Erlebte Notfall-/Krisensituationen und die Lehren daraus

  • Nachtrag zu
    https://www.previval.org/forum…1953&viewfull=1#post81953


    Schlecht geschlafen letzte Nacht. Es hat mich beschäftigt, wie übel jemand in kurzer Zeit zugerichtet werden kann. Und dass nur ein paar Sekunden bis wenige Minuten vor mir jemand da war, der allerunterste Schublade menschlichen Verhaltens zeigte. Auf jemanden am Boden, "Besiegtes", einzutreten läuft für mich unter Mord-/Totschlagversuch (im Hauptbahnhof Zürich von Freitag auf Samstag auch ein solcher Fall). Dann war noch die Ungewissheit, ob ich wirklich genug und das Richtige getan hatte.


    Heute morgen habe ich erfahren, dass der Verletzte ausgeflogen wurde. Muss also sehr schlimm gewesen sein.


    Was ich nach einmal Drüberschlafen anders machen würde:


    - Solange sich nicht jemand als Arzt/Sanitäter o.ä. zu erkennen gibt oder mich einspannen und umfassend informieren kann (also Nothilfe-Kompetenzen zeigt) gehe ich davon aus, dass ich derjenige bin, der am besten gerüstet ist (trotz erst dieser Erfahrung und länger zurückliegenden Kursen) und übernehme die Verantwortung bis zum Eintreffen der Profis. Bloss weil sich jemand um den Verletzten kümmert heisst das noch nicht, dass sie ihn auch bestmöglich gecheckt haben. Möglicherweise hatte ich mit dem Hilfe anbieten und vielleicht auch den Fragen die bereits aktiven Helfer überfordert, da sie möglicherweise selbst nicht wussten, was weiter tun. Vielleicht fühlten sie sich durch die Fragen sogar "kontrolliert" (als Laie ist man ja i.R. unsicher, ob man wirklich das Richtige tut).
    - Ich bleibe also zukünftig und überwache den Verletzten bis die Ambulanz eintrifft.
    - Mich nicht irritieren lassen, dass Massnahmen laufen wie Blut abwischen. Das heisst noch lange nicht, dass der Puls gefühlt wurde und der Zustand des Verletzten überprüft/überwacht wird.
    - Mich sofort den Helfern und dem Verletzten mit Namen vorstellen, um die Situation zu entanonymisieren.
    - Nachfragen, was sie schon gemacht haben, mich aber trotzdem selbst vergewissern. Umgehend mit eigenen Massnahmen beginnen, wenn die Antworten zögerlich kommen. Die Helfer stehen vielleicht ebenfalls unter Schock oder sind noch halb mit anderem beschäftigt (z.B. wer der Täter war, wohin er ist, etc.).


    Beim konkreten Fall:
    - Dem Verletzten sagen, dass Hilfe kommt (weiss nicht, ob ihm das überhaupt jemand gesagt hat, finde ich psychologisch wichtig) und dass ich bei ihm bleibe bis diese da ist.
    - Handschuhe an und überprüfen, ob irgendwo noch stark Blut fliesst (ich schaute nur, ob sich eine weitere Lache bildete), insbesondere auch im Mund.
    - Der Frau, die Blut abtupfte, Handschuhe anbieten.
    - Falls ich unsicher bin selbst die Notfallnummer anrufen und um Rat fragen.
    - Es hatte zwar nur wenig Gaffer (ca. 10-15), aber sie nerven. Falls möglich weitere Decke und Helfer organisieren, die Sichtschutz bieten.


