Tag 5
Um halb sechs am Morgen weckt mich die Wache.
Der Gemeindepräsident und Vorsteher des Krisenstabes steht vor der Einfahrt.
Ob ich heute den grossen Generator zu den zwei Höfen mit Milchkühen fahren könne, die Feuerwehr sei grad Mannschaftsmässig sehr strapaziert, da es im Nachbarsdorf offenbar viele Durchfallerkrankungen gibt.
Eine 3/4 Stunde später stehe ich bei Matzingers auf dem Hof und plaudere mit der Bäuerin, trinke einen Milchkafi, während der Diesel vor sich hin brummt.
Letzte Nacht sei Ihr kleiner Hofladen ausgeräumt worden, sie hätten absolut nichts gehört, meint Sie besorgt.
"Ihr solltet den Hund nachts draussen lassen, damit er seinen Job macht", sag ich mehr im Scherz.
"Hauptsache euch ist nichts passiert".
"Was macht ihr eigentlich mit der Milch?" frage ich gerade als das CB im Pickup angeht.
"Bandit India...Bandit India von Hometown bitte kommen...." bleep
- "Roger Homettown, ich höre, over"
"Eben kam im Radio eine dringende Warnung. Es gab einen Chemieunfall in Hinterzutzigen, eine Wolke mit möglicherweise giftigen Dämfen treibt in unsere Richtung, over"
- "Roger, wurde etwas gesagt wann die Wolke bei uns ist? Over"
"Für unsere Region rechnen sie mit etwa einer Stunde, ab jetzt. Over"
- "Roger....ähm...scheixxe..,ähm...ich muss noch zum Fehr rauf, seine 6 Kühe warten aufs melken..,over"
"Bandit India, wie lange brauchst du dafür? Was sollen wir tun? Over"
- "Roger Hometown...im Wachbüro steht der blaue Ordner..da wo die Blackout-Checkliste drin ist, da ist auch die NBC-Checkliste, over"
"Ok Bandit India, gefunden, over"
- "Roger, das Schutzmaterial ist im linken Regal, es sind 2 grosse Kisten angeschrieben mit NBC, over"
"Okay Schatz, mach schnell...das macht mir Angst, over"
- "Roger, ich mach so schnell es geht, es sind nur 6 Kühe, also eine knappe halbe Stunde, mach dir keine Sorgen, over and out"
"Hometown out" bleep
Die Frau Matzinger schaut mich mit grossen Augen an..
"Besser ihr geht dann alle rein, schliesst alle Fenster und Türen und wartet auf Entwarnung...ah da kommt dein Mann...dann kann ich los".
Es werden dann doch 50 Minuten bis ich wieder bei der "Burg" aufschlage, unterwegs kommt mir der Feuerwehrsprinter entgegen der mit einer improvisierten PA die Chemiewarnung an die Dorfbewohner verkündet.
Beim heimfahren fällt mir der unangehnehme Geruch das erste Mal auf; und sehe auch gleich den Grund dafür. Abfallsäcke türmen sich neben den Containern, einige wurden von Füchsen aufgerissen, der Inhalt gammelt jetzt auf der Strasse vor sich hin.
Offenbar verrichten viele auch Ihre Notdurft in Müllsäcke...das olfaktorische Aroma ist unverkennbar.
Zuhause haben sie schon den grössten Teil der Checkliste abgearbeitet, alle Türen und Fenster geschlossen, Katzenschleuse zu, Katze im Haus, Dampfabzugsöffnung verschlossen, Regenwassertonne abgedeckt, Fallrohrklappe zu, Gemüsebeete und Tomatenstauden mit Plastikfolie abdeckt, den Popcornmais abgeerntet, ebenso die Kürbisse.
Feuerholz für 3 Tage wurde ins Haus gebracht, die Outdoorküche wieder ins Haus verfrachtet.
Nachbars klopfen an die Tür.
"Wir haben kein Wasser mehr, das Gas vom Grill ist leer, wir haben Angst vor der Giftwolke."
"Ihr könnt hier bleiben bis Entwarnung kommt, dann schauen wir weiter, okay?"
Ich lotse die beiden zum Sofa im Wohnzimmer, drücke Ihnen erstmal ein grosses Glas Holundersirup in die Hand.
"So, machts euch bequem, ihr bleibt jetzt einfach sitzen und beruhigt euch erstmal."
Zu meiner Frau flüstere ich, "Halt sie im Auge, sie sollen nicht im Haus herumstromern, du weisst warum...zwinker..zwinker."
Jetzt können wir nur abwarten.
Um die bedrückte Stimmung zu vertreiben stellen wir den Laptop mit den externen Boxen auf.
Kino!
Es wird leichte Kost, eine Komödie.
Cool Runnings, dazu Popcorn und kalten Zitronenmelissetee.
Es wird gelacht, Nachbars haben sich beruhigt....wie es wohl draussen ist?
Wir schauen noch zwei weitere Filme, einmal hören wir einen schweren Helo übers Dorf knattern.
Kurz vor 19 Uhr, endlich Entwarnung. Die Wolke hat sich verflüchtigt, die Gefahr ist vorbei.
Nachbars schicken wir mit 2 Sixpacks Mineralwasser und dem kleinen Gaskocher heimwärts.
Wieder ein Tag überstanden.
Meine erste Wache habe ich erst um 02:00.