Die Geschichte meiner Flucht

  • Hallo Buschmann,

    Du hast an Leonardo geschrieben:


    Zitat

    Du solltest wirklich anfangen, diese Erlebnisse in einem Buch zu verewigen. Ganz ehrlich.
    Die Menschen da draußen müssen solche Erfahrungen lesen, sie müssen aus erster Hand diese Informationen und Erkenntnisse vermittelt bekommen!



    Ich sehe das genau so wie Du.


    Allerdings habe ich mich bezüglich Buchprojekte mehr als 10 Jahre engagiert.


    Die Quintessenz ist ganz einfach zu verstehen:


    Wer keinen berühmten Namen hat oder wer als „Niemand“ nicht durch einen einflussreichen und finanzstarken Lobbyisten gefördert wird, der wird selbst dann kein eigenes Buch auf dem Markt bringen, selbst wenn der Inhalt oder die Botschaft im höchsten Maße interessant ist und der stilistische Duktus schon „Nobelpreis-verdächtigt“ erscheint!

    Das gleiche gilt zu 100% für das Musik- , Kunst- und Design-Geschäft.

    Ohne einflussreiche Lobby werden selbst geniale Errungenschaften nur als „Müll“ bewertet oder erst gar nicht zur Kenntnis genommen,….

    … aber mit einer einflussreichen, kapitalstarken Lobby wird selbst der größte Müll als sündhaft teure Genialität vermarktet,… und die doofen Käufer glauben das auch noch!



    Für mich persönlich ist das ein Paradebeispiel an Unfairness und mangelndem Gerechtigkeitsverständnis, weil durch diese Wertigkeit höchst talentierte, aber mittelose Menschen nie eine Entwicklungschance erhalten, ...


    ... aber das doofe, lebensunfähige und weichgespülte Söhnchen vom Vorstandvorsitzenden der „Gier-Bank-AG“ oder das zickige, eingebildete und verwöhnte Töchterchen des bekannten Groß-Immobilienhändler wird trotz zwei linker Hände, mangelndem Esprit und nichtvorhandener Selbstdisziplin die Karriereleiter hochgetragen!



    Und das Schlimmste an der ganzen Geschichte ist:


    Auf diesem „Erfolgsprinzip“ basiert global die gesamte Wirtschaft und die Politik!


    Mit wirklichen Fähigkeiten, mit eiserner Selbstdisziplin und mit einer anerzogenen mutigen Lebenshaltung hat das so gut wie nixxx zu tun.

    All das, was wir in den Medien, in der Politik und in der Wirtschaft alltäglich sehen und erleben, ist vetternwirtschaftliche Posten-Zuschusterei in Reingehalt.




    Gruß Jörg

  • Da geb ich dir recht Jörg, das muss man leider täglich mitansehen :frowning_face:


    Und dir Leonardo vielen Dank für deine Schilderungen des Erlebten! Es ist wirklich toll, so etwas aus erster Hand zu hören/lesen. Ich hoffe du beschränkst dich nicht nur auf die Geschichte deiner Flucht, sondern wirst uns auch das Ankommen und Einleben schildern. So wie du jetzt schon bei den Philippinen angefangen hast :)



    Anti,
    der sich freut mehr zu lesen

  • Sorry Leute. Ich habe heute noch mal auf Google Maps geguckt. So groß war das Camp nicht.
    Höchsten 500 m lang und 300 m breit. Irgendwie habe ich mich voll verschätzt. War auch schon
    so lange her.


    Diese Geschichte bekommt ihr hier im Forum exklusiv zu lesen. Noch nicht mal meine Mutter
    kenne sie in dieser Version. Papa hat ihr bestimmt davon erzählt aber von meiner Sicht aus kennt
    sie nur meiner Frau. Irgendwann kriegt mein Sohn eine ausführlichere Ausgabe, eine Director’s Cut
    sozusagen, aber als Buch für die Öffentlichkeit glaube ich wird’s nicht.


    Bei der Gelegenheit möchte ich mich bei euch für euere Interesse und Zuspruch bedanken.
    Ich versuche so weit es mir zeitlich möglich ist weiter dran zu arbeiten.

    Anti: die Zeit nach dem Ankunft in Deutschland war wieder ein Abenteuer für sich, hat aber kaum mehr
    mit Überleben zu tun.



    Dann weiter geht’s.

    Mein Vater war Soldat. Ihm machte es vielleicht nicht aus im Regen zu schlafen. Mir schon. Ich war ein ganz
    normale 14jähriger Junge, der bis dato ein komfortables Leben führte. Ich hatte zwar kein eigenes Zimmer
    aber ein eigenes bequemes Bett, eine kleine Kommode für meine Bücher und meine Sachen. Seit einem Monat
    schlief ich auf hartem Holz. Überall tat es mir weh, besonders da wo es nur Knochen und Haut gab und diese
    auf die harte Unterlage scheuerte. Richtig gehungert hatte ich bis zu der Flucht auch noch nie. Seit ich auf das
    Boot stieg war ich, außer auf dem Klo, nie allein. Ständig fremde Menschen um mich, ständig welchen Geräuschen.
    Nie konnte ich richtig tief schlafen. Immer musste ich auf unsere Sachen aufpassen. Ich hatte gehofft, im Lager
    würde alles besser werden. Leider war das nicht der Fall.


    Am nächsten Morgen um 7 Uhr ertönte aus den Lautsprechern Symphony Nr 40 von Mozart in G minor als Weckruf.
    Aber nicht die klassische Version sondern ein richtig rockige Cover. Es könnte von der Gruppe Ekseptions
    http://de.wikipedia.org/wiki/Ekseption sein. Leider habe ich bis heute diese noch nicht gefunden.


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    Nach und nach wurden die Neuankömmlinge nach Gruppen zum Sammelstelle aufgerufen.
    Jeder von uns bekam zwei kleine Brötchen zum Frühstück und noch einiges an Verpflegung.
    Nachdem ich unsere nassen Sachen notdürftig in der Sonne zum trocknen gelegt hatte, nahm ich den Topf und
    begab mich auf der Suche nach Wasser. Dann traf mich der Schlag. Im Lager gab es nur zwei Wasserhähne.
    Zwei Wasserhähne für 18 tausend Menschen. Davor bildeten sich zig Meter lange Schlangen aus hunderten von
    Eimern. Ich outete mich als Neuling und wurde freundlicherweise vor gelassen, um meinen Topf mit Wasser zu füllen.


    Damit erledigten wir unsere Morgenwäsche und tranken den Rest auf. Papa hatte sich in der Zeit mit einigen
    Leuten unterhalten. Der Steuermann von unserem Boot, seine Frau und seine kleine Schwester wollten mit
    uns eine kleine Gruppe bilden. Außerdem ein junger Mann, der auch mit uns im Boot war, nennen wir ihn hier
    einfach X, möchte auch zu uns gesellen.


    Ein anderer junger Mann, der schon etwas länger im Lager lebte, zeigte uns ein Paar freie Plätze, wo wir alle
    zusammen bleiben konnten.


    Es war ein großer Raum, der ursprünglich als Schule gedacht war, nun aber voll mit Menschen belegt wurde.
    Der Raum war ca 6 m breit und 10 m lang. Da wo die Fenster normalerweise sein sollten gab es nur Gitter
    aus Eisen. Wir liegen alle in zwei Reihen auf dem Boden nebeneinander. Ich hatte so viel Platz wie meine
    Strohmatte, die man sonst für den strand benutzt, groß war. Also etwa 60x200 cm erstreckte sich mein Königsreich.


    Nachdem wir unsere Plätze belegt hatten versuchten wir unser Mittagessen zu Kochen. Die Schwester von D.,
    der Steuermann, wurde zum Wasserholen geschickt. Als junges Mädchen hatte sie bessere Chance, vorgelassen
    zu werden. Mit dem Löffel gruben wir ein Loch im Boden draußen neben der Wand und legten drei Steine drum.
    Schon hatten wir einen Herd. Vorhin bekamen wir mit der Verpflegung zusammen einige Holzscheiten, die wir
    trotz der allgemeinen Feuchtigkeit zum brennen brachten. Reis und Fisch wurden gekocht. Danach gab es noch
    lösliche Kaffee. Herrlich.
    Unsere erste selbst zubereitete Mahlzeit seit langen.