    Konsequenzen:
    - Anschaffung einer Beatmungsmaske für den Eigenschutz (ist bereits heute Nachmittag erledigt)
    - Wiederholung des Nothelferkurses so bald als möglich (stand eh schon auf dem Programm), von der ich aufgrund der erfahrenen Situationen sicher viel mitnehmen können werde


    Offene Fragen (vielleicht wissen die Erste-Hilfe-Profis hier drin etwas dazu?):
    - Angenommen, er hätte einen Schock bekommen, würde man dann trotz der Verletzungen im Kopfbereich die Beine hochlagern?
    - Was macht man bei Blutungen im Mundbereich?
    - Hätte ich den Verletzten prophylaktisch in die Bewusstlosenlagerung bringen sollen (er lag seitlich und die helfende Frau schaute, dass er so liegenbleibt)? Oder doch lieber nicht, falls er sich innerlich oder am Rücken verletzt hatte?
    - Der Verletzte hatte eine Jacke an, lag aber sonst auf dem asphaltierten Boden (Bushaltestelle, draussen, trocken). Die Decke war nur über ihn gelegt. Hätte man ihm zusätzlich eine Decke unterschieben sollen (ist ja inzwischen kühl und auf dem Land mit 10-20 Minuten Wartezeit zu rechnen)? Bei Schock ja nicht unwichtig. Oder ist beim Unterschieben/Drauflegen das Risiko von Verschlimmerungen zu gross?
    - Können die erfahrenen Profis anhand der Blutlachen einschätzen, wieviel Blut jemand verloren hat? Ich konnte es nicht. Es sah dramatisch aus, aber ob 1dl oder 1l, schwierig!


    Schwierig abzuwägende Fragen für den Laien-Ersthelfer, der rasch entscheiden muss und der ein wichtiges Glied in der Rettungskette, aber auch rasch an den Grenzen ist. Vor allem, wenn möglicherweise Lebensgefahr besteht.


    Herzliche Grüsse
    linthler

  • Bin zwar kein Profi, aber ich versuch mal das hier zu beantworten:


    Zitat von linthler;81968


    - Hätte ich den Verletzten prophylaktisch in die Bewusstlosenlagerung bringen sollen (er lag seitlich und die helfende Frau schaute, dass er so liegenbleibt)? Oder doch lieber nicht, falls er sich innerlich oder am Rücken verletzt hatte?
    - Der Verletzte hatte eine Jacke an, lag aber sonst auf dem asphaltierten Boden (Bushaltestelle, draussen, trocken). Die Decke war nur über ihn gelegt. Hätte man ihm zusätzlich eine Decke unterschieben sollen (ist ja inzwischen kühl und auf dem Land mit 10-20 Minuten Wartezeit zu rechnen)? Bei Schock ja nicht unwichtig. Oder ist beim Unterschieben/Drauflegen das Risiko von Verschlimmerungen zu gross?


    Grundsätzlich gilt: den Verletzten so wenig wie möglich bewegen. Besonders in Situationen, wo Verdacht auf innere Verletzungen oder Wirbesläulenverletzung berechtigt ist, musst du sehr vorsichtig sein.
    Prophylaktisch in die Bewusslosenlagerung bringen wäre also nicht angebracht.


    Wenn aber die verletzte Person bewusstlos ist, also nicht ansprechbar ist und auch keine Äusserungen wie Husten, Jammern, Stöhnen... von sich gibt, MUSS sie in die Bewusslosenlagerung gebracht werden, ungeachtet der möglichen Verletzungen.
    Wer nämlich bewusslos ist, ist in erhöter Lebensgefahr, weil Erbrochenes oder Blut in die Atemwege gelangen kann oder die Zunge in den Hals rutschen könnte, was zu einem Atemstillstand führt.


    Wenn die Person auf dem Bauch liegt, ist der Weg zur Bewusstlosenlagerung nicht weit:
    Hals leicht strecken, damit er nicht gebeugt ist und die Atemwege frei sind.


    Falls der Patient auf dem Rücken liegt, vorsichtig in Seitenlagerung bringen.
    Bei verdacht auf Wirbelsäulenverletzung von einem weiteren Helfer den Kopf stützen lassen und den Patient ohne Verdrehung der Längsachse vorsichtig drehen. Bein nicht anwinkeln, damit die Wirbelsäule nicht verdreht wird.


    Zitat

    er lag seitlich und die helfende Frau schaute, dass er so liegenbleibt


    Hört sich schon nach Bewusslosenlagerung an...


