Herzlichkeit, Nähe, Vertrauen...

  • Ich erwische mich manchmal selbst dabei:
    Man ist am Weg, um dies oder jenes zu erledigen, ev. ist auch die Zeit etwas knapp und jemand mit mehr oder überhaupt viel Zeit möchte ein Schwätzchen anfangen. Ich schätze, da ist meine Herzlichkeit auch am unteren Ende der herzlichkeits-Skala. Ich glaube, es ist unter anderem auch die Tatsache, daß wir unseren Tag mit Uhren auf viele Minuten und Stunden mit dichtgedrängtem Programm zerhacken und das als ganz normal empfinden.
    Die Anderen und wir verlangen voraussagbare Termine, Öffnungs- und Arbeitszeiten, Limits und so setzen wir uns und andere unter Zeitdruck.


    Das andere ist: einige mit sehr sozialen Grundansichten wurden schon Tausendemale vom Umfeld enttäuscht und haben es einfach satt, in Fremde überhaupt etwas zu "investieren". Sie beschränken sich auf bewährte Kontakte und Freundeskreise, alles andere wird ausgeblendet, sie sind unbekannte Fische in einem großen Schwarm und selber ist man auch einer davon für die anderen.


    Ich glaube, weniger Zeitdruck und etwas mehr Öffentlichkeitsarbeit durch Medien in Sachen "Wir sind eine Gemeinschaft" würden uns allen gut tun. Und wie mehrfach erwähnt: Mehr Platz für jeden sorgt für Entspannung, ebenso weniger Reizüberflutung (dafür mehr Realität!) kann den Mitmenschen wieder interessanter und liebenswerter machen.

  • Moin im Thema,


    ich habe es heute wieder einmal erlebt...


    Auf meiner täglichen Radelrunde rund um unser Zwischenahner Meer kam mir eine Lady, eine Fußgängerin entgegen. Die Dame war etwa 40 Jahre jung, wir sahen uns kurz in die Augen, sie lächelte richtig schön, auch ohne mich zu kennen...


    Was für ein schöner Moment, ich habe das sehr genossen.


    Auf meinen Touren mit meinem alten VW-Bulli durch ganz Europa fiel mir immer wieder die Freundlichkeit, und auch die Gastfreundlichkeit, z.B. in der Türkei, in Griechenland, und anderen Ländern rund um das Mittelmehr auf, diese Gastfreundschaft habe ich in den deutschsprachigen Ländern niemals erleben dürfen.


    Spontane Einladungen zum Essen waren an der Tagesordnung, Angebote für eine Übernachtung waren oft der Fall. Wir in unseren "reichen" Ländern, wir haben sehr viel "Nähe" verloren, wir haben das "Miteinander" verlernt, wir sind völlig asozial, nur noch ichbezogen, totale soziale Kälte...


    Ich stelle mir nur ungerne vor, wohin all das führen wird, aber es wird nicht gut ausgehen, da bin ich mir sehr sicher.


    Gruß


    Michel

  • Zitat von Maggi56;114621

    Ich stelle mir nur ungerne vor, wohin all das führen wird, aber es wird nicht gut ausgehen, da bin ich mir sehr sicher.


    Ich sehe es nicht so schwarz. Wenn es uns wieder schlechter geht werden wir mehr zusammenrücken, daran habe ich keine Zweifel. Das, was Du als soziale Kälte beschreibst, kann sich eine Gesellschaft nur leisten, wenn sie soviel Wohlstand hat. Und wir sind halt sehr viel indirekt sozial. Ich koche keinem Obdachlosen eine Suppe, aber ich bezahle Steuern oder mache eine Spende, mit denen dann für ihn gekocht wird. Usw.


    Herzliche Grüsse
    linthler

  • Hallo,


    man müsste doch nur ein bisschen mehr machen...


    Ich als Autofahrer, zum Beispiel frage durchaus schon mal einen Fussgänger ob ich ihn mitnehmen soll, wenn es stark regnet. Wenn mich jemand anfragt (auch schon aus dem Forum) ob ich ihm etwas aus dem grenznahen und günstigen :Zunge raus: "D" besorgen kann tue ich das doch...ist ja kein nenneswerter Aufwand.
    Auch schon bin ich für einen Fori in den Baumarkt gegangen, um etwas zu holen das bei uns gerade Aktion war, weil es aus dem Sortiment genommen wird. Diesen Artikel hätte er nicht mehr erhalten. Ist doch kein Thema...man kann ja miteinander reden.


    Wenn jeder nur ein bisschen mehr macht geht alles einfacher.


