Entwurzelte Gesellschaft?

  • Zitat von Jaws;244018

    Wanderungen aufgrund des Arbeitsplatzes, bzw. der fehlenden Beschäftigung gab es schon immer und wird es auch immer wieder geben. Mehrgenerationenhäuser denke ich werden vorübergehend abnehmen, da meiner Meinung nach der Egoismus zugenommen hat, das beginnt bei einigen Familien schon damit dass die Eltern ihre Kinder möglichst schnell in der Kinderspielgruppe abgeben und auch mal gerne mit irgendwelcher Unterhaltungselektronik abgespiesen werden weil's weniger Arbeit macht. Gut, der immer grössere Leistungs- und Konsumdruck trägt auch einen grossen Teil dazu bei.


    Hi Alle,


    genau das ist es was mir persönlich sorgen bereitet.
    Die CH bekommt gut ausgebildetes Personal für gute Jobs aus Germany, in DE gibt es ein Fachkräfte-Vakuum und holen diese von
    Ungarn, Polen oder so, in diesen Länder fehlen dann die auch usw........
    Ich frage mich persönlich, wie Schizophren denn das ist, kommt das gut wenn ganz Europa am Wandern ist und durch die Wurzeln
    zur seiner Heimat entrissen werden ?
    Was geschieht mit den Kindern solcher Haushalte und deren Eltern ? Schaut mal in den z.b. ZIS nach (Zurich international School) das kommt nicht gut.
    Rumgeschobene Kinder die später mit zu wenig Zuneigung, Wärme, Liebe, Sicherheit, geregelter Alltag und und und dann später ihre Karriere machen
    und Firmen reingedrückt werden, denen fehlt doch vieles an Menschlichkeit.....
    Vielleicht dsehe ich das zu krass, aber ich finde es sehr schlimm mit der Entwurzelung der Gesellschaft.



    Viele Grüsse

  • Zitat von Vansana;243977


    P.S. übrigens ist das Schweizerkreuz ein Geschenk der Österreicher an die Eidgenossen als Belohnung, daß die die Burgunder erfolgreich hergeschlagen haben. (Siehe König Rudolf von Habsburg)


    Das ist mir neu....

  • Für mich stellt es sich so dar, dass meine Wurzeln da sind wo ich mich wohl fühle und gerne lebe.
    Wenn es mir gut geht bringe ich mich ja an solch einem Ort auch ein.


    Der Ort in dem ich aufgewachsen bin hat sich so sehr verändert, da würde ich mich heute nicht mehr wohl fühlen.
    Trotzdem freue ich mich, wenn ich so 2-3 mal im Jahr für ein Wochenende dort bin. Aber wohnen wollte ich da nicht mehr.


    Zu den Wurzeln hier mal als Denkanstoss meine Familiengeschichte:


    Großvater in Polen geboren und aufgewachsen. Dann als Wirtschaftsflüchtling ins Ruhrgebiet.
    Nach dem WK I war dies ja französisch. Opa Chance genutzt und sich in der Bourgogne angesiedelt. (er sprach bis ztu seinem Tod nur französisch!)
    Dort eine Französin (korsische Wurzeln) geheiratet und eine Familie gegründet. Mein Vater wuchs dort auf.
    1942 wurden sie dann heim ins Reich zwangsumgesiedelt. Mein Vater fühlt sich noch heute mehr als Franzose.
    Nun, Papa heiratet eine Urschwäbin mit Wurzeln im Elsass. Durch seine Sprachkentnisse wurde er beruflich in eine französische Kolonie versetzt.
    Also wurde ich in Afrika geboren....


    Ziemlich schwierig mit meinen Wurzeln :face_with_rolling_eyes:


    Wie gesagt, wenn ich mich wohl fühle dann verwurzel ich mich auch.


    LG
    der Boxer

    Das Leben ist das, was dazwischen kommt, wenn man alles geplant hat

  • Ich muss für meine Antwort, glaube ich, etwas weiter ausholen.


    Ich bin gebürtiger Calenberger und als solcher fühle ich mich auch heute noch dem Großraum Hannover sehr verbunden. Nicht zuletzt auch deswegen, weil dort noch viele sehr gute Freunde, meine Eltern, die Familie und ein großer Teil der restlichen Familie wohnt und arbeitet.


    Ich wollte Biologie studieren. Und da war es für mich von vornherein klar, dass ich früher oder später würde Hannover den Rücken kehren müssen. Spätestens wenn die ZVS ihr mir meinen Studienplatz zuweist. Jobbedingt, Biologe wie gesagt, wohne und arbeite ich mittlerweile im Hamburger Großraum. Damit bin ich für Freunde und Verwandte nicht "aus der Welt", muss mir aber auch nicht jeden Tag über zwei oder drei Stunden Fahrzeit pro Strecke antun, wenn ich in Hannover wohnen wollen würde, aber meinen Job in Hamburg behalten möchte.


    Für mich hat sich über die letzten Jahrzehnte daher herauskristallisiert, dass "zu Hause" für mich bedeutet, dass ich dort wohne, "meinen Mantel fallen lasse". Heimat hingegen die Region ist, in der ich aufgewachsen ist und meine Familie wohnt oder, sofern schon verstorben, begraben liegt.


    Ich fühle mich daher nicht entwurzelt oder heimatlos, nur weil ich öfter mal jobbedingt umziehen muss. Aber das war mir zum einen wie gesagt, vorher schon klar. Auch ein Auswandern hatte ich mal in Erwägung gezogen. Es scheint mir in die Wiege gelegt worden zu sein. Denn ein Teil meiner Großeltern musste während bzw. zum Ende des Krieges ihre Heimat verlassen. Und haben, wie bereits erwähnt, im Calenberger Land eine neue Heimat gefunden.


    Man muss sich heute nun mal vor Augen führen, dass nicht mehr jeder als Handwerker oder Verkäufer in einem Betrieb im Dorf oder in der kleinen Nachbarstadt arbeiten kann und diesen Arbeitsplatz dann womöglich auch noch über fünfzig Jahre bis zu seiner Rente ausüben kann. Für manche Berufsfelder braucht man eine gewisse "kritische Masse". Sei es an Kapital (Industrie etc.) oder Intellekt (Universitäten und alles, was daran hängt). Und so verwundert es nicht, dass immer mehr Menschen in einer Großstadt oder wenigestens in der Nähe wohnen/arbeiten wollen. Auf dem Land, in den Dörfern gibt es einfach nicht mehr genug Jobs für alle. Die Landwirtschaft kommt mit immer weniger Personal aus. Wenn ich daran denke, dass eine meiner Großmütter als junge Frau noch als Melkerin gearbeitet hatte...

    aus Niedersachsen, DE gesendet...


    "Der Klügere gibt nach! Eine traurige Wahrheit, sie begründet die Weltherrschaft der Dummheit." Marie von Ebner-Eschenbach


    Dorfleben. Entweder du liebst es oder du liebst es nicht. Es gibt kein Versuchen!


    "Dein Rad kann viel mehr, als du ihm zutraust. Das findet schon seinen Weg. Einfach laufen lassen, wenig bremsen, den Flow finden." (ein Freund zu einem Silk Road Mountain Race Teilnehmer)

  • Zitat von el presidente;244031

    Das ist mir neu....


    Zitat von Jaws;244042

    @ Vasana: So von wegen Schweizerkreuz und Oesterreicher :face_with_rolling_eyes:


    Also dann hier etwas Nachhilfe in Schweizer Geschichte


    Mach ich doch sehr gerne..:face_with_rolling_eyes:


    [COLOR="silver"]- - - AKTUALISIERT - - -[/COLOR]


    [video=youtube_share;NvrNZ4nOXwc]

    Externer Inhalt youtu.be
    Inhalte von externen Seiten werden ohne deine Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklärst du dich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.
    [/media]

  • Heimat und Zuhause


    Ich sehe die Begriffe Heimat und Zuhause sehr ambivalent. Ich bin geborener Kölner, meine Mutter stammt aus Rosenheim und mein Vater aus einer kleinen Stadt im Erzgebirge. Beide Elternteile hatten es wohl recht schwer in der Kindheit, sie wussten es wohl nicht besser und gaben dies mit vollen Händen weiter.


    Die wunderschöne kölsche Mundart war bei uns zutiefst verpönt, wer sich ihrer bediente wurde hart bestraft. Ein echtes Heimatgefühl kann so nicht aufkommen, trotzdem antworte ich jedem der Fragt mit der stolzen Antwort

    "ich bin Kölner"


    Nachdem ich das Haus meiner Eltern verkaufen musste, zogen wir der Kinder wegen in den Kreis TBB. Auch wenn dort meine Ehe zerbrach, habe ich dort Wurzeln schlagen können. Das eigene Haus, meine Familie und nicht zuletzt meine Schmiede und die Freunde binden mich ans Taubertal.


    Aber meine Heimat ist es nicht, ich habe nie wirklich eine gehabt und auch die Hoffnung aufgegeben, je eine zu haben.


    Was hier wirklich schön ist, die Menschen sind doch recht heimatverbunden. Der Dialekt hier ist grausam; eine Mischung aus Nuscheln, Schwäbeln und Schluckauf, aber meine Kids werden damit aufwachsen- nur mein Kölsch versteht hier keiner.


    Liebe Grüße


    Semper Fi

    Geht los!!!

  • Zitat von Vansana;244043


    Mach ich doch sehr gerne..:face_with_rolling_eyes:


    - - - AKTUALISIERT - - -


    [video=youtube_share;NvrNZ4nOXwc]

    Externer Inhalt youtu.be
    Inhalte von externen Seiten werden ohne deine Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklärst du dich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.
    [/media]


    Nun den kenne ich auch genau mit der gleichen Maschine, halt wir auf Französisch geflucht und das Teil geht meistens erst nach 15 Minuten an, 15 Minuten wo diese Mäher mit allem verflucht wird was die Sprache hergibt.

  • Zitat von Vansana;243977

    P.S. übrigens ist das Schweizerkreuz ein Geschenk der Österreicher an die Eidgenossen als Belohnung, daß die die Burgunder erfolgreich hergeschlagen haben. (Siehe König Rudolf von Habsburg)


    Hallo Vansana


    Tja gaaaanz so sicher wäre ich mir da nicht: Schweizerkreuz


    Ist aber egal, wir tragen das Schweizerkreuz mit Stolz :face_with_rolling_eyes:


    Viele Grüsse, Ernst

  • Als Nachfahren von Bauern halten wir es für "normal" und wünschenswert, "verwurzelt" zu sein.
    Das ist aber, gemessen an der Millionen Jahre langen menschlichen Vorgeschichte, mit etwa 10.000 Jahren ab der Erfindung der Landwirtschaft,
    eine ganz junge und, wenn man so will, "künstliche" Entwicklung, Pessimisten meinen sogar "Fehl"-Entwicklung (weil erst die Neolithische Revolution diese gigantischen Bevölkerungsdichten überhaupt erst ermöglicht hat).


    Sammler, Jäger und Hirtennomaden, ja, sogar Wanderfeldbauern finden ein "Verwurzeltsein" am selben Fleck vollkommen unnatürlich und versuchen sich einem ihnen von außen auferlegtem Zwang in dieser Richtung solange zu entziehen, wie es nur irgend geht.


    Es war Millionen Jahre lang "normal" und vor allem auch "gesund", abgesammelte, abgejagte und abgeweidete Gebiete zu verlassen und sich auf die Suche nach unberührten Gebieten zu machen - nicht zuletzt auch, um dem steigenden Krankheits- und Parasitendruck zu entkommen - in dieser Hinsicht sind weitwandernde Weidetiere klüger und der Mensch tat gut daran, ihnen zu folgen.


    Nur so konnte Homo Erectus und später Homo Sapiens binnen weniger hunderttausend Jahre in mehreren Wellen von Afrika aus ganz Eurasien und Ozeanien besiedeln.
    Der amerikanische Doppelkontinent wurde nach dem Ende der letzten Eiszeit in nur 5.000 Jahren von Alaska bis Feuerland erobert.


    Die scheinbar so erstrebenswerte Seßhaftigkeit resultiert aus dem Zwang, der sich aus der steigenden Bevölkerungsdichte ergab:
    Wo man auch hinkam, überall saß schon wer.
    Zurück ging auch nicht, weil ein Vakuum sofort von Nachbarstämmen aufgefüllt wurde.


    Irgendwann war Wild überall knapp und man mußte buchstäblich zähneknirschend mit zerstampften Grassamen vorlieb nehmen.
    Die Urgetreide-Wiesen mußten vor wandernden Herden, zweibeinigen und geflügelten Konkurrenten verteidigt werden.


    Ganz schlimm wurde es, als man das Urgetreide künstlich anbauen mußte - dann hatte man viel zu viel schweißtreibende Arbeit investiert, als daß man wagen konnte, die Felder allein zu lassen, um spontan jagen zu gehen, um bei der Rückkehr festzustellen, daß ein Hirtenvolk auf seiner traditionellen Wanderschaft turnusmäßig auf seine angestammten Weideflächen zurückkehrte.


    Der uralte, in der Bibel verewigte Konflikt zwischen Bauern und Hirten:
    Die Bauern eignen sich vermeintlich "herrenloses" Land an, welches aber in Wirklichkeit turnusgemäß von den Hirten verlassen wurde, damit es sich regeneriert und die Parasitenpopulationen absterben.


    Dieses intuitive, magisch ausgeschmückte Infektionswissen führt noch heute dazu, daß Aborigines die staatlich gestellten Hütten verlassen, sobald ein Familienmitglied darin gestorben ist.
    Um keinen Preis würden sie weiter dort verharren.


    Dagegen stößt ein chinesischer Bauer bei jedem Spatenstich auf die Knochen seiner Vorfahren.


    Zwischen diesen konträren Lebensauffassungen liegt ein zehntausendjähriger, überaus schwieriger und schmerzhafter Prozeß der Selbst-Domestikation.
    Es haben nur jene Bauernkulturen sich durchsetzen können, die mangelnden Freiheitsdrang, Bodenständigkeit, Unterwürfigkeit und Fleiß so verinnerlichten, daß sie fähig waren, diese "Werte" in einem brutalen Drill an die jeweils folgende Generation zu vermitteln.


    Hirtenvölker wären lieber gestorben, als sich selbst so zu versklaven.
    Sie zogen es vor, Sklavenvölker militärisch zu beherrschen.


    Versklavte Indianer starben binnen kürzester Zeit, statt auf Plantagen zu schuften.


    Wenn die moderne Technik uns heutzutage ermöglicht, ein Leben als "digitale Nomaden" zu führen,
    kehren wir in Wirklichkeit zu unseren ganz alten Wurzeln zurück.

  • Ist oT: hinterwäldler: WOW, ich habe selten, vielleicht noch nie einen Post gelesen, der meine bisherigen Erfahrungen und Gedanken so auf den Prüfstand stellt. Gibt mir eine vollkommen neue Sicht der Dinge.


    Dankeschön!

    Geht los!!!

  • hinterwäldler: noch früher haben wir alle auf Bäumen gelebt, und einige glauben, das schon die Bäume der Holzweg waren. Man hätte nie aus dem Wasser heraus sollen :)


    Ich gebe Dir zwar recht, dass Mobilität schon seine Vorteile hat, aber ganz sicher nicht deshalb, weil unsere Urururururur-Großeltern das so gemacht haben. Ich würde nicht mal behaupten, dass unsere Urgroßeltern alles so perfekt gemacht haben...


    Die allerersten Lebewesen, die Bakterien, waren übrigens (vermutlich) über zweieinhalb Miliarden Jahre lang "sesshaft", hatten keine Organellen zur Fortbewegung. Das hat erst mit den Eukaryonten so vor etwa einer Milliarde Jahren angefangen. Die ersten waren vermutlich Amöben, dann Kragengeißeltierchen. Selbst im Tierreicht gibt es genügend Beispiele, wo sich Arten, die erst mobil waren, wieder zur sesshaften Form entwickelt haben, z.B. Seeanemonen, Korallen, Polypen,....



    Nick

    Quidquid agis prudenter agas et respice finem

  • Servus Opa, ich denke, der Erklärungsversuch von Hinterwäldler ist recht stimmig- zumindest meinem Gefühl nach.


    Die Erklärung, dass ein Teil unserer stammesgeschichtlichen Wurzeln auf notwendigen Nomadentum beruht ist soweit klar und wissenschaftlich fundiert.


    Der klimatisch notwendige Wechsel vom Baum in die Steppe/Savanne (Zeit von Paranthropus und später Australopethicus). Es scheint also einer unserer ältesten Triebe zu sein, Nahrungsquellen zu folgen.


    Ziehe ich nun den Zeitraum unserer Entwicklung (Gattung Homo) in Betracht, so ist der Nomadentrieb nicht nur um ein vielfaches älter, sondern besteht auch um ein vielfaches Länger.


    Wenn die von Dir beschriebene gute alte Zeit mit der Verwurzelung evolutionär bedingt ist, dann ganz sicher auch die vorherige und von Dir beobachtete Entwurzelung.


    Liebe Grüße


    Semper Fi

    Geht los!!!

  • Mit solchen biologistischen Erklärungsversuchen (die auch bei angeblich genetisch verankerten Wesensunterschieden von Mann und Frau gerne verwendet werden) kann ich wenig anfangen. Da kann man, wie Opa richtig anmerkt, wirklich beliebig irgendwelche Phasen der Entwicklung herausgreifen.


    Einige der Schlussfolgerungen halte ich auch für sehr fragwürdig, beispielsweise, dass die Sesshaftigkeit eine Folge des großen Bevölkerungsdrucks gewesen wäre. Da gibt es viele andere Thesen, die mir plausibler erscheinen, beispielsweise dass mit Essensresten unbeabsichtigt Saatgut an häufig frequentierten Rastplätzen ausgestreut wurde und diese Plätze sich dann verstetigt haben, weil dort wiederum das Sammeln einfacher war, bis irgendwann jemand gezielt mit der Aussaat angefangen hat. Es gibt sogar die These, dass das Bierbrauen der eigentliche Anlass für Getreideanbau war. Insgesamt halte ich es eher für wahrscheinlich, dass die erleichterte und verbesserte Nahrungsversorgung durch den Ackerbau zur Sesshaftigkeit geführt hat und nicht die dichtere Bevölkerung. Die war erst eine Folge dieser Weiterentwicklung. Darüber hinaus waren nach neueren genetischen Forschungen zumindest in Mitteleuropa eher die Bauern die Einwanderer. Es war eher so, dass die Hirten dumm geguckt haben, als sie nach einiger Zeit zurück kamen und plötzlich Bauern dauerhaft auf ihren zuvor temporären Rastplätzen saßen.


    Für sehr fragwürdig halte ich es, die sesshafte Lebensweise mit Charakterzügen wie Unterwürfigkeit oder brutalem Drill gleichzusetzen. Ebenso finde ich den Bezug sesshaft - Sklavenvolk ziemlich seltsam.

  • Zugegeben, ich habe etwas vereinfacht und zugespitzt, um die verbreitete Romantisierung des Bauerntums mal ein wenig gegen den Strich zu bürsten :winking_face:
    Von dieser mußte ich mich selber in einem jahrzehntelangen Lernprozeß verabschieden (die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche...).


    Selbstverständlich hat die Seßhaftigkeit auch attraktive Vorzüge und vieles, was Du beschreibst, wird sich so oder ähnlich abgespielt haben.
    In Wirklichkeit ist es ein komplexes Bündel aus Push- und Pull-Faktoren, die in der Summe den Ausschlag geben, ob sich Teile einer Sippe oder ganze Stämme auf die Socken machen.
    Da Menschen in der Regel zu Bequemlichkeit neigen und Furcht vorm Unbekannten haben, bleiben sie erstmal solange in einem Revier, bis sich negative Faktoren anhäufen, die entferntere Gegenden als attraktiver erscheinen lassen ( der "woanders-ist-das-Gras-grüner-Effekt").


    Daraufhin ergeben sich oft ganz unscheinbare Mikro-Migrationen, indem abenteuerlustige Burschen, die keinen Bock auf Bevormundung durch den Patriarchen mehr haben, mit ihrer Liebsten ein paar Kilometer weiter ein eigenes Lager aufmachen.
    Die durchschnittliche Ausbreitungsgeschwindigkeit betrug etwa 400 Meter im Jahr - das reicht für eine Welteroberung im Lauf von 100.000 Jahren.
    (Diese Zahl habe ich aus der neuesten "brand eins", Schwerpunkt Immobilien, mit extrem interessanten Artikeln zu genau diesem Thema.)


    Und das zeigt, daß die Frage "Bleiben oder Weiterziehen?" auch stark vom Geschlecht und dem sozioökonomischen Status abhängt:


    Da mit wenigen Ausnahmen die meisten menschlichen Kulturen patrilokal sind, wurden junge Frauen im Zuge ihrer Heirat generell entwurzelt.
    Das heißt, sie waren in ihrer neuen Schwiegerfamilie fremd, hatten keine Hausmacht und auch wenig Gemeinsamkeiten mit den anderen von überallher eingeheirateten Ehefrauen - und am allerwenigsten mit ihren argwöhnischen Schwiegermüttern.


    Das geht so weit, daß sie sich wegen unterschiedlicher Dialekte kaum verständigen konnten, während ihre Männer eine verschworene Gemeinschaft aus Vätern und Söhnen, Brüdern und Cousins bilden, die trotz Konflikten wie Pech+Schwefel zusammenhielten.


    Ich halte es für unwahrscheinlich, daß diese Statusunterschiede zwischen Männern und Frauen über Jahrhunderttausende überhaupt keinen Einfluß auf geschlechtsspezifische Varianten in Bezug auf Eigenschaften wie Anpassungsfähigkeit und Konfliktbereitschaft gehabt haben haben sollen.


    Durch die "Erfindung" der Idee von familiärem und persönlichem Landbesitz und überhaupt der Anhäufung materieller Güter, die für Nomaden zwecklos, für bäuerliche Vorratswirtschaft jedoch wichtig war, bildeten sich Rang- und Machtunterschiede heraus, die in einem Jägervolk undenkbar gewesen wären.


    Zunächst erhöhte sich die Kinderzahl beträchtlich, von denen auch mehr überlebten.
    Sie wurden als Arbeitskräfte gebraucht.
    Dabei mußten sie sich aber dem Patriarchen und seinem Hoferben unterordnen, die als Einzige das Privileg der Sesshaftigkeit besaßen.
    Das reichte bis hin zu einem lebenslangen Dasein als Knecht des Hoferben ohne Aussicht auf eine eigene Familie.
    Bei Aufsässigkeit oder im Falle von Mißernten waren es die jüngeren Brüder, die sich als Händler, Räuber und Söldner auf die Suche nach neuem Siedlungsland machten.
    Die Raubzüge und Landnahmen der Wikinger sind dafür ein gutes Beispiel.


    Bei den Hirtenvölkern lief das etwas anders ab:
    Über eine Reihe fetter Jahre hinweg konnten sie riesige Herden und eine entsprechend große Bevölkerung aufbauen.
    Aber ein einziger harter Winter, eine Dürre oder Viehseuche konnte fast den ganzen Viehbestand hinwegraffen, so daß das große Hirtenvolk buchstäblich in der Luft hing.
    Weil es nicht kurzfristig auf Ackerbau umsatteln konnte und der Wiederaufbau der Herde mehrere Jahre dauert, blieb ihnen nur der Raubzug gegen benachbarte Völker, was dann einen Dominoeffekt auslöste:


    Das indische Kastenwesen entstand infolge der Unterwerfung einheimischer Bauernkulturen durch kriegerische Nomaden aus der asiatischen Steppe.
    Die Hunnen- und Mongolenstürme trieben eine Kaskade von Germanenstämmen aus dem Ostseeraum teilweise bis nach Nordafrika.


    Leibeigenschaft war in dichten Agrargesellschaften ohne Ausweichmöglichkeiten auf herrenloses Land eher die Regel als die Ausnahme.
    Das reicht von den antiken Hochkulturen (Ägypten, Griechen, Römer) über das russische Zarenreich und unser Mittelalter samt Bauernkriegen bis zur offiziellen Abschaffung durch Preussen, was an der faktischen Abhängigkeit von Landlosen und Kleinsiedlern vom Grundherren zunächst wenig änderte.


    Wer seinen Heimatort ohne Erlaubnis des Grundherren verließ, wurde zur Fahndung ausgeschrieben und zügig wieder eingefangen und hart bestraft.
    Stadtluft machte erst frei, falls es einem Entlaufenen gelang, ein ganzes Jahr lang unentdeckt sein Leben zu fristen.


    Erst durch das Aufkommen der Manufakturen begann sich ein Bürgertum herauszubilden, welches sein Interesse an einem frei flottierenden Proletariat politisch durchsetzen konnte.