    Wenn du den Patienten auf die Seite drehen musst, kannst du vorher (wenn du dran denkst, was 'ne starke Leistung wäre in so einer Situation) die Decke da hinlegen, wo der Patient nach der Drehung zu liegen kommt.



    Falls du den Nothilfekurs mittlerweile schon gemacht hast, kanntest du die Antworten wohl schon, ich hab das nämlich auch da gelernt.


    Greetz
    zjosua

  • Ich müßte dringend meinen Ersthelferkurs auffrischen, habe aber das Riesenproblem, daß mir schon beim drüberreden und Üben schlecht wird:


    *Es fängt mit einem Zischen in den Ohren/im Kopf an, dann wird mir schwindlig und ich seh´nichts mehr, ich muß nach Luft schnappen und mich auf den kalten Boden legen und höre dann nur noch hallend, wenn jemand mit mir redet...ich finds total scheiße, aber kann nichts dagegen machen...


    Gibts ein blitzschnell wirkendes Anti-Panik-Medikament dagegen?


    Mein Albtraum ist, daß jemand umkommt, weil ich versage!


    Als bei uns in der Kurve ein Paar auf einem Motorrad ein Auto streifte und bei Bewußtsein auf der Straße lag, haben zum Glück mein Mitbewohner und eine Nachbarin ( Krankenschwester ) sofort geholfen und den Rettungshubschrauber alarmiert.


    Ich hab meine Warnjacke geschnappt und die Straße abgesperrt und den Autofahrern empfohlen, zu wenden, weil der Heli mitten auf der Landstraße landete und die Dauer nicht absehbar war...


    Ein andermal war in der Firma eine Maschine mit geschmolzenem Plastik in Brand geraten.
    Hab meinen selbstgeschriebenen Tel.-Zettel mit den Notnr. in dickem schwarzen Permanentmarker aus der Tasche gezogen, in der richtigen Reihenfolge Feuerwehr, technischen Betriebsleiter und Chef angerufen, Tore für die FW aufgemacht, dann Pulverlöscher von der Wand gepflückt und draufgehalten ( der Strom bizzelte etwas ). War alles aus, als die FW eintraf...also ohne Blut funktionierts

  • Hi, hinterwäldler!


    Zunächst finde ich es toll, daß Du recht unbefangen darüber reden kannst.
    Die meisten machen ja gerne auf starker Mann...und fahren lieber beim Unfallort dann vorbei,
    reden aber groß.


    Ein Unfall, eine Notsituation, ist nun mal eine außergewöhnliche Sache.
    Es gibt genügend Sanitäter und Ärzte, die anfänglich ebenso überfordert waren, bzw. bei gewissen Dingen,
    die sie wirklich persönlich berühren, auch sind.
    Das ist ganz normal.
    Es wäre nicht normal, wenn jemand Freude empfindet beim Versorgen, oder wenn es dem Patienten schlecht geht.
    (Regelmässig kippen Medizinstudenten um, wird denen schlecht usw.)
    Wenn man das berufsmäßig macht, oder machen möchte...kommt halt dann der Punkt, wo das als "Handwerk"
    verstanden wird, als Abfolge von Sachen die gemacht werden müssen.
    Man wird desensibilisiert.
    Wenn Du am Tag mehrmals mit Blut konfrontiert wirst, oder mehrere Tage im Spital bei der Notaufnahme gearbeitet hast,
    dann würdest Du auch nicht mehr mit so starker Fluchtreaktion reagieren.


    Wenn man zb. 5 x hintereinander umkippt und beim 6 x gar nicht mehr die Energie dazu hat und Körper, Psyche beginnen,
    die Situation neu einzuordnen.
    Wobei ich von Selbstversuchen in der Art abraten will!!!
    Ein Verhaltenstherapeut zur Unterstützung wäre sehr sinnvoll.