    Der nächste Schock kam, als ich die Toilette aufsuchen wollte. Das Lager war am Anfang nicht für so eine
    Menschenmasse gedacht. Man hatte als provisorische Toilette nur einen Kasten ungefähr zwei Meter hoch,
    zehn Meter lang, drei Meter breit gemauert und ein paar nach oben offenen Kabinen aus Holz drauf gesetzt.
    Dieses Provisorium war nach drei Jahren gut zur Hälfte gefüllt. Der Gestank war nicht auszuhalten. Da es kein
    fließendes Wasser zum abspülen gab, sahen die Kabinen dem entsprechend aus. So schnell es ging erledigte
    ich mein Geschäft, kam zurück und warnte die anderen. Wenn man rechtzeitig schaffte, die 300 m zum Strand
    zu laufen, dann war es viel angenehmer als auf dem Plumpsklo.


    Außer den zwei Wasserhähnen existierten noch zwei Grundwasserhandpumpen, die nicht so intensiv genutzt
    wurden. Da sie zu nah am Meer standen war das Wasser etwas salzig. Zum waschen und Zähne putzen ging
    es gerade noch. Zum Trinken und Kochen mussten alle an den Süßwasserhahn stundenlang anstellen.
    Wir wechseln uns mit dem Wasserholen ab. Meist aber stellte ich mich an der Schlange und wartete geduldig.
    Einige junge Männer wollten nicht so lange warten und drängten sich an der Stelle vor, wo sie glaubten, auf
    wenig Widerstand zu stoßen. Wenn einer sich seinen Eimer vor meinen schob, musste ich den überzeugen,
    dass ich mir es nicht tatenlos gefallen ließ. Glaubte er nicht dran, dann gab es Kloppe. Irgendwann merkten
    sie das und versuchten es nicht noch mal.

    Mit Leute die gendern rede ich nicht. Gegenderte Texte lese ich nicht.

  • Zitat von leonardo;184411

    Anti: die Zeit nach dem Ankunft in Deutschland war wieder ein Abenteuer für sich, hat aber kaum mehr mit Überleben zu tun.


    Hallo Leonardo,
    es hätte mich auch ein wenig überrascht, wenn es in Deutschland noch um das reine Überleben gegangen wäre. Trotzdem denke ich, dass deine Erfahrungen der Ankunft für viele von uns wertvoll sind. Es überlegen sich anscheinend einige hier im Forum auszuwandern oder haben Pläne sich bei gewissen Ereignissen ins Ausland abzusetzen. Deine Beschreibungen würden also zumindest bestimmt niemandem schaden :face_with_rolling_eyes:
    Ich würde mich freuen weiterzulesen. Aber natürlich nur wenn du das mit uns teilen magst...


    Anti

  • Das Camp lag direkt an einem wunderschönen Strand und einem kleinen Militärflughafen. Rum herum hatte man
    einen Stacheldrahtzaun gebaut, der aber nur einen symbolischen Zweck hatte. Bis Puerto Princessa, die größte
    Stadt auf der Insel, fuhr man mit einem TukTuk etwa 10-15 Minuten. Davor musste man sich einen Passierschein
    von Lagerverwaltung holen. Ohne ging es natürlich auch aber man bekam großen Ärger wenn die Polizei einen
    kontrolliert. Die ganze Zeit in Palawan war ich ganze zwei Mal in der Stadt. So ein kleiner Kaff mit einem schönen
    Fischereihafen. Die meisten von den Campinsassen gingen in die Stadt um Filme im Kino zu schauen. Einige, die
    Geld hatten, besuchten gewisse Establishments, na ihr wisst schon… :face_with_rolling_eyes:


    Der Vorteil an der Nähe zu Flughafen war, dass wir von der Krankenstation mitversorgt wurden. Der Nachteil war,
    dass die Kampfjets ohne Rücksicht auf Tageszeiten flogen. So ein F4 Phantom machte schon am Tag ordentlich Krach.
    Wenn der nachts um 2 mit gezündeten Nachbrennern startete dann fühlte ich wie der Boden unter mir zitterte.
    Irgendwann gewöhnte ich mich dran und schlief trotzdem weiter.


    Was mir auf dem ersten Blick chaotisch wie ein Termitenhaufen vorkam, entpuppte sich nach längerem Aufenthalt als
    erstaunlich gut organisierter Zwergstaat. Das Lager wurde in mehrere Bezirke aufgeteilt. In den Bezirken mehrere Gruppen.
    Die Gruppen wählten einen Vorsteher, der als Bindeglied zu der Lagerverwaltung fungierte und für Abholung sowie Verteilung
    von Nahrung zuständig war. Jeder musste sich in einer Liste melden, zu welcher Gruppe er aktuell gehörte damit niemand
    doppelt kassierte. Die Mitarbeiter von UNHCR wohnten mit im Camp in winzigen Bretternbuden und waren eigentlich immer
    präsent. Mich hatte es damals sehr beeindruckt wie zugänglich und bescheiden diese Leute waren. Die hätten sicherlich
    etwas Komfortableres leisten können anstatt den ganzen Tag zu arbeiten und abends auch noch mit uns zusammen zu hängen.


    Es gab mehrere kleine Läden, die von Vietnamesen betreiben wurden, die schon länger da waren. Viele haben sich gemütlich
    eingerichtet, als ob sie für immer im Camp leben würden, was mich sehr schockierte. Wie lange mögen die schon hier sein?
    Wie lange müssten Papa und ich hier bleiben?


    Essen und anderen notwendigen Sachen wie Brennholz, Schuhe, Kleidung… wurden nach und nach verteilt. Zwar nicht viel aber
    uns hatte es sehr geholfen. Ab und zu gab es sogar Instantkaffee und Zucker.


    Jeden Morgen nach Mozart Symphony Nr 40 in G minor bekamen wir 2 kleine Brötchen zum Frühstück. Danach stellte ich mich
    in der Schlange vor dem Wasserhahn. Die anderen in unserer Kleingruppe, im Camp als Familie genannt, also Papa, X., der
    Steuermann und seine Frau kümmerten sich um das Mittagsessen, holten die Sachen ab, die an dem Tag verteilt wurden. Wenn
    nichts mehr zu tun war trieb ich gern überall rum. Für einen 14 jähriger Junge wie mich, der Robinson Crusoe und alle Bücher
    von Jules Verne verschlungen hatte, war die Insel ein riesiger Abendteuerspielplatz. Vom Lager aus direkt ins Meer lief ich mehr
    als 100 Meter weit auf einem abgestorbenen Korallenriff bis einen Sandbank, der nur bei Ebbe sich zeigte. Im Wasser blühte
    das Leben. Seeigel, Wasserschlangen, Seesterne, kunterbunte Fische …


    Rechts von Lager verlief der traumhafte Sandstrand, gesäumt von Kokospalmen. Man konnte Kilometer weit laufen ohne auf
    anderen Menschen zu treffen. Mittags wenn es im Lager zu stickig war, ging ich gern den Strand runter, bis das Camp nicht
    mehr zu sehen war und sch**** ins Meer. Herrlich. Vor mir der blaue Ozean. Hinter mir Millionen Kokospalmen. Könnte es
    einen schöneren Ort auf der Weltzum kacken geben?


    Einmal lief ich mit einem anderen Jungen wieder zum Strand um unseren Geschäft zu erledigen. Auf dem Rückweg hatten wir
    riesen Durst. Am Strand lagen tausenden von gefallenen Kokos. Ich hob einen auf und wir versuchten ihn mit einem Stein
    kaputt zu schlagen. Plötzlich kam ein philippinischer Junge aus dem Wald her raus und verlangte, dass wir die Kokos wieder
    zurücklegen sollten. Wir waren zu zwei aber er trug eine Machete am Gürtel. Widerwillig legte ich die Kokos hin und sagte zu
    meinem Kumpel auf Vietnamesisch: „So viele Kokos lagen im Wald die sowieso verrotten aber den einen gönnte er uns nicht.
    Was für ein Arschloch“ Und schimpfte. Zur unseren Überraschung verstand er meine letzten Wörter, kam wütend mit seiner
    Machete in der Hand auf uns zu. Wir rannten um unser Leben bis wir in Camp ankamen. Viele Philippinos waren sehr neidisch
    auf uns. Wir bekamen gratis Essen, kamen nach Amerika und andere westliche Länder. Sie konnten das nicht. Hass und
    Neid auf Fremde gibt es also überall.


