Hallo,
aufgrund der aktuellen Lage in der Euro-Währungs-Zone, möchte ich hier das Thema konkret aufgreifen.
Nach Möglichkeit sollten hier bitte nur "Original-Quellen", also aus erster Hand verlinkt und ggf. bewertet werden. Keine Gerüchte und Spekulationen a la "ich hab im Radio gehört, der Euro ist am Ende".
IWF-Chefin Christine Lagarde im CNN-Interview: nur noch 3 Monate Zeit, den Euro zu retten (Quelle: CNN-Beitrag vom 11.06.2012)
New Yorker Ökonom Nouriel Roubini im BILD-Interview: "Wer den Griechen den Stecker zieht, provoziert den totalen Zusammenbruch der Euro-Zone" (Quelle: BILD-Artikel vom 12.06.2012)
Österreichs Finanzministerin im ORF-Interview: EU-Fiskalunion nötig und Italien nächster Wackelkandidat nach Spanien (Quelle: ORF-ZIB2-Interview vom 11.06.2012)
Öknonom Paul Krugman in seinem Blog: deutsche Offizielle ahnungslos: "senior German officials are living in Wolkenkuckucksheim" (Quelle: Krugmans Blog in der Ney York Times vom 09.06.2012)
Nobelpreisträger Joseph Stiglitz im Reuters-Interview: Spanienhilfe der EU ist Voodoo-Ökonomie und deutsches Beharren auf Ausgabendisziplin sei "totally wrong" (Quelle: Reuters-Interview vom 10.06.2012)
Es ist seit 2008 selten so deutlich von so prominenter Seite auf die Eurozone und ihre Finanzpolitiker "eingedroschen" und das sehr bald bevorstehende Ende der Gemeinschaftswährung verkündet worden. Bisher fand man solche Aussagen eigentlich nur in den dunklen Ecken des Finanz-Internets, bei den Verschwörungsbloggern und den Eichelburgs dieser Welt. Und wurden entsprechend belächelt.
Jetzt haben wir die Diskussion "im Mainstream" und was ich dabei gespenstisch finde, ist die Ruhe und Gelassenheit, mit der "wir" das einfach so zur Kenntnis nehmen." Eurokrise? Wasn das? Ich geh zum Public Viewing der Fussball-EM, dann gehts erstmal in Urlaub..."
Der Mensch neigt offenbar dazu, Gefahren, die sein Verständnis übersteigen, einfach komplett auszublenden, auch wenn sie offensichtlich sind. Kognitive Dissonanz nennt man das Phänomen.
In Bezug auf die Entwicklung in der Eurozone und die Gelassenheit und Ignoranz seiner Bürger, ist auf der Webseite Economy Watch ein interessanter Artikel zu finden: "When the truth is unimaginable, human psychology finds an alternative reality in which to dwell. That describes the global situation today, when the entire planet seems to be in denial about what is about to occur in the eurozone..." (Quelle: Economy-Watch-Artikel "World in Denial" vom 12.06.2012)
Versucht man als Laie, die Situation zu verstehen, könnte das hier herauskommen:
1. Grundsatzproblem Investment-Zockerei/Finanzkrise 2008 (fast schon vergessen):
Investmentabteilungen der internationalen Banken haben sich verzockt, dreistellige Milliardenbeträge sind verspielt worden, Banken müssen mit Steuergeldern in entsprechender Höhe notfinanziert werden - was die Staatshaushalte weiter massiv verschuldet.
2. Grundsatzproblem: "Dankbarkeit der Finanzindustrie":
Die Überschuldung diverser Staaten nehmen Rating-Agenturen zum Anlass, die Bonität der Staaten herabzustufen. Dadurch müssen sich diese Staaten bei Kreditaufnahmen noch stärker Verschulden.
