Die Geschichte meiner Flucht

  • Vielen dank für diesen spannenden Beitrag!!!


    Flucht ist eine schwere Entscheidung. Man weiss nicht was auf einen zukommt und wie es endet.Hut ab vor deinen Eltern!und das mit kleinen Kindern...


    Ich selbst würde(wahrscheinlich) auch eine Flucht wagen in solch einer Situation. Aber sowas sagt sich leicht wenn man bequem zu Hause auf dem Sofa sitzt,die Sonne scheint und man keine Sorgen hat.....


    lg john

  • Zitat

    ...zusammen rollte und in den Saun (nennt man das so?)


    Hallo Leonardo


    Das ist der Saum.

  • Finde die Geschichte sehr interessant, aber wieso geht es hier nicht weiter?

  • Weil mein PC auf dem Dachboden steht und die letzten Tagen war es einfach zu heiss dort.
    Bitte um etwas Geduld. bald geht es weiter.
    Gruss

    Mit Leute die gendern rede ich nicht. Gegenderte Texte lese ich nicht.

  • Papa gab mir vier kleine Zettel mit jeweils einer Adresse drauf. Ausländische Adresse in USA, Kanada, Australien…
    Ich sollte mir die alle einprägen. Damals mit 12 war ich noch fit im Kopf. Es war für mit kein Problem diese für
    mich unverständliche Buchstabenkombination auswendig zu lernen. Ich schrieb sie immer wieder auf einem Blatt
    Papier und schmiss es in den Ofen. Falls wir gefasst werden sollten, dürfen die Polizisten solchen Adresse natürlich
    nicht bei uns finden.



    Fluchversuch die Erste




    Endlich ging es los. Es war für mich in meiner jugendlichen Naivität bloß ein großes Abendteuer. Mir war irgendwie
    zu dem Zeitpunkt nicht bewusst, dass Papa und ich, abgesehen von den Gefahren, die uns demnächst passieren
    könnten, erstmal für eine unbestimmte Zeit von dem Rest der Familie getrennt würden.


    Der Abschied war erwartungsgemäß tränenreich. Besonders schlimm war es für Oma und Mutter. Ohne einen Mann
    im Haus war für eine asiatische Familie damals keine schöne Situation. Aber in Vietnam bei den Kommunisten
    auszuharren war für uns keine Option.


    Wir müssten raus. Auch wenn es uns das Leben kostet.

    Papa und ich kauften Tickets für die Fahrt mit einem Überlandbus in einem kleinen Dorf irgendwo in Mekongsdelta.
    Als Gepäck nur jeweils eine kleine Handtasche mit ein paar Klamotten zu wechseln. Mehr war nicht erlaubt.
    Nix mit 20 kg pro Nase + Bordtasche. :nono:



    Die Familie, zu der wir fuhren, gab an, wir wären entfernte Verwandten und spielten ihre Rolle sehr gut.
    Schließlich hatten sie auch viel Geld dafür bekommen. Trotzdem glaubte ich nicht, dass es für sie das Risiko wert war.
    Falls die Sache auffliegen würde, bekämen sie eine Menge Ärger.



    Es sollte wie folgendes ablaufen. Wir sollten dort abwarten, bis alle Passagiere, verteilt auf mehreren Dörfern, wie wir
    in Position waren. Dann fuhr das Schiff, Codewort: “große Fisch“, den Fluss entlang. Die kleinere Boote, Codewort: “kleine Fisch“
    bracht die Leuten nach und nach auf den großen Boot.


    Eine meisterhafte logistische Leistung wenn man bedenkt, alles lief ohne Telephon ab.
    Damals in den Provinzen hatte man noch nicht mal Elektrizität.

    Wir warteten zwei Tagen bis zu dem Zeitpunkt, wo das große Schiff kommen sollte.


    Dann stiegen wir nachts auf ein kleines Ruderboot. Die Leute, die uns beherbergten, ruderten uns langsam den Fluss entlang,
    hielten ständig Ausschau nach unser Schiff. Wenn ein Schiff gesichtet wurde, blinkten sie mit einer Taschenlampe einen
    bestimmten Code diese an.


    Keine der Schiffe hatten geantwortet. Als der Morgen anbrach, hatten wir die Hoffnung, verloren, dass das Schiff noch kam.

    Uns blieb nichts anderes als uns bei den Leuten zu bedanken und uns auf dem Heinweg zu begeben.

    Mit Leute die gendern rede ich nicht. Gegenderte Texte lese ich nicht.

  • Es hatte sich herausgestellt, die Tarnung von einer Gruppe der Passagiere war aufgeflogen und sie waren verhaftet worden.
    Da man davon ausging, sie würden unseren Plan verraten, müssten die Organisator das Unternehmen abbrechen. Sonst hätte
    die Polizei nur gemütlich an der Flusseinmündung auf das Schiff gewartet und uns alle einkassiert.


    Es war klar, dass die Flucht aus Vietnam keine einfache Sache war, aber mit solchen Schwierigkeiten hatten wir auch nicht
    gerechnet. Papa musste sich vollkommen auf seine Menschenkenntnisse und Empfehlungen von unserem Bekanntenkreis verlassen um
    Verhandlungen mit den Organisatoren zu führen. Alles nur mündlich und per Handschlag versiegelt. Ob diese Leute tatsächlich
    die Flucht organisierten oder nur Betrüger waren konnte er gar nicht feststellen. Anzeigen oder vor Gericht ziehen wenn es schief
    ging konnten wir nicht.
    Selbst wenn alles super geplant war, brauchte es nur eine Kleinigkeit um das Unternehmen zu kippen. Es gab zu viele Variabel.
    Die einzige Konstante war nur unser Wille zur Flucht.


    Fluchtversuch die zweite


    Verlief ähnlich unspektakulär und für uns enttäuschend. Wieder kam der „große Fisch“ nicht.
    Wieder mussten wir viel Geld zahlen für die Anreise und Unterkunft. Geld das wir von Munde gespart hatten. Das einzige Gute dabei war,
    wir waren diesmal ruhiger. Nicht mehr so aufgeregt wie beim ersten Mal.


    Fluchtversuch die dritte


    Fluchversuch die vierte


    Wenn ihr euch jetzt fragt, warum kommt der Typ nicht einfach zur Sache sondern faselt hier nur von den misslungenen Versuchen.
    Weil ich euch klar machen möchte, dass es im Ernstfall darauf ankommt, durchzuhalten, nicht aufgeben auch wenn die
    Fehlschläge einem mürbe machen. Mein Vater sagte immer zu mir, was du angefangen hast, bringe es auch zu ende.


    Zu unserem Glück hielt er selbst immer dran.

    Jedes Mal wenn wir wieder einen Versuch starteten und dieser wieder nicht geklappt hatte, schrieb meine Mutter einen
    Entschuldigungsbrief für meine Klassenlehrerin. Ich war angeblich entweder krank oder musste Verwandtschaften auf dem
    Land besuchen blah blah. Eines Tages holte sie mich zur Seite und sagte leise.“ Wenn du es irgendwann geschafft hast, lasse
    es mich wissen. Dann freue ich mich für dich.“ Was ich irgendwann geschafft haben sollte, traute sie nicht auszusprechen.
    Natürlich verstand ich trotzdem was sie meinte. Aber als Staatbedienstete müsste sie uns eigentlich bei der Polizei anzeigen.
    Ich glaube. Sie würde auch gern selber abhauen, hätte sie eine Chance bekommen.


    An dieser Stelle eine kleine Statistik. Es gibt keine genaue Statistik darüber, wie viele Menschen damals aus dem Land zu
    fliehen versuchten. Wie viele es geschafft hatten und wie viele nicht. Wie denn auch. Alles lief im Verborgenen ab. Ich durfte
    noch nicht mal mit meinen besten Freunden darüber reden.
    Trotzdem von mir hier eine Statistik aus meiner direkten Nachbarschaft.


    Im unseren Block lebten 15 Familien.


    Die reichste davon, ein Juweliergeschäft, hauten zu erst ab, kam aber wieder. Wohnsitz samt Geschäft beschlagnahmt.
    Danach wohnten sie in einem Blechhütten in einem der Armenviertel Saigons.