    Abends wurde noch mal Essen geliefert. Meist waren es Reste von Markt oder Beifang der Fischerboote, die nicht verkauft wurden.
    Da die Fische schon längere Zeit bei 40 Grad C unterwegs waren, rochen sie meist ziemlich streng. Viele waren schon so aufgeweicht
    dass sie auseinander fallen. Trotzdem wurde nichts weggeschmissen. Manchmal fand ich Würmer oder Maden in den Fischen.
    Die nahm ich raus, wusch den Fisch etwas länger als sonst und ließ den länger in Pfanne braten. Zum Glück hatte uns nur eine
    Fischvergiftung erwischt. Papa und ich musste in die Krankenstation von dem Flughafen behandelt werden. Es war aber nicht
    schlimmes. Uns war nur übel und wir hatten den Fisch ausgekotzt. Nach einen halben Tag waren wir schon wieder entlassen.


    Als kleine Familie hatten wir viele Vorteile. Für 6 Personen konnten wir mit dem wenigen was wir bekamen besser kochen und
    aufteilen als alleine oder zu zweit. Als kleines Beispiel: es gab ein Mal ausnahmsweise Hähnchen. Zu 6 bekamen wir ein halbes
    Hähnchen. Wir hatten es klein geschnitten, in der Pfanne vor gebraten, danach mit Sojasoße und etwas Wasser gegart. Die
    unfreundlichen Einzelgänger, die zu keiner Familie gehörten, bekam eine Flügel oder ein halbe Schenkel. Wie sollten sie das zubereiten?


    Außerdem war immer jemand da der auf unsere Sachen aufpasste. Den Einzelkämpfern wurde ständig was geklaut.
    Wir konnten unsere Aufgaben teilen. Einer holte Wasser, der andere kümmerte sich um Essen usw. Alleine war man aufgeschmissen.


    Also Leute. Falls ihr in so einer Situation geraten solltet, schön nett sein und eine Gruppe bilden.
    Einzelkämpfer a la Rambo überlebt nur im Film.
    Wenn jemand das Camp verließ und ins gelobte Land flog, hinterließ für seine Freunde was er nicht mitnahm. Mit der Zeit waren wir
    immer besser ausgerüstet. Die unfreundlichen Spinner kriegten natürlich nichts ab. Also noch ein Grund nett zu sein.

    Mit Leute die gendern rede ich nicht. Gegenderte Texte lese ich nicht.

  • Zitat von leonardo;185982

    Alleine war man aufgeschmissen.


    Ich finde es sehr gut, dass du auf diesen Umstand hinweist. Verknüpft mit deiner wahren Begebenheit ist das ein wertvoller Hinweis für Krisensituationen.


    Meine Meinung diesbezüglich ist, dass es nur sehr sehr wenige Situationen und Szenarien gibt, welche man als Einzelkämpfer besser meistern kann.


    Danke nochmal für deine Erzählungen...weiter so!


    LG Buschmann

  • Wir gewöhnten uns schnell in das Leben im Lager. Es blieb uns auch nichts anderes übrig als das Beste aus der
    Situation zu machen. Asiatisches Pragmatismus halt.
    Jeden Morgen Mozart Symphony Nr.40 als Weckruf. Danach 2 Brötchen zum Frühstück. Ich holte Wasser.
    Die anderen kümmerten sich um das Essen, holten Versorgungsgüte ab, machten unsere Schlafplätze sauber…
    Nach dem Essen schlafen die meisten oder unterhielten sich. Ich zog auf Erkundungstour los. Manchmal allein,
    manchmal mit Freunden.


    Nach dem Abendessen gingen Papa, X. , und ich auf unsere „ Promenade “, die Straße zum Ausgangstor, spazieren.
    Da war abends immer viel los. Es gab viele kleine Essenstände, die leckere selbst gemachte Snacks verkauften.
    Man kam dort auch leicht mit anderen ins Gespräch und kriegte so viele interessante Dinge mit. Z.B. dass man
    vietnamesisches Geld ins philippinisches Pesos bei bestimmten Leuten umtauschen konnte. Ich hatte noch, da
    ich damals im Boot nicht an mein Geld kam als wir es sammeln müssten um das Boot von den Fischern freizukaufen,
    etwas davon bei mir, das ich schnell umtauschte. Von meinem unerwarteten Reichtum hatte ich mir sofort Kaugummi
    gekauft. Ich weiß noch ganz genau, wie ich so langsam dran kaute, damit den süßen Geschmack nicht zu schnell
    verflüchtigen wurde. Und überhaupt. Mit Geld konnte man, wie überall auf der Welt, (fast) alles auch im Lager kaufen.
    Drogen, bessere Unterkünfte, Sex…


    Jede Neuankömmlinge bekamen einen freigemachten Briefumschlag von der Verwaltung.
    In das Din A4 großes Blatt durfte man nichts rein legen sondern direkt drauf schreiben und zu einem Briefumschlag
    zusammen falten. Sonst würde er nicht weiterbefördert. Keine Ahnung warum.


    Endlich nach fast zwei Monaten konnten wir eine Nachricht an unsere Familie schicken.
    Ich schrieb nur ein paar Zeile an Mama und meine Geschwister, dass es uns gut ging und ich sie alle sehr vermisste..
    auf Papa’s Brief mit. Auf meinem Briefumschlag schrieb Papa an jemanden, dessen Adresse ich vorher zu Hause auswendig
    lernen müsste. Ich betete innerlich, dass die Briefe schnell ihre Ziele erreichten, dass sie überhaupt ihre Ziele erreichten.


    Nach einigen Wochen trennten wir von den Steuermann D. und seiner Familie. Die Frauen waren für uns keine Hilfe. Seine
    Frau war faul und tollpatschig, seine Schwester mitten in der Pubertär und ließ ihre Laune bei jeder Gelegenheit an uns aus.
    Papa, ich und der junge Mann X. (eigentlich heißt der Xuan, das bedeutet Frühling) blieben zusammen. Dieser X. war für
    uns ein Glückfall. Er war nicht nur ein herzensguter Mensch sondern besaß ein erfischendes Galgenhumor. Zu jeder
    Katastrophe konnte er einen lustigen Spruch loslassen. Seine Freundin hatte ihr Geld zusammen gekratzt um ihm die
    Flucht zu ermöglichen. Für beide reichte das Geld leider nicht so waren sie nun getrennt.


    Der Tag der Interviews kam. Wir wurden ins Verwaltungsgebäude aufgerufen. Wir mussten ein Formular ausfüllen.
    Wer wir waren, was hatte wir gemacht im und nach dem Krieg, wann Vietnam verlassen, ob noch Familie in VN…blah blah.
    Dann saßen wir an einem Tisch einen UNHCR Mitarbeiter und seinen Dolmetscher gegenüber. Der stellte Papa viele Fragen.
    Manche Fragen antwortete mein Vater direkt, manche musste übersetzt werden. Dann kam die wichtigste Frage. Wo wollten
    oder konnten wir hin. Als Ex-Offizier der Süd-Vietnamesischen Armee konnte mein Papa nach Amerika ausreisen. Die
    Deutschen würden uns aber auch aus humanitären Gründen aufnehmen. Dann mussten wir von den Ami’s keine Identitätsprüfung
    abwarten, was das Verfahren erheblich beschleunigen würde, behauptete er.


