Tourtag: Sonntag, 26. April 2015
Strecke: Zu Hause – erstes Hauptetappenziel
Distanz: etwa 155 km
Routing: G**** Maps, Einstellung als Fahrradfahrer
Etappenziele:
1. Erreichen des Etappenzieles unter allen Umständen.
2. Nach Möglichkeit Erreichen des Etappenzieles an einem Tag, also ohne Übernachtung.
3. Transport einer größeren Ausrüstungsmenge mit einem Fahrradanhänger
Gegen acht Uhr morgens hatte ich den Fahrradanhänger mit Verpflegung, Wasser, Bekleidung und zusätzlicher Ausrüstung für sieben Tage beladen und an das Fahrrad gekoppelt. Es war bewölkt, kühl, aber immerhin trocken. Regen hatte sich für den Ort erst zum Mittag hin in Schauern angekündigt. Für das Zielgebiet der Tagesetappe waren Gewitterschauer zum Nachmittag angekündigt.
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Taktische Weste mit Tagesausrüstung (u.a. Tagesration Verpflegung und zwei Liter Trinkwasser)
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Der fertig beladene Fahrradanhänger am Fahrrad angekuppelt (in den Trinkflaschen im Rahmen insgesamt 1,5 Liter Trinkwasser).
Frohen Mutes fuhr ich los. Allerdings hatte die Tour schon bald, kurz nach der großen Hauptkreuzung in meinem Wohnort ein jähes Ende: Die Deichsel des Anhängers war weggebrochen. Genauer gesagt, hatten sich die zwei Verbindungsschrauben, die die Deichsel mit dem eigentlichen Anhänger verbanden verabschiedet. Die Original-Schrauben waren im Vorjahr nach einer Einkaufstour zu einem schwedischen Möbelhaus geschädigt, weil der Übergang vom S-Bahnwagen zur Bahnsteigkante etwas ungünstig für einen Fahrradanhänger mit dieser Radgröße war. Ich hatte sie durch, wie sich an diesem Sonntag nun herausstellte, durch Schrauben von ungenügender Materialstärke und Materialqualität ersetzt.
Also schloss ich mein Fahrrad an einem Zaun in der Nähe an und schaffte es irgendwie, den Anhänger nach Hause zu bringen. Im Keller besah ich mir das Desaster näher und überlegte mir einen Plan, wie ich den Anhänger reparieren könnte. Die Tour wollte ich auf keinen Fall aufgeben. Da die Umsetzung des Plans längere Zeit in Anspruch nehmen würde, holte ich erst einmal das Fahrrad wieder nach Hause. Sicher ist sicher.
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Der reparierte Fahrradanhänger. Mehr ein Provisorium, aber immerhin hält die Deichsel nun.
Schließlich machte ich mich an die Reparatur der Deichsel. Es war ein Provisorium mit Holzresten und Schrauben verschiedener Art, die ich noch im Keller liegen hatte. Aber es hielt. Nach drei Stunden, es war mittlerweile kurz vor elf Uhr, konnte ich mich endlich wieder auf den Weg machen. Natürlich hatte mittlerweile der angekündigte Regen eingesetzt. Allerdings in Form eines leichten Nieselregens, der mich nicht weiter störte. Ich hatte meine Freunde am Hauptetappenziel zwischenzeitlich von dem GAU berichtet. Also machte ich mich auf den Weg. In der Ebene schaffte ich 15 km/h, vielleicht auch mal weniger oder mehr. Bei Steigungen zog der Anhänger und ich schaffte deutlich weniger als die veranschlagten 15 km/h, bei Gefälle schob der Anhänger und ich schaffte deutlich mehr als die geplanten 15 km/h als Durchschnittsgeschwindigkeit. Auf gut ausgebauten, geraden Gefällestrecken schaffte ich kurzzeitig sogar bis 35 km/h. Allerdings musste ich dann schon aufpassen, dass der Anhänger durch Bodenwellen oder Schlaglöcher nicht in ungünstige Schwingungen geriet, die zu einem Kippen führen würden.