    Rechts von uns, die Familie betrieb eine Buchhandlung, wurde bei der Flucht auf dem Meer von thailändischen Piraten
    ausgeraubt, die beiden Töchtern vergewaltigt und verschleppt, die Mutter hatte daraufhin einen Herzinfarkt und verstarb.
    Nur der Vater schaffte in ein Flüchtlingslager Thailands zu kommen.


    Links von uns, ein Apothekerfamilie, mit zwei Kindern schickte uns ihre Fotos aus Amerika.

    Drei Türen weiter waren die Familie auf ein Mal weg. Von denen hatten wir nichts mehr gehört.

    Von 15 Familien versuchten 4 und nur eine einzige schaffte es unbeschadet in ein sicheres Land.

    Wenn die Wohnungen eine Weile leer standen wurden sie von den Behörden konfisziert und an Beamten bzw. Funktionäre
    der Partei vergeben. In die Wohnung links von uns zog eines Tages ein junges Ehepaar ein. Sie kamen weit aus dem Norden
    Vietnams. Durch und durch Kommunist. Der Mann bekam ein Posten als Polizeibeamter in Saigon, nun Ho Chi Minh - Stadt
    genannt.
    Ja toll. Schlimmer könnte uns gar nicht treffen. Wie sollten wir unser Vorhaben geheim halten mit einem Polizist
    als Nachbar. Die Frau war zu dem Zeitpunkt schwanger. Von einem kleinen Provinz direkt in einen der größten Metropole
    Asiens. Die Frau wusste noch nicht mal wie man die Toilettenspülung bedient, als hätte sie ein Lebenslang nur auf dem
    Plumpsklo gehockt. Die beiden waren ganz allein ohne Verwandtschaft. Alle aus der Nachbarschaft behandelten die beiden,
    wie soll ich sagen, höflich distanziert. Durch den ganzen Stress erlitt sie eine Frühgeburt. Mama kam öfter rüber und bot
    ihre Hilfe an, zeigte ihr wie es hier läuft, wo man was bekam, besorgte Medikamenten auf dem Schwarzmarkt…


    Die Frau bekam einen elektrischen Reiskocher der Marke Sanyo von unserem Restbestand geschenkt worauf sie riesig
    freute. Das Ding war für eine Hausfrau in Vietnam im Jahre 1980 vergleichbar heute mit einem Induktionsherd mit
    Sprachsteuerung plus eingebauten Internetzugang und Fernsteuerung via Smartphon App.


    Ob ihre Hilfsbereitschaft reine Kalkül oder wahre Nächstenliebe war? Von beiden etwas würde ich sagen. Auf jedem Fall
    hatte der Mann, der sehr schnell Kariere machte und später ein richtig hohes Tier war, die ganze Jahre danach schützend
    die Hand über unsere Familie gelegt. Auch als Papa und mir die Flucht gelungen war. Ich glaube er war der einzige Vietcong,
    den Papa gut leiden kann. Ohne ihn hätten wir viel schwerer gehabt. Oder der hätte uns einfach verhaftet. So blöd war der
    nicht um zu erkennen, was wir vor hatten.


    Und die Moral von der Geschicht: nett zu sein lohnt es sich .:drinks:

    Auch die fünften und sechsten Versuche waren ein Schlag ins Wasser. Finanziell waren wir am Ende. Alle Reserve verbraucht.
    Sogar Goldschmuck von meiner Oma wurde geopfert.
    Um mehr Einfluss auf das Geschehen zu bekommen ging Papa auf Risiko und beteiligte nun aktiv in die Planung. Meist kriegten
    wir davon nicht mit, außer dass ab und zu fremde Leute bei uns übernachten.

    Darunter war ein junges Pärchen. Der Mann sollte das Schiff steuern. Die beide kamen aus dem Provinz, blieben manchmal
    wochenlang. Die beiden fühlten sich wohl bei uns und genossen das Leben in der Großstadt.


    Fluchtversuch die siebte

    Am 31. August, ich weiß es noch so genau weil es kurz vor unseren Nationalfeiertag war und wir am 2.September Schulfrei hätten,
    stand ich wie immer auf, machte mich fertig für die Schule, bestellte mir zum Frühstück ein leckeres Gericht aus einer Garküche
    in der Nachbarschaft als Papa nach Hause kam und sagte, ich sollte sofort mitkommen. Als gut erzogener 14jährige vietnamesische
    Junge tat ich es ohne nachzufragen und ließ mein Essen stehen. (Probiert es mal heute mit eueren Kindern :grosses Lachen:) Was ich bei mir trug
    war meinen Schuluniform, weißes Hemd, dunkelblaue Hose, zwei Klappmesser und etwas Taschengeld.


    Schweigend folgte ich Papa. Da ich nicht wüsste wohin wir gehen sollten, hatte ich mich von niemandem verabschiedet.
    Wir kamen ja gleich wieder hatte ich damals gedacht.


    Wir stiegen in den Bus und fuhren zum Fernbusbahnhof. Von da aus fuhren wir weiter nach Süden. Ich ahnte was schlimmes, traute
    mich aber nicht zu fragen. Außerdem saßen wir im Bus. Wir konnte eh nicht frei reden. Also ließ ich es.


    Am Ziel traf ich diesen Steuermann wieder. Wir kamen in seinem Haus runter. Erst dann erfuhr ich was los war. Der Typ, der auf
    das Boot aufpassen sollte, hatte vor dieses zu klauen und mit seinen eigenen Passagieren abzuhauen. Der Steuermann wurde mit
    ins Boot geholt da er es lenken sollte und er wiederum meinen Vater davon berichtete. Papa hatte die Wahl, den eigentlichen
    Besitzer zu informieren oder mitzukommen. Er entschied sich für letzteres.


    - - - AKTUALISIERT - - -


    Hallo Leute.
    Ich möchte demnächst einige Bilder zu der Geschichte zeigen.
    Ich probiere es heute mal aus wie es funktioniert.
    So sehen die Seitenflüsse im Mekongsdelta aus.
    [ATTACH=CONFIG]18961[/ATTACH][ATTACH=CONFIG]18962[/ATTACH]

  • Mein Vater musste sehrverzweifelt gewesen sein um so einen hohen Preis für diese Chance zur Flucht zu bezahlen.
    Seine Integrität. Verhinderte er die Meuterei, war es ungewiss, ob dieses Boot jemals wieder startete.
    Höchstwahrscheinlich nicht, da die halbe Mannschaft danach fehlte und jemand aus Rache das Vorhaben bei
    den Behörden anzeigen würde.


    Wir stiegen schon am nächsten Tag in ein kleines Boot als es dunkel wurde. Die jüngere Schwester von dem
    Steuermann, etwa 2 Jahre älter als ich, ruderte das Boot den Fluss entlang Richtung Meer. Im Boot saßen der
    Steuermann, seine Frau, noch eine Schwester von ihm, Papa und ich. Dann endlich kam das Schiff, was
    eigentlich nur ein etwas größeres Boot war. So etwa 12 m lang und 3 m breit. So ein Boot, womit man Reis
    oder Obst auf dem Fluss transportierte. Das größere Boot fuhr dann so langsam, dass wir drauf springen konnten.

    Das Mädchen am Ruder sollte eigentlich das kleine Boot zurück nach Hause bringen aber
    als wir anlegten, sprang sie mit auf das Schiff. Wir krochen hinein in den Laderaum. Ihr musst euch vorstellen so
    was ähnliches wie ein geschlossene Halfpipe bei Skateboarding aus Holz. Die Menschen saßen mit angezogenen Beinen auf dem Boden
    sich gegenüber und es war voll bis auf den letzten cm. Es war stockfinster. Man konnte nur etwas sehen wenn die
    Ladeklappe kurz auf und zu ging oder jemand von der Mannschaft mit einer Taschenlampe reinleuchtet. Niemand
    sagte was und wenn dann nur leises Geflüster. Ich hörte ein Baby wimmern. Oh Gott sind die verrückt, ein Baby
    mitzunehmen? Papa und ich saßen fast ganz vorne in der Halfpipe. Mein Herz raste wie wild. Zum ersten Mal nach
    sechs Versuchen waren wir so weit gekommen. Endlich in einem Schiff eingestiegen.