    Nur ist das notwendig?
    Es kann nicht jeder alles gleich gut.
    Deswegen wird nicht jeder Mediziner. :face_with_rolling_eyes:


    Aber zur eigentlichen Frage: es gibt zwar Medikamente, die Dich in derartigen Fällen auffangen und "beruhigen".
    Allerdings setzen die gleichsam Dein...ich sag mal Beurteilungs und Handlungsvermögen herab, was in derlei
    Situationen nicht gerade dienlich ist.


    Hilfreich kann für Dich sein, den Focus auf etwas ganz anderes zu richten.
    Zb. Dein Handy. Trage es an einer stets erreichbaren Stelle, damit Du es auch sicher bei der Hand hast.
    Wenn Dir schlecht wird, dann setz Dich nieder, nimm das Handy, schau das Handy an.
    Welche Farbe hat es? Wieviele Zentimeter ist es groß? Markenname? Welche Funktionen?
    Wann hast Du es gekauft?
    Du kannst die Notrufnummer ja auch als Kurzwahl eingeben.
    Drücke dann die jeweilige Taste. Das schaffst Du!!!
    Konzentriere Dich auf die Fragen:
    WO ist der Notfallort?
    WAS ist geschehen?
    WIE VIELE Menschen sind betroffen?
    WER ruft an?


    Brabbel ruhig. Da sitzen geschulte Leute am anderen Ende.
    Die helfen Dir. Und Hilfe ist auch gleich zu erwarten.
    Die beruhigen Dich auch. Wo bist Du?
    Was ist los?
    Wie viele?
    Wer bist Du?


    Spiele diese Situation durch. In Gedanken.
    Zb. wenn Du gerade am Arbeitsplatz bist.
    Wie heißt die Adresse?
    Fingiere eine Situation.
    Beschreibe die anschließend.


    Du sagst ja auch selbst, daß Du durchwegs in Gefahrensituationen handelst.
    Sehr tatkräftig sogar.
    Ich denke, daß Du auch, wenn es Dir schlecht geht und Du eine Panikattacke erleidest,
    Hilfe holen kannst. Mit dem Handy. Wie oben beschrieben.
    Wenn Du das übst. Und den Focus versuchst umzulenken.
    Wo bist Du. Höre dem Typen am anderen Ende der Leitung zu.
    Konzentrier Dich auf ihn.


    Zusammenfassend:
    Du kannst solche Übungen wie oben beschrieben ja mal durchgehen.
    Wichtig ist, daß Du Hilfe besorgst.
    Wenn Du selbst am Thema "Blut" arbeiten möchtest, dann sprich mal mit
    geschulten psychologischen Kräften darüber.
    Ein Verhaltenstherapeut kann Dir zb. sehr gut dabei helfen.


    Erstaunliches nur kurz noch:
    ich kenne Fälle (ich beschäftigte mich mit Angst und Panikstörungen,
    hatte früher beruflich mit psychologischer Beratung zu tun)
    die zeigen, wenn eine nahestehende Person stark verletzt war, dann wurde sie oft trotz (!)
    eigener diagnostizierter Angststörungen notdürftig versorgt.
    Daß es ihnen eigentlich nicht möglich war ist den Leuten erst später bewußt geworden.
    Das habe ich immer besonders interessant empfunden.
    Die Psyche ist ein weites Feld.


    Ciao,
    Occam

    "Alle, außer mir, haben sich verirrt!"... Indiana Jones

  • Zitat von hinterwäldler;85081

    Mein Albtraum ist, daß jemand umkommt, weil ich versage!


    Ich hatte früher auch immer Angst, dass ich plötzlich an einen Unfall komme, und nicht weiss, was ich tun soll.
    Aber seitdem ich den CPR- und den Nothilfekurs gemacht habe, bin ich da etwas gelassener.


    Zitat von occam

    Fingiere eine Situation.


    Das ist wirklich hilfreich. Macht man übrigens im Nothilfekurs oft.