    Als wir unsere Heimat verließ, war unser Ziel Amerika. Was anderes kam uns gar nicht in den Sinn. Die Rettung durch die
    Cap Anamur änderte schlagartig alles. Nun hatten wir auf einmal die Wahl. Was meinen Vater in seiner Entscheidung beeinflusst
    hatte, konnte ich nur erahnen.
    Vielleicht konnte er die Hand unserer Lebensretter, die uns jetzt noch einmal entgegenstreckt, nicht ausschlagen. Vielleicht
    verglich er nur das Bild von den amerikanischen GI’s und den deutschen Ärzten auf der Cap Anamur und wahrlich dazwischen
    trennten Welten. Vielleicht dachte er nur, in so einem Land, wo solchen Menschen lebten, die von anderer Seite der Erde uns
    ein Schiff zur Rettung schickten während die ganze Welt samt unsere Verbündete uns den Rücken zudrehten, konnte gar kein
    schlechte Ort zum leben sein.


    Nach kurzen Bedenkzeit antwortete mein Vater, wir möchten, wenn es uns möglich wäre, nach Deutschland.





    PS: Seit einem Monat habe ich ein grosses Projekt an meinem Haus. Die Kellerwände sind feutch und wir müssen sie von außen abdichten.
    Deswegen hatte ich nicht viel Zeit um an der Geschichte zu arbeiten. Ich hoffe ihr habt dafür Verständnis.
    Liebe Grüße

    Mit Leute die gendern rede ich nicht. Gegenderte Texte lese ich nicht.

  • Dafür sollte jeder Verständnis haben.


    Auch wenn ich, und sicher auch andere, hier im Forum mit Spannung auf die Fortsetzung warten.

  • Die nötigen Formalitäten wurden erledigt. Außer abzuwarten konnten wir nichts tun. Wieder jeden Morgen um 7
    Mozart Symphony Nr. 40, Wasser holen, Essen zubereiten, sauber machen, Gang zum Strand, wieder Essen kochen,
    abends Spaziergang auf der Promenade, um 22 Uhr Licht aus, um 7 Mozart Symphony Nr. 40…..


    Hörte sich eigentlich nach einem ganz erholsamen und entspannten Pauschalurlaub an wenn nicht doch ein paar
    Kleinigkeiten etwas das paradiesische Gesamtbild störten.


    Das Lager wurde als Provisorium auf einem Stück Brachland fernab von einheimischen Siedlungen gebaut. Außer
    einer Wasserleitung war sonst nichts an Infrastruktur vorhanden.


    Folglich auch keine Kanalisation. Unser Schmutzwasser wurde in planlos selbst angefertigten Rinnen paar Meter
    weg von unserer Behausung geleitet. Unzähligen Pfützen verteilten sich überall im Lager. Ein Paradies für Mücken
    und Co die nur darauf warten, Malaria und sonst noch für Krankheiten unter 20 Tausend Menschen, die auf engsten
    Raum eingepfercht waren, zu verteilen.


    Durch den Wassermangel konnten wir uns nie richtig waschen. Wenn noch 200 Leute hinter dir in der Schlange
    standen traute du dir auch nicht eine ausgiebige Dusche zu nehmen. Daher juckte es ständig irgendwo. Aber wehe
    man kratzte sich mit den dreckigen Finger. Dann entzündete es sich an der Stelle 100%. Viele hatten so viel Abszesse
    und Entzündungen dass es aussah als hätten sie Lepra.


    Wenn ich nachts auf die Toilette musste war es für mich die Hölle. Da ich nicht zum Strand im Dunkel laufen
    konnte musste ich auf dem Plumpsklo im Lager. Einen Eimer aus der Grundwasserhandpumpe nahm ich immer
    mit um die Toilette grob zusäubern bevor ich mich hinhocken konnte. Wegen dem Gestank atmete ich die ganze
    Zeit so flach wie es ging. Trotzdem war ich jedes Mal den Ohnmacht nah wenn der Wind die Gase von unten hoch druckte.


    Mir ist noch etwas gruseliges eingefallen. Man erzählte, einige Frauen. die im Camp schwanger geworden waren aber
    das Kind nicht wollten, weil sie für das neugeborene Baby einen Kompletten Einreiseantrag stellen mussten, scmissen
    die Babies einfach in die Toilette. Manchmal nachts sollte das Geschrei von den toten Babies zu hören sein. Noch ein Grund
    mehr für mich, das Plumpsklo zu meiden.


    In dem Raum wo wir schliefen war es zur zwei Seiten offen. Wenn es regnete, und es regnete oft auf den Philippinen,
    fegte der Wind das Wasser mal zu einer, mal zu andere Seite von dem Raum. Wenn der Wind landwärts wehte dann
    bekam ich nassen Kopf. Notdürftig behängten wir die Fenster mit irgendwas, um mindestens etwas Schutz zu haben.
    Ich drehte meinen Kopf auf die andere Seite und schlief mit den Nassen Füssen weiter.


    Zu viele Menschen auf engsten Raum. Ohne jegliche Privatsphäre. Zu viele junge Männer, die allein auf die Flucht waren.
    Ohne Frau, Freundin, Partnerin was auch immer. Es staute sich eine Menge Energie und Testosteron, die nur darauf
    warten, sich entladen zu können.Fast jeden Tag gab es Schlägereien. Wegen nichts. Ein falsches Wort, Vordrängen am
    Wasserhahn, Angeblich ungerecht verteilte Hilfegüte…

    Da wir auf dem Boden schliefen, krabbelten ständig irgendwelche Ungeziefer nachts auf uns rum. Ameisen, Kakerlaken,
    Spinnen waren noch harmlos. Einmal nachts spürte ich im Tiefschlaf etwas an meine Oberschenkel. Aus Reflex klatschte
    ich mit der Hand drauf. Ein stechender Schmerz riss mich schlagartig aus dem Schlaf. Im Mondlicht sah ich gerade noch
    einen riesigen Tausendfüssler von mir wegkrabbeln. Ich hatte eine dicke Beule auf meinem Bein, die noch wochenlang
    wehtat. Also merke: Tausendfüssler ist definitiv giftig. Auch wenn nicht tödlich.


    Aber das Schlimmste, das die meisten von uns fertig machte, war die Ungewissheit, wie es unseren Familien erging.
    Telefon besaß so gut wie niemand in VN damals. Die Briefe waren monatelang unterwegs. Wenn ich mal wieder zur
    Ruhe kam, dachte ich zwangläufig an Mama und meine Geschwistern. „Wie schafft Mama nun alleine für vier Kinder
    und meine Oma zu sorgen. Letzte Zeit hatte Oma sehr oft Knieschmerzen, musste trotzdem zu Fuß täglich zum Markt
    um einzukaufen. Was macht meine Jüngste Schwester? Wer holt sie von Kindergarten ab wo ich nicht mehr da bin?
    Und mein Bruder, der Idiot. Fing dauernd Schlägerei an und ich musste mich immer seinetwegen mit anderen prügeln.
    Jetzt kann der zusehen wie er allein fertig wird. Wie lange dauert es denn noch? Wie lange sollen wir noch hier bleiben?
    Bestimmt bald sind wir weg hier. Vielleicht schon morgen. Dann werden wir auch Pakete nach hause schicken.
    Irgendwann werden wir unsere Familie nach Deutschland holen. Was gebe ich dafür, sie alle jetzt zu sehen.
    Wie lange dauert es denn noch? Wie lange sollen wir noch hier bleiben?
    Vielleicht schon morgen….“


    Mir war immer bewusst, dass es auf der Welt noch Millionen Menschen gab, denen es noch schlechter ging als uns.
    Ich hatte in Saigon Menschen gesehen, die auf und von der Müllhalde leben, die Obdachlosen aus der neuen Wirtschaftzone.
    Sie alle bekamen noch weniger zu essen und deren Zukunftsaussichten weitaus beschissenen als unser. Tröstete mich dieses
    Wissen ein wenig über unsere Situation hinweg? Ehrlich gesagt, nein. Der tägliche Kampf um ein wenig Wasser, ein Bisschen
    Nahrung, einen trockenen Schlafsplatz, die Angst wegen Krankheiten, Gewalt, giftigen Insekten, die Ungewissheit über
    unsere Zukunft, die Sorge um unsere Familie dominierten über alles. Da war kein Platz mehr für Mitgefühl.

    Mit Leute die gendern rede ich nicht. Gegenderte Texte lese ich nicht.

  • Ich muss dich korrigieren :grinning_squinting_face:
    "... Also merke: philippinische Tausendfüßler ist definitiv giftig. Auch wenn nicht tödlich." :grinning_face_with_smiling_eyes:

  • Die Cap Anamur lief den Hafen von Puerto Princessa wieder an. Zum letzten mal. An Bord diesmal 702 gerettete
    Menschen. Man hatte aus der Erfahrung gelernt und teilte sie in zwei Gruppen, die nach einander ans Land gehen
    dürften. Würde alle auf einmal das sowieso schon überfüllte Camp stürmen hätte es, glaube ich, den totalen
    Zusammenbruch gegeben.


    Nun war ich der jenige, der am Eingang auf die Neuankömmlinge wartete und hoffte, jemanden aus meiner
    Nachbarschaft, einen Bekannten zu treffen. Der LKW, der sonst uns Fisch lieferte, brachte mehrere Ladungen
    von Menschen in das Lager. Sie alle durchliefen dieselben Prozeduren, was wir auch gemacht haben.


    Die 350 Menschen verteilten sich irgendwie doch im Camp. Es wurde zusammen gerückt, Plätze getaucht damit
    Familien beieinander bleiben konnten. Wir versuchten zu helfen so gut wir in der Lage waren. Die Cap Anamur
    blieb im Hafen mit den restlichen Flüchtlingen und wartete auf die Genehmigung der Camp-Verwaltung.


    Dann passierte etwas völlig bescheuertes.


    An einem Morgen hörte ich Schüsse im Camp. Mehrere Wagen mit Soldaten hielten entlang des Lagerzauns.
    Ein riesen Tumult. Durch die Lautsprecher wurde eine Ausgangsperre verhängt. Alle sollten in den Gebäude
    bleiben und auf Anweisung warten.


    Was war passiert? Es gab wieder mal eine Schlägerei zwischen zwei Vietnamesen. Zwei philippinische Soldaten
    von der Wachmannschaft gingen dazwischen. Ein von den Vietnamesen zog ein Messer und stach auf einen
    der Soldaten ein und rannte weg. Der zweite Soldat schoss mit seinem M16 Gewehr hinterher, traf dabei ein
    kleines unbetteiliges Mädchen und verletzte dieses schwer. Der Lagerkommandant natürlich stink sauer und
    befiehl, um jeden Preis den Messerstecher zu fassen.


    Bewaffnete Soldaten riegelten das Camp ab und durchsuchten mit Gewehr am Anschlag jeden Winkel nach dem
    Typ. Der war aber spurlos verschwunden. Als die Suche bis zum Mittag ergebnislos blieb, kam eine Durchsage,
    alle müssten sich auf die Start-Landebahn von dem Militärflughafen nebenan begeben. Nur Kleinkinder und alte
    Leute dürften im Lager an ihren Schlafplätze bleiben. Die Soldaten trieben uns wie Vieh auf die betonierte
    Landebahn. Über 40*C im Schatten. Dicht an dicht standen wir in der senkende Sonne. Niemand war auf die
    Situation vorbereitet und deswegen auch kein Wasser mitgenommen. Zu essen hatten wir durch den Tumult
    auch noch nicht bekommen. Ich sah viele, vielleicht alle, Mitarbeiter von UNHCR unter den Flüchtlingen. Sie
    müssten ja nicht aber blieben aus Solidarität bei uns und hielten die philippinischen Soldaten im Schacht wenn
    die zu rabiat gegen uns vorgingen. Einige machten heimlich Fotos.


    Selbst mit 14 Jahre war es mir bewusst, wir waren niemand. Wir waren nichts. Ohne Heimat. Ohne Rechte.
    Hätte man uns jetzt alle erschossen, würde das keine Sau interessieren. Für Vietnam waren wir Fahnenflüchtige.
    Wir gehörten auch sonst nirgendwohin. Ausweise besaßen wir nicht. Man hätte auf unseren Grabsteine noch nicht
    mal unseren Namen schreiben können. Wie könnte es nur so weit kommen. Wir waren so ein stolzes Volk.
    Jahrtausende hatten wir tapfer und erfolgreich gegen die Chinesen Widerstand geleistet, alle Besatzungsmächte
    aus dem Land vertrieben. Nun behandelte man uns wie Tiere. Wir wurden bestraft für etwas, wofür wir gar nichts
    konnten. So eine Demütigung.


    Gegen Abend dürften wir zurück ins Camp. Der Messerstecher war immer noch verschwunden.

    Mit Leute die gendern rede ich nicht. Gegenderte Texte lese ich nicht.

  • Zitat von leonardo;189851

    Ein stechender Schmerz riss mich schlagartig aus dem Schlaf. Im Mondlicht sah ich gerade noch
    einen riesigen Tausendfüssler von mir wegkrabbeln. Ich hatte eine dicke Beule auf meinem Bein, die noch wochenlang
    wehtat. Also merke: Tausendfüssler ist definitiv giftig. Auch wenn nicht tödlich.


    Hallo zusammen,


    mal kurz einige Infos über "Tausendfüßer": Meistens handelt es sich um "Hundertfüßer", die bis zu 25cm lang werden und mit ihrem Biss ordentliche Schmerzen verursachen können.


    Hier der Wikipedia-Artikel:


    http://de.wikipedia.org/wiki/Hundertfüßer


    Bei uns gibt es diese netten Genossen auch, ich würde sogar behaupten, dass sie bis etwa 27-29cm lang werden können. Angetroffen habe ich diese Viecher schon öfter unter altem Holz oder Kunststoffplanen, die längere Zeit auf dem Boden lagen.


    Ein Bekannter von mir wurde von solch einem Hundertfüßer in den großen Zeh gebissen. Der Zeh schwoll nach dem Biss auf etwa das dreifache der Größe an und der arme Kerl hatte mit starken Schmerzen und Lähmungserscheinungen im Bein zu kämpfen.


    Hier auf der Insel sind diese Tiere nicht endemisch und normalerweise sollten sie getötet werden. Das gestaltet sich gar nicht so einfach. Die Viecher sind unglaublich schnell und ordentlich gepanzert. Mit Machete und Spaten braucht es meistens 10-20 Hiebe, bis die Dinger den Geist aufgeben.


    Gebissen wurde ich zum Glück noch nicht, andere Leute hier erzählen aber, dass es kein Spass ist, wenn man erwischt wurde. Wer also in tropischen Gegenden zelten möchte, der sollte sich auf diese Bekanntschaften einstellen. Tödlich ist der Biss normalerweise nicht, kann aber enorme Probleme verursachen. Ich kille grundsätzlich jeden Hundertfüßer den ich sehe, da diese Art nicht in unser Ökosystem gehört.


    Hier mal zwei Bilder von den Kandidaten bei uns. Ich schätze, auf den Philippinen sind ähnliche "Monster" unterwegs:


    [ATTACH=CONFIG]20530[/ATTACH][ATTACH=CONFIG]20531[/ATTACH]


    Alles Liebe Leonardo, erzähl uns noch mehr von deinen Erfahrungen!


    LG Buschmann

  • Hallo Buschmann,



    diese von Dir gezeigten Tausendfüssler - bzw. Hundertfüssler der Familie Scolopendra gigantea




    finden sich in Thailand nahezu überall:


    Unter großen Steinen, abgestorbenen Bäumen, Holzstümpfen, Bauschutt, Müllsäcken und natürlich im Dschungel.


    Übrigens haben die thailändischen Einwohner eine furchtbare Angst vor diesen Tieren, da ihr Biss extrem schmerzhaft und lang anhaltend ist.

    Es genügt, dass man auf einem Markt nur den Thai-Namen des Scolopendra …“Dacap“ … ausruft, um den Markt an der Entdeckungsstelle blitzartig leer zu fegen!


    Ebenso kriechen diese Tiere oftmals in die Wohnungen, unter den Möbeln, Teppichen und auch in die Betten. Ich kann nicht mehr zählen, wie häufig ich diese „lieblichen“ Tierchen bei mir in der Wohnung hatte.


    In all den Jahren, die ich nun in Thailand lebe, wurde ich nicht gebissen, aber ich kenne Einheimische wie auch Ausländer, die gebissen wurden und heute mit Schrecken und Abscheu darüber sprechen. Allein die Schmerzen sollen nach ihrer Aussage schier unerträglich sein.


    Diese "niedlichen" Ur-Geschöpfe sind nach meinem Empfinden wirklich alles andere als „putzige Tierchen“.

    Ich bekomme augenblicklich einen abgrundtiefen Ekel, wenn ich sie nur sehe. Niemals würde ich sie in die Hand nehmen, so wie auf Deinem Foto! Nicht nur wegen dem Ekel, sondern insbesondere wegen der Bissgefahr!



    Unter Wiki ist dazu zu lesen:

    Zitat

    Die Bissstelle schwillt in der Regel sehr stark an, es kommt zu sehr intensiven, über den gesamten Körper strahlenden Schmerzen. Dazu kommen je nach Art und Dosierung des Giftes Lähmungserscheinungen, die über mehrere Tage anhalten können. Ebenfalls verursacht das Gift oftmals Übelkeit und Schwindelgefühle sowie ein Taubheitsgefühl an der Bissstelle. In seltenen Fällen kann es auch zu Atemproblemen und Herzrhythmusstörungen führen.


    ___________________________________________________.

    Hallo sm4rty,

    Du hast an Leonardo geschrieben:

    Zitat

    Ich muss dich korrigieren :grinning_squinting_face:


    "... Also merke: philippinische Tausendfüßler ist definitiv giftig. Auch wenn nicht tödlich." :grinning_face_with_smiling_eyes:



    Aus Deiner einzigen Zeile springt die ermahnende Belehrung - ALSO MERKE, LEONARDO!..., - geradezu Oberschul-lehrerhaft heraus!

    Vielleicht könnte man das auch diplomatischer ausdrücken?

    Leonardo hat ganz sicher am eignen Leib genug erfahren müssen und verfügt aufgrund dessen über eine enorme Lebenserfahrung, als dass man ihm dermaßen überheblich begegnen sollte.

    Ungefähr so:


    [ATTACH=CONFIG]20536[/ATTACH]


    Gruß Jörg

  • Wollen wir die Tierdokumentation und wie man sich darüber in die Wolle kriegt, nicht lieber aus diesem Thema rauslassen?

  • Es war bestimmt nicht so ernst gemeint von sm4rty mit dem Tausendfüssler. Damals konnte ich aber nicht drüber lachen.
    Abgesehen von dem Schmerz kam noch die Angst vor einer Entzündung. Die Ambulanz von dem Militärflughafen behandelte
    nur dringende Notfälle. Insektenstiche gehörten nicht dazu. Als Papa mich fragte warum ich so humpelte, zeigte ich ihm
    die Beule auf meinem Oberschenkel. Er daraufhin: „Halte die Wunde sauber und kühl sie mit einem nassen Tuch ab!“.


    Tja, einmal Soldat immer Soldat. Papa jammerte nie und erwarte das gleiche auch von mir. Wenn er etwas sagt dann
    wurde ausgeführt und nicht diskutiert. Obwohl er nicht rumbrühte oder mit aufgeblähter Brust nach Respekt verlangte,
    brachten trotzdem alle ihm Vertrauen und Respekt entgegen. Ich kannte in meinem ganzen Leben niemanden, der etwas
    Schlechtes über meinen Vater sagen konnte. Zu uns Kindern war er sehr streng. Besonders ich als Erstgeborene war meist
    überfordert von seiner Erwartungen.


    Papas guten Ruf wurde belohnt als uns jemand ansprach, ob wir deren Schlafsplatz übernehmen wollten. Sie hatten ihre
    Ausreisetermin bekommen und möchten, dass ihr Nachbar anständigen Ersatz bekam. Wir gingen zu dem neuen Platz ganz
    am Ende vom Lager. Da standen 4 relativ neu gebauten Gebäude. Zwar nur 4 großen Baracken aber wir müssten nicht
    mehr auf dem Boden schlafen und waren vor Wind und Wetter geschützt.


    Ein Ehepaar im mittleren Alter tauschte mit Papa einige Sätze aus. Dann hatten wir die Prüfung bestanden und durften
    neben ihnen den Platz beziehen. Der Umzug gestaltet sich ziemlich problemlos. Ich packte einen kleinen Pappkarton mit
    unserer Essenvorrat, einen leeren Reissack, den ich mir organisiert hatte für meine wenige Klamotten, die Strohmatte
    und meine Decke unterm Arm, verabschiedete mich von den Mitbewohnern und zog in unser neues Zuhause ein. Es war
    ein von 4 großen Gebäude ganz am Ende vom Lager, weit weg vom Strand. Das Haus war mit ca 3-4 m hoch, 6 m breit u
    nd 30 m lang. Innen jeweils 2 Etagen aus Holzbrettern zu jeder Seite, in der Mitte ein kleiner Gang. So etwa wie in den KZ
    im zweiten Weltkrieg. Nur dass wir nun viel mehr Platz zur Verfügung hatten als vorher. Zum Glück liegen wir auch noch
    in der oberen Etage, ganz nah am Ausgang. Mit der Zeit freundeten wir mit dem Ehepaar an und waren richtig gute
    Freunde geworden. Der Mann, auch ein Ex-Soldat der südvietnamesischen Armee, verstand sich prächtig mit Papa.
    Selbst als wir alle in Deutschland leben reißt der Kontakt nicht ab. Der Mann, Phuoc war sein Name, ruft meinen Vater
    jedes Jahr zum Silvester an. Ohne Ausnahme.


    Ab da an waren wir wieder eine größere Gruppe. Mein Vater, ich, der Xuan, Phuoc und seine Frau.

    Nach einer Woche tauchte der Messerstecher wieder auf. Er hatte sich auf der Cap Anamur versteckt. Da das Schiff nach
    dem Abladen der restlichen Flüchtlinge ablegen musste, blieb ihm nichts anderes übrig als sich zu stellen. Er war aber
    nicht von der Cap Anamur gerettet sondern ein gestrandete. Somit durfte er nicht nach Deutschland. Mit seiner Aussicht
    nach Amerika auszureisen konnte er nach diesem Vorfall auch vergessen. Die Amis waren nicht so großzügig wie die
    Deutschen und ließen jeden ins Land. Sie betrieben sehr offensichtlich „cherry picking“ unter den Flüchtlingen. Personen
    mit Qualifikation, Berufserfahrung, Ex-Offiziere der Armee usw wurden ganz schnell ausgeflogen. Wer sich auffällig benahm,
    gewalttätig, gar kriminell oder machte falsche Angaben zur Identität ließen sie im Lager schmoren.


    Alles was ich euch hier erzähle, habe ich selbst erlebt. Ich möchte aber zwei Ausnahmen machen weil ich es für sehr wichtig
    halte, dass viele anderen Menschen auch diese Geschichte erfahren sollen.


    Neben uns war ein Junge, vielleicht 1-2 Jahre älter als ich. Es war aber schwer einzuschätzen bei ihm weil er ganz merkwürdig
    aussah. Seine Haare waren nicht glatt und schwarz glänzend wir bei uns üblich sondern struppig und wuchsen ungleichmäßig.
    Er lebte allein im Camp, sprach aber auch kaum mit anderen. Entweder schlief er oder wanderte herum. Da er allein war,
    bekam er nur winzige Essenportionen zugeteilt so dass er nichts damit anfangen konnte.


    Dann gab er mir meist seinen Anteil und aß dann nichts. Wenn ich dran war mit Kochen packte ich etwas von den fertigen
    Gericht zur Seite und gab ihm das. Mit der Zeit taute er langsam auf und wir redeten ab und zu mit einander. Dann erfuhr
    ich den Grund, warum er Kontakt zu den anderen meidet, und sie zu ihm.


    Er war ursprünglich mit seiner älteren Schwester geflüchtet. Sein Schiff ging genau so wie unser nach kurzer Zeit kaputt.
    Sie trieben auf Meer bis alle Vorräte verbraucht waren. Ein nach dem anderen starb durch Hunger und Durst. Am Anfang
    schmissen sie die Tote über Bord. Auch seine Schwester wurde ins Wasser geworfen als sie tot war. Als ob es nicht schon
    schlimm genug wäre, versank ihre Leiche nicht sofort sondern trieb noch eine ganze Weile am Boot und schlug die ganze
    Zeit dagegen. Er saß im Boot und musste mit anhören, wie nach jeder Welle die Leiche seiner Schwester an das Boot knallte,
    als ob sie ankloppe und wieder rein wolle. Er war fast verrückt geworden.


    Später, als Hunger und Durst alle zum Wahnsinn trieb, tranken einige Meerwasser. Einer sogar mit Batteriesäure gemischt
    weil er meinte, das neutralisiert das Salz. Der hatte Blut gespuckt und war sofort tot. Die Toten wurden nicht mehr ins Meer
    geworfen sondern dünne Scheiben von Bein und Schenkel geschnitten, diese in der Sonne getrocknet und … gegessen.


    Nach 49 Tagen wurden sein Boot ans Land auf dem Philippinen gespült. Von über 80 Menschen hatten 28 überlebt.


    Die Amerikaner fanden immer welche fadenscheinigen Gründe um diese Gruppe nicht aufzunehmen. Sie warteten bis dato
    schon zwei Jahren im Camp. Er selbst wurde immer vorgeworfen, er hätte angeblich falsche Angabe zu seinem Alter gemacht
    und deswegen wurde seinen Antrag immer wieder abgelehnt.


    Gar nicht mal doof von den Amis eine Gruppe von traumatisierten Kannibalen nicht ins Land zu lassen. Die hätten
    höchstwahrscheinlich das Gesundheitsytem nur belastet. Aber ich frage mich, wer sind die wahren Unmenschen?
    Die armen 28 Seelen, die durch die Hölle mussten oder die Anzugträger am Schreibtisch, die solchen Menschen
    eiskalt ihrem Schicksal überließen.

    Mit Leute die gendern rede ich nicht. Gegenderte Texte lese ich nicht.

  • Ich danke dir Leonardo für die Erzählung aus deinem Leben! Ich lese diese sehr aufmerksam (ich war vor kurzem in Laos, habe unter anderem 2 Tage auf dem Mekong verbracht und konnte mir deine Erzählung sehr gut vorstellen :) . Natürlich hatte ich es wesentlich bequemer als du damals..) und finde auch deine Einstellung zu S&P genau richtig (was ich bisher gelesen hatte).


    Und gut das du Humor besitzt :) - eben das haben meine Smileys in meinem zuvor gemachten Beitrag unterstrichen - auch wenn es eine schmerzhafte Erfahrung für dich war.

  • So liebe Leute, bin wieder da. Ich habe die letzte Woche das milde Wetter ausgenutzt um noch anfallende
    Arbeiten draußen am Haus zu erledigen. Deswegen kam ich nicht dazu weiter zu schreiben.




    Weiter geht’s

    Auf der Insel war es am Tag 35-40 Grad heiß. Nachts kühlte es ab um die 17-20 Grad. Ok, für Europäer angenehme
    Zimmertemperatur. Für uns Sonnenverwöhnten Asiaten war es schon sehr empfindlich kalt. Außerdem wehte vom
    Meer ständig eine frische Brise Wind. In einer Nacht, als ich pinkelt musste, merkte ich, dass es um kurz nach fünf
    eine Zeitfenster gab, wo es totale flaute war. Die Entdeckung erzählte ich am nächsten Tag meiner Leute. Papa kam
    dann auf die geniale Idee, den Xuan und mich um fünf zu wecken und zum Wasserhand zu kommandieren. Um die
    Zeit war der Wasserhahn natürlich leer, so dass wir uns ohne den kalten Wind und die unendlich lange Warteschlange
    richtig duschen und die Eimer in aller Ruhe füllen konnten.


    Seit dem Tag scheute uns Papa jeden Morgen um fünf aus der Matte um zu duschen. Es war schon sch**** so früh
    aufstehen zu müssen aber dafür waren wir drei von Hautkrankheiten verschont.
    Hygiene ist und bleibt im Notfall lebenswichtig.


    Endlich bekamen wir Post von zu Hause. Wenn eine Brieflieferung ins Camp ankam, wurden durch Lautsprecher
    die Empfänger aufgerufen. Dann war es gespenstisch ruhig. Alle lauschten und hofften, dass sein Name dabei war.
    Diesmal hatten wir Glück. Auch der Xuan hatte Post. Nachdem wir unseren Briefe abgeholt hatten, saßen wir vor
    der evangelischen Kirche, eigentlich nur eine keine Holzhütte mit ein paar einfachen Holzbänke aber man konnte
    davor sitzen und es war abends relativ hell beleuchtet. Mit zitternden Händen machte Papa den Brief auf. Ich ging
    mir was zum essen holen und ließ die beiden allein. Als ich wieder kam hatten mein Vater und Xuan Tränen in den
    Augen. Ich hatte mein Vater noch nie weinen gesehen. Noch nicht mal bei der Beerdigung von seinem Opa. Männer
    weinen nicht. Und der Clan Oberhaupt schon drei mal nicht. Bis zu diesem Tag.


    Dann kriegte ich den Brief auch zu lesen. Meine Kleine Schwester war schwer krank und musste ins Krankenhaus.
    Bei uns gab es nicht so was wie Krankenversicherung. Wer krank war musste selbst alles zahlen. Nun musste Mama
    nicht nur allein die Familie satt bekommen sondern auch noch um meine kranke Schwester kümmern. Währenddessen
    saßen wir hier fest, ohne zu wissen wann, wie oder ob überhaupt es weiter ging. Auch der Xuan hatte schlechte
    Nachrichten von seiner Freundin, ich glaubte, ihre Familie machte ihr die Hölle heiß weil sie ihm das Geld für die Flucht gab.


    Ich hoffe für euch alle, dass ihr nie in solche Lage kommen müsst, dass die Verzweiflung einem seelisch fertig macht.
    Diese Ohnmächtigkeit zu spüren, dass man nichts unternehmen konnte um seine Familie in höchste Not helfen zu können.


    Vor der evangelischen Kirche saßen wir oft abends. Manchmal hörten wir auch die Predigen von draußen an. Eines
    Tages bat uns der Priester rein zu kommen. Wir nahmen Platz auf der letzten Reihe und schauten uns das Treiben an.
    Die „Kirche“ war höchstens 4x5 m groß. Vorne ein Rednerpult. 5 zusammen genagelten Holzbänken. Die Leute waren
    alle sehr freundlich und sangen ständig Loblieder über ihren Gott. Die Predigen waren für mich auch sehr interessant,
    da ich so was noch nie gehört hatte. Der Prediger schenkte jedem von uns ein dickes rotes Buch. Ich besaß zu Hause
    in Vietnam eine richtige Büchersammlung, in die ich mein ganzes Taschengeld gesteckt hatte. Seit der Flucht hatte ich
    kein richtiges Buch mehr gelesen, deswegen freute ich mich auf dieses Geschenk ganz besonders.


    Diese Buch, die Bibel, las ich in einem durch durch. Papa und der Xuan brauchten etwas länger.
    Wir gingen immer öfter in die Kirche und es kam wie es kommen müsste, irgendwann hatte uns den Pfarrer so weit
    gekriegt, dass wir uns zu dem Glauben beitraten. Eigentlich war es Papa’s Entscheidung. So richtig überzeugt von Religion
    war ich ehrlich gesagt nie. Von da an gehörten wir zu der kleinen evangelischen Gemeinde. Ich glaubte, Papa fand viel
    Trost und Hoffnung in der neuen Religion. Die schweren Entscheidungen und deren Konsequenzen auf den lieben Gott zu
    schieben war mal was anderes als wie bisher immer selbst zu schultern. Ich fand nur die Gruppe sehr nett, und das nicht
    nur wegen den netten Mädchen :021:. Wir bekamen von der Gemeinde viel Unterstützung, nicht nur seelisch sondern auch materiell.
    Wenn jemand abreiste kriegen wir ihre Sachen was sie nicht mehr brauchten ab. Der Pfarrer hatte von der evangelischen
    Kirche der Stadt dicke warme Decken organisiert, was er an uns weiter verteilte. Es ist nicht verkehr, in einer Notlage die
    Gesellschaft zu einer religiösen Gruppe zu suchen.

    Mit Leute die gendern rede ich nicht. Gegenderte Texte lese ich nicht.

  • Lieber Leonardo,
    Von Deiner Geschichte bin ich sehr berührt. Du schreibst so lebendig, dass ich noch tagelang über Dein Erlebtes nachsinnen muss.
    Was hast Du nicht alles schon erlebt in Deinem jungen Leben, das tut mir so leid. Wenn mir beim Lesen schon die Tränen kommen,
    wie sehr musst Du, der das alles selber durchmachen musste gelitten haben. Meine Güte, kann ich da nur sagen und wünsche Dir
    von ganzem Herzen das Du jetzt dafür ein schönes Leben haben darfst.
    Ich danke Dir, das wir mitlesen dürfen und schon so viel lernen durften.


    Du bist ein begnadeter Schriftsteller.


    Von nun an lege ich meine Kleider und Waffen immer so zurecht, das ich sie auch im Dunkeln finde und werde meine Sackmesser immer
    doppelt dabeihaben. Danke!
    Bin schon sehr gespannt, wie es weitergeht.

  • Schriftsteller! Wer ? Ich! Ich bin froh wenn ich halbwegs verständlich und nicht mit all zu vielen Fehler schreibe.
    Trotzdem danke sehr für das Kompliment und deine netten Wörter.


    Mein Vater hatte etwas Gold als Notreserve mitgenommen, mit dem wir uns das nötigste wie Zahnpasta,
    Unterwäsche, Waschpulver ect kauften. Es hatte aber nicht lange gereicht so dass er auch von seinem
    Offizierring trennen müsste. Das Ding war nicht viel Wert, da nur 8 Karat, aber es musste ihm schwer
    gefallen sein, sich davon zu trennen. Wir waren dann in die Stadt gefahren um Briefe abzuschicken und
    einzukaufen.


    Seit wir zu den Evangelisten gehörten, hatten wir wieder etwas zu tun. Entweder lasen wir die Bibel oder
    traffen wir uns mit den anderen in der Kirche. An den Wochenenden zeigte die Campverwaltung Videofilme
    auf einer Leinwand. Meist waren es Kungfu - oder Action –Filme in English. Mit der Zeit wurde mein
    Schulenglisch immer besser, auch weil wir mit den Philippinos Englisch sprechen mussten. Alle Philippinos
    konnte Englisch, von Kleinkind bis Greisen.


    Nach mehreren Monaten vollen Entbehrungen, ohne jegliche Privatsphäre, ständige Sorge um die Familie
    war ich mit meinem Nerven am Ende. Nach außen ließ ich mir nichts anmerken, wir besch**** es mir ging.
    Alles wurde schön hinter einem freundlichen Lächeln versteckt. So waren wir nun mal erzogen worden.
    Den ganzen Stress, die Verzweiflung stauten sich immer mehr. Bis eines Nacht als ich geträumt hatte,
    wieder zu Hause zu sein. Ja. Wieder zu Hause mit Mama und meiner Geschwister. Oma hatte wie immer
    lecker gekocht. Ich wühlte wieder in meinem Bücherschrank, lag in meinem Bett, saß auf meinem
    Fahrrad… bis ich wach wurde. Ich lag in einer Baracke auf dem harten Holz mit hunderten von fremden
    Menschen. So eine ungeheuere Wut stieg in mir auf, meine Hände hatten gezittert, ich konnte keine klaren
    Gedanken mehr fassen. Es dauerte zwei, drei Tage bis ich mich wieder zusammen reißen konnte. Seitdem
    verstand ich die Menschen, die Drogen nehmen um in ihren Traum zu bleiben.


    Der Lagerkommandant ließ einen kleinen, 2x2 m Käfig aus Draht mitten auf der Hauptstraße zusammen
    zimmern. Wer sich prügelte, im Gebüsch seine Notdurft verrichtet oder irgendwie Mist baute durfte je
    nach Vergehen eine Zeitlang darin hocken. „ Monkey House „ nannte man diese Einrichtung. Schon ziemlich
    peinlich wenn das ganze Camp an einem vorbei lief und man saß da wie ein Affe im Zoo. Ständig war jemand
    drin. Manchmal sogar Frauen. Meistens weil sie sich vor den Plumpsklo ekelten aber zu faul um weiter weg
    von Lager zu laufen.


    Wieder erreichte uns einen Brief von Mama. Meiner Schwester ging es zum Glück besser. Sonst hatte Mama
    alles im Griff. Wir sollten uns keine Sorgen um die Familie machen.


    Mein Onkel, der Marineoffizier aus dem #27 Beitrag versuchte kurz nach uns auch zu flüchten. Er, meine Tante
    und die 5 jährige Tochter, ein süßes aufgewecktes Mädchen, wurden bei der Flucht von der Küstenwache entdeckt.
    Als die Flüchtende in Panik versuchten, das Boot zu erreichen, hatten die Soldaten auf sie geschossen. Meine Tante
    schaffte es, ins Boot zu steigen und erreichte dank guter Organisation sogar direkt Australien. Mann und Kind
    blieben aber verschwunden. Nach ein Paar Monaten schrieb sie meine Oma an, ob ihr Mann und Tochter schon
    wieder zu Hause seien. Oma dachte aber sie wären alle zusammen geblieben, da die beide auch nicht nach
    Saigon zurückkamen. Sie macht sich dann auf dem Weg zu der Stelle, wo das Schiff abgelegt hatte. Die
    orfbewohner brachte sie an einem Grab, wo sie vor einiger Zeit zwei Leichen, die am Strand gespült waren,
    begruben. Mein Onkel trug meine Cousine auf dem Arm als er angeschossen wurde und ins Wasser gefallen war.
    Im Todeskampf hatte er seine Tochter nicht losgelassen. So waren sie beide fest umklammert als sie gefunden
    wurden. Meine Oma nahm die Gebeine zurück nach Saigon wo sie nach einer Feuerbestattung nun nebeneinander
    in einem buddishtischen Tempel ihre Ruhe fanden.


    [FONT=&amp]Das war die zweite, nicht selbst erlebten Geschichte, die ich euch noch erzählten wollte.
    [/FONT]
    Nach neun Monaten in Puerto Princessa ertönte endlich unseren Namen aus den Lautsprechern. Wir drei sollten uns
    im Büro melden. Unsere Anträge waren durch. Deutschland nahm uns aus humanitären Gründen auf. Dafür sollte
    sogar extra irgendein Gesetz von der Regierung damals neu geschrieben worden sein. Das hieß aber nicht dass
    wir sofort nach Deutschland fliegen dürften sondern erst in ein anderes Camp umziehen mussten.
    Trotzdem waren wir halt froh dass es überhaupt irgendwie weiter ging.


    Wir packten unsere Habseligkeit und verließen das Camp mit dem LKW, welcher uns hingebracht hatte, Richtung Hafen.
    Unser Ziel: Bataan.






    Hier noch ein Fotos aus guten Tagen. Es musste 1972 oder 73 gewesen sein. Wir fahren oft mit ganzer Familie
    zum Strand mit Papa’s Auto. Unterwegs machten wir immer einen Picknick in einem der vielen Kautschukplantagen.
    Ich bin der größere auf der Motorhaube. Links ist mein kleiner Bruder. Rechts von mir ein entfernten Onkel.
    Es war eine sehr schöne Zeit. Ich hatte damals eine tolle Kindheit, die ich mit niemanden tauschen würde.
    [FONT=&amp]Papa war ein Feinschmecker. Er fuhr mit mir auf seinem Moped durch die halbe Stadt nur um ein bestimmtes
    Gericht zu essen. Mit Mama durfte ich wiederum den ganzen Frauenkram probieren.


    [ATTACH=CONFIG]21404[/ATTACH][/FONT]

  • Doch, Du solltest Deine Erlebnisse wirklich als Buch herausgeben.
    Es ist auch ein wichtiges Zeitdokument.
    Mach Dir keine Sorgen über Fehler; die machen auch deutsche Autoren.
    Für die Korrektur und stilistische Überarbeitung beschäftigen die Verlage Lektoren.