Mark Boyle, der Mann, der ein Jahr nichts kaufte

  • Ich stell hier mal dieses Interview rein:



    Der Brite Mark Boyle hatte sich entschlossen, ein Jahr nicht an der Konsumwelt teilzunehmen. Er wollte ohne Geld zurecht kommen. In einem geschenkten Wohnwagen lebte er ohne elektrische Geräte, ohne Klopapier, Fernsehen oder Auto. Selbst die Zahnpasta stellte er selber her.
    WELT ONLINE: Sie begannen im November 2008 mit Ihrem Experiment, ein Jahr ohne Geld zu leben. Damals sprachen gerade alle von der Finanzkrise. War das Zufall?
    Mark Boyle: Ehrlich gesagt, ja. Ich hatte schon lange darüber nachgedacht und war damals mitten in den Vorbereitungen. Ich habe Wirtschaft studiert, also sind mir solche Themen nicht fremd. In meinem letzten Jahr an der Uni sah ich dann den Film „Gandhi“.
    Gandhi hat gesagt, wir sollen selbst den Wandel durchmachen, den wir in der Welt sehen wollen. Ich hatte damals keine Ahnung, was das für ein Wandel sein soll. Irgendwann habe ich mich mit einem Freund unterhalten, über alles Mögliche: Klimawandel, Tierversuche, Ressourcenverschwendung. Und auf einmal wusste ich, wo alle Probleme herkommen.
    WELT ONLINE: Woher denn?
    Boyle: Der Grund für die meisten dieser Probleme ist die Tatsache, dass wir die Auswirkungen unserer Handlungen nicht direkt beobachten können. Wenn ich eine Tomate kaufe, dann weiß ich nicht mehr, wie lange es dauert, bis sie wächst, wie viel Wasser und Dünger man gebraucht hat, wie viel Arbeit es macht, Tomaten zu züchten.
    WELT ONLINE: Und die Lösung?
    Boyle: Wenn wir unser eigenes Essen anbauen würden, würden wir nicht ein Drittel wegschmeißen, wie es heute der Fall ist. Wenn wir unsere eigenen Tische bauen müssten, würden wir sie nicht einfach auf den Sperrmüll schmeißen, sobald sich die Mode ändert. Wenn wir unser Trinkwasser selbst reinigen müssten, würden wir es nicht verschwenden. Das erfährt man, wenn man ohne Geld lebt.
    WELT ONLINE: Von was haben Sie in dem Jahr ohne Geld denn gelebt?
    Boyle: Zunächst musste ich mir eine Unterkunft besorgen, denn ich konnte ja keine Miete mehr bezahlen. Ich bekam einen alten Wohnwagen geschenkt – brauchte aber einen Stellplatz. Also habe ich drei Tage in der Woche auf einem Bio-Bauernhof ausgeholfen und durfte als Gegenleistung dort parken. Ich habe dann einen Holzofen eingebaut, zum Heizen. Um kochen zu können, habe ich mir zeigen lassen, wie man einen Ofen aus Steinen und alten Olivenölkanistern baut.
    WELT ONLINE: Sie hatten keine elektrischen Geräte?
    Boyle: Doch, mein Laptop und ein Handy. Allerdings mit einer leeren Prepaidkarte. Ich konnte nur Anrufe empfangen. Um den Laptop und das Handy aufzuladen, habe ich Solarzellen auf dem Dach des Wohnwagens installiert. Dadurch hatte ich auch Licht. In den Wintermonaten hat die Sonneneinstrahlung allerdings meist nicht ausgereicht.
    WELT ONLINE: Sie hatten ein Plumpsklo?
    Boyle: Ja. Toilettenpapier hatte ich keins, nur Zeitungen.
    WELT ONLINE: Zahnpasta?
    Boyle: Eine selbst gemachte Mischung aus wilden Fenchelsamen.
    WELT ONLINE: Was haben Sie gegessen?
    Boyle: Da ich sowieso Veganer bin, brauchte ich kein Fleisch. Das meiste habe ich selbst angebaut oder im Wald gesammelt. Mal habe ich von dem gelebt, was andere wegwerfen. Gehungert habe ich nie.
    WELT ONLINE: Ohne die Dinge, die Sie vor dem Jahr gekauft haben, also Solarzellen und Kleidung etwa, wäre das alles schwierig gewesen.
    Boyle: Ja, das stimmt. Das war ein Kompromiss. Aber nur weil man an manchen Stellen einen Kompromiss eingehen muss, heißt das nicht, dass man es nicht versuchen soll.
    WELT ONLINE: Was war die größte Herausforderung?
    Boyle: Die ersten Monate. Ich musste mich erst an dieses Leben gewöhnen. Ich war immer müde. Aber ich habe mir angewöhnt, nicht mehr darüber nachzudenken.
    WELT ONLINE: Wollten Sie aufgeben?
    Boyle: Nein. Am Anfang dachte ich: Das wird ein langes Jahr. In einer Welt ohne Geld braucht man vor allem Geduld. Man braucht Stunden, um seine Wäsche zu waschen, in eiskaltem Wasser mit flüssigem Waschmittel, das man zuvor selbst hergestellt hat, indem man Seifennüsse auskocht. Mit dem Fahrrad 40 Kilometer in die Stadt zu fahren dauert eben länger als mit dem Bus oder mit dem Auto. Aber man gewöhnt sich an alles. Das finde ich sehr beruhigend.
    WELT ONLINE: Haben Sie sich verändert in diesem Jahr?
    Boyle: Vor allem habe ich sehr viele tolle Menschen kennengelernt.
    WELT ONLINE: Das sagt Miss Universe auch immer nach der Misswahl.
    Boyle: Aber es stimmt. Ich habe mich auch innerlich verändert. Ich war sehr sportlich früher, ich war auch ziemlich aggressiv. Heute bin ich ruhiger. Aber es ist unmöglich zu sagen, ob es durch dieses Jahr kam.
    WELT ONLINE: Was haben Sie vermisst?
    Boyle: Kontoauszüge. Rechnungen. Staus.
    WELT ONLINE: Und nun im Ernst.
    Boyle: Na ja. Im Pub sein, ein Bier trinken. So was. Manchmal wurde ich auch ein bisschen melancholisch. Manchmal hatte ich das Gefühl, die Welt zieht an mir vorbei, und ich kann kein Teil von ihr sein.