    Das Schiff fuhr weiter, hielte noch ein Mal an, um einige Passagiere einzusammeln und dann waren wir aufs Meer.
    Ich merkte das weil das Boot viel stärker schaukelte als auf dem Fluss. Die ersten fingen an sich zu übergeben.
    Blöd dass man keine Kotztüte verteilt hatte. Wir fuhren schon seit mehrere Stunden in einem geschlossenen
    dunklen Raum ohne Fenster voll mit Menschen, die auf dem Boden kotzten. Da hatte ich mir meine erste Schiffreise
    aber anders vorgestellt.

    Auf ein Mal ein starker Ruck und das Schiff blieb stehen. Grosse Aufregung auf dem Deck.
    Uns blieb das Herz stehen. War das schon wieder vorbei? Ende der Reise?
    Wir konnten nicht hören, was da draußen los war, bis jemand von der Besatzung runter stieg und uns die Lage erklärte.
    Unser Schiff war in einem stationären Fischernetz gefahren. Nun saßen wir fest, konnten weder vor- noch rückwärts bewegen.
    Die Besitzer der Netze hatten sich bereit erklärt, die Netze zu kappen wenn wir sie bezahlen. Ein Hut wurde rumgereicht
    und alle schmissen noch den Rest von dem vietnamesischen Geld hinein. Ich hatte mein Geld in der Hosentasche, kam
    aber nicht dran weil meine Beine nach mehreren Stunden in der angewinkelten Stellung eingeschlafen waren. Bis ich
    meinen Hintern etwas angehoben hatte war der Hut schon längst weiter gereicht worden. Die Fischer schnitten die Netze
    durch nachdem sie das Geld bekamen und wir fuhren endlich weiter. Bis dahin hatte ich es geschafft, nicht zu kotzen.
    Dann kam ein Gerücht von einem Kabelbrand in den Laderaum. Ich musste mich nach vorn beugen und es kam nur
    Magensäure hoch. Ich hatte den ganzen Tag weder gegessen noch getrunken.


    Ganz vorne am Schiff war ein kleiner Speicher, wo Kokosnüsse gelagert waren. Papa sagte ich sollte ihm mein Klappmesser
    geben. Ja, er wusste dass ich immer ein bei mir mit schleppte. Damit machte er ein Loch in einer Kokos und wir konnten
    endlich trinken.


    Es war nur ein einfaches Messer mit der Stahlsorte „Dosenblech“, 9cm Klinge ohne Verriegelung, von mir so scharf wie es
    ging geschliffen, aber es hatte uns für [FONT=&amp]einen Moment Erleichterung verschafft.[/FONT]

    Mit Leute die gendern rede ich nicht. Gegenderte Texte lese ich nicht.

  • Danke für deine Berichte! Wenn man diese liest dann kann man sich in die Lager deiner Familie zumindest ein Stück hineinversetzten. Ich bin froh das ich das nicht miterleben muss. Viele sind nicht dankbar in D oder anderen westlichen Ländern geboren zu sein. Das liegt einzig allein am NEID! Ich bin in sehr einfachen Verhältnissen aufgewachsen. In jungen Jahren immer bedacht irgendwann einmal richtig viel Geld zu verdienen. Als ich von meiner damaligen Freundin und jetzigen Frau und Mutter meiner Kinder mehr als ein halbes Jahr aufgrund eines Einsatzes in einem "Konfliktgebiet" (mit Kriegsgebiet tat sich der damalige Verteidigungsminister recht schwer) getrennt war änderte sich meine Sichtweise. Zuerst sollte es ein halbjährlicher Ausflug werden. Kurz vor unseren Eintreffen verschlimmerte sich die Lage dramatisch. Naja kurz gesagt, ich bin mehrfach zum Glück aus einigen brenzligen Situationen gekommen, habe jede Menge Flüchtlinge und sehr viel Leid gesehen. Dank unseres Hauptmannes sind alle Lebend nach Hause gekommen das lag aber nur daran, dass er EIER hatte. Leider hatte ein Freund einer anderen Armee nicht so viel Glück.Er hat sich selbt getötet. Einige befreundete Amerikaner sind dann Später im Irakkrieg gefallen oder sind schwer verwundet worden. Krieg ist halt etwas anderes als Playstation zu spielen. Das und einige familiäre Schicksalsschläge haben uns als Familie zusammengschweißt. Wir sind froh in D geboren zu sein und leben zu dürfen. Unseren Kindern lehren wir bescheidenheit und das gerade Geld nicht alles ist. Wir ermöglichen ihnen Bildung und Bodenhaftung damit sie in der Welt allen Gefahren entspannt engegen gehen können.


    Also gerne mehr von deiner Lebensgeschichte. Schön, dass du es allen widrigkeiten zum Trotz geschafft hast.

  • Wenn ich das lese denke ich an die Flüchtlinge die jeden Tag in ungefähr den gleichen Konditionen das Mittelmeer überqueren, aus anderen Gründen (wirtschaftlichen) aber gleich verzweifelt.

  • Die ganze Nacht fuhr das Schiff ins offene Meer hinaus. Da auf so einem kleinen Transportschiff üblicherweise
    nicht mehr als 4-5 Mann arbeiteten, dürften wir nicht an Deck gehen, so lange wir noch nicht weit genug von
    der Küste entfernt haben. Sonst könnten anderen Schiffe uns sehen und Verdacht schöpfen. Die Küstenwache
    verfügen noch genug Schnellboote aus dem Bestand der Amerikaner. Die hätten uns ohne Probleme eingeholt.


    Es roch nach Schweiß, Erbrochenen, Diesel, Urin und anderen undefinierbaren Gerüche. Außerdem wurde der
    Sauerstoff knapp. Alles zusammen plus das ständiges Geschaukel und das monotones Motorgeräusch versetzte
    mich in so eine Art Dämmerzustand. Ich knicke kurz ein und war wieder wach.


    Das Boot war wie alle Boote in Vietnam aus Holz gebaut. Ganz wasserdicht waren sie nie. Etwas Wasser war
    immer im Boot drin. Wenn der Motor lief, trieb er auch die Wasserpumpe mit an. Da wir nicht direkt auf dem
    Schiffsboden saßen, sondern auf einem Zwischenboden aus Brettern, wurden wir zwar nicht nass. Aber das
    Wasser unter uns schwappte mit dem Wellen hin und her, wirbelte das Gemisch von Kotze und Urin gut
    durch so dass alles schön über die ganze Bootlänge verteilt war. Ob man sich übergeben hatte oder nicht,
    den beißenden Gestank stieg immer unter einem hoch. So hockten wir eingepfercht und warteten auf den Morgen.

    Interessanteweise fand ich, egal wie besch****** es sich anhört, die Situation gar nicht soooo schlimm.
    Wo es vorbei war, war es auch vergessen. Ich litt nicht unter einem Trauma oder so.


    Selbst mit 14 wusste ich, dass die Freiheit nicht gratis zu haben war. Ich glaube, genau deswegen könnten
    die Frauen die Schmerzen bei der Geburt ertragen. Eben der Preis, den man bereit war, für etwas Wunderbares
    zu bezahlen


    Als der Morgen anbrach, dürften wir an Oberdeck gehen, natürlich nur die, die noch gehen konnte. Die
    meisten waren Seekrank. Ich dankte innerlich meine Eltern für die Antiseekrank-Gene, die ich von ihnen
    geerbt habe. Das Dach von dem Laderaum wurde zur Hälfte geöffnet um den Leuten, die unten blieben,
    frische Luft zuzufügen.
    Ich stieg nach oben und bekam einen kleinen Schock: Wasser. Überall Wasser. Vorne, hinten, rechts und
    links wo ich hinschaute. Nur Wasser. Ich war als Kind sehr oft am Strand aber so weit hinaus aufs Meer war ich noch nie.


    Einige Männer gingen in die Steuerkabine und diskutierten lautstark. Papa war auch dabei.
    Danach war das Ausmaß der Katastrophe sichtbar. Statt der geplanten 30-40 Passagiere waren 70 Menschen
    plus 2 Säuglinge im Boot. Auf ein 12 m langes Boot. Allein der Mann, der das Boot geklaut hatte, nahm mehr
    als ein Dutzend von seiner Familie mit. Da es eine Meuterei war hatten die Typen kein Geld für Vorräte. Noch
    nicht mal für Trinkwasser. Sie hatten einfach Wasser aus dem Fluss in zwei Fässer gefüllt. Ungereinigt. In den
    Vorraum vom Boot waren Kokosnüsse gelagert. Paar Säcke Reis und Gasflaschen zum Kochen. Das war’s.