3. Grundsatzproblem: "Ungleiche Wirtschaftsleistung in der Eurozone":
Mit der Einführung einer fixen einheitlichen Währung in vielen EU-Ländern (zur Zeit haben 17 von 27 EU-Mitgliedsländern den Euro als Währung) wurde wirtschaftlich schwachen Ländern die Möglichkeit genommen, ihre Währung abzuwerten, um z.B. Agrargüter und Rohstoffe günstig exportieren zu können. Gleichzeitig wurde in diesen Ländern ein Scheinwohlstand erzeugt, weil sie nun sehr günstig an Kredite in einer "harten" Währung bekommen konnten. Das hat einen z.T. ungesunden, weil am Bedarf vorbei, Investitionsboom in diesen Ländern ausgelöst (v.a. Immobilien und Infrastruktur).
Um diese Grundsatzprobleme überspitzt formuliert "nicht-militärisch" zugunsten einer gemeinsamen Euro-Währung zu lösen, sehe ich nur diese Optionen:
1. Alle Länder der Euro-Währungszone unterwerfen sich einer einheitlichen Finanz-, Steuer- und Wirtschaftspolitik, die vom stärksten Land bestimmt wird. Da das dann Deutschland wäre, halte ich das für politisch zumindest sehr unwahrscheinlich.
2. Innerhalb dieser aus der (Finanz-)Not geborenen echten "Union europäischer Staaten" wird es starke Industrie- und Dienstleistungszentren geben und es wird wirtschaftlich halbtote Regionen geben, die von den starken Zentren mitgetragen werden müssen.
Das ist auf nationaler Ebene in fast allen Ländern Europas ohnehin schon so (in D nennt sich das Länderfinanzausgleich: reiche Bundesländer füttern arme Bundesländer mit durch). Das Problem ist, dass in der bisherigen EU-Politik den nationalen Regierungen diese Aufgabe, ihre "Armenhäuser" durchzufüttern, durch EU-Finanzhilfen ggrösstenteils abgenommen wurde. D.h. eine griechische oder spanische Regierung "fühlt sich genauso stolz und reich", wie eine dänische oder niederländische Regierung. Die eigene Strukturschwäche, teilweise auch geografisch oder historisch bedingt, haben viele nationale Politiker schlicht ausgeblendet, weil sich ja Brüssel drum kümmert.
Es müsste nun also EU-weit beschlossen werden: die reichen Länder finanzieren die armen Länder mit. Punkt. Da Vermögen und Wohlstand dabei nicht beliebig gesteigert werden können, bedeutet das eine Umverteilung. Mathematisch könnte das so sein: reiche Länder haben 100% Wohlstand, die armen Länder vielleicht 40% Wohlstand. Nach einer Umverteilung haben alle nur noch 60% Wohlstand. Das Problem ist, dass sich die Politiker (in den reichen Ländern) nicht trauen, zu sagen, weil sie ja ihren Job behalten wollen und wieder gewählt werden wollen.
Theoretisch könnte man einen europäischen "Solidaritätszuschlag" analog zum deutschen "Soli" einführen. Zum Beispiel 10% Extrasteuer auf alle Einkommen, Gewinne und Kapitalerträge. Zu zahlen von allen EU-Bürgern, Unternehmen und Vermögensbesitzern. Das würde bedeuten, auch (wie beim dt. Soli) die betroffenen Länder selbst müssten diese Steuern abführen. Das Geld käme in einen EU-Finanzausgleich und würde nach "Bedürftigkeit" ausgeschüttet.
Das würde aber eine mächtige europäische "Zentralregierung" erfordern...
Ich bin kein Finanzexperte und ich bilde mir auch nicht ein, was an der aktuellen Situation ändern zu können. Selbst über politisches Engagement, Generalstreiks, brennende Barrikaden etc. wird man nicht mehr viel herumreissen können. Das Thema Euro hat in meinen Augen eine Eigendynamik bekommen, wie ein Vulkan, der seit Monaten rumort und kurz vor dem Ausbruch steht. Den Ausbruch wird man nicht verhindern können, man kann nur versuchen, sich in Sicherheit zu bringen.
Grüsse
Tom