Menschenmassen unter Stress

  • Es kommt auch immer drauf an, wieviele Menschen am Ort sind. Wenn sich 20 Leute um ein einziges Taxi streiten, wohlgemerkt wissend das sie nur schwer ein anderes bekommen werden (saß mal in den Niederlande fest. Die Bahnlinie nach Deutschland war komplett ausgefallen, es war eine Kleinstadt mit natürlich nur wenig Taxis und Feierabendzeit) ist die Stimmung stressig und unterschwellig aggressiv - halt der typische "ich zuerst" Konkurrenzdenken. Aber es besteht keine Lebensgefahr, denn man hat noch einen gewissen Handlungsspielraum. Auch bei den Öffentlichen hat man ja die Auswahl: Zu Fuß, warten, in den Bus drängeln oder einfach abwarten, einen Kaffee trinken oder ev. sogar in einem Hotel absteigen und es morgen probieren.


    Bei der Love-Parade oder ähnlichen Situationen, bist Du in der Menge drängender Leiber, man hat keine Übersicht warum alle panisch werden, nur das sie anfangen zu schieben. Man kann nicht raus und hat vor allem keine Übersicht was denn eigentlich los ist. Das einzige was man weiss, ist das wenn man stolpert, man nicht mehr hochkommen wird, weil man niedergetrampelt wird. Da sind ganz andere Adrenalin level am Spiel. Ich saß mal bei einem große Volksfest in der Menge fest, weil sich die Menschenmassen an einer Brücke stauten. Auf der Brücke stand man wirklich Körper an Körper, nichts mit Wohlfühlabstand. Es hat gute 20 Minuten gedauert eine Strecke zu passieren, für die man normalerweise 5 min braucht. Nur das man halt vorher nicht erkannt hatte, das es so voll ist. Und wenn man es realisiert hatte, war man schon mitten drin und konnte nicht zurück. Gut das alles ruhig blieb und die meisten das "Gruppenkuscheln" mit Humor nahmen. Trotzdem wurde einem etwas mulmig, denn wenn eine Panik ausgebrochen wäre, dann wären so einige verletzt worden.

  • Ich habe da noch einen Erfahrungsbericht. Ich war mal mit meiner Freundin auf dem Weg zu einer Großveranstaltung in Frankfurt am Main. Auf dem Eisernen Steg (Fußgängerbrücke über den Main) kam es zu einer Art Stau, weil aus unerklärlichen Gründen der Ausgang der Brücke verstopft war. Somit drängten die Leute von hinten nach, es ging jedoch nicht weiter nach vorne. Mit zunehmender Dichte der Menschenmenge wurde es immer unangenehmer. Am Anfang haben noch alle gelacht und Spaß gemacht, dann wurde die Stimmung zunehmend aggressiver. Ich habe versucht meine Freundin mit den Armen abzuschirmen, weil die Masse um uns herum schon begann Druck aufzubauen, der echt unangenehm wurde, was mir aber natürlich auch nur kurz gelungen ist. Von hinten wurde gebrüllt und geschoben. Vorne wurden die Menschen langsam panisch. Glücklicherweise wurde die Vollsperrung irgendwie aufgelöst und es hat sich alles beruhigt. Ich mag mir nicht ausmalen, was sonst passiert wäre. Ich selbst musste mich schon mit viel Selbstbeherrschung zur Ruhe zwingen. Meine Freundin war schon kurz vorm eskalieren. Jeder hat ja eine unterschiedliche Panikschwelle, aber lange wäre die Sache nicht mehr gut gegangen.


    Paradox ist auch, dass man bei weiterer Verschlimmerung der Situation ja als leidlich fähiger Schwimmer theoretisch locker in den Main hätte springen können (ca. 8-9m freier Fall), aber soviel Druck auf der Menge war, dass man selbst am Rand der Brücke kaum rausgekommen wäre. Ganz zu schweigen von den Leuten in der Mitte. In Konsequenz kann man nur versuchen derartige Menschenansammlungen zu vermeiden. Ist aber auch doof wenn man gerne auf Festivals und Events geht. Ich habe daraus mitgenommen, dass man ein gewisses Restrisiko akzeptieren muss, wenn man sich solchen Menschenansammlungen aussetzt und versuche Nadelöhre zu vermeiden oder lasse auch mal eine Veranstaltung aus, wenn ich im Vorfeld Unbehagen verspüre.