Das Beladungskonzept des Anhängers war eigentlich sehr günstig: In der unteren Box waren die EPa-Vorräte und das Trinkwasser für eine Woche autarkes Biwakieren. In der oberen Box hatte ich Schlafsack, Kleidung, eine Tagesration Verpflegung und Wasser sowie andere Kleinteile, die ich kurzfristig gebrauchen könnte über den Tag. Auf der oberen Box konnte ich zwischenzeitlich sogar das Solarpanel ausgeklappt befestigen und in der kurzen Sonnenphase zwischen 13 und 17 Uhr, immerhin gut vier Stunden, das Akkupack wenigstens etwas wieder aufladen. Rechtzeitig vor dem Gewitter hatte ich es aber dann doch wieder eingeklappt. Nach vielen Jahren in der freien Natur kann ich mittlerweile ziemlich gut lokale Schlechtwetterereignisse mit einer Ungenauigkeit von etwa einer viertel Stunde an Temperatursturz, auffrischendem Wind und Wolkenformation erkennen. Und irgendwie auch am Geruch der Luft. Aber frag mich bitte niemand danach, wie das bei mir funktioniert.
Aufgrund der bisher geleisteten Durchschnittsgeschwindigkeit, die geringer war als die geplanten 15 km/h, war mir klar, dass ich mein rund 160 km von zu Hause entferntes Ziel nicht zu einer vertretbaren Zeit am Abend erreichen würde. Ich rief bei meinen Freunden an und informierte sie über die Lage. Es wurde ein toter Briefkasten für den Hausschlüssel vereinbart, da ich absehen konnte, dass es bei der derzeitigen Durchschnittsgeschwindigkeit bis nach Mitternacht, vielleicht sogar erst zwei Uhr in der Nacht dauern würde, bis ich das Ziel der Tagesetappe erreichen würde.
Schön wäre es gewesen. In der Nähe von Neustadt am Rübenberge, die Stadt selber konnte ich umfahren, wurde ich auf einen Feldweg geleitet. Mal wieder. So weit so gut, bisher wurde ich bereits mehrfach auf Feldwege geleitet, daher beunruhigte mich dieser Umstand nicht. Der Feldweg war auch gut ausgebaut. Er war asphaltiert, stellenweise betoniert und es ging auch gut vorwärts. Mittlerweile ist aus gelegentlichen Schauern und Nieselregen ein ausgewachsener Landregen geworden. Ich sollte schon bald über diesen Umstand fluchen. Nicht nur, weil es bedeutet, dass meine Kleidung, die bislang trotz Nieselregen, Schauer und Gewitterschauer ziemlich trocken geblieben war, nun zunehmend mehr Feuchtigkeit aufnahm und irgendwann auch schlicht und ergreifend klatschnass war, sondern auch, weil es bedeutete, dass sich der Boden mit Wasser mehr und mehr vollsog. Solange eben dieser Feldweg befestigt war, störte mich dieser Umstand nicht. Doch dieser Feldweg führte mich westlich am Steinhuder Meer vorbei durch das Mardorfer Moor. Und der Feldweg änderte nach einigen Kilometern seinen Ausbauzustand: von asphaltiert/betoniert zu einer Fahrspur mit Rasenbewuchs. An Umkehren und neuen Weg suchen war nun, gegen zehn Uhr abends, nicht zu denken. Auch war nicht an Fahren zu denken. Also musste ich das Fahrrad mitsamt dem Anhänger schieben. Und alleine das war schon mühselig genug, weil Fahrrad und Anhänger mit der Zeit gefühlt immer tiefer einsanken. Ich war froh, dass der Weg wenigstens mit Rasen bewachsen war. So brauchte ich mich nicht durch Schlamm zu wühlen. Aber auch so war es schon anstrengend genug. Ich war froh, als ich den Wald erreichte und der Feldweg in einen Waldweg überging. Dieser war zwar nicht asphaltiert, aber immerhin fest. Das Gelände war hier höher als auf dem Feld, so dass hier der Boden etwas trockener war. Aber die Freude über den leichter zu befahrenden Waldweg sollte auch nicht lange anhalten. Ich schöpfte ein wenig Hoffnung, doch diese wurde schon bald wieder zerschlagen, denn einige Tage zuvor müssen Waldarbeiter einen Teil des Weges mit ihren schweren Harvestern benutzt haben. Es hatten sich teilweise ziemlich tiefe Spurrillen gebildet. Die durch den Regen auch noch wieder ziemlich schlammig geworden waren. Hier war es nun noch mühseliger, das Fahrrad mit dem Anhänger zu schieben. Ich war am Fluchen. Ich sah die voraussichtliche Ankunftszeit tatsächlich immer weniger bei Mitternacht als vielmehr nun wirklich bei zwei Uhr nachts.