  • Vielen Dank, occam, für Deine ermutigenden Worte, wenn ich schon die Hoffnung auf eine "Coolness-Pille" begraben muß!
    Naja, als nächstes steht Fahrsicherheits-Training auf dem Programm.
    Wenn ich das erfolgreich absolviert habe, stärkt das hoffentlich mein Selbstbewußtsein für den Ersthelferkurs...
    Zjosua: Was ist CPR?

  • Das beantworte ich Dir mal eben schnell:
    Herz-Lungen-Wiederbelebung (HLW) oder im Englischen cardiopulmonary resuscitation (CPR)


    :face_with_rolling_eyes:

    "Alle, außer mir, haben sich verirrt!"... Indiana Jones

  • Zitat von hinterwäldler;85081

    Ich müßte dringend meinen Ersthelferkurs auffrischen, habe aber das Riesenproblem, daß mir schon beim drüberreden und Üben schlecht wird:


    *Es fängt mit einem Zischen in den Ohren/im Kopf an, dann wird mir schwindlig und ich seh´nichts mehr, ich muß nach Luft schnappen und mich auf den kalten Boden legen und höre dann nur noch hallend, wenn jemand mit mir redet...ich finds total scheiße, aber kann nichts dagegen machen...


    Gibts ein blitzschnell wirkendes Anti-Panik-Medikament dagegen?


    Hallo Hinterwäldler,


    es gibt ein Medikament dagegen. Das heisst Adrenalin und ist rezeptfrei, da es Deine Nebennieren bedarfsgerecht produzieren. Ich bin einmal als Ersthelfer zu einem richtig hässlichen Unfall gekommen, Überholunfall mit Frontalkollisionauf einer einsamen Landstrasse, die Details will ich jetzt nicht schildern, aber sie waren drastisch. Ich war allein und für ca. 20 Minuten bis zum Eintreffen von Rettungsdienst und Feuerwehr der einzige Ersthelfer. Ich war so vollgepumpt mit Adrenalin, dass ich wie ein Roboter ein Programm abgespult habe. Den Unfallort sichern, die Verletzten sichten, melden, helfen, vor allem erst mal einen bewusstlosen 130 kg Menschen aus einem kokelnden Autowrack ziehen.


    Ich habe nicht agiert, ich habe reagiert und gelerntes Wissen abgespult (genau deswegen ist Routine in Erster Hilfe wichtig!) Das ganze hat mich nicht berührt, ich habe aus der Distanz ziemlich emotionslos gehandelt - wenn man das von einem mit Stresshormonen bis zum Kragen vollgepumpten Menschen sagen kann.


    Meine Botschaft an Dich: Mach den EH-.Kurs und wiederhole ihn alle 2-3 Jahre, um auf dem Stand der Dinge zu bleiben und die Fertigkeiten zu erhalten. Im Notfall funktionierst Du wie ein Uhrwerk. Dafür sorgt Deine Körperchemie, Du bist in einer Ausnahmesituation, Dein Körper spult das alte evolutionäre Programm "Überleben im Notfall" ab, zu dem nicht viel Geist, aber abspulen gelernter Programme (EH-Kurs!) gehört. Alltägliche Schranken des "Normalbetriebs" wie Ekel spielen da absolut keine Rolle mehr.



    Viele Grüsse


    Matthias

    They who can give up essential liberty to obtain a little temporary safety, deserve neither liberty nor safety.
    Benjamin Franklin (1775)

  • Aber was passierte mit dir, als das Adrenalin abgebaut war, Waldschrat?

  • Zitat von qittatun;85215

    Aber was passierte mit dir, als das Adrenalin abgebaut war, Waldschrat?


    Physisch: Völlige Erschöpfung, der Unfall fand um 22.00 Uhr statt, bis ich der Polizei meine Zeugenaussage zu Protokoll gegeben hatte, was es Mitternacht, Heimfahrt, Tiefschlaf wie ein Stein. Am anderen morgen habe ich mir - gleitende Arbeitszeit macht's möglich - den Luxus gegönnt, erst um 10.00 Uhr im Büro zu erscheinen.