  • Hehe, ich wollte das auch schon posten. Ich geb dann die Quelle an, damit auch alles hübsch seine juristische Richtigkeit hat.
    ich finde das Experiment interessant, meinen Respekt hat er.
    Ich denke auchintensiv über das Thema "Konsumverzicht" nach und über schon tüchtig. Nicht nur, weil wir dieses Jahr wahrschenlich eh nur die ALG II Regelleistung zum leben haben, sondern auch, um ein Zeichen gegen die herrschende plutokratisch-oligarchische Junta zu setzen. Konsumverzicht und damit sinkende Steuereinnahmen (wenn es denn mehr menschen in grösseren Stil machen würden) wäre eins der Dinge, die diese wirklich treffen würde.
    Deswegen auch meine Idee mit den Sparrezepten. Ich kaufe auch Sachen lieber gebraucht (v.a. Kinderklamotten, Spielzeug, Bücher), wir sind mit Glück und für ganz wenig Abstand an einen Kleingarten gekommen, mal sehen, was mir noch einfällt.

  • Zitat von Sunnhild;21002

    Hehe, ich wollte das auch schon posten. Ich geb dann die Quelle an, damit auch alles hübsch seine juristische Richtigkeit hat.



    Danke Dir! Ich war nur zu faul dazu und dachte das würde sich aus dem Text alleine ergeben...

  • Gut schaut er aus. Sein Experiment ging jedoch nur deswegen halbwegs gut, weil er Freunde hatte (Wohnwagensponsor und Bauer)
    Er hat vielleicht kein Geld im herkömmlichen Sinne ausgegeben, aber mit "Tauschgeld" = Tauschgeschäften manches "bezahlt".
    Das soll keine Schmälerung seiner Leistung sein, sondern der genaueren Analyse dienen.

    Ohne Wohnwagen, Stellplatz und gewisse Vorbereitungen hätte er sich kaum von anderen Obdachlosen unterschieden. Das wichtigste ist ein Platz, den man sich selbst gestalten kann, ohne ständig befürchten zu müssen, dass man von Grundbesitzern vertrieben wird.
    Sehr wichtig auch die mentale Stärke, um sich nicht gehen zu lassen.
    Hut ab vor seiner Konsequenz!