Geht es noch schlimmer? Ja, es geht. Irgendwo auf diesem von einem Harvester zerfurchten Waldweg machte der rechte Reifen des Anhängers die etwas sehr innige Bekanntschaft mit einem spitzen Stein oder einem ungünstig im Boden steckenden Stock oder was auch immer. Jedenfalls wurde er massiv mechanisch beschädigt und durch das spätere „auf der Felge fahren“ zerfetzte der Mantel regelrecht. Denn bis ich den Schaden bemerkte, dauerte es noch eine Weile. Es ging bergauf, ich schob das Gespann, das Schieben als solches war auch mit intakten Reifen bereits mühselig. Ich glaube, es war auf der Brücke über eine Bundesstraße, denn dort hatte ich erstmalig wieder asphaltierten bzw. betonierten Weg. Vorher war die Strecke nur geschottert. Da habe ich mich bestenfalls gewundert, warum ich nicht so recht ins Rollen kommen wollte, trotz Gefälle. Ich schob es auf den Schotter und die Schlaglöcher sowie die aufziehende Müdigkeit. Mittlerweile ging es auf Mitternacht zu und ich war noch knapp dreißig Kilometer von meinem Ziel entfernt. Kurz überlegte ich, hier in der Nähe ein Nachtlager aufzuschlagen und am nächsten Morgen weiterzufahren. Doch was sollte es bringen? Ich war weit ab von regulären Straßen, trotz der gerade über die Brücke überquerten Bundesstraße. Nur Feld- und Waldwege um mich herum. Selbst wenn sich meine Freunde bereit erklärt hätten, mich abzuholen, oder zumindest den Anhänger und die Boxen mitzunehmen, so hätte ich das Gespann aber immer noch zum nächsten geeigneten Treffpunkt schieben müssen.
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Zwei Ansichten des zerfetzen Reifens, aufgenommen am nächsten Morgen. Okay, sicherlich war der Mantel als solches nach über fünf Jahren auch zum Teil überaltert.
Da ich mittlerweile durch den Dauerregen, trotz Regenjacke, völlig durchnässt war, sei es durch den Regen selbst oder durch den Schweiß der Anstrengung, beschloss ich, in Bewegung zu bleiben, um nicht auszukühlen. Etwa einmal in der Stunde machte ich an geeigneten Stellen eine kurze Pause. In der Regel suchte ich mir hierfür einen Ort aus, an dem ich mich auf eine Bank setzen konnte. Manchmal, als ich später wieder in der „Zivilisation“ war und durch Ortschaften kam, waren es auch schon mal überdachte Bushaltestellen. Mit dem kaputten Rad des Fahrradanhängers waren insbesondere Steigungen anstrengend. Bei starkem Gefälle konnte ich mich manchmal wenigstens einige hundert Meter rollen lassen und dadurch Muskeln, Füße und Gelenke etwas entlasten. Zusammen mit dem Dauerregen und der Nachtkälte fing es langsam an, mich nun doch zu zermürben. So etwa ab drei Uhr in der Nacht waren meine Fahrradhandschuhe so nass und durchtränkt, dass es mir doch ziemlich kalt wurde an den Händen. Wenn ich die Handschuhe auszog, konnte ich sie regelrecht auswringen. Im Nachhinein betrachtet, waren meine Hände zum Schluss zwar ziemlich aufgeweicht und schrumpelig, wie nach einem zu langen Bad, und sie waren auch sicherlich kühl, aber sie waren dennoch in deutlich besserer Verfassung als bei der Tour zwei Wochen zuvor, bei der ich auf dem Rückweg in der Nähe von Verden übernachtete. Damals vor allem auch, weil meine Hände so eisig kalt gefroren waren, dass sie richtig rot waren. Ich hatte damals aber auch „nur“ meine dünnen, Laufhandschuhe an. Die sind eigentlich für Temperaturen über 10°C ausgelegt und in der Nacht damals war es unter 5°C.