    Intellektuell: Damals war mein letzter EH-Kurs 10 Jahre her. Ich habe mir geschworen, in so eine Situation gehst Du das nächste mal besser vorbereitet. Seitdem mache ich alle 2-3 Jahre einen zweitägigen EH-Kurs.


    Psychisch: Ein nettes Kriseninterventionsteam des Roten Kreuzes hat mir einen Gesprächskreis für traumatisierte Ersthelfer angeboten. Ich habe ihn nicht gebraucht, weil ich in der Situation wirklich von einem so dicken Adrenalinschirm von den unangenehmen Details, zum Beispiel eines aus der Augenhöhle heraushängenden Auges, abgeschirmt war.


    Viele Grüsse


    Matthias

    They who can give up essential liberty to obtain a little temporary safety, deserve neither liberty nor safety.
    Benjamin Franklin (1775)

  • Zitat

    Mein Albtraum ist, daß jemand umkommt, weil ich versage!


    Ich glaube das Schlimmste was man machen kann, ist: Nicht zu helfen, gaffen oder vorbeizufahren (beim Unfall)
    Man kann nur versagen, wenn man wegsieht.


    Unabhängig davon wie lange der letzte 1. Hilfe Kurs her ist, kann jeder Mensch bei einem Autounfall anhalten und irgendetwas helfen: stabile Seitenlage bringen, Mut zusprechen, Straße absichern, Notarzt anrufen --> hierbei kann man nicht versagen.


    Oft ist es auch wichtig, Unfallopfer davon abzuhalten ins brennende Auto/Haus zurückzukehren oder auf der Straße (wegen Schock) rumzurennen...


    Auch wenn man die Herzdruckmassage falsch durchführt und der Person eine Rippe bricht, ist das letztendlich unwichtig.
    Wenn das Unfallopfer durch die schnelle Hilfe überlebt, kann es sich auch von der gebrochenen Rippe erholen.
    Wenn man nicht hilft, ist die Rippe zwar nicht gebrochen, aber das Opfer vielleicht tot.


    Offene Brüche, Herzinfarkt oder abgerissene Aorta etc. kann man eh nicht selber auf der Straße behandeln und das muss auch jedem bewusst sein. Ob die Hilfe (Rettungshubschrauber) dann rechtzeitig kommt oder nicht, liegt letztendlich nicht in meiner Hand. Manchmal ist das Opfer stabil, manchmal nicht zu retten, aber wenn dann eine andere Person dabei ist (egal ob fremd oder nicht), kann man wenigstens etwas Trost spenden oder eine Nachricht für die Angehörigen aufnehmen... wer möchte schon alleine auf der Straße sterben ?



    Adrenalin hilft dem Körper in gefährlichen Situationen schneller und effektiver zu handeln. Angst und Gefahr versetzen den Menschen in eine aufmerksame und aktive Haltung und das ist auch gut so.
    Wenn man in so einem Alarmzustand steckt, ist man danach total ausgepowert, weil die notwendigen Energiereserven durch den Adrenalinschub mobilisiert werden (Freisetzung von Glukose & verstärkte Durchblutung der Muskulatur)

  • Zitat von Lesane;85229

    Ich glaube das Schlimmste was man machen kann, ist: Nicht zu helfen, gaffen oder vorbeizufahren (beim Unfall)
    Man kann nur versagen, wenn man wegsieht.


    Da hast du vollkommen recht, nichts zu tun ist das Übel schlechthin!


    Selbst ich, der nicht wirklich viel machen kann, da ich nicht in toller körperlichen Verfassung bin, kann das Wichtigste machen.


    Folgende Punkte sind in dieser Reihenfolge durchzuführen:


    Der Ablauf der Hilfeleistung nach einem Unfall kann wie eine Kette gesehen werden, die aus fünf Gliedern besteht.


