Damit das Rätselraten endlich aufhört um den nicht definierten Begriff "Gefährliches Halbwissen" möchte ich mal mit Fakten weiter diskutieren.
Je nach Forschungsansatz gibt es im Großen und Ganzen drei Grund-Wissenarten (hier nach Baumgartner):
Faktenwissen (statisch)
Anwendungswissen (dynamisch)
und
Handlungswissen (Fertigkeiten)
Den Grad an Handlungswissen, also wie erfahren bin ich, kann man z.B. wie folgt definieren (Mandl/Spada; Quelle: Jarz):
Stufe 1: Neuling
Neulinge werden sowohl mit einer Reihe feststehender Fakten und kontextunabhängigen Regeln konfrontiert, es ist aber für sie noch nicht klar welche Fakten sich verändern undwelche Regeln nur Faustregeln sind und nicht immer gelten.
Stufe 2: Anfängertum
Anfänger machen die ersten eigenen Handlungserfahrungen, bauen ihr erstes handlungsrelevantes Wissen auf einem bestimmten Gebiet auf. Fakten und kontextfreie Regeln werden angewandt.
Stufe 3: Kompetenz
Die erworbenen eigenen Erfahrungen werden mit den Fakten und kontextfreien Regeln bei der Anwendung einbezogen. Die Handlungsentscheidungen erfolgen bewusst auf der Basis einer selbst erstellten Zielhierarchie. Der kompetent Handelnde fühlt sich deshalb auch gefühlsmäßig am Ergebnis seiner Handlung beteiligt.
Stufe 4: Gewandtheit
Diese Stufe ist eine Art Zwischenstufe auf dem Weg zum Experten. Die Handlung ergibtsich aus einem holistischen Erkennen von Ähnlichkeiten. Handlungsrelevantes Wissen istbereits implizit durch Erfahrung vorhanden und wird teils analytisch, teils intuitiv aufgrund ähnlich erlebter Situationen nach durch Erlebnisse entstandenen („geronnenen“) Mustern angewandt.
Stufe 5: Experten
Bei Experten ist das Handlungswissen bereits implizit so tief im Körper verankert, dasssie „sich dessen nicht bewusster sind als des Körpers selbst.“ Experten handeln intuitivaufgrund automatischer Prozesse, die kaum noch Aufmerksamkeit benötigen. Sie sind ander Handlung gefühlsmäßig beteiligt und tragen eine persönliche Verantwortung für deren Ergebnisse. Das Handlungswissen ist durch die körperliche Verankerung nicht mehrvollständig explizierbar.
Um Handlungen im Notfall ausführen zu können ist erst einmal nur Handlungswissen notwendig (Beispiele):
Ich muss ein Auto fahen können und nicht wissen, warum es fährt und warum ich eine Kupplung habe - nur wissen, das man druff treten muss.
Ich muss nicht wissen, aus was Sprengstoff besteht oder wie er hergestellt wird - ich muss nur wissen, wo ich ihn herkriege und wie es bumm macht ohne dass ich dabei bin.
Ich muss nicht wissen, warum Bakterien mich schädigen können - ich muss nur wissen, wie ich trinkbares Wasser bekomme oder herstelle.
Ich muss nicht wissen, warum verschiedene Tauchgase in unterschiedlichen Tiefen tödlich wirken - ich muss nur wissen, was ich in welcher Tiefen einatmen darf.
Natürlich sind die anderen Wissensarten in Notfällen sehr hilfreich - aber man kann in bestimmten Gebieten auch sehr entspannt bleiben.
Für die wichtigsten Fertigkeiten (also in der Prioliste ganz oben - Muss) sollte die Stufe 5 angestrebt werden.
Für wichtige Fertigkeiten sollte Stufe 4 gelten (Soll).
Für weniger wichtige Fertigkeiten reicht evtl. Stufe 3 aus.
Grade 1 ist indiskutabel. In Krisenzeiten könnte selbst Grad 2 Erfolge bringen.
Gesunder Menschenverstand hilft oft schon sehr weit, das von gandroiid angesprochene Risikomanagament macht den Rest.
Als Gegenbeweis für Gefahrengefühl Darwin-Arward-Vertreter anzuführen ist nicht richtig (sind extreme Ausnahmen). Gegenteiliges ist erforscht und bestätigt worden.
Und Fehler gehören zum Gesamtsystem dazu. Aber die Fehlerdiskussion lagere ich hier mal aus.
Um zur Praxis zurück zu kommen:
Einmal Gelerntes lässt sich sehr schnell reaktivieren. Deshalb kann man auch etliche Fertigkeiten dazu lernen (Handlungswissen).
Wiederholungen und Fehleranalyse bringen mich in der Gradskala immer höher. Stufe 4 der Skala zu erreichen ist problemlos möglich. Eine Frage der Motivation, nicht der Veranlagung.
In einem Beruf werden die Grade 3 bis 5 regelmäßig zum Einsatz kommen, da man nicht alle Tätigkeiten seines beruflichen Spektrums gleich gut kann.
In einer Krise entscheidet Handlungswissen (machen, entscheiden) und nicht das Palavern darum.
cu Tom
Hier mal ein Beispiel:
Ich lerne Schweißen mit einer Batterie. Das geht fix. Dann habe ich die Fertigkeit "Batterieschweißen".
Ich muss weder wissen, warum der Strom die Metalle zusammenbrät noch warum ich Schutzgase brauche (die ja auch durch Elektrodenhüllenmaterial entstehen). Ich muss nur die zuvor eingelagerten Materialien verwenden können.
Ich persönlich bevorzuge alle Wissensarten zu einem Gebiet. Ausnahmen bestätigen diese Regel.