Gegen sechs Uhr morgens war ich in einem Ort etwa acht Kilometer von meinem eigentlichen Tagesetappenziel entfernt. Ich stellte mich mit dem Fahrrad in einer großzügig dimensionierten Bushaltestelle unter. Zu meinem Glück, denn der Regen wurde noch stärker. Wie ich später herausfand, kamen in der nun folgenden Stunde etwa 25 Liter pro Quadratmeter herunter. Ich beschloss per Messenger, mit meinen Freunden Verbindung aufzunehmen. Als ich ihnen das Malheur mit dem Anhänger erzählte, war der einsilbige Kommentar von beiden nur: „oh!“
Ich schob irgendwann, nachdem der Regen nachließ, mein Gespann weiter Richtung Ziel. Kurz nach dem Ortsausgang bekam ich von meinen Freunden die Bestätigung, dass sie mir wenigstens die Boxen und den Fahrradanhänger mit dem Auto abnehmen würden. Wir vereinbarten einen Treffpunkt. Nachdem die Boxen und der Anhänger verstaut waren, konnte ich ohne Last und Mühe relativ zügig den Rest der Strecke zurücklegen. Nun gut, zum Schluss musste ich das Fahrrad noch einmal schieben, weil die Steigung auf den letzten paar hundert Meter ziemlich heftig ist. Auch für Autos. Aber immerhin waren bis neun Uhr morgens die Boxen im Hausflur, der Fahrradanhänger im Schuppen, meine nassen Klamotten zum Trocknen aufgehängt, ich geduscht und mit einem frischen Kaffee wieder aufgewärmt und konnte mich endlich nach über 24 Stunden ohne Schlaf wieder in eine warmes Bett zum Ausruhen schlafen legen. Nach sieben Stunden Schlaf sieht die Welt dann auch wieder freundlicher aus.
Gelernte Lektionen:
1. G*** Maps sucht für Fahrradfahrer geeignete Strecken nach dem Gesichtspunkt Distanz und Verkehr aus. In der Regel handelt es sich dabei um Radwege oder befestigte Feld- und Waldwege. Allerdings kann es auch schon mal vorkommen, dass der Ausbauzustand eines Feldweges nicht immer ideal ist (siehe zum Beispiel Mardorfer Moor).
2. Ein Fahrradanhänger ist eine gute Ergänzung, um viel Material über eine lange Distanz zu transportieren. Allerdings sollte der Anhänger auch in einem guten Zustand sein (siehe hier: Deichsel, Reifen) und es muss mit einer deutlich reduzierten Durchschnittsgeschwindigkeit gerechnet werden.
3. Einfache Kenntnisse über Meteorologie oder entsprechende Erfahrung in der Natur können helfen, Schlechtwetter rechtzeitig einzuschätzen (siehe rechtzeitig eingeklapptes Solarpanel)
4. Dauerregen, insbesondere in Verbindung mit Kälte, kann die Motivation ziemlich zermürben. Oder aber auch anstacheln. Mich jedenfalls hat der Regen eher dazu angespornt, dennoch weiter zu machen. Besonders auch unter dem Aspekt, dass es zum einen mitten in der Nacht war, ich bereits durchnässt war und jede längere Rast mich nur unnötig ausgekühlt hätte an dieser Stelle.
5. Rechtzeitig vor schlechtem Wetter das Nachtlager aufzuschlagen kann erheblich zur Erhaltung Einsatzkraft beitragen. Unter gewissen Umständen kann es aber auch notwendig sein, erst einmal unter allen Umständen ein bestimmtes Etappenziel zu erreichen.
6. Die zusammengestellte EPa-Ration wurde an diesem Tag nur unvollständig aufgebraucht. Es wurden lediglich die kalt zu verzehrenden Bestandteile aufgebraucht. Tee, Kaffee, Brühe und Fertiggericht wurden nicht zubereitet.
7. Ohne Fahrradanhänger, die technischen Pannen und bei günstigerer Auswahl der Fahrstrecke wäre die Distanz zwischen meinem Wohnort und dem Hauptetappenziel an einem Tag zu schaffen gewesen.