    Der Typ, der angeblich in der Marine gedient hatte und uns ins sichere Hafen navigieren sollte sah so aus,
    als ob er noch nicht mal sein eigenes Ar******ch im dunkel finden würde.


    Zum Glück war das Meer ziemlich ruhig. Zurück könnten wir nicht mehr also das Beste draus machen. Reis wurde
    gekocht, Wasser verteilt. In der Schüssel, worin das Wasser rumgereicht wurde, sah ich noch den Schlamm vom
    Mekong. Ja Klasse! In den Fluss wurde gebadet, geschissen, Müll entsorgt, alles Mögliche gewaschen, Dünger und
    Insektizide aus den Feldern mitgenommen… Na dann Prost! :drinks:

    Mit Leute die gendern rede ich nicht. Gegenderte Texte lese ich nicht.

  • leonardo : das ist einer der Gründe warum ich preppe-ich möchte ungerne in eine Situation kommen, in der ich abhängig von anderen(evtl. unfähigen,schlecht vorbereiteten) bin.
    70 Menschen zusammengepfercht...furchtbar.Freiheit ist ein so kostbares Gut.
    Lg John


    Ps.: bin gespannt wie es weiterging

  • Da nicht genug Geschirr zur Verfügung standen wurde abwechselt gegessen. Wenn jemand fertig war wuchs
    man den Schüssel mit Meerwasser ab und der nächste bekam ein paar Löffel gekochten Reis drauf. Die
    Stimmung war eigentlich gar nicht so übel. Ich lernte einige Mitreisende kennen. Gut ein Dutzend Jugendliche
    im meinem Alter waren auch an Bord. Wir unterhielten uns über Schule, wie viele von unseren Familien
    blieben noch zurück, wie viele misslungenen Fluchversuche schon hinter sich usw…


    Papa wollte aus guten Gründen nicht all zu viel von den Flusswasser trinken und öffnete mit meinem
    Klappmesser Kokosnüsse auf. Die anderen mochten natürlich auch lieber davon trinken. So machte
    mein Messer die Runde. Bis irgendwann der Meuterer, nennen wir den mal einfachheithalber der Sieben
    ( in VN ist es üblich, nicht direkt den Namen der Person anzureden sondern die Rangfolge. Sieben war also
    das sechste Kind in seiner Familie. Und wer ist die Nummer eins? Es gibt kein. Damit der Teufel nicht das
    erstgeborene Kind weg nimmt nennt man das erste Kind Nummer zwei. Ich bin also die Nummer zwei.
    Mein Bruder die drei…) das Messer an sich nahm. Als ich ihn danach fragte meinte er, er habe es leider
    ins Wasser fallen lassen. So blöd war ich nicht um zu wissen, dass er nur die Kontrolle über den Kokosvorrat
    behalten wollte und mein Messer versteckte. Das erzählte ich meinem Vater aber er zog es vor, deswegen
    sich nicht mit Sieben und seinen zehn männlichen Verwandtschaften anzulegen.


    Merkt euch es gut: benutzt euere Ausrüstung möglichst verdeckt und gebt diese niemals aus der Hand!
    Egal an wen! Für diese Lektion habe ich teuer bezahlt. :banghead: Mein einziger wertvoller Besitz.


    Nach der lange Nacht unten im Laderaum genoss ich die frische Meerluft und den atemberaubenden Anblick
    des endlosen Ozeans. Leider schien zum Mittag die Sonne gnadenlos auf uns runter. Auf dem Boot hatten wir
    nirgends Schutz außer hinter dem Steuerkabine. Da befand sich unglücklicherweise auch der Motor. Es stank
    der Maßen nach Diesel das niemand sich lange dort aufhalten konnte.


    So setzte ich mich zurück an meinen Platz und versuchte etwas Schlaf nachzuholen. Neben uns saß ein Junge,
    den sich als 13 :grosses Lachen: vorstellte( kein Witz. Der nannte sich wirklich so). Der war 2-3 Jahre älter als ich und ganz
    allein auf dem Boot. Vielleicht hatte seine Familie nicht genug Geld um noch jemanden mit ihm auf die Reise zu
    schicken. Ich war doch halt froh, dass wir zu zwei waren.


    Ich wusste nicht mehr wie lange ich geschlafen hatte als ein Höllenlärm mich aus dem Schlaf riss. Jemand
    brüllte alle sollten sich hinsetzen sonst kippte das Boot um. Das Motorengeräusch, das uns seit der Abfahrt
    begleitete war weg. Ich spähte in die Kabine aber konnte nichts erkennen. Einige Männer gingen dahin,
    diskutierten wieder lautstark. Ich hörte Werkzeuge klimpern. Der Motor sprang kurz an, aber wenn der
    Steuermann Gas gab, schüttelte und rüttelte er, als ob er genug von uns hatte und ins Meer springen wollte.


    Wieder Werkzeug klimpern, lautes fluchen, Hämmern aufs Metal…aber es nützte nichts.
    Der verfixte Motor lief nur im Leerlauf. Sobald man ihn beschleunigte rüttelte er das ganze Schiff durch.
    Damals hatte ich natürlich keine Ahnung von der Materie. Heute als Mechaniker weiß ich, das Schwungsrad
    hatte einen Knack bekommen, womöglich durch die Kollision mit dem fest gespannten Fischernetz oder
    vielleicht schon vorher, und ein oder mehrere Befestigungsbolzen waren gerissen. Man müsste die defekten
    Bolzen entfernen und die Restlichen jeweils paarweise gegenüber festschrauben, so dass es wieder gleichmäßig
    wuchtete. Meine Erkenntnis kam leider zu spät und die anderen waren damals einfach zu doof dafür. So lief
    der Motor ab jetzt nur im Leerlauf um mindestens die Wasserpumpe anzutreiben, die das Wasser aus dem
    Boot pumpt und auch wenn die Propeller sich langsam drehte, das Boot zu mindest steuerbar blieb.


    Die gute Stimmung wurde natürlich von nun an sehr gedämpft. Auch wenn die Besatzung weiter an das
    Problem bastelte, kroch in mir langsam der Zweifel, dass wir jemals irgendwo ankommen würden.


    Bevor wir mit den ersten Fluchversuchen begannen, studierte ich hunderten Mal die Landkarte von
    Südchinesischen Meer. Die kürzeste Strecke in die Freiheit war in Richtung Thailand zu fahren. Einfach
    nach Süden, dann einen großen Bogen um Ca Mau, unser südlichsten Punkt in den Golf von Thailand.
    Sonst geradeaus ca 1000 km bis man Malaysia, Indonesien oder Singapur erreichte. Nach Osten könnte
    man bis auf die Philippinen schaffen, wenn man einen guten Navigator hätte. Den hatten wir aber nicht.
    Und nun auch keinen Motor, kaum Vorräte und viel zu viele Menschen an Bord.

    Mit Leute die gendern rede ich nicht. Gegenderte Texte lese ich nicht.

  • Der Motor lief zwar noch, aber schon zu langsam, um das Wasser aus dem Boot abzupumpen.
    Im normalen Betrieb war es ja kein Problem, das eindringende Wasser mitsamt diversen Beilagen
    aus dem Boot zu entfernen. Nun stieg es immer höher, bis wir schließlich nassen Füßen bekamen.
    Alle Männer, die nicht seekrank waren müssten abwechselnd mit einem Eimer das Wasser aus
    dem Boot schöpfen. Ich wurde noch nicht als „Mann“ gezählt und musste das nicht machen.
    Hätte mir aber nicht ausgemacht.



    Die zwei je 200 L Fässer Wasser leerten sich beängstigen schnell. Kein Wunder bei 70 Personen
    und 35* C in Schatten. Was für Schatten? Hatten wir nirgends außer unten im Laderaum. Da
    schien zwar nicht die Sonne aber um einiges heißer als draußen.


    Da das Meer sehr ruhig war, hielt das Boot kurz an, damit wir uns im Meer abkühlen konnten.
    Viele sprangen ins Wasser und schwammen um das Boot herum. Für einen kurzen Moment hob
    sich die Stimmung. Ich zog mich auch bis die Unterhose aus, beugte mich über die Bootkante,
    und als ich in die unendliche Tiefe des Ozeans blickte, verließ mich der Mut.


    Ich konnte schon gut schwimmen, eine Selbstverständlichkeit wenn man am Mekong aufwuchs,
    aber ich hatte immer irgendwo eine Abgrenzung, einen Ufer wo ich mich orientieren konnte.
    Hier gab es weit und breit nichts zum festhalten außer diese winzige Nussschale auf dem riesigen
    Pazifik. Ich entschied mich doch dafür, nicht ins Wasser zu springen, obwohl es mir sicherlich
    gut getan hätte.



    Wir setzten unsere Reise fort. Eigentlich ließen wir uns von der Strömung nur treiben.
    Als die Nacht einbrach, blieb ich mit ein Paar Jungs oben. Wir beobachteten den wunderschönen Mond,
    die riesigen Flossen, die aus dem Wasser ragten, wenn wieder ein Riesenmonsterfisch an uns vorbei
    schwamm, erzählten Geistergeschichten, bis wir alle einschliefen.


    Plötzlich schrie jemand laut auf auf. Jemand war ins Meer gefallen. Der Steuermann stoppte den Motor
    und wir spähten in die Dunkelheit. Es gab noch nicht mal einen Suchscheinwerfer an Bord. Nach einigen
    Minuten hatte der verunglückte das Boot schwimmend eingeholt. Es war unser Navigator. Ganz hinten
    war das Klo, was eigentlich nur eine Kabine, die über Wasser hängte. Unten war offen und man hockte
    da auf zwei Balken. Der war vermutlich daraus gefallen.


    Am nächsten Tag war das Meer etwas rauer. Es nieselte ab und zu und zwang uns alle unter Deck zu bleiben.
    Jetzt empfing ich die Enge als sehr störend. Und überhaupt viele Dinge, die mir vorher gar nicht aufgefallen
    war, fingen an, mir auf den Nerven zu gehen. Wie dumm und unhöfflich manche sich benehmen. Besonders
    diese Clans von Sieben. Die spielten sich auf als ob wir ihnen die Flucht zu verdanken hätten. Sie verwalten
    den ganzen Vorrat. Zwar kriegen wir mehrmals am Tag Reis zu essen aber weiß der Geier was sie sonst
    noch vor uns versteckten. Wäre das Boot planmäßig gestartet, wären wir mit Sicherheit viel besser
    vorbereitet gewesen. Was für Ar*****cher! Hätte ich die Knarre von Papa hier wäre die Bande schon
    längst Futter für die Haie.



    Mein Magen schmerzte ein wenig. Einen Schluck Wasser hätte ich auch gern aber weil die beiden Fässer
    schon mehr als 2/3 leer waren, blieb nur noch trüber Schlamm. Selbst dann hatten Leute die Brühe trotzdem
    in den Schüssel gefüllt, gewartet, bis sich der Schlamm absetzte und davon tranken.


    Als wir abfuhren war es auch schon sehr hart. Aber die Aufregung und Euphorie ließ mich alles locker ertragen.
    Nun fühlte ich meinen leeren Magen, den Schmerz im Kopf, den trockenen Hals, die dreckigen Klamotten die
    seit drei Tagen an mir klebten.


    Die Säuglinge weinten kaum noch. Vielleicht hatten die keine Kraft mehr dafür. Viele der Frauen hatten in der
    erste Nacht sich nicht getraut, auf die Toilette zu gehen und pinkelten einfach in die Hose. Dementsprechend
    rochen sie jetzt auch wenn sie keine Wechselkleidung mitnahmen. Uns wurden untersagt, Gepäck mitzunehmen.
    Ersten aus Platzgründen. Zweitens um kein Verdacht unterwegs zu wecken. Ich wünschte, Papa hätte mir
    mindestens erlaubt, meine Schultasche mitzunehmen. Darin hatte ich Bücher, Stifte, etwas zu essen, noch ein
    Messer, meinen Steinschleuder und ein Holzknüppel mit einem Fangriemen dran. Wo zu ich das alles brauchte?
    Als Jungendliche kloppten wir uns oft. Meist endete es harmlos. Nur wenn die anderen in der Überzahl waren
    brauchte ich eben diese Dinge um das zu kompensieren.


    Leider lag meine Tasche zu Hause auf meinem Tisch. Hier steckte nur noch ein winzig kleines Klappmesserchen
    als Schlüsselanhänger in meiner Hosentasche. Ich braucht es eigentlich nur als Flaschenöffner da der Griff
    entsprechend geformt war. Die Klinge war höchsten 4 cm lang. Als Papa das mitkriegte nahm er das Messer an
    sich. Na ja was sollte man damit machen können dachte ich und übergab es ihm.


    Ich schlief tief und fest als Papa mich weckte. Er flüsterte.“ Hier trink das!“ Im Halbschlaf nahm ich eine Kokosnuss
    entgegen und trank einen Schluck davon. Wie hatte er die aufgekriegt? Dachte ich als mein Kopf klar wurde.
    Der 13. Also der Junge neben uns hatte in stundenlange Fummelarbeit mit meinem Minimesser ein Loch in die
    Kokosnuss gebohrt. Und wer schon mal einen Frischen Kokos in der Hand gehalten hatte, wusste dass es wahrlich
    alles andere als einfach war.

    Der nächste Tag brach an. Die Stimmung sank immer weiter. Es gab immer mehr Streit zwischen den Passagieren
    und der Mannschaft. Ich schloss meist die Augen und dachte an Zu Hause. An Mama. An meine Geschwister.
    An die leckeren Gerichte von Oma. An den Getränkestand vor meiner Schule wo ich immer Zuckerrohrsaft trank.
    An das Mädchen in meiner Klasse in das ich mich heimlich verliebte. Ich Idiot. Ich hätte es ihr sagen sollen.
    Nun war es zu spät. Ich nahm mir vor sollte ich das hier je überleben und zurückkommen werde ich es ihr sagen.


    Aber wie sollten wir es je schaffen? Der Motor lief immer unruhiger, obwohl er das Boot eh nicht vorwärts trieb.
    Das Wasser war schon am dritten Tag zu ende. Ohne Wasser konnten wir den Reis auch nicht kochen. Wenn es mal
    regnet, versuchten wir Wasser auf zu fangen. Aber ohne eine große Plane oder Regenrinne kamen wir nicht weit.
    Als die Erwachsenen zu müde waren, fingen die Jungendlichen an, das eindringende Wasser aus dem Boot zu schöpfen.


    Jedem war es klar. Sehr lang konnten wir das nicht durchhalten.





    Fortsetzung folgt.....




    Ich habe eine Skizze von unserem Boot gemacht. Ein mal Seitenansicht und Draufsicht.
    Zwar nicht ganz maßstabgetreut und die Propotionen könnte abweichen aber ungefähr so sah das Boot aus.
    Die Decke über den Laderaum bestand aus mehrehen Segmenten, die man einzeln ausklappen konnte.
    Ganzzzz hinten war das Klo :grosses Lachen:


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  • Die meisten Vietnamesen, die nicht zu einer der Weltreligion angehören, glauben daran, wenn man stirbt,
    trifft man seine Vorfahren, seine Ahnen, die sein Leben beobachten, bewerten und im Notfall auch eingreifen,
    auf der anderen Seite wieder. So wie in dem Disney Film „Mulan“.


    In meiner Verzweiflung betete ich an meine Ahnen, wenn sie uns retten wollten, dann bitte jetzt. Die letzten
    Kokosnüsse wurden aufgemacht. Erst die Kinder, dann die Frauen tranken davon. Natürlich schwitzten wir
    viel in der Hitze, hatten kaum etwas gegessen aber dass schon nach drei Tagen auf dem Meer wir alle so
    fix und fertig waren hatte ich nicht gedacht.


    Was für ein Glück, dass kein von meiner Geschwister dabei waren. Ich konnte es niemals ertragen, sie so
    leiden zu sehen.


    Papa diskutierte mit anderen Männern über möglichen Optionen. Viel Auswahl hatten wir ja nicht. Paddeln
    ging nicht. Schon zu weit von Küste. Funkgeräte waren nicht an Bord. Wen sollten wir auch um Hilfe rufen.
    Die Küstenwache? Die thailändischen Piraten *?


    (*Diese waren kein richtigen Piraten sondern Fischer, die die wehrlose Lage der Flüchtlinge ausnutzten.
    Es gab richtige Horrorgeschichte darüber aber ich beschränke mich hier, nur meine eigenen Erlebnisse zu
    berichten. Außer zwei Ausnahmen. Aber dazu später.)


    Die Bewegungsmangel auf dem kleinen überfüllten Boot forderte ihren Tribut. Ich konnte mich nur mit
    viel Mühe fortbewegen. Mir taten alle Knochen weh. Mein Schädel pochte die ganze Zeit. Den anderen
    ging es auch nicht besser. Aber gejammert wurde es kaum außer den kleineren Kindern. So wurden wir
    alle nun mal erzogen.


    Es war Anfang Herbst. Wir hatten die ersten Tage Glück, dass das Meer ruhig war. Am vierten Tag frischte
    der Wind auf und unser kleines Boot hüpfte heftig auf die Wellen. Für Hochseefahrten war es sowieso nicht
    gebaut. Außerdem ohne Antrieb konnte man es nicht auf die Wellen zusteuern. Wenn wir quer zu den Wellen
    treiben, schaukelte das Boot gefährlich zur Seite so dass Wasser rüber schwappte.

    Es war’s wohl. Ich hatte nicht sooo viel Angst vor dem Tod. Aber mit 14 war es etwas früh zu sterben. Und
    erst recht nicht so. Ich hatte immer gehofft, einen glorreichen Abgang zu haben. Mit vollen Montur und
    Waffen in der Hand. Wie der legendäre Dian Wei http://de.wikipedia.org/wiki/Dian_Wei. Auf dem Meer
    zu verdursten oder ertrunken war wirklich uncool.


    Papa sagte nichts. Ich wusste aber, er machte sich noch mehr sorgen als ich. Was wurde aus seiner Familie?
    Niemand wurde je erfahren, was mit uns beiden geschah. Mama müsste mit der Ungewissheit für immer
    weiter leben. Ich legte mir zurecht, was ich ihm sagen sollte, wenn der richtige Moment kam. Es ist nicht
    deine Schuld Papa. Du hast alles richtig gemacht. Ich hätte in deiner Stelle genau so gehandelt. Wenn wir
    diesmal nicht versucht hätte vielleicht hätten wir es nie. Ich bin kein Kind mehr. Ich weiß genau, worauf
    wir uns eingelassen haben. Wir haben nichts getan, wofür wir uns vor unseren Ahnen schämen müssen.
    Mama ist schlau. Die schafft es auch ohne uns.

    Im tiefsten Moment der Verzweiflung hörte ich jemand schreien: “Ein Schiff, ein Schiff, ein großes Schiff!“
    Wer sich noch bewegen konnte, versuchte aufs Deck zu klettern. Ich sah aus der Ferne tatsächlich ein
    großes Schiff mit hohen gelben Masten, das direkt auf uns zu steuerte. Das erste Schiff seit wir das Land
    verlassen hatten. Freude und Angst mischten sich unter den aufgeregten Menschen an Bord. Es könnte auch
    ein russisches Schiff sein. Oder von Nord Korea. In dem Fall würden sie uns zurück nach Vietnam bringen.
    In Umerziehungslager, Gefängnis. Dann lieber auf dem Meer sterben. Als das Schiff nah genug war, dass
    wir seine Flagge sehen konnte, wusste niemand, zu welchem Land es gehörte. Schwarz, rot, gelb? Kein
    blassen Schimmer. Wir waren darauf fixiert, von einem Schiff mit Star- Spangled Banner gerettet zu werden.
    Aber schwarz rot gelb?


    Das Schiff holte uns schnell ein, drehte sich auf die Windseite um uns vor den Wellen zu schützen. Dann kam etwas,
    was wir nicht erwartet hatten: Jemand sprach durch ein Megaphon auf Vietnamesisch zu uns.


    Durch die allgemeine Aufregung, den lauten Wind, der Wellen die an das Grosse Schiff hämmerten, verstand ich
    fast nichts, was der Mann oben uns zu sagen versuchte. Nur was mit : „Deutschland… Rettungsschiff…Vietnam…
    “ Hmm Deutschland. Was war da noch mal. Ach ja ! Zweiter Weltkrieg. Hitler. „Der Längste Tag“ mit John Wayne
    an der Normandie. Die Mauer in Berlin…


    So viel ging mir grad durch den Kopf. Dann kam uns schon ein riesiges Netz aus dickem Seil entgegen. Zwei, drei
    Männer kletterten zu uns runter. Sie sahen asiatisch aus, hatten aber viel zu dunklen Haut. Come on! Hurry up please!
    Drängten sie uns an das Netz. Ein nach den anderen kletterten wir auf das große Schiff. Papa schob mich zu erst
    drauf und kam hinterher. Es kostete mich große Mühe, nicht vom Netz runter zu fallen. Mit letzter Kraft und
    zitternden Knien erreichte ich denn noch das Deck. Papa hielt mich mit einer Hand an Oberarm fest als wir weiter
    ins Schiff liefen. Er hatte so einen Ausdruck im Gesicht, den ich in meinem ganzen Leben nur zwei Mal bei ihm
    gesehen habe. Dies war das erste Mal.

    Die Frauen und Kleinkinder mussten nicht selber klettern. Ein Kran hob sie in mehreren kleinen Gruppen an Bord.
    Unten im Innern des Schiffes bekamen wir heißen, süßen Tee in einem braunen Plastikschüssel zum trinken. Nach
    all den Jahren habe ich nicht vergessen wir diesen einen Schluck süßen Tee geschmeckt hat. Wir Vietnamesen
    trinken den Tee nie mit Zucker. Und diese Sorte hatte ich definitiv vorher noch nie getrunken. Wenn ich meine
    Augen schließe sehe ich noch vor mir wie wir alle dreckig, stinkend, manche konnten nicht mehr stehen, mit
    zitternden Händen diese braune Schüssel entgegen nahmen. Dieses Moment der zweiten Geburt vergesse ich nie.
    Solange ich lebe.



    Der Vietnamese vom Schiff wartete, bis alle Getränke bekommen hatten. Dann klärte er uns auf. Dieses Schiff,
    die Cap Anamur, kam vom Bundesrepublik Deutschland, wurde mit Spende finanziert um vietnamesische Flüchtlinge
    zu helfen. Es kreuzte jeweils einen Monat auf das Südchinesischen Meer hin und her, fischte die Flüchtlinge auf und
    ließ die geretteten auf die Philippinen ans Land. Wir sind schon das vierte Boot in diesem Monat, das aufgesammelt
    wurde. Er selbst lebte schon seit langer Zeit in Deutschland. Nun hatte er sich freiwillig als Übersetzer gemeldet.
    Alle andere Deutsche auf dem Schiff waren Ärzte oder Krankenschwester, die unentgeltlich auf dem Schiff arbeiteten.
    Die Besatzung war, abgesehen von wenigen Ausnahmen, ausschließlich Phillipinos.

    Mit Leute die gendern rede ich nicht. Gegenderte Texte lese ich nicht.

  • Vielen Dank für Deine interessante Geschichte! Auch ich bin gespannt auf Deine weitere Geschichte.


    lg k.sigi

    Trink was klar ist, iss was gar ist, liebe was rar ist, sprich was wahr ist.

  • Es war schon ein sehr eigenartiges Gefühl, den Tod von der Schippe gesprungen zu sein.
    Es war nicht allein ein Glückgefühl. Damals auf der Cap Anamur hatte ich neben diesem
    Glückgefühl auch noch etwas wie Reue empfunden. Reue dass ich bis dato das Leben als
    selbstverständlich gehalten hatte. Reue dass ich mich um die Menschen, die mir am Herzen
    lagen nicht genug gekümmert hatte.


    Ja. Wir hatten überlebt. Wir werden auch irgendwann sterben. Aber nicht jetzt, nicht heute.
    Wir bekamen eine zweite Chance, dank den Menschen, die uns vorher nicht kannten, denen
    wir nie was Gutes tun konnten und trotzdem ihre Zeit und Geld geopfert hatten, um uns zu retten.