    Erste Hilfe bedeutet:

    Lebensrettende Sofortmaßnahmen durchführen
    Das sind alle Hilfeleistungen, die unmittelbar der Erhaltung des Lebens eines Schwer verletzten, akut lebensbedrohlich Erkrankten oder Vergifteten dienen. Sie müssen in folgenden Notfällen durchgeführt werden:


    1. Gefahrenzone ........................ Absichern, Bergen (Ich werde sofort einen Notruf absetzen, wenn möglich)


    Gerade auf das Absichern wird oft vergessen und bei Autounfällen ist das der wichtigste Punkt, schon zu viele Ersthelfer verloren dadurch ihr Leben, weil sie nicht zuerst abgesichert haben!


    2. Bewusstlosigkeit .................... Stabile Seitenlagerung
    3. Atemstillstand ........................ Beatmung
    4. Kreislaufstillstand .................. Beatmung und Herzmassage
    5. Starke Blutung ...................... Blutstillung
    6. Schock ................................. Schockbekämpfung


    Und noch was: Falls 2 oder mehrere Unfallopfer zu versorgen sind: Der, der am lautesten Schreit, benötigt die Hilfe zuletzt. Gefährdet sind die, die keinen Piepser von sich geben. (Schockzustand z.Bsp.)


    Zitat

    Auch wenn man die Herzdruckmassage falsch durchführt und der Person eine Rippe bricht, ist das letztendlich unwichtig.
    Wenn das Unfallopfer durch die schnelle Hilfe überlebt, kann es sich auch von der gebrochenen Rippe erholen.
    Wenn man nicht hilft, ist die Rippe zwar nicht gebrochen, aber das Opfer vielleicht tot.


    Sehr richtig! Es wird sehr wahrscheinlich zu einem Rippenbruch kommen, vielleicht sogar mehrere, spielt nicht wirklich eine Rolle.



    Zitat

    Adrenalin hilft dem Körper in gefährlichen Situationen schneller und effektiver zu handeln. Angst und Gefahr versetzen den Menschen in eine aufmerksame und aktive Haltung und das ist auch gut so.


    Du meinst damit auch den Ersthelfer, oder? Nach solchen Erlebnissen kann es sehr gut möglich sein, dass man am ganzen Körper zittert und man nichts dagegen machen kann, weiche Knie,... kann mich nur zu gut an so manche Unfälle erinnern.



    LG, handyman

  • Ich hab in der bisherigen Zeit bei der Feuerwehr und im Rettungsdienst schon einiges erlebt und auch schon schlimme Yorkerinnen gehabt.


    Dazu zählen Tote Kinder die man im Rettungseinsatz aus dem Pool ziehen muss aber auch Tote Motorradfahrer aufsammeln etc.


    Brände, schreiende Menschen, Tote, verletze etc das ganze ist zwar nicht jedermanns Sache aber ich hab kein Problem damit


    Die Erfahrung hilft im Ernstfall Ruhe zu bewahren und effizient zu helfen

  • Ich fahre regelmäßig mit dem Zug zur Arbeit. Neulich nahm ich den Aufzug beim Umsteigen, weil ich einen schwereren Koffer dabei hatte. Als sich die Aufzugtüren öffneten , kippt mir plötzlich die neben mir stehende Frau an die Schulter. Ich dachte noch - oh, die steigen aber ruppig hier aus, dass sie umkippt - dann merkte ich, sie war bewußtlos. Gerade wollten die letzten zwei Männer auch noch den Fahrstuhl verlassen. Ich sagte sehr laut: "Stopp! Ich brauche Hilfe, ich kann diese Frau nicht allein auf den Boden legen. ". Die beiden hielten dann auch gleich inne und kamen zurück, einer half mir und einer holte Hilfe beim Personal. Da die Frau atmete und der Puls unauffällig war, gab es erstmal keinen größeren Aufregungsgrund. Es ging dann ziemlich glimpflich ab, die Frau wachte nach ca. 3 Minuten wieder auf. Ich fragte sie, ob sie Diabetikerin oder Epileptikerin sei, was sie verneinte. Also konnte ich sie dann dem Personal überlassen, die dann den Krankenwagen holten, und den geplanten Anschlußzug kriegen.