    -oder bin ich zu sozial?- :Aua:


    Gruss Wolverine

  • Moin Lintheler,


    ich neige leider zu einer "Schwarzmalerei", bin aber doch kein Weltuntergangs-Fanatiker. Ich versuche es, immer positiv zu denken, und auch zu handeln.


    In meiner Zeit in der Bundeswehr, da wurde uns der Begriff "Kameradschaft" eingedrillt. "Eine Gruppe ist immer nur so stark, wie ihr schwächstes Mitglied!" Das wurde uns jungen Soldaten eingehämmert, und es war eine sehr gute Lehre.


    Einige Kameraden kamen damals nicht klar, sie konnten sich z.B. nicht unterordnen, oder waren nicht einmal in der Lage, den eigenen Spind in Ordnung zu halten. Diese Kameraden wurden nicht gemobbt, nein, sie wurden unterstützt, soweit das möglich war.


    Mein Kamerad Schulz, ein Zwei-Meter-Mann, er schleppte bis zu 3 Sturmgewehre und Sturmgepäcke auf unseren Märschen, um den schwachen Kameraden zu helfen, und der Mann hat sich niemals beklagt. Ein einfacher Finanzbeamter, ein echter Kamerad und Kumpel, ein Mann, auf den man sich verlassen konnte.


    Ich habe dieses Gruppenverhalten damals sehr schätzen gelernt, ich halte noch heute Kontakt zu ehemaligen Kameraden, meine Dienstzeit liegt über dreißig Jahre zurück.


    Man mag über den Militärdienst denken wie man selbst mag, für mich war der Dienst eine gute Zeit. Nicht nur über den Umgang mit der Waffe, das "Miteinander", der gegenseitige Respekt, das war meine wichtigste Lehre.


    Gruß


    Michel

  • Moin Wolverine,


    in den frühen 1970er Jahren gab es anschoben in der Stadt Hannover die sog. "Roter-Punkt-Aktion".


    Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Roter-Punkt-Aktion


    Ich kann mich noch gut daran erinnern, auch in der Stadt Oldenburg wurde diese Initiative unterstützt.


    Als ich vor einigen Wochen aus der Klinik entlassen wurde, hatte ich kein Fahrgeld für den Bus, leider zuhause vergessen. Ich stellte mich an die Straße als Anhalter, hunderte Autos fuhren an mir vorbei, mehrfach wurde mir sogar "Der Vogel", oder auch der "Stinkefinger" von den Autofahrern gezeigt.


    Angehalten und mitgenommen haben mich zwei ganz junge polnische Schwarzarbeiter, die in einem Nachbardorf als Maurer einen alten Bauernhof restaurierten...


    Du kannst umfallen, die satten und fetten Mitbürger werden dir nicht helfen, entweder aus Angst, oder aus Verachtung. Traurig, aber leider wahr.


    Gruß


    Michel

  • Siehs doch mal von der positiven Seite aus: Du wurdest mitgenommen.


    Wenn man alles nur negativ sieht wirkt sich das aufs ganze Leben aus...Positiv denken und vorwärts schauen.

  • Moin Wolverine,


    genau das ist ja auch mein Bestreben, aber nur heute wurde ich als Radfahrer von "blinden" Automibilsten zweimal beinahe plattgefahren, und ich erlebe diese Rücksichtslosigkeit und Nichtbeachtung jeden Tag...


    Da wird dir gnadenlos die Vorfahrt genommen, man drängt dich ab bis an den Bordstein..., und wenn du dann in deiner Angst mit der flachen Hand auf das Autodach der Rowdies schlägst, um dein Leben zu retten, dann geht die elektrische Scheibe runter: "Wir haben Sie leider übersehen, bitte entschuldigen Sie!"


    Bevorzugt alte Leute in dicken Vans nehmen kaum noch etwas wahr, schon gar nicht einen Radler. Du bist als ein Radler ein Verkehrsteilnehmer dritter oder vierter Klasse, ein Mensch ohne eben eine Knautschzone, der den einen Rempler eben nicht überlebt...


    Die Rücksicht der Mitmenschen hat enorm abgenommen, ich bemerke das als Ganzjahresradler seit dem Jahr 2007. Und das liegt an der Gedankenlosigkeit der Autofahrer, die nach wie vor für sehr kurze Wege unsere Umwelt mit völlig überflüssigen Automobilabgasen verpesten. Den Menschen geht es noch zu gut, das Benzin ist immer noch zu billig, man geilt sich immer noch auf an benzinfressenden Monsterautos...


    Wohin all das führt, das hören wir jeden Tag in den Nachrichten, es sind keine guten Nachrichten.