    Genug der Gefühlsduselei. Zurück zur Realität.
    Wir bekamen Seife und Handtücher verteilt. Die Schüssel, mit dem wir Tee getrunken hatten
    dürften wir behalten. Kurze Anweisung, wo was sich auf dem schiff befindet und wir konnten
    uns einen Platz im Laderaum aussuchen. Vor uns waren schon fast 100 andere Flüchtlinge an
    Bord gekommen. In dem riesigen, leeren Frachtraum fanden alle noch reichlich Platz. Damit
    wir nicht auf dem harten, kalten Metallboden liegen mussten, stellte man uns Sperrholzplatten
    zur Verfügung. Ich schnappte mir zwei Stück und platzierte sie strategisch günstig an der vorderen
    Wand damit niemand an uns vorbei laufen müsste.


    Die Cap Anamur war ursprünglich ein Frachter. Da sie leer fuhr, hob sich ihr delphinartiger Bug übers
    Wasser, was für die Hydrodynamik nicht so optimal war. Als Einrichtung gab es außer den Holzlatten
    nichts. In der Mitte des Schiffes auf dem Oberdeck hatte man sich eine provisorische Küche eingerichtet.
    Es gab drei große Gaskocher, paar große Töpfer, zwei Tische als Abgrenzung und Ausschanktheke.
    Die Dusche ganz vorn am Bug teilte man mit einem Trennwand Männlein von Weiblein. Es gab nur
    Meerwasser zum Waschen. Habt ihr gewusst, dass Seife im Salzwasser nicht schäumt? Ich vorher
    auch nicht. Nach dem Duschen hatte ich eine dünne Salzkruste auf der Haut und die Haare fühlten
    sich irgendwie hart an. Aber ich war wieder sauber und fühlte mich wie neugeboren auch wenn ich
    meinen Schuluniform, was ich schon von Anfang der Reise anhatte, wieder anziehen musste. Die Sachen
    hatte ich zwar so gut es ging gewaschen. Mein weißes Hemd war nun grau mit schwarzen Flecken.
    Die lange Hose und mein Boxershorts wurden abwechselnd gewaschen und getrocknet.


    Am Steuerbord (für die Landratte unter euch: rechte Seite) wurden zwei Blechkabinen als Toilette
    umgebaut. Wie zwei Dixi Klo mit jeweils einem Rohr, das außen entlang des Schiffes nach unten
    direkt ins Meer führte. Diese Konstruktion hatte den Vorteil, dass jeder mit bekam, was man gerade
    an die Fische fütterte.


    Unser Boot hatte man, als wir die Begrüßung und Einweisung verfolgten, einfach versenkt.
    Nur die guten boote wurden auf dem Deck mit dem Schiffkran gehievt. Unser war schrottreif.
    Schade. Ich hätte gern noch einen letzten Blick darauf geworfen.

    Das Schiff fuhr knapp an der Grenze zu vietnamesischen Gewässer rauf und runter. Die Chance in
    dem riesigen Areal auf ein Flüchtlingsboot zu stoßen war so groß, hatte ein deutsche Journalist sehr
    treffend formuliert, als ob jemand von einem Hochhaus sprang und hoffte, auf einem Sprungstuch zu
    landen, das von Feuerwehrmänner unten im Laufsschritt hin und her getragen wurde. Die Sicht betrug
    selbst bei gutem Wetter am Tag keine 10 km. Mit bloßen Augen würde ich sowieso kein dunkles
    Holzboot erkennen, welches gerade eine Armlänge aus dem Wasser ragte. Und das war keine Übertreibung.
    Die Leute von unserem Boot, die im Meer geschwommen waren, konnten mit ausgestrecktem Arm wieder
    ins Boot klettern. Als wir gerettet wurden, war das Meer richtig rau. Dass man uns überhaupt gefunden hatte,
    grenzte schon an Wunder. Wäre der Motor ein paar Stunden früher oder später kaputt gegangen, hätten wir
    die Cap Anamur verpasst. Wir wären alle nach 2-3 Tagen verdurstet wenn nicht schon vorher eine große
    Welle unser Boot versenkte. Nur der Zufall entschied zwischen Leben und Tod von 72 Menschen.

    Mit Leute die gendern rede ich nicht. Gegenderte Texte lese ich nicht.

  • Hallo Leonardo,


    ich bin unheimlich beeindruckt und zutiefst gerührt von deiner Geschichte! Und ich bin so froh, dass dein Vater und du es geschafft habt.


    Du solltest wirklich anfangen, diese Erlebnisse in einem Buch zu verewigen. Ganz ehrlich. Die Menschen da draußen müssen solche Erfahrungen lesen, sie müssen aus erster Hand diese Informationen und Erkenntnisse vermittelt bekommen!


    Such dir einen professionellen Coach...Vollzeit-Opa hat dir ja schon Hilfe angeboten. Verknüpfe deine Erlebnisse mit der heutigen Zeit und gib Ratschläge zu Verhaltensweisen und möglichen Gefahren. Deine Familie und evtl. Verwandte und Freunde in Vietnam werden dir sicherlich dabei helfen.


    Ich bin mir sicher, dass sich solch ein Buch auch halbwegs gut verkaufen lässt. Das würde dir etwas einbringen, für deine Zukunftspläne und vielleicht zur Unterstützung deiner Familie. Mach daraus einen "Augenöffner und Ratgeberroman" für Prepper, ähnlich wie es z.B. "Marc Elsberg" mit seinem "Blackout" gemacht hat.


    Ich denke mal, dass ich für alle hier im Forum spreche, wenn ich sage: Erzähl uns mehr...wir sind ganz "Auge"!


    Einen ganz lieben Gruß auch an deine Familie, sei stolz...du hast nämlich eine ganz besondere!


    LG Buschmann

  • Der Alltag auf dem Schiff verlief naturgemäß nicht all so abwechslungsreich. Außer essen, schlafen und
    auf dem Meer schauen hatten wir nichts zu tun. Zu Essen gab es gekochten Reis mit Gemüse und Fleisch
    aus Konservendosen. Trotz der kargen Lebensbedingung in dem stählernen Schiff fühlte ich mich geborgen
    und frei. Wenn es nicht grad regnet lag ich gern auf dem Bauch ganz vorn am Schiff, so ungefähr da wo
    Rose und Jake auf der Titanic standen, und schaute mir die Delphinen an, die mit dem Schiff um die Wette
    schwimmen oder Schwärme von fliegenden Fischen. Eigentlich segelten sie nur ein Stück übers Wasser.
    Es sah trotzdem sehr spektakulär aus.
    Ein Mal flüsterte mir ein anderer Junge zu, ich sollte leise sein und mitkommen. Wir kletterten über den
    Duschraum auf ein Gewirr von Röhren. Jemand hatte zwei Holzplatten darauf gelegt, so dass wir uns
    hinlegen und einen diskreten Blick runter auf die Damendusche werfen konnten. :staun:
    Tja. Was man alles macht wenn der Tag lang ist! :face_with_rolling_eyes:


    Es bildeten sich öfter kleine Grüppchen von Menschen, die sich unterhielten, ihre eigene Erlebnisse erzählten,
    über den sch****** Kommunisten lästerten. Es war eine Atmosphäre wie auf einem Musikfestival am Abend
    nach den Konzerten.
    Die einzige Abwechslung war wenn mal wieder ein Flüchtlingsboot entdeckt wurde. Dann mussten alle runter
    bis auf einige starke Männer, die sich freiwillig meldete, bei der Rettungsaktion zu helfen. Mal fischten wir
    jeden Tag ein neues Boot, mal wochenlang gar kein. Bei manchen Booten waren die Menschen noch fit, bei
    anderen musste man sie tragen da sie nicht mehr selbst laufen konnten. Ich wage es gar nicht dran zu denken,
    wie viele Boote durchgeschlüpft und nicht entdeckt worden waren. Die Cap Anamur füllte sich nach und nach.
    Ich glaube, 4 Boote wurden auf dem Schiff gehoben, um später an die Philippinos zu verschenken.


    Es war Mitte September. Das Herbstwetter zwang uns öfter, unter Deck zu bleiben. Der See war manchmal so
    stürmisch, dass viele seekrank wurden. Trotzdem konnten 15 Booten gerettet werden. Die Rettung von dem
    15.Boot war sehr dramatisch. Das Boot war in sehr gutem Zustand und hochseetauglich, wurde aber von der
    Küstenwache entdeckt und bis weit ins offene Meer verfolgt. Ich konnte Schüsse hören als wir alle panisch in
    den Laderaum verkrochen. Die Cap Anamur versuchte, zwischen den Verfolger und die Gejagten zu manövrieren.
    Es dauerte eine halbe Ewigkeit bis das Schiff von der Küstenwache endlich aufgab.


