auszuhalten, aber das kostet Kraft. Die Kraft die mir jetzt auszugehen schien. Ich zog mir die, mittlerweile nasse Decke, über
dem Kopf und weinte leise vor mich hin damit Papa es nicht mitkriegte.