    Gruß


    Michel

  • Moin im Thema,


    einmal eine schöne Geschichte: Ich stand vor dem Pfandautomat bei LIDL, vor mir eine junge Lady mit einem Berg von leeren Pfandflaschen, in drei riesigen Säcken...


    Du kannst gerne vorgehen, bei mir dauert das länger..!


    Ich ging vor, sie grinste mich an, ich warf meine wenigen Flaschen ein, ihr Lächeln war einfach nur wunderschön, der Blick, diese Augen, ich war hin und weg, leider wie immer fast sprachlos, konnte mir nur ein "Vielen Dank!" rausquetschen...


    Eine weitere verpasste "Chance", aber es war ein sehr schöner Moment, der sich nicht alle Tage ereignet...


    Ich wünsche euch allen genau DAS, die kleinen Momente im Leben, die so sehr wertfoll sind.


    Gruß



    Michel

  • Gestern war ich, ehrlich gesagt völlig entnervt beim Einkaufen, ... schon auf dem Parkplatz waren gefühlt nur Idioten unterwegs. Ich hatte drei Kinder mit dabei alle unter 6Jahre und war mit dem großen Renault Traffic unterwegs, mit dem man auch mal nicht schnell in eine Parklücke reinflutscht. Ich hab mich also auf dem Parkplatz nach vorne gekämpft und da war noch ein Mutter-Kind -Platz frei. Ich den angepeilt und wollte reinfahren, fährt doch so eine ältere Dame mit ihrem Mini-Autole vor mir auf den Platz. Ich hab angehalten und sie freundlich (innerlich war ich am Kochen) gefragt wo denn ihre Kinder wären, sie stünde auf einem Mutter-Kind-Platz und ich hätte im Auto drei Kinder und würde gerne parken. Sie hat mich angebluff und ist trotzdem einfach in Richtung Einkaufsladen losgestiefelt. Ein Angestellter, der draussen am Rauchen war (einmal dasss ich das jetzt gut finde) hatte die Szene beobachtet. Er hat die Frau angehalten und ihr erklärt, dass sie entweder sofort ihr Auto wegfährt oder er das mit dem Gabelstabler erledigen würde. Hach, ihr glaubt nicht wie schnell so eine ältere Dame sein kann, wie wendig im Auto und wie schnell das Auto weg war. Mit einem sehr stolzen und gaaaaaaaaaaaaaaanz breiten Lachen hat mich dann der junge Herr auf den Parkplatz eingewiesen, hat geholfen die Kinder, nebst der Einkaufskiste aus dem Auto zu buxieren und hat mir sogar einen Einkaufswagen gebracht. ....


    Ich hab mich garnicht mehr genervt gefühlt, das Lachen des jungen Mannes war so ansteckend, dass wir alle ganz gut gelaunt eingekauft haben (ok, ich hab vor lauter guten Laune mehr gekauft als ich eigentlich gebraucht hätte, aber das steht ja auf einem anderen Blatt :)


    Es ist nicht einfach im alltäglichen Schlamassel die Freundlichkeit und Gelassenheit zu bewahren, aber vielleicht sollte man sich das einfach immer wieder hinterfragen...

  • Liebe Irene,


    hab Dank für deine kleine Geschichte, die mich doch amüsiert hat! :)


    Es sind oft die kleinen Gesten, ein Blick, oder auch einige Worte, die unser gemeinsames Miteinander beflügeln, oder auch einfacher machen. Ein nettes Wort, ein freundlicher Gruß, ein Lächeln, nur das öffnet uns fast alle Türen...


    Ich bin eigentlich ein ganz ruhiger und fast immer in sich ruhender Mensch, "Leben, und leben lassen..!", das ist schon seit Jahrzehnten mein Prinzip. Freundlichkeit, Rücksicht, und Zurückhaltung bestimmen mein Leben, und ich fahre ganz gut damit.


    In Oldenburg in einer Fußgängerzone stand einmal eine junge Frau mit einem Pappschild vor dem Bauch, und darauf stand: "Ich biete eine Umarmung, kostenlos!" :lachen:


    Natürlich habe ich die Lady umarmt..., was für ein schönes Gefühl, einen lächelnden, wenn auch wildfremden Mensch zu umarmen, das geht ganz tief rein. Und genau diese Gefühle sind es, die vielen von uns in der Hektik unseres überbeschleunigten Lebens so sehr abgehen, die uns ganz einfach fremd geworden sind.


    Dir und deinen Liebsten eine gute Zeit, munter bleiben..!


    Gruß



    Michel