    Ein Flüchtling wurde angeschossen und musste operiert werden. Auf dem Zwischendeck spannte man Bettlaken
    zu einem improvisierten OP-Raum. Die deutschen Ärzte trugen unter ihrem durchgeschwitzten Kittel kurze Hosen
    und T-Shirts als sie dem verletzten die Kugeln entfernten. Hätte ich in dem Moment eine Kamera wäre mir der
    Pulitzer Preis sicher.


    Es wurde ziemlich voll auf dem Schiff. 15 Boote mit 695 Menschen gerettet. Sogar in einem Monat im Herbst,
    wo das Wetter richtig schlimm war. Eines Tages stand ich in der Schlange an fürs Essen. Von weitem sah ich eine
    große Welle anrollen. Was soll’s, dachte ich mir, wir sind auf einem Frachtschiff, da wo ich stand war das Schiff
    sicherlich 9m hoch, bis die Welle komplett über uns schwappte. Alle brachen in Panik aus. Ich war pitschenass.
    Zum Glück war außer ein kleiner Schock nichts Schlimmes passiert. Wie viele Boote wie unser mag solch eine
    Welle wie diese schon versenkt haben?


    Aus mir unbekannten Grund macht das Schiff vor Singapur für ein Paar Tagen halt. Das Schiff war so nah am Hafen,
    dass wir die fahrenden Autos sehen konnten, hatte aber nicht angelegt. Bestimmt damit niemand unerlaubt von
    Bord gehen konnte. Von weitem blieb mir nichts anderes übrig als nur sehnsüchtig die Skylines zu bewundern.



    Die Mannschaft der Cap Anamur entschied gegen Ende des Monats sich dafür, die Philippinen anzusteuern.
    Das Schiff war hoffnungslos überfüllt. Der Verletzte musste in einem Krankenhaus versorgt werden.
    Der hygienische Zustand auf dem Schiff artete zu einer Katastrophe aus. Fast 700 Menschen. 2 Toiletten.
    Jeweils ein Duschraum für Frauen und Männer. Es konnte nie und nimmer gut gehen. Vor den 2 Kabinen
    bildeten sich Warteschlangen, die Tag und Nacht nicht endeten. Es wurde überall uriniert, wo es nicht direkt auffiel.
    Der Gestank von Erbrochenes lag in der Luft. Die Raucher hatte es richtig schwer. Am Anfang konnten sie noch
    ein paar Kippen von den Matrosen schnorren. Irgendwann wurde es denen aber auch zu bunt. Da hatte ich zum
    ersten Mal gemerkt, wie aggressiv Raucher unter Entzug sein konnte.


    Also nach gut einem Monat hieß es wieder „Land in Sicht“.

    Mit Leute die gendern rede ich nicht. Gegenderte Texte lese ich nicht.

  • Der letzte Tag auf der Cap Anamur

    Da einiges an Formalitäten erledigen musste setzte die Cap Anamur vor dem Hafen der Stadt Puerto Princessa
    seinen Anker. Die Schiffsmannschaft und wir veranstalten eine Art Zusammenkunft am Abend bevor wir das Schiff
    verließen. Jemand hatte eine Gitarre von den Matrosen geliehen. Einige gaben vietnamesischen Liedern zum Besten.
    Am Ende versuchten mehrere von uns, uns bei der Mannschaft zu bedanken. Ich betone extra auf “versuchten“
    weil man eigentlich gar keine passende Wörter dafür fand, um sich bei jemandem zu bedanken, der einem das
    Leben gerettet hatte. Schon komisch. Für jeden Pickel gibt es einen schönklingenden lateinischen Namen aber
    ein passendes Wort als Dank fürs Lebensretten existiert in keiner Sprache. Sechs hundert fünf und neunzig Menschen
    auf dem Oberdeck. Muttern mit ihren Säuglinge, Vätern mit Söhnen, Schwester, Bruder, Familie…alle hatten geweint
    oder zumindest feuchte Augen.


    Der Mannschaft erging es auch nicht besser. Geweint hatten sie fast alle obwohl sie sicherlich nicht zum ersten Mal
    solchen Abschied erlebten.



    3.Kapitel.

    Die Zeit im Camp




    Am nächsten Morgen packte ich unser Hab und Gut zusammen. Handtuch, Zahnbürste, Zahncreme. Das war’s. Dann setzte
    ich nach einem Monat meine Füße auf festen Boden. Die ersten paar Minuten kam es mir vor, als ob der Boden schaukelte.
    Mein Gehirn hatte die Schaukelei auf dem Schiff angepasst und täuschte mir diese immer noch vor.

    Wir stiegen auf einem Kipplader, also ein kleines LKW mit kippbarer Ladefläche, und wurden ins Flüchtlingslager gefahren.
    Als wir durch das Tor fuhren, liefen mehrere Leute neben den LKW und riefen uns zu: Wo kommt ihr her? Jemand aus dem
    10. Bezirk? Jemand aus …? Es ging so hektisch zu wie in einem Ameisenhaufen. Es waren so viele Menschen vor uns schon hier.
    So hatte ich mir es nicht vorgestellt. Ich dachte als man uns auf der Cap Anamur von dem Camp erzählte, es lebten vielleicht
    ein bis zwei hundert dort. Aber es waren achtzehn tausend Menschen.



    Ein paar Fakten zu der Flüchtlingslager Palawan.
    Koordinaten: https://maps.google.com/maps/m…22713,0.038581&dg=feature
    Das Camp existiert 1979 bis 1993, gegründet von UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees ). Größe zu meiner
    Zeit etwa 1,5 km lang, 500 m breit. Es lebten je nach Fluchtuation bis zu 18 000 Menschen im Camp. Insgesamt sollten bis zu 50 000
    sich hier aufgehalten haben.



    Wir bekamen einen Code für unsere Gruppe. 4/72/695 Cap Anamur. Das 4. Boot mit 72 Menschen an Bord von 695 gerettete der
    Cap Anamur. Wären wir z.B. in Subic Bay gestrandet mit 45 Menschen an Bord würden wir den Code 45 Subic Bay bekommen.


    Alles klar so weit?

    Einen gelben Zettel als Ausweis, eine Strohmatte als Unterlage, eine dünne Decke, eine Unterhose, einen Topf, Geschirr und
    Besteck erhalten jeder von uns. Dann mussten wir zur Check-In Untersuchung. Das lief so ab, dass wir durch ein Zelt in zwei
    Reihen marschierten und einige philippinische Männer in Zivil uns kurz betrachteten und uns weiter schickten.


    Mit der Ausrüstung unterm Arm standen mein Vater und ich ratlos vor dem chaotischen Durcheinander der Menschenmassen.
    Niemand hatte danach um uns gekümmert. Wir wussten nicht wo wir hin sollten, wo wir schlafen konnten. Unter dem Vordach
    einer der größeren Gebäude fanden wir etwas Schutz vor der Sonne. Papa lief noch eine Weile herum um einen Schlafplatz zu
    suchen, fand den leider nicht. Überall lagen und saßen Leuten. War auch kein Wunder. Fast 700 auf einen Schlag. Wie sollte
    man sich so schnell alles organisieren können.


    Wir beschlossen erstmal da zu bleiben wo wir waren. Als die Nacht einbrach schlugen wir unser Nachtlager unter dem Vordach auf.
    Zu unserem Glück fing es auch noch an zu regnen. :traurig:
    Ich war sooo Müde. Nicht nur körperlich sondern auch seelisch. Nach all den Strapazen der Fluch, den spartanischen
    Lebensbedingung auf dem Schiff und dann auch noch das. Ich riss mich die ganze Zeit zusammen um nicht zu jammern, um alles
    auszuhalten, aber das kostet Kraft. Die Kraft die mir jetzt auszugehen schien. Ich zog mir die, mittlerweile nasse Decke, über
    dem Kopf und weinte leise vor mich hin damit Papa es nicht mitkriegte.

    Mit Leute die gendern rede ich nicht. Gegenderte Texte lese ich nicht.