  • Das ist einer der Gründe, warum ich Menschenansammlungen meide. Bei Veranstaltungen kläre ich vorher, wo der nächste Notausgang ist bzw. wähle ich meine Position schon so, dass ich möglichst nahe am Ausgang bin. Ich reserviere meine Sitzplätze bei Flügen entsprechend.
    Ich war mal mitsamt Kindern und Frau in einem Aufzug gefangen, wo sich grade als die Türe zugehen wollte, noch 5 weitere Personen mit Gepäck reinquetschen mussten. Normal wäre ich ausgestiegen aber nachdem Frau und Kids dabei waren und wir ja "nur" zwei Stockwerke in die Tiefgarage hatten ließ ich es gut sein. Der Aufzug blieb stecken und wir mussten, gottseidank nur eine halbe Stunde, zusammengepfercht auf den Notdienst warten. Das war ein sehr beklemmendes Erlebnis. Seither gehe ich zu Fuß. Das kommt dann auch der Gesundheit zugute :)
    Abgesehen davon, dass ich das Verhalten dieser Gruppe ausserordentlich rücksichtslos fand...


    LG. Nudnik

  • Zitat von KidCrazy;291129

    Ich weiß nicht mehr genau, wo ich es gelesen habe, deshalb nagelt mich bitte nicht darauf fest, aber:

    Es scheint wohl so zu sein, dass die Mehrheit der Menschen in Paniksituationen (z.B. Brand) nicht automatisch nach dem schnellsten Weg aus der Gefahrenzone heraus suchen.
    Wenn viele andere Menschen anwesend sind, folgen die meisten Menschen eher automatisch dem Hauptstrom anderer Menschen, was dann selbstverstärkend wirkt. Das ist der vielzitierte Herdentrieb.
    Der Effekt ist, dass z.B. in einer Halle mit 4 Ausgängen (eine in jede Himmelsrichtung), die ersten paar eine Tür aufmachen und nach drausen stürmen. mit zunehmendem Gedränge an derselben Tür wird diese dann ganz schnell zum Nadelör. Dafür bleiben die anderen Türen unbeachtet.


    Die Evolution hat uns da leider einige Verhaltensweisen eingebrockt, die früher mal ganz nützlich, in unserer heutigen Umgebung jedoch zunehmend dämlich sind :grosses Lachen:


    So etwas kann und sollte man aber trainieren. Ich bin ja schon seit vielen Jahren schockiert darüber, wie blöd und träge die meisten Leute zu sein scheinen. Anstatt zu schauen, wo die kürzere Schlange ist (Supermarkt, Kino) wird sich dumm-herdenmäßig an die lange Schlange angestellt. Ich hingegen schaue IMMER nach der Alternative bei sowas. Und auch sonst schaue ich, dass ich schnell, pragmatisch und effizient Dinge erledige.


    Ich bin WIRKLICH schockiert über Leute, die nach 60 Jahren Lebenszeit noch immer nicht in der Lage sind, an der Supermarktkasse soweit mitzudenken, dass sie nicht (gefühlte) 10 Minuten benötigen, ihre fünf Artikel zu transportieren. Dabei kann man auch ohne Einkaufstasche- oder Korb sich schlicht eine leere Schachtel - die es in Supermärkten IMMER gibt - nehmen und so ganz effektiv einen Jonglierakt zu vermeiden.


    Ehrlich: Mir kommen die meisten Mitbürger vor wie Zombies auf Valium vor; bleiben mitten auf dem Weg stehen, wären nicht in der Lage, einem Diebstahl zu entgehen (würden es vermutlich erst Stunden später bemerken) usw.


    Der seit nun vielen Jahrzehnten anhaltende Wohlstand hat uns zu dermaßen dummen Schafen verkommen lassen, dass es mich oft wütend macht. Es muss ja nicht jeder mit 60 noch gebaut sein wie Stallone und Reflexe wie ein Ninja haben... aber wenn ich so manche Leute sehe, könnte ich ausflippen!


    Zum Hauptthema: Menschenmassen zu vermeiden gehört für mich zum alltäglichen Normalzustand. Ich brauche keine Massenveranstaltungen wo hunderte oder gar tausende Besoffene gröhlend irgendwelche Schlagerlieder mehr schlecht als recht mitsingen. Das erhöht nicht meine Lebensqualität. Supermärkte suche ich auch am liebsten an ruhigen Wochentagen auf.


    Schon an Tagen mit längerem Wochenende / mit Feiertagen zweifle ich manchmal an der Menschheit. DA wird dann plötzlich gehamstert, als stünde das Ende aller Tage vor der Tür - aber ansonsten sich über Leute lustig machen, die ein paar Dosen mehr im Keller lagern.


    Folgender Spruch stimmt einfach: Harte Zeiten schaffen starke Menschen - einfache Zeiten schaffen schwache.

  • Zitat von Wanderer01;315312

    So etwas kann und sollte man aber trainieren.


    Das ist die gute Nachricht dabei: Man KANN es trainieren. Viele doofe Verhaltensweisen sind uns zwar evolutionstechnisch angeboren, wir können sie aber mit entsprechend viel Aufwand auch wieder abtrainieren.
    Die meisten Menschen machen es halt einfach nicht. Entweder, weil sie den Zweck nicht erkennen (solange sie noch nie in einer entsprechenden Situation waren) oder weil es zu mühsam ist.


    Die Fähigkeit zu sozialem Denken scheint auch nicht Jedermann gegeben zu sein. Ich musste gestern erst wieder entdecken, wieviele Menschen nach dem Silvestergeballer einfach ihre Sekt-, Wein- und Bierflaschen einfach mitten auf der Hauptstraße stehen lassen. Dass da auch Fahrzeuge drüberfahren und dabei beschädigt werden könnten (von den Insassen mal ganz abgesehen), scheint denen entweder nicht klar oder egal zu sein. Dabei ist es nun wirklich kein großer Aufwand eine Flasche (wenn man sie denn unbedingt stehen lassen muss) 2m weiter auf den Gehweg zu stellen.


    Mach dir also nicht die Mühe dich groß aufzuregen. Mit unserem Denken sind wir sowieso in der Minderheit und die Menschheit erziehen zu wollen ist vergeudete Zeit. Konzentrier dich darauf, was du selbst tun kannst, um in entsprechenden Situationen bessere Chancen zu haben.


    Gruß,
    Kc

  • So ein ähnliches Erlebnis hatte ich nach dem zusätzlichen AC/DC-Konzert 2015 im Münchener Olympiastadion, gleichzeitig fand ausserdem in der Halle auch noch ein Grönemeyer-Konzert statt. Dazu muss man wissen, dass bei vielen Konzerten im Münchner Olympiapark die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs mit dem MVV im Ticketpreis enthalten ist.
    Allein für AC/DC waren es ca. 60 000 Besucher, zu Grönemeyer habe ich zwar keine Zahlen gefunden, die Olympiahalle fasst aber bis zu 15 500 Besucher, insgesamt stehen jedoch nur 4 000 kostenpflichtige Parkplätze zur Verfügung.


    Der Konzert-Planer war tatsächlich so schlau, beide Konzerte zur selben Zeit enden zu lassen - also drängten nachher natürlich alle, die das MVV-Angebot nutzen wollten/mussten, auf dem einzigen Weg zur einzigen U-Bahn-Haltestelle des Olympia-Geländes.


    Nachts relativ schlecht beleuchtet führt der etwa autobreite Weg durch den Park, links und rechts von Wiesen mit Bäumen gesäumt, das Nadelöhr ist eine schmale Fußgängerbrücke über die Stadt-Autobahn.
    Bis dahin war der mitunter stärker alkoholisierte Pulk (gefühlt) zwar im Schneckentempo unterwegs, aber es ging voran, ausserdem gab es links und rechts die Wiesen als "Auslaufzonen". Vor der Brücke staute sich dann natürlich alles, von hinten wurde aber weiter geschoben und gedrückt.
    Recht schnell konnte man regelrecht fühlen, wie der Streßpegel und die Aggressionen rundrum zunahmen, vereinzelt waren bereits Schreie von verängstigen Menschen zu hören. Ausser mir gabs erfreulicherweise aber noch ein paar weitere Leute, die die Situation erkannt haben und beruhigend auf die nachrückenden Massen einwirkten, erstaunlicherweise funktionierte das sogar und unsere Ansagen wurden nach hinten weitergegeben.


    Nur, dann lief die Menge an der U-Bahn-Haltestelle auf, alles drängte in bester "will-auch-einen-Sitzplatz"-Manier zu den Abgängen und Rolltreppen. Von hinten konnte man gut sehen, dass da ordentlich Druck drauf war. Blöderweise läutet die MVV kurz nach 1 Uhr ihre "Putzstunde" ein, was sicher mit ein Grund für das enorme Gedränge war - da hatten viele einfach schiß, dass sie zu spät kommen und dann keine U-Bahn mehr fährt.


    Mir und meinen Begleitern sind so sardinenartige Menschenansammlungen zuwider, wir haben also weiter hinten angestanden, allerdings hat sich geschlagene 25 Minuten nichts getan. Ich will mir gar nicht vorstellen, 25 Minuten und länger dermaßen eingequetscht warten zu müssen ohne vor und zurück zu können, und auch nicht, was los ist wenn da eine Panik ausbricht...


    Wir haben dann das beste aus der Situation gemacht und sind einfach zu Fuß zur nächsten U-Bahn-Haltestelle gelaufen. So ganz umsonst haben die Stadtplaner den "Sie befinden sich hier" Kasten mit Stadtplanausschnitt doch nicht dort aufgestellt...

    BY/DE

    Si vis pacem, para bellum.

  • Ich gehöre auch zu denen, die Menschenmassen meiden so gut es geht und lieber abseits warten statt mit zu drängeln. Aber es ist natürlich so, dass es sich nicht immer vermeiden lässt, in solche Situationen zu geraten. So lange man es mehr oder weniger von außen betrachtet kann man noch klar denken, wenn man im Stress drin ist eben nicht mehr.


    Ich hatte erst vor kurzem eine heftige Stresssituation in der Arbeit. Dabei waren mehrere Behörden involviert und es gab eine Geruchskulisse, die ganz einfach ziemlich heftige Abwehrreaktionen im Körper ausgelöst hat. Natürlich war diese Situation für mich in keinster Weise lebensbedrohlich. Trotzdem hat es mich überrascht, wie extrem diese körperlichen Reaktionen waren und dass man wirklich absolut nichts dagegen tun kann. Theoretisch war mir auch vollkommen klar, wie ich in einer solchen Situation handeln muss - aber es ist wirklich so, dass man dann nicht mehr klar denken kann, und wenn man dann noch die Verantwortung für eine weitreichende Entscheidung mit hohem Konfliktpotential tragen soll wo dein Instinkt nur noch ruft "Tu alles um möglichst schnell hier raus zu kommen!" ist das echt schwierig.


    Und solche Dinge trainieren kann man höchstens wenn man tatsächlich regelmäßig als Einsatzkraft in solchen Situationen eingesetzt ist. Ich hatte das Gefühl, die beiden eher jungen Polizisten die dabei waren haben sich nicht viel leichter getan.


    Ich kann jedenfalls sagen, dass ich von mir einen wesentlich kühleren Kopf erwartet hätte. Tatsächlich konnte mein Gehirn nicht mal mehr alle Eindrücke verarbeiten und es war teilweise spannend, hinterher die Fotos zu sehen.


    Man darf wirklich nicht erwarten, dass man in echten Stresssituationen so reagiert wie normalerweise. Und ich will mir gar nicht vorstellen, wie es wäre wenn es um das Überleben oder meine Kinder geht. Bzw. ich sollte mir gerade das vorstellen. Pläne für alle möglichen Szenarien sind auf jeden Fall nützlich. Vielleicht kann man die in der Situation trotzdem nicht abrufen - dann aber sinnvolle Pläne zu entwickeln scheint mir noch sehr viel unwahrscheinlicher.

  • Zitat von Lunatiks;316816

    So ein ähnliches Erlebnis hatte ich nach dem zusätzlichen AC/DC-Konzert 2015 im Münchener Olympiastadion, gleichzeitig fand ausserdem in der Halle auch noch ein Grönemeyer-Konzert statt. Dazu muss man wissen, dass bei vielen Konzerten im Münchner Olympiapark die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs mit dem MVV im Ticketpreis enthalten ist.
    Allein für AC/DC waren es ca. 60 000 Besucher, zu Grönemeyer habe ich zwar keine Zahlen gefunden, die Olympiahalle fasst aber bis zu 15 500 Besucher, insgesamt stehen jedoch nur 4 000 kostenpflichtige Parkplätze zur Verfügung...



    Und jetzt muss man mal überlegen, dass das - also zwei Konzerte in einer Großstadt mit öffentlichen Verkehrsmitteln usw. usf. ja sowas wie 'Normalzustand' bzw. ein Auswuchs einer Spaßgesellschaft / Zivilisation ist. Klar, lustig ist das nicht mehr, wenn Tausende Leute besoffen, gestresst und ungeduldig nach Hause wollen! Immerhin kann man aber als der smartere Mensch genau da 'ein paar Meter mehr' in Kauf nehmen und sich vom 'Hauptstrom des Wahnsinns' wegbewegen - lieber eine Strecke zu Fuß, als den 'kürzesten Weg' im schlimmsten Gedränge.


    Aber letztlich hast du da auch gemacht: "Wir haben dann das beste aus der Situation gemacht und sind einfach zu Fuß zur nächsten U-Bahn-Haltestelle gelaufen. So ganz umsonst haben die Stadtplaner den "Sie befinden sich hier" Kasten mit Stadtplanausschnitt doch nicht dort aufgestellt..."


    Das passt genau zu dem, was ich früher schon geschrieben habe: Träge, faule, dumme Menschen - die, anstatt ihre eigenen Defizite zu erkennen - dann auch noch wütend und noch ungeduldiger werden. Dagegen kann man nicht ankommen - das ist wie eine pervertierte Naturgewalt. Somit: Ausweichen / andere Richtung einschlagen / Fußmarsch in Kauf nehmen - VORHER planen! :Gut: