(Persönlicher) Ernstfall ist eingetreten

  • Da gebe ich Dir völlig recht, daß es wichtig ist, zu wissen, wer man ist - aber diese Erkenntnis ist vielleicht nicht so einfach, wie sie scheint.


    Von Natur aus neigt ein Mensch dazu, sich als Einheit mit seinem Gefühlshaushalt zu erleben.
    Das ist im Normalfall ja ganz schön, aber kann einem auch das Leben zur Hölle machen.
    Wie sehr gekränkte Gefühle einen zur Weißglut bringen können, wurde ja schon erwähnt.
    Und leider wird die Wahrscheinlichkeit, in einer Beziehung geschädigt zu werden, systematisch unterschätzt im Vergleich zur Wahrscheinlichkeit, mit Fremden in Konflikte zu geraten.


    In bestimmten Situationen könnte es hilfreich sein, im Geiste aus sich herauszutreten und zu versuchen, sich selbst und die anderen Beteiligten so objektiv wie möglich zu betrachten.
    Und da sind wir nunmal evolutionär entwickelte hormongesteuerte Nervenbündel, die auf der Bühne des Lebens letztlich um Fortpflanzungs-chancen konkurrieren.


    Da ich im falschen Kostüm auf die Bühne geschickt wurde, bin ich wieder backstage gerannt, hab versucht, mich umzuziehen, und dabei eine vage Vorstellung davon bekommen, daß das alles ein großes Illusionstheater sein könnte.


    Ich durfte z.B. die mitunter beängstigende Erfahrung machen, wie sich der eigene Gefühlshaushalt unter dem Einfluß unterschiedlicher Hormone ändert:
    Z.B. nimmt unter Testosteron Dominanzstreben, Libido, Agressivität, Kränkbarkeit und Eifersucht um Größenordnungen zu!
    Ich konnte am eigenen Erleben spüren, wie mein "emotionales Geweih" von Tag zu Tag wuchs.
    Ist dieses "Geweih" nun ein integraler Bestandteil meines Selbst oder nicht?


    Und wenn man erst mal angefangen hat, die Zwiebelschichten der eigenen Identität nach und nach abzupellen auf der Suche nach der Erkenntnis, wer man ist, kommt man u.U. an den Punkt, wo nichts substantielles mehr übrig ist, und man keine Aussage treffen kann, ob man nun Teilchen oder Welle ist :winking_face:


    Und wenn man dann wieder an die Oberfläche kommt und vermutet, daß alle anderen auch ihrer Tiefenschichten größtenteils nicht bewußt sein können/wollen, kann man zu einer größeren Demut und Gelassenheit gegenüber den eigenen und den Fehlern anderer kommen.


    Ja, man darf hohe Ansprüche stellen.
    Es geht einem selbst und den Mitmenschen aber besser, wenn man sich bewußt bleibt, wie fragil all diese Konstruktionen sind.
    Ein kleiner Gehirntumor z.B. kann die eigene Persönlichkeit völlig verändern und man ist nicht mehr in der Lage, die Erwartungen, die der Partner an einen stellt, zu erfüllen.


    Hoffe das Beste, aber sei auf alles gefaßt...

  • Hi, Hinterwäldler!


    Ja, es wäre gut, wenn die meisten Leute um ihr fragiles Kostüm Bescheid wüßten...
    ...und noch besser, wenn sie auch mal Abstand zu sich als Person nehmen würden
    und sich auf Metaebene begeben...täte so mancher Streitkultur auch gut.
    :face_with_rolling_eyes:


    Ich kann das vermutlich nicht mal im Ansatz so nachempfinden, wie Du es schreibst,
    allerdings habe auch ich im Rahmen meiner ehemals psychologischen Ausbildung
    auch mich den Thematiken Gruppenselbsterfahrung, Selbsterfahrung, Körperarbeit und insbesonders
    Encounter bzw. Sexualität stellen müssen.


    Und ich...uah...ich kann mich noch erinnern wie ich eine Kollegin
    anschaute, wir beide lachten und uns so zutuschelnden, daß wir das ja sowas von nicht nötig hätten,
    weil wir ja über uns und insbesonders über unsere Sexualität Bescheid wüßten.


    Ich wurde eines besseren belehrt.
    Ich habe einige Antworten zu Fragen bekommen, die ich gar nicht gestellt habe...oder gewagt hätte zu stellen...
    :lachen:
    Jedenfalls kann ich behaupten, daß ich seitdem etwas vorurteilsfreier bin und auch weniger "konservativ".


    Zitat

    Es geht einem selbst und den Mitmenschen aber besser, wenn man sich bewußt bleibt, wie fragil all diese Konstruktionen sind.
    Ein kleiner Gehirntumor z.B. kann die eigene Persönlichkeit völlig verändern und man ist nicht mehr in der Lage, die Erwartungen, die der Partner an einen stellt, zu erfüllen.
    Hoffe das Beste, aber sei auf alles gefaßt...


    Ja, das stimmt....also ich sehe das schon ähnlich.
    Und: *ggg* Da spricht ja voll der Prepper aus Dir!
    :face_with_rolling_eyes:


    Ein Plan B (C,D...) kann wirklich nicht schaden.
    Ich bin zb. schon viele Situationen, die so hoffentlich nie eintreten werden, durchgegangen.
    Also...wieso sollte man da dann Beziehungen davon ausklammern.
    Das ist ja Preppen in Reinstkultur.


    Ich bin höchstwahrscheinlich nicht der Einzige hier, dem hoch und heilig Treue und Liebe geschworen wurde
    um eben dies nur kurz darauf zu brechen...
    ...trotzdem Beziehung heißt auch Vertrauen.
    Sonnst kann ichs auch gleich lassen.
    Also mir ist sowas halt wichtig.
    Ich muß mich auch fallenlassen können...aber bei meinem Konto hörts dann auch auf.
    :lachen:


    Na, ja...ich denke und lebe da auch sicher abseits der Norm.
    Zb. Meine Lebensgefährtin und ich haben zwei Wohnungen. Ihre und meine.
    Sie ist zwar eh meistens bei mir...aber es macht halt schon einen Unterschied.
    :face_with_rolling_eyes:



    Ciao,
    Occam

    "Alle, außer mir, haben sich verirrt!"... Indiana Jones

  • Nun weiß ich garnicht, was ich sagen soll. (Einfach mal laut seufze). Hinterwäldler, ich finde deine Ehrlichkeit bestechend. Und toll. Und wenn du deinen Kumpel auch sehr magst, dann lass ihn langsam, zaghaft an dich ran. In deinem ganz eigenen Tempo. Wenn du jetzt im richtigen Körper bist, nach und nach, auch wenn die Hormon-Umstellung von F>M irgendwie heftigere Auswirkungen hat als von M>F, was ich so mitbekommen habe im Laufe der Jahre, mach langsam, lass dir Zeit. Werd dir klar über dich selbst und den Menschen, der du bist. Und fang an aufzuräumen. Langsam. Das ist ein altes Leben, das du heute nicht mehr brauchst, hinter dem du dich verstecken musst. Du reflektierst sehr viel, lese ich aus deinen Posts heraus. Nun musst du nur noch anfangen, das Reflektierte umzusetzen. :)


    Ich hingegen hadere mit mir. Gestern war ich zwei Mal an ihrem Arbeitsplatz, das eine Mal nur rumgeschlichen, als ich gesehen habe, sie ist wohl nicht da, ein paar Stunden später dann dortgewesen. Und sie war nicht da. All meinen Mut hatte ich mir zusammengenommen und dann: nichts. Nun bin ich wieder auf dem Rückzug und fang schon wieder mit dem Vermeidungsdenken an. Hat mir fast den ganzen Tag heute Kopfschmerzen beschert. Dann ist mir auf dem Rückweg auch noch meine ...-Ex begegnet und einen auf arrogant gemacht, das hat mich dann so sehr genervt, dass ich schon wieder an emotionalen Rückzug denke. Zu viele Gedanken. War heute so schwer, dass es sogar meine Arbeit belastet hat, sonst kann ich Arbeit und Privatleben meist super trennen. Mein Gefühl, wenn ich ganz tief in mich höre, sagt mir, warte ab, das wird schon. Aber irgendwie denke ich, habe ich mich doch geirrt, das Falsche reininterpretiert. Und sollte ich nicht am besten doch alleine bleiben, dann gibt es keine neuen Kerben mehr.


    Und dann ist das Forum auch noch weg und ich war zum Kaffee verabredet und dann hatte das auch nicht geklappt. Irgendwie alles :Schlecht:.


    Nun aber genug mit dem Heulen. Den Triumph meiner Ex, mich vernichtet zu haben, gestehe ich ihr nicht zu. Muss mich nur erst wieder richtig sortiert bekommen. Der Thread hier hat viel aufgewühlt, was ich in den letzten Monaten verdrängt habe, hatte auch keine Zeit wegen dem Arbeiten und das Finanzielle wieder hinbiegen. Und danke euch für dieses Gespräch hier.

  • Wir tragen alle Masken und Rüstungen um nicht verletzt zu werden. Wir verleugnen uns in vielen Situationen, vor Bekannten, vor Freunden....und vor uns selbst.
    Keiner bekommt gerne einen Spiegel vorgesetzt. Das ist immer schmerzhaft.
    Die einten zerbrechen daran, die anderen gehen mit einem lächeln darüber hinweg.
    So unterschiedlich sind wir und das macht das Leben schön und intressant.


    Es bleibt nur sich selbst so zu akzeptieren wie man ist und die Umwelt soll das bitte auch.
    Man kann sich ändern. Man kann sich anpassen. Aber baut man nicht wieder einfach andere Masken und Rüstungen auf?


    Ich nehme jeden Menschen so wie er ist. Stimmt die Chemie ist alles andere unwichtig.
    Stimmt sie nicht. Thja. Shit happens.


    Um beim Thema zu bleiben.
    Zum streiten braucht es immer zwei!


    Gruss, Worber

  • @Interessehalber (und auch andere natürlich :))


    Auch Dir danke für die Offenheit.
    Mich schüttelte es ebenfalls einige Jahre, in gewissen Bereichen Jahrzehnte.

    Schau Dir allenfalls mal dieses Bch an: http://www.amazon.de/Die-inner…=8-1&tag=httpswwwaustr-21
    Diese Psychologin hat einige Methoden, die ich hervorragend finde. Mir halfen sie - neben anderem - sehr gut, Bindungen zu lösen und Altes wegzulegen.


    Beste Grüsse
    Bernie


    [COLOR="silver"]- - - AKTUALISIERT - - -[/COLOR]


    Zitat von hinterwäldler;127183


    In bestimmten Situationen könnte es hilfreich sein, im Geiste aus sich herauszutreten und zu versuchen, sich selbst und die anderen Beteiligten so objektiv wie möglich zu betrachten.
    Und da sind wir nunmal evolutionär entwickelte hormongesteuerte Nervenbündel, die auf der Bühne des Lebens letztlich um Fortpflanzungs-chancen konkurrieren.


    Ich bin mir nicht sicher, ob es Objektivität, so wie Du sie erwähnst, wirklich gibt, ich meine, dass nein ....
    Und das mit dem Fortpflanzungszwang muss auch nicht sein, obwohl es zugebenermassen wahrscheinlich der biologische, genetisch bedingte Sinn des Lebens ist.



    Knapp, etwas verklausuliert, evtl. bisweilen hart und dennoch aus jahrzehntelanger Selbsterfahrung heraus:
    Selbstverständnis hilft, um Ursachen, Zusammenhänge und Folgen zu erkennen und vor allem zu akzeptieren. Ob all diese Überlegungen und Erinnerungen dann richtig sind, ist eigentlich unwichtig. Hauptsache, die Bilder geben Dir eine Erklärung, so dass man verstehen, akzeptieren und damit weglegen kann.


    Das - so meine ich - kann einem die Freiheit geben, dann über sich selbst zu bestimmen, sich anzunehmen und sich dann so selbst zu formen, wie es einem gut tut und wie man es sich wünscht (in Grenzen natürlich).
    Ich meine, es klappt weitgehend, sobald man das sich drehen, das Suchen nach Erklärungen aufgeben kann. Dazu gehört, dass man aufhört, sich im Kreis zu drehen und nur zu analysieren. Und dann kann man sich doch erstaunlich weitgehend selbst formen.


    Das im oberen Beitrag erwähnte Buch kann helfen, auch andere Methoden, die man ja nicht nur alleine anwenden muss.


    Warum ich das hier so schreibe ?
    Weil ich jahrzehntelang ebenfalls haderte, wenn auch nicht so stark wie Du wohl (verständlicherweise übrigens !). Weil es sehr viele Schmerzen und "Rotationen" brauchte, um frei zu werden und ein sehr weitgehend selbstbestimmtes Leben zu führen. Vieles ist mir bewusst, klar geworden, eine dunkle Ecke kann ich nach wie vor nicht ausleuchten, aber das belastet mich nicht mehr. Ein bewusst selbst erzeugtes Bild (eben nicht "die Wahrheit"), eine Möglichkeit reicht, um zu akzeptieren.



    Damit möchte ich eigentlich Mut machen ....


    Ich nehme an, Du kennst die Bedeutung des Wortes "Survivor" in dem Zusammenhang.


    Alles Gute !!
    Bernie

  • Danke @Bernie. :) Mir hilft Lesen in solchen Fällen nur nicht viel. Mein Erkenntnisweg ist immer klar: viel Nachdenken, einiges sagen und dann, ja dann gehen mir plötzlich die Lichter auf, die ich vorher vor lauter Bäumen nicht sehen wollte. Und heute ist mir gleich ein ganzes Lichtermeer aufgegangen. Der Faden hier hat viel aufgewirbelt, mich aber auch sehr sehr sehr nachdenklich gemacht bzw. noch mehr angestoßen und mir zugleich durch Reden können den eigenen Faden finden lassen. Das ist zwar noch ein Stück Weg, aber ich gehe ihn. Auch ein großes Stück an Vorbereitung für den Ernstfall. Sich dem richtigen Menschen öffnen zu können, bedeutet auch, sich im richtigen Moment helfen lassen zu können, aber auch selbst mutig genug zu sein, um Hilfe anbieten zu können.

  • Ich möchte hier mal ein Fazit ziehen.


    Hinterwäldler: Ich danke Dir für Deine Offenheit und Deinen in unserer heutigen Gesellschaft leider immer noch erforderlichen Mut dazu. Das zeigt mir: In unserem Forum herrscht Vertrauen. Du vertraust uns.


    Ich danke auch den vielen Foris für ihre einfühlsamen und toleranten Beiträge.


    Ich bin Moderator dieses Forums aus Interesse am Thema S&P. Aber jetzt muss ich mal sagen: Ja ich bin stolz auf Euch, diese Beiträge machen mir richtig Freude. Ich bin hier am richtigen Platz und unter den richtigen Leuten. Weil Toleranz und Freiheit für mich persönlich DAS Thema ist.


    Meint


    Matthias

    They who can give up essential liberty to obtain a little temporary safety, deserve neither liberty nor safety.
    Benjamin Franklin (1775)

  • Interessehalber



    Danke für Deine Meinung!
    Ich werde gerne zu dem Thema noch etwas mehr schreiben. Dies allerdings voraussichtlich erst morgen Abend. Jetzt geht es zur Arbeit und den heutigen Abend werde ich wahrscheinlich mit meiner Frau in der Badewanne verbringen.
    Jetzt im Zug auf dem Handy einen ernsthaften Beitrag zu schreibe mute ich weder Euch noch mir zu :winking_face:


    Ich wünsche Euch einen schönen Tag
    Bernie


  • Nun warten wir alle gespannt und warten. :lachen:

  • So, Fortsetzung :)


    Wie oft bei mir: kann vereinfachend und plakativ sein und bezieht sich - selbstverständlich - auf meien eigenen Erfahrungen, was denn sonst :lachen:


    Bei der Verarbeitung einiger negativer Erlebnisse, die in längeren Phasen auftraten, ging es mir so
    - ich begann recht früh mit Atemtechnik, Meditation, autogenem Training, wie man das immer nennen mag und zog das einige Jahre zwischen ca. 14 und gut 18 intensiv durch
    - als ich es schaffte, nichts mehr zu denken - auch nicht zu denken, dass ich nicht denke - kamen natürlich sehr viele Gedanken und Gefühle hoch, durchaus auch Gewaltphantasien etc.
    -> ich kapierte, dass dies "normal" ist, solange es Phantasien bleiben, dass es anderen auch so geht, vielleicht auch weniger bewusst und ich erkannte, dass ich deswegen keine Angst vor mir etc. zu haben brauchte, bspw. ich sei "nicht normal"
    - ich lernte, mich sehr gut in Situationen und wohl auch andere Personen einzufühlen, erkannte dadruch wesentliche Zusammenhänge (ob richtig oder nicht, ist eigentlich egal)
    - ich lernte, einigen Leuten zu verzeihen, was bereits sehr viel zum Loslassen beitrug, zum "Loslassen" komme ich dann noch
    - das führte dann dazu, dass ich mich mehr auf mich, meine Ziele und meine eigene Entwicklung konzentrieren konnte, was natürlich enorm gut tat und sehr interessante und wertvolle Entwicklungen zuliess
    - die Welt war in Ordnung, vorerst ...


    - ich geriet jedoch einige Zeit später in einer Beziehung (erste Ehe) in Situationen, bei denen ich über längere Zeit wieder viel zu viel Verantwortung übernahm, "helfen" wollte und es doch nicht konnte, damit ausbrannte, hilflos im eigentlichen Sinne wurde
    - das führte zu einem Gefühl des Scheiterns, dies fiel in etwa mit meinen ersten Knieoperationen zusammen, die es mir verunmöglichten, mich körperlich weiter "auszutoben"
    - nach der Trennung kamen zwei recht kurze .... hmmm..... Beziehungen, Affären, was auch immer dazu, bei denen ich wieder in die gleichen Muster zurückfiel, obwohl mein Verstand mich mehr als deutlich warnte


    - dann war es Zeit, daran etwas zu ändern. Denn es kann ja nicht sein, dass man einfach so immer wieder in gleiche Situationen reinkommt, sich ähnliche Partnerinnen sucht
    (Ich lernte dabei, dass ich die Finger von Frauen lassen muss, die mich auf eine ganz eigentliche Art und Weise mit einer "gefühlten Seelenverwandschaft" anziehen. Viel besser kann ich es kurz nicht ausdrücken. Ich merkte dann, dass wir wohl ähnliche "Narben" trugen ...... wäre jetzt interessant, mehr darüber zu schreiben, aber ich lass es hier mal
    - hier nahm ich professionelle Hilfe in Anspruch, da ich merkte, dass ich sonst zerbrechen würde


    wesentlich waren hier
    - es gab einen Namen für das, was mir passierte: "Vernachlässigung" -> das nahm schon mal jegliche Schuldgefühle von mir, erklärte mir, warum ich mich als Kind aufgerieben hatte (völlige Überforderung in der Situation, das kann KEINER !!)
    => damit konnte ich dann - nicht ganz so einfach wie hier geschrieben :) - sehr viel Vergangenheit weglegen, ich konnte das Suchen nach dem "warum" aufgeben und mich wieder mir selbst widmen, mich entwickeln
    - ich sprach mit dem Arzt kurz über eine der Beziehungen sprach und erwähnte ein Verhalten dieser Person. Er wies dann mit ein, zwei Sätzen auf eine mögliche Ursache (eine Art sexuellen Missbrauch in der Kindheit) hin
    In der Nacht danach, liess ich mir das nochmals durch den Kopf gehen, fühlte mich in die Frau ein und dann war ich, schlagartig selbst in der Rolle des Opfers. Etwas so Erstaunliches hatte ich noch kaum je erlebt. Die körperlichen Reaktionen waren recht intensiv und es fielen Schuppe von den inneren Augen. Ich erkannte plötzlich, dass primär zwei Situationen, an die ich mich zwar immer wieder erinnerte, eigentlich „sanfte“ Formen von Missbrauch waren (durch zwei unterschiedliche Frauen übrigens).
    Am folgenden Tag begann ich, von Hand mein Leben runterzuschreiben, nach ca. vier Stunden waren die Finger klamm, ich wechselte auf den Computer und nach weiteren Stunden wieder zurück zum Stift. So kamen dreissig oder vierzig Seiten, gemischt von Hand / Compi zusammen. Auf der zweitletzten Seite wusste ich, dass ich eigentlich hätte aufhören konnte. Ich hatte den Kern getroffen ....


    Warum schreibe ich das ?
    - Ich suchte jahrelang, wie das teils auch hier beschrieben wird, aber ich wusste nicht, wonach ich zu suchen hatte ! Also verging die Zeit, ich drehte mich in mir drin mit den Gedanken und ich lief wohl im Kreis.
    - Ich trug Schuldgefühle für etwas in mir herum, für das kein Kind die Schuld auf sich nehmen kann.
    - ich erkannte, warum ich unbewusst und intensiv in bestimmten Situationen auf oft die gleiche - für mich zerstörerische Art - reagierte. Nehmt die Begriffe "Prägung", "somatische Marker" oder "inneres Kind" ....
    - wem es etwas sagt: Ich traf dabei auch wieder mich selbst als Kind, nahm mich selbst als Kind in die Arme, bei der Hand, sprach mit ihm ......
    - damit konnte ich ganz gezielt mit weiteren Methoden wieder die Handlungsfreiheit für mich (ok den Teil, bei dem es vorher nicht mehr klappte) wahrnehmen, Vergangenheit Vergangenheit sein lassen und mich wieder massivst weiter entwickeln.
    (Dass ich dabei nun auf einen anderen Typen Frau zuging, versteht sich wohl fast von selbst :face_with_rolling_eyes:, auch wenn es dabei weniger intensiv zu und her ging. Diese Beziehungen zerstörten mich nicht mehr.)
    - Ehrlich gesagt, blieb da auch eine Lücke, es fehlte irgendwie die Intensität des Denkens, des Fühlens, es verlor viel Gewohntes seine Wichtigkeit. Das war recht hart, ist es teils immer noch, besonders, da ich des Körpers wegen eben nur teilweise diese Löcher mit Bewegung etc. füllen kann.



    "Loslassen", sich trennen:
    Für mich ist das wesentlich. Es ist, wie wenn man Steine, die man jahrelang in einem Rucksack mittrug, weglegen kann. Die Last ist weg und - vor allem !! - man hat Platz für Neues, das man dann aber auch sinnvoll füllen muss.
    Hier haben mir zwei, drei Bücher durchaus sehr geholfen (wenn das gewünscht wird, gebe ich die gerne an, auch wenn das aber auch sehr, sehr individuell sein kann).
    Ganz erstaunlich für mich - als eigentlich sehr wissenschaftlich orientiertem Menschen - ich machte während der letzten drei Jahre eine Ausbildung zum Reiki Lehrer/Meister. Dabei lernt man, dass man "Energie / Kraft / Licht, was auch immer" in Situationen reinschicken kann, die durchaus auch in der Vergangenheit liegen können. Für mich erstaunlich, wie Situationen, Menschen und Orte, an die ich doch noch immer wieder dachte, plötzlich völlig ihre Bedeutung verloren !



    Zum Schluss einige Gedanken, ohne sie auszuführen
    - Suchen, sich selbst kennenzulernen, sich erkennen etc. mag gut sein, aber
    - - wenn man nicht weiss, wonach man suchen soll, kann man auch ziellos in der Gegend rumrennen
    - - oft kümmert man sich um Dinge, die einem wichtig erscheinen, bis man merkt, dass es aus Angst oder aus Kompensation / Verdrängen, suche nach Sinn etc. etc. heraus geschah, ohne dass es eine wirkliche Bedeutung hätte
    (Interessant, wenn man die Berufs- und Hobbywahl von Leuten genauer anschaut ...)
    - zielorientiertes Vorgehen kann sehr effizient sein, braucht aber sehr, sehr erfahrene Unterstützung
    - Erkennen ist gut, es muss aber nicht "die Wahrheit" sein. Bilder können absolut reichen, indem sie zu Verständnis führen, warum etwas so ist, warum man so handelte, dachte, fühlte.
    => also sucht nicht unbedingt nach "der Wahrheit", die gibt es oft eh nicht, ist subjektiv .....
    - die Leere durch das Weglegen muss ganz aktiv gefüllt werden, sonst kann ein Loch entstehen, das neue Kompensationen auslöst (Drogen, Alkohol, Promiskuität nur als Beispiele genannt)
    - erarbeitet und übt Methoden, mit Situationen umzugehen, bei denen die alten Trigger ("Prägungen, innere Kinder") losgingen und erarbeitet und übt neue Verhalten so ein, dass sich die eigenen Handlungsoptionen vergrössern und man beginnt, bewusst und "erwachsen" zu denken
    - man sich extrem weitgehend selbst bestimmen und formen, sobald man diese erwähnten Kreise verlassen konnte (verwendet also nicht allzu viel Zeit auf das Suchen alleine, das nur als Tipp von mir !)
    - - Kurse (ich meine keine abgespacten „Hokuspokuskurse“ !), bspw. in Kommunikation, emotionaler Intelligenz etc. und entsprechende Bücher nach dem „Kick“ können da durchaus hilfreich sein.


    Abschliessen möchte ich mit einer asiatischen Geschichte:
    Zwei Mönche gingen im Regenwetter auf einem hölzernen Fussweg entlang der Häuser. Sie kamen an eine Strasse, die sie überqueren mussten und die Strasse war voller Schlamm. Auf der gleichen Seite stand eine junge, sehr hübsche wunderschön gekleidete junge Frau, die sich nicht getraute, die Strasse zu überqueren. Nach einer kurzen Absprache nahm einer der Mönche die Frau auf den Arm, trug sie über die Strasse und setzte sie dort ab. Beide Mönche gingen weiter. Nach etwa einer halben Stunde des Schweigens sagte der andere Mönch: „Ich habe nun lange nachgedacht und finde es nicht richtig, dass Du als Mönch, der Keuschheit gelobe, diese junge Frau in Deine Arme nahmst und sie über die Strasse trugst.“
    Darauf entgegnete der andere Mönch mit einem Lächeln: „Obwohl ich es war, die die Frau in den Armen hatte, scheinst Du sie noch mehr mit Dir herumzutragen. Ich liess sie in dem Moment, als ich sie absetzte, zurück.“



    OK, wieder schnell, hoffentlich für einige verständlich und für noch weniger allenfalls einfach eine kleine Ermunterung :)


    Ich wünsche Euch ein schönes Wochenende
    Bernie


    [COLOR="silver"]- - - AKTUALISIERT - - -[/COLOR]


    Zitat von Interessehalber;127494

    Nun warten wir alle gespannt und warten. :lachen:


    Ja ja, ich schreibe zwar schon extrem schnell, arbeite aber auch lange ......
    Hab also Erbarmen und Geduld :grosses Lachen::Cool::grosses Lachen::Cool:

  • Zuerst: ich bin Schnell-Leserin, deshalb lese ich nicht weniger intensiv. Alles Übungssache. Nur damit du nicht denkst, ich hätte deinen Text nur überflogen.


    Ja, das mit der Seelenverwandtschaft. Das kenne ich, das versuche ich zu vermeiden. Und dennoch bin ich mit meiner Ex einer Frau begegnet, die so viel in mir trägt, dass es mir ganz schlecht wird bei dem Gedanken. Doch nicht im Jetzt, wie ich inzwischen bin, sondern wie ich einst war. Bevor ich mich auf meinen Weg gemacht habe. Auf dem ich immer noch unterwegs bin und auch immer noch unterwegs sein werde.


    Loslassen: ich hadere seit meiner Kindheit mit Loslassen. Ich habe versucht, damit zu kämpfen, zu verstehen, vom Kopf, vom Herz her. Bis ich vor einigen Wochen ein Zitat las, das mich befreite: „Hole die Vergangenheit nur zurück, wenn du auf ihr aufbauen willst.“ Dominico Estrada
    Das ist nun meine Richtschnur. Immer wenn ein Gedanke des Schmerzes, der Wut, der Trauer kommt, erinnere ich mich daran. Das hilft. Und stärkt.


    Und ich bin mir durch meine Offenheit hier, derer ich mir zu Anfang sehr unsicher war, bewusster geworden, wie viel ich verloren habe in der Zeit dieser zerstörerischen Beziehung und den Monaten danach, wo ich nur noch arbeiten musste, um ein völliges Fiasko abzuwenden. Ich habe nicht mehr gelebt, das habe ich gemerkt. In den letzten Tagen bin ich immer wieder mal unterwegs gewesen, alleine essen, fast jeden Tag eine Runde drehen. Ich habe das Gefühl, ich kann wieder besser atmen und bin nicht mehr in dem Gestern dieser Beziehung und dem Fast-Untergang gefangen. Für mich ist das nicht einfach. Ich bin Einzelgängerin. Das möchte ich nicht immer sein, aber das war ich schon als Kind und bin es bis heute geblieben. Ich polarisiere stark, wofür ich nichts kann, aber es begleitet mich schon von Kindesbeinen an. Das hat bei mir immer wieder dazu geführt, dass ich mich zurückgezogen habe, Chancen nicht genutzt habe, Momente verk... habe, in denen ich hätte reagieren sollen. Und es nicht tat und mir jahrelang jahrzehntelang danach noch den Kopf zermartert habe. Nun lerne ich, durch diesen einen Satz loszulassen, was ich bisher nicht loslassen konnte.


    In den letzten Tagen ist mir auch eines klar geworden: egal ob ich ihr noch einmal begegne oder was auch immer passiert, oder ob ich alleine bleibe, ich lass es geschehen und gebe allem seine eigene Zeit. Ich brauche es nicht mehr, eine Beziehung zu haben, um nicht alleine zu sein, aber ich brauche auch nicht mehr alleine sein, um einer Beziehung aus dem Weg zu gehen. Beides habe ich gelebt, nun ist es an der Zeit, die Dinge einfach auf mich zukommen zu lassen. Ich fühle mich alleine mit mir wohl, aber ich schließe die Welt da draußen auch nicht mehr aus.


    Und ich bin einigen von euch sehr dankbar. Mir hat das Reden hier und eure Gedanken und eure Geschichten dazu das Hirn noch mal so richtig durchgelüftet. Und ich habe gemerkt, ich will nicht alleine in dieser Welt vor mich rumkaspern und eigenbrötlern, wo es doch auch noch andere gibt, die sich auf ein mögliches Szenario vorbereiten. Und eines fand ich heute auch bezeichnend: ich hatte einen megabesch... Tag heute, bei der Arbeit konnte ich mich die ganze Woche schon nicht richtig konzentrieren, dann noch eine hohe Zahlungsaufforderung, während ich meinem Geld zurzeit immer wieder hinterrennen muss bei Kunden. Da musste ich raus, bin Einkaufen gegangen in zwei verschiedene Läden, habe meinen Frust nicht nach außen dringen lassen und wurde so lieb behandelt beim Einkaufen von den Mitarbeiterinnen, da ging mir das Herz auf und es tat mir gut. Weil es nicht selbstverständlich ist, dass Menschen freundlich sind, und weil es nicht selbstverständlich ist, dass Menschen, die wütend sind, ihre Wut nicht an ihren Mitmenschen auslassen.


    Alles ein wenig durcheinander geschrieben? Seis drum, ich lass das jetzt so stehen. Ein schönes Wochenende auch von mir euch allen! :)

  • Zitat von DON;127555

    Da kommen mir einige Sachen seeehr bekannt vor:unschuldig:


    Von dir selbst oder deiner Partnersuche oder beidem?


    Ich finde das schon interessant, nach welchen Kriterien wir bei der Partnerwahl vorgehen. Das ist mir nicht erst seit gestern klar, sondern schon ein paar Jahre. Das nützt dir aber nichts, wenn dir, wie in meinem Fall, eine notorische Lügnerin begegnet, die vorgibt jemand oder was zu sein, und irgendwenn stellen sich dann nach und nach die Dinge raus, wie sie wirklich sind. Da bist du nicht davor gefeit. Nicht, dass ihr Name nicht stimmen würde, aber da hat vieles aus ihrem Leben nicht gestimmt, war gelogen und da bringt dir deine ganze gute Menschenkenntnis nichts, da bist du einfach gear... Und dann als ich sie beim Lügen ertappt habe (worin sie mir garnicht ähnlich ist, ich bin eine schlechte Lügnerin und fühle mich selbst mit Notlügen so unwohl, dass ich lieber gleich die Wahrheit sage. Außerdem finde ich Lügen sowieso bescheuert), kamen dann Ausreden. Und dann wieder neue Lügen. Ich wusste irgendwann nicht mehr, mit wem ich da zusammen bin. Das hat mich sehr bestürzt und war bei mir ein Auslöser: ich habe keine Lust mehr auf eine Beziehung, alleine lebt es sich besser. Lügt mich wenigstens niemand an. Das Problem ist nur: ich bin zwar Einzelgängerin, aber ich glaube, ich bin auch ein Beziehungsmensch, zumindest in einem gewissen Maße. Aber eben nur nicht mit jemandem, bei dem du nie nie nie weißt, woran du bist. Wenn der Mensch, mit dem du zusammenbist, dir dann auch noch das Wort im Munde rumdreht und dir sagt, das hast du aber gesagt und das hast du nicht gesagt, und ich mich genau erinnern kann, das war aber anders (ich habe ein sehr gutes Gedächtnis, brauche ich auch bei meiner Arbeit und wird damit gleich auch noch täglich trainiert), dann verstehst du, oder ich eben, die Welt nicht mehr. Da hat das dann auch nicht mit einem eigenen Muster zu tun, sondern mit einer Krankheit, die man nicht erkennt, nicht auf den ersten Blick, nicht auf den zweiten Blick sondern erst nach einem Jahr oder zwei. Manchmal auch erst viele Jahre später.


    Für mich war das eine Lehre, an der ich immer noch arbeite, um das Ganze verstehen zu können. Nur darf es mich nicht wieder dazu bringen, was es die letzten Monate getan hat, mich von anderen abzukapseln. Eigentlich mag ich Menschen nämlich. :)

  • Zitat von Interessehalber;127565

    Eigentlich mag ich Menschen nämlich. :)


    Dann mag die Menschen doch einfach ! :):)


    Du kannst es ja auch gut mit Menschen haben, die Momente geniessen, ohne dass gleich alles stimmen muss. Kannst Dir ja auch ein Puzzle aus Menschen, alltäglichen Beziehungen zulegen, ohne dass mehr dahinter ist.
    Dann gibt es halt je unterschiedliche Personen
    - mit dem/der über das Wetter super quatschen kannst
    - jemand, mit dem es gut tut, Kaffee zu trinken
    - ... ins Kino zu gehen
    - Sport zu treiben
    - sich allenfalls zu berühren



    und ...
    dann kann es Dir doch ....egal sein, wenn die "Wetterperson" absolute Phantasiestories über ihre Beziehungen erzählt. Das interessiert Dich dann ja nicht, Du bist ja hier nur am Gespräch über das Wetter interessiert !
    Das Gleiche mit anderen "Makeln" bei andern Leuten.


    Wenn Du selbst entscheidest, was Du von wem annimmst, stimmt doch das Puzzle.
    Und das kann ein Anfang sein, ein Anfang, wieder Vertrauen Stück für Stück aufzubauen, zu beobachten, Leute einschätzen zu lernen, es kann Dich flexibler machen, Deine Erwartungen realistischer werden lassen, Deine Menschenkenntnis verbessern, einfach gute Momente zulassen können, "das Thema möchte ich nicht mit Dir besprechen" / "diese Berührungen nicht von Dir haben" etc. etc. aber auch "mit Dir möchte ich einen Kaffee trinken, schwimmen gehen, Dir die Hand geben, ...." etc. etc.
    Ja, ich weiss, hast schon lange kapiert, was ich sagen will :grosses Lachen::grosses Lachen::grosses Lachen:



    Damit bestimmst Du, wer, wann, wie, wie weit in den Kreis eintreten darf, den Du als Dein "Ich" bezeichnest und der nur Dir ganz alleine gehört und machst Dich auch nicht abhängig von einer Person.



    Geniess Dein Lächeln !

  • Ja, was soll ich dazu sagen? :) Ich komme ins Leben zurück. Nach so viel vergeudeter Zeit und "verschenkter" Energie war ich am Boden und hatte keine Lust mehr auf Gesellschaft jedweder Art. Das Interesse an "ihr", dessen ich mir irgendwann bewusst geworden bin, eure liebevollen Tritte in meinen Ar... und das Bewusstsein, dass jeder Tag ein neuer Tag ist, haben mich aus den Frust-Angeln gehoben. Ich bin jetzt wieder öfter unterwegs, habe mich auch zum Kaffee verabredet und merke, dass mir das alles guttut. "Sie" habe ich inzwischen zwei Mal wiedergesehen. Das erste Mal war ein Disaster. Ich dachte, ok, war alles Einbildung. Das zweite Mal begann wie ein Disaster und irgendwie hat sich am Schluss, in der letzten Sekunde, noch alles gewendet. Sie hat mir das schönste Lächeln des Universums geschenkt und mir ist heute, zwei Tage später, bewusst geworden: wir fühlen uns möglicherweise beide ziemlich überfordert von der ganzen Situation. Wenn ich meine Schüchternheit und Unsicherheit (die man im Alltag meist nicht merkt, sonst wäre ich beruflich wohl wenig erfolgreich) nehme und dann denke, dass es ihr vielleicht auch so geht, dann kann ich gut damit leben, wie es jetzt ist. Anfänge brauchen ihre Zeit und etwas, das wachsen will, braucht immer seine Zeit. Und vielleicht merken wir auf dem Weg dahin, dass es doch nicht passt aus irgendeinem Grund. Aber im Moment bin ich froh, dass sie kein Hauruck-Mensch ist und gleich wild losbaggert. Das mag ich nicht und da fühle ich mich auch befremdet. Also ist alles im Lot und ich freue mich auf das nächste Wiedersehen, auch wenn es vielleicht wieder nur eine ganz zaghafte Annäherung bedeuten wird.


    In der Zwischenzeit plane ich meine weitere Vorsorge, für mich allein aber irgendwie auch nicht. Ich will mir im März endlich den Wasserfilter kaufen und überlegte, wenn ich im Laufe dieses Jahres noch ein wenig Geld über dem Budget übrighaben sollte, kaufe ich mir einen kleinen Filter, zum Verleihen an Nachbars oder so was. Dann wundert sich keiner, wieso ich Wasser trinken kann im Ernstfall, bekommt aber auch nicht mit, dass ich eigentlich ja noch einen zweiten Filter habe, den ich aber nicht aus der Hand geben mag.


    Und ich bin froh, dass wir Menschen die Fähigkeit haben, uns, egal zu welcher Zeit in unserem Leben, zu verändern, weiterzuentwickeln und voranzugehen. Und dass es manchmal auch nur schön ist, über das Wetter zu reden (mache ich immer mit einer Nachbarin, aber wir mögen uns, und es reicht uns als Form des Kontakts).

  • Meine Mutter und ich waren vor gut 25 Jahren von einem persönlichen Ernstfall betroffen, der sich über 20 Jahre hinzog und uns letztlich fast unser ganzes Vermögen kostete:


    Meine Mutter wollte unser damaliges Anwesen wegen Überlastung verkaufen und sich "etwas kleineres", schuldenfreies zulegen, um dort einen neuen Anfang zu machen.
    Just in diesem Moment kam ein alter Studienfreund (Architektur) mit einem unwiderstehlichen Angebot:
    Gemeinsam eine alte Wassermühle in einem wildromantischen Hunsrücktal (der Traum eines Sicheren Ortes) kaufen!
    Jeder sollte sein Gebäude unabhängig finanzieren, der Kaufvertrag mit der verkaufenden Bank sollte zu ideellen Anteilen (ein Drittel wir, zwei Drittel der Studienfreund) beglichen werden.
    Nach Erwerb unseres Anteiles und Verkauf unseres alten Anwesens hatten wir noch etliches übrig.
    Den laufenden Lebensunterhalt sollte meine Mutter durch freie Mitarbeit in seiner erfolgreichen großen Bauträgergesellschaft erarbeiten können.
    Die Gebäude waren in gutem Zustand, den Studienfreund kannte meine Mutter seit Jahrzehnten als zuverlässigen, tatkräftigen, fairen und großzügigen Menschen.
    Es sah nach einer bombensicheren Sache aus.


    Im Lauf der folgenden 3-4 Jahre passierten zwei unvorhergesehene Dinge:
    - Die Bauträgergesellschaft ging pleite, weil durch geänderte Steuergesetzgebung die Geschäftsgrundlage wegfiel;
    - Die Ehe des Studienfreundes zerbrach, und seine neue Partnerin zog mit Anhang in sein Mühlengebäude.


    Da meine Mutter ihren Anteil schon voll bezahlt hatte, und hoffte, diese Schwierigkeiten wären mittelfristig überwindbar, ließ sie sich darauf ein, für den gesamten Anteil zu bürgen und das mit der Miete, die der Studienfreund bezahlte, zu finanzieren.
    Das ging auch ca. 2 Jahre gut, bis er die Miete länger nicht mehr zahlen konnte, und meiner Mutter schließlich nichts anderes übrigblieb, als ihm zu kündigen, weil unser Vermögen aufgebraucht war, und sie darauf angewiesen war, neue solvente Mieter oder Käufer für seinen Anteil oder das ganze Anwesen zu finden.


    Während ich weit weg in der Lehre war, verbrachte sie Jahre damit, potentielle Kaufinteressenten oder Mieter durch das Anwesen zu führen, immer unter dem Damoklesschwert einer Zwangsversteigerung, die uns immense Schulden ohne Gegenwert eingebrockt hätte.
    Weil sie zwischendurch eine weit entfernte Arbeitsstelle annahm, ließ sie einen langjährigen Bekannten das Anwesen hüten.
    Als sie zurückkam, mußte sie sich mit der Polizei Zutritt verschaffen, weil er sie nicht reinließ - wenige Monate später starb er an einem Hirntumor...


    Zwischenzeitlich hatten wir den unbewohnten Teil des Gebäudes immer häufiger an Gäste vermietet und folgten schließlich dem Rat von Freunden, es als Seminarhaus zu bewirtschaften.
    Mit dem Erbe meiner gerade verstorbenen Oma und namhaften Darlehen zweier befreundeter Familien gelang meiner Mutter eine abenteuerliche Neufinanzierung durch eine örtliche Bank.


    Trotz hoher Kapitalbelastung (3000 DM monatlich) und hohen Energiekosten (2x10.000l Öl jährlich) schafften wir es, das Seminarhaus 20 Jahre hindurch ausgebucht am laufen zu halten und unser Dasein zu fristen.
    Die ewigen Finanzsorgen wurden durch eine selbstbestimmte Arbeit mit interessanten Menschen in traumhafter Natur mehr als ausgeglichen.
    Ich zog mir eine Kamerunschafherde zur Geländepflege heran, machte Holz für die Kamine und beteiligte mich an einem Verein zur Förderung regenerativer Energien.


    Eines Tages lernte meine Mutter ihren jetzigen Mann kennen und zog zu ihm, weil er seinen Heimatort nicht verlassen wollte.
    Ich hatte mich mittlerweile mit einer Familie angefreundet, die sich auch für alternatives Wirtschaften, Gartenbau, Krisenvorsorge usw. interessierten. Sie gingen gerade mit einer Motorradwerkstatt pleite und brauchten ein Domizil, wärend ich tatkräftige Mitbewohner brauchte.
    Also zogen sie mit ihrem 10jährigen Sohn bei mir ein, sie bewirtschaftete mit mir das Gästehaus, er kümmerte sich um die Technik, wir bildeten eine sehr harmonische WG und preppten fleißig für das Jahr-2000-Chaos.
    Das Chaos brach aber auf einem ganz anderen Sektor aus, nämlich in der Liebe:
    Er verliebte sich in eine andere Frau und zog auf ihren Selbstversorgerhof, woraufhin sie sich ebenfalls einen neuen Partner suchte und mit ihrem Sohn zu ihm zog.


    Also saß ich wieder allein auf einem einsamen riesigen Anwesen, in welchem sich allmählich dringender Sanierungsbedarf auftat:
    Die laienhaft verglaste 15m hohe Fachwerkgiebelfront mit dem traumhaften Bachblick fing an zu faulen.
    Dies war mit Bordmitteln nicht zu bewältigen, da mußte eine professionelle Wintergartenfirma eine Wärmeschutzverglasung mit Aluprofilen davorsetzen.


    Also sagte ich zu meiner Mutter:
    Ich will mich nie wieder von den Beziehungsangelegenheiten anderer Menschen abhängig machen.
    Ich kann auch nicht erwarten, daß Deine Freunde das Dir gewährte Darlehen auf unbegrenzte Zeit für mich aufrechterhalten.
    Wir müssen das Ding verkaufen, bevor ernsthafte Schäden auftreten.
    Ich muß mir eine billige Bleibe suchen und einen versicherten Vollzeitjob zusätzlich zur Nebenerwerbs-Milchkontrolle.
    Und da ich weder Zeit noch Land haben werde, muß ich als erstes meine Schafe verkaufen...worauf ich anfing zu heulen wie ein Schloßhund...


    Zum Glück fanden wir bald einen Käufer, der nicht nur die Glasfassade sanieren konnte, sondern sogar ein neues Wasserkraftwerk baute!
    Wir konnten die Bank und Muttis Freunde auszahlen und der Rest reichte für den Speicherausbau bei Muttis Mann und für eine olle Bruchbude für mich...


    Mein Fazit aus diesen Erfahrungen?


    - Auch große Menschenkenntnis und langjährige Bekanntschaft schützt nicht davor, daß die eigenen Erwartungen in das Verhalten anderer enttäuscht werden. Wer plötzlich mit einer Pleitefirma zwei anspruchsvolle Familien versorgen muß, von dem kann man nicht unbedingt erwarten, daß er sich an unrealistische Versprechen gegenüber Dritten gebunden fühlt.

    - Beziehungen können, aber müssen nicht tragfähige materielle Existenzgrundlagen sein.
    Im Zweifel sind wohlhabende Bekannte u.U. stabiler und geduldiger als prekäre Liebespartner.
    Alles kann sich jederzeit grundlegend ändern.


    - Es ist nicht möglich, vor einer Unternehmung alle Risiken restlos abzuschätzen, aber man sollte es versuchen.
    Vor allem sollte man versuchen, sich Rechenschaft darüber abzulegen, welche Konsequenzen man bereit ist selbst zu tragen und vor allem, inwieweit man sie guten Gewissens anderen aufbürden darf.


    - Es kann sich trotzdem lohnen, Risiken einzugehen - trotz aller Sorgen war es ein schöner Zeitabschnitt meines Lebens, den ich nicht missen möchte


    - man muß erkennen, wann die Kräfte nicht mehr auszureichen drohen und wann ein guter Zeitpunkt ist, umzusteigen und etwas Neues zu machen.
    Der schönste Ort ist unbefriedigend, wenn die eigenen Möglichkeiten nicht ausreichen, das Potential dieses Ortes zu verwirklichen - dann sollte man diese Aufgabe ohne Bedauern an andere Menschen abgeben, die diese Möglichkeiten haben.


    Noch wichtiger ist dies in Bezug auf Tiere:
    Sobald sich abzeichnet, daß man nicht mehr in der Lage sein wird, ihre artgerechte Haltung zu garantieren, muß man sie in bessere Hände geben oder schlachten.
    Ich habe in der Folgezeit jemandem zu helfen versucht, der diesen Schritt nicht gehen konnte und es hat in einem Desaster geendet (Animal Hoarding).


    Derzeit geht es mir mit meiner Bude und meinen zwei Jobs bestens.
    Ich bin mir aber bewußt, daß sich alles jederzeit grundlegend ändern kann, und kann noch längst nicht behaupten, ich wäre auf die wichtigsten Eventualitäten vorbereitet.


    Aber ich arbeite daran - dafür bin ich ja hier im Forum...:)

  • Hinterwäldler, da heut euch das Leben aber auch übel mitgespielt. Es zeigt aber auch, wie wichtig es ist, in finanziellen Belagen eher weniger zu vertrauen. Ich habe wegen einer Bürgschaft eine Familie auseinanderfallen sehen und wegen einer Erbschaft eine Familie in Hass und Streit ausbrechen sehen (nicht in meiner Familie, ich hab nix geerbt und hätte auch nichts wollen, wenn es etwas gegeben hätte). Gerade das langfristige Planen mit anderen, sei es mit ihren Rückzahlungen, mit ihren finanziellen Beiträgen zum täglichen Leben wie Miete und vieles andere mehr kann ganz schön nach hinten losgehen. Heute kann einer noch ein Chefgehalt beziehen, morgen ist er arbeitslos (auch in zwei Fällen erlebt, da gings vom Chefposten direkt in ALG I). Und bei Selbständigen ist es ja auch nicht weniger heiß. Ich bin selbst Selbstständig und ich würde mich niemals langfristig finanziell bei was binden, da der Markt sich von heute auf morgen ändern kann, oder wie bei dem Studienfreund die Gesetzeslage. Dann auch so was anzugehen und wilde Versprechen zu machen, finde ich von diesem Menschen höchst fahrlässig, ein guter Freund ist das hoffentlich nicht mehr von euch.


    Schade finde ich es um deine Schafe. Ich weiß, wie es ist, Tiere hergeben zu müssen, die man liebt und von klein auf gepflegt hat, nur weil die Situation sich so geändert hat, dass man den Tieren nicht mehr das richtige Heim und die richtige Versorgung bieten kann. Da könnte ich heute noch heulen, auch wenn das nun Jahre her ist.


    Und um noch mal zum anderen Thema zurückzukommen: Hinterwäldler, denk dran: langsam loslassen und langsam auf deinen Kumpel zugehen. :)

  • Ach, die Schafe haben´s gut getroffen - ich verkaufte sie für´n Appel+n Ei (Herbst ist ja auch ein suboptimaler Zeitpunkt - aber egal...) an eine nette Bauernfamilie mit 20 ha Land - ihre Kinder haben sich gleich in meine zahmen Flaschenlämmer verliebt, die von soviel Zuwendung begeistert waren.
    Da kriegten sie meine zwei Grauen Riesenkarnickelinnen auch gleich in einen Katzenkorb gestopft und in den Arm gedrückt...auf die wartete auf dem neuen Hof ein passender Karnickelmann - der gewohnte Hasenstall wurde noch obendraufgepackt und ab die Post...

  • Zitat von hinterwäldler;128093

    Ach, die Schafe haben´s gut getroffen - ich verkaufte sie für´n Appel+n Ei (Herbst ist ja auch ein suboptimaler Zeitpunkt - aber egal...) an eine nette Bauernfamilie mit 20 ha Land - ihre Kinder haben sich gleich in meine zahmen Flaschenlämmer verliebt, die von soviel Zuwendung begeistert waren.
    Da kriegten sie meine zwei Grauen Riesenkarnickelinnen auch gleich in einen Katzenkorb gestopft und in den Arm gedrückt...auf die wartete auf dem neuen Hof ein passender Karnickelmann - der gewohnte Hasenstall wurde noch obendraufgepackt und ab die Post...


    Das ist doch dann ein super Happy End wenigstens für die Schafe und die Karnickel geworden.


    Alles andere wird unter Erfahrungen verbucht, so schmerzhaft sie auch sind.


    Aber auf das andere zu dir in meinem Beitrag bist du nicht eingegangen. :nono: :grosses Lachen: