In vielen Survivalszenarien - zum Beispiel mittelfristiger Zusammenbruch der Strom- und Wasserversorgung, wird Orientierung in unbekanntem Gelände eher eine untergeordnete Rolle spielen, da sich hier das Geschehen im Nahbereich bzw. bei der Verlagerung ins ebenfalls bekannte Refugium abspielt.
"Wo bin ich eigentlich?" spielt sich viel eher im Notfall (Nebel, schlechtes Wetter, starker Schneefall) in Freizeitsituationen (Wandern, Bergsteigen, Segeln, Motorboot) ab, die sich dann eventuell sogar zu realen Bedrohung auswachsen können.
Ich habe doch mein Navi (GPS-fähiges Smartphone). Natürlich. ist ein kostenloser Dienst des amerikanischen DoD, auf den niemand einen Rechtsanspruch hat. Kann aus strategischen Gründen jederzeit ohne Ankündigung abgeschaltet werden. Bis das europäische Galileo-System funktionsfähig wird, dürften rund zehn weitere Jahre vergehen. Navis können ausserdem durch technische Defekte ausfallen.
Als Segler ist Navigation - von terrestrisch bis Astro - für mich nicht nur nautisches Handwerk, sondern auch ein Stück weit Hobby. Ich will jetzt niemand mit Navigation zur See behelligen, weil hier vermutlich nur ein Randthema, aber vielleicht sind einige Basics der terrestrischen Navigation für den einen oder anderen interessant.
Koppelnavigation:[INDENT]Eigentlich ist das keine Navigation, sondern nur die Fortschreibung der Entfernung und Richtung von einer bekannten Ausgangsposition. Beim Segeln ist das recht einfach, ich bin eine Stunde mit 7 Knoten auf Kurs 120 gesegelt und trage das in die Seekarte ein, ausgehend von meinem letzten Fix.
Aber auch zur Fussgängernavigation geeignet. Nehmen wir mal an, der Kompasskurs auf mein Ziel ist Nord (0°) und ich stosse auf ein Brombeergebüsch - das auf meiner Karte natürlich nicht verzeichnet ist und das ich auch nicht wirklich durchqueren will.
Ich kann es aber im Winkel von 60° (ungefähr Ost-Nordost) rechts umgehen. Ich zähle meine Schritte und kommen nach sechshundert Schritten an den Rand des Dornengebüschs. Ich habe zunächst mal keine Ahnung, wie lang meine Schrittlänge ist, ich werde je nach Gelände auch mal längere oder kürzere Schritte gemacht haben. Aber 600 ist eine statistisch hinreichend grosse Zahl, die mir erlaubt, "das Gesetz der grossen zahlen" anzuwenden, lange und kurze Schritte werden sich gegeneinander aufheben, ich werde mich im Schnitt mit 600x meiner mittleren Schrittlänge vorwärts bewegt haben - wie lang die auch immer sein mag.
Ich kenne meine Richtung (0°) und meine Abweichung davon (600 Schritte in Richtung 60°).
Was weiss ich nun? Ich habe mich 600 SchrittlängenSinus (60°) seitwärts von meinem Ziel fortbewegt und mich 600 Schritte x Sinus (30°) auf mein Ziel zubewegt.
Mein Korekturbedarf in Richtung Westen beträgt also 600 Schritte x Sinus (60°), also exakt 600 Schritte x Quadratwurzel(2)/2, also etwa 520 Schritte in Richtung Westen.
Die Winkelfunktionen für 0°, 30° 45° und 90° kann man sich recht gut merken, aber ich traue meinem Gedächtnis auch nicht wirklich. In meinem "Navigationstäschchen" bei Wandertouren befindet sich ein "Spickheft", in dem unter anderem die Winkelfunktionen von 0° - 90° in 1°-.Schritten angegeben sind. Das reicht für die meisten Navigationsaufgaben, wer es genauer braucht, dem langt oft auch lineare Interpolation zwischen den Gradwerten.
[/INDENT]Dreieckspeilung[INDENT]Das sollte eigentlich jedem mit Karte und Kompass vertraut sein. Wenn nicht, siehe Wikipedia.
Für gute Präzision sollten die Peilziele möglichst 90° versetzt sein. Wer zwei Ziele peilt, bekommt zwei Standlinien auf der Karte und einen (scheinbar) eindeutigen Schnittpunkt, der sein Standort zu sein scheint. Messungen sind allerdings mit Fehlern behaftet. Deshalb empfehle ich dringend, einen dritten Punkt anzupeilen und in die Karte einzutragen. Der Idealfall wären dann drei Standlinien, die in einem Standort zusammenlaufen. tatsächlich wird sich aber ein mehr oder weniger grosses "Fehlerdreieck" ergeben. Der statistisch wahrscheinlichste Standpunkt wird sich im Flächenschwerpunkt des Fehlerdreiecks befinden. Sollte dieses zu gross sein - mit der Peilung von vorn anfangen.
[/INDENT]Kompass[INDENT]Es gibt jede Menge Kompasse, die perfekt für die Kartenarbeit taugen, aber als präzise Peilkompasse eher zweite Wahl sind.
Meine Empfehlung ist nach wie vor der Recta DP10. Er ermöglicht Auffassung von Navigationszielen bei gleichzeitiger Einspiegelung der Kompassrose über eine Linsenoptik. Das Auge muss nicht zwischen Fern und Nah umschalten und sieht beides gleichzeitig scharf. Ein geniales Stück Technik mit einer Messgenauigkeit von 30"
[/INDENT]Funk[INDENT]
Wenn ich ein Handfunkgerät dabei habe - selbst mit einem unidirektionalen Gummischwanz - kann ich Feststationen, die mit einer drehbaren Richtantenne ausgerüstet sind, um eine Peilung bitten. Sollte ich keine Landkarte dabei haben, werden sie meinen Standort mit eigenen Mitteln feststellen und mir mitteilen können.
[/INDENT]In loser Folge weitere Beiträge zur Navigation geplant
Viele Grüssse
Matthias
Berichtigung vom 03.08:
Der Recta DP10 ist zwar Schweizer Präzisionsmechanik, aber man kann auch nur auf 30 Bogenminuten (30'') oder ein halbes Winkelgrad genau ablesen, nicht wie geschrieben auf dreissig Bogensekunden (30").