Mal etwas Verhaltensökonomik: Menschen _wollen_ Verhaltensnormen durchsetzen

  • Zitat von witchcraft;293937

    Werte verändern sich schnell, aus "Fairness und Anstand" in Friedenszeiten werden "Weichheit und Dummheit" im Ernstfall.
    Fairness ist ein hohes theoretisches Gut der zivilisierten Gesellschaft, was man sich "leisten können muss".
    Im Ernstfall gibt es keine Rückrunde für Verlierer und keine neue Saison im nächsten Jahr, keine Relegation und keine zweite Chance.
    Die "notwendige und teils bewußte Verrohung" ist wohl das angsteinflößende Element des Ernstfalls.


    Das befürchte ich auch, wie schnell das passiert, haben wir Österreicher beim Bürgerkrieg im Ex-Jugoslawien gesehen.

  • Da gebe ich Varminter recht- auch wir haben Freunde aus Kroatien und Bosnien, die von Grausamkeiten ihrer Nachbarn berichteten.
    Diese fielen,für ihre Opfer völlig grundlos, über sie her, obwohl man seit Jahrzehnten friedlich nebeneinander wohnte und sich sogar zu Festen einlud.
    Dabei gab es weder eine Hungersnot,noch war es vorher zu Streit o.ä. gekommen.
    Offensichtlich genügte allein die Tatsache,daß der Nachbar eine andere politische,bzw. religiöse Anschauung hatte und damit
    plötzlich zur bösen Bestie mutierte.
    Zivilisation und damit verbundene Fairness sind bei manchen Zeitgenossen eine dünne Decke, je nachdem wie erfolgreich eine
    Manipulation von Seiten der öffentlichen Meinung beim Einzelnen verläuft.

  • Ich bin der festen Überzeugung das eine Gruppe mit "Fairness und Anstand" weit besser funktioniert wie ohne (schweißt zusammen).
    ... je mehr du deinem Nächsten vertrauen kannst/Identifizierst, desto mehr bist du bereit zu investieren. Wenn das wechselseitig funktioniert, potenzieren sich damit die Möglichkeiten der Gruppe.


    Ich gehe sogar so weit das ein fehlen solcher sozialen Elemente eine Gruppe effektiv verhindert/zerstört bzw. ein sehr lebensfeindliches Umfeld schafft.
    ... Ich vertrete daher den Standpunkt das "Fairness und Anstand" kompromisslos durchgesetzt werden muss, wenigstens bei den eigenen Leuten, damit daraus erst keine "Weichheit und Dummheit" werden kann.


    Wenn der eigene Clan soweit "sauber" ist und funktioniert, besteht auch ein Fundament in einer Welt aus Arschlöchern was zu erreichen.

  • Zitat von Grummel;293987


    ... Ich vertrete daher den Standpunkt das "Fairness und Anstand" kompromisslos durchgesetzt werden muss, wenigstens bei den eigenen Leuten, damit daraus erst keine "Weichheit und Dummheit" werden kann.


    Wenn der eigene Clan soweit "sauber" ist und funktioniert, besteht auch ein Fundament in einer Welt aus Arschlöchern was zu erreichen.


    Sehe ich auch so, aber das ist ein Zustand, der dauernd mit Anstrengung angestrebt werden muss und nie ganz erreicht werden kann.


    Ich denke, wir sind wegen unserer sehr langer Vergangenheit als Jäger und Sammler in der Gruppe verhaltensmässig noch auf diese optimiert.
    In der Gruppe, wo jeder jeden kennt und einschätzen kann, behandelt man die anderen so, wie man von diesen behandelt werden will. Das höchste Gut ist sozialer Status, und den gewinnt man mit einem Verhalten,d as der Gruppe förderlich ist.


    An Spielen wie dem eingangs zitierten ist unrealistisch, dass man mit Menschen interagiert, die man nachher nie mehr sieht. Menschen, mit denen man nichts mehr zu tun haben wird, schätzt man ein, aber man interagiert nicht mit ihnen. Tut man es doch, dann nach dieser Regel:


    Behandle Unbekannte freundlich.
    Nach der ersten Interaktion behandle sie so, wie sie dich behandelt haben.


    Instinktiv weiss man, dass man nie sicher sein kann, dass man nie mehr mit den anderen zu tun haben wird. Folglich ist es etwas weltfremd, wenn die Spielregel genau das vorgibt. Man kann so tief eingeprägte Regeln nicht einfach missachten, nur weil ein Schiedsricher das sagt.
    Kommt dazu, dass egoistisches Verhalten sich nur auf der materiellen Ebene lohnen kann. Auf der immateriellen hat man aber ein ungutes Gefühl dabei, weil man gegen Regeln verstösst, die sich über Hunderttausende von Jahren als optimal herausgebildet haben und Teil unseres angeborenen Verhaltens geworden sind.


    Zudem sind die Personen, die man wissentlich gewollt unfair behandeln soll, persönlich anwesend. Das ist selbst bei vorhandenem Willen ein grosses Hemmnis.
    Aus diesem Grund sind Online-Betrügereien oder auch nur Automatendiebstahl viel einfacher zu begehen als wenn man wirklich in eine Wohnung einbricht.


    Die moderne Wirtschaft lebt nun gerade davon, dass Leute zwar Waren und Dienstleistungen austauschen, sich persönlich aber nicht mehr sehen. Deshalb ist es problemlos, reich zu werden, indem man anderswo andere zu schlechten Bedingungen für sich arbeiten lässt, denn mit denen hat man nichts zu tun. Genau so wie ich Feuerholz im Wald aufsammle, ohne mir überlegen zu müssen, was das für den Wald für Konsequenzen haben könnte, kann ich also ohne Gewissenskonflikt Billigwaren kaufen.
    Zudem ist in der neoliberalen Welt Geld das einzige Gut und ein Mass für alles, hat also Religionsfunktion. Die Art und Weise, wie man dazu gekommen ist, zählt nicht. Man ist sogar ein Held, wenn man viel leistungsloses Einkommen erzielt, also Anrecht auf Diesntleistungen und Waren erwirbt, ohne dafür eine angemessene Gegenleistung erbracht zu haben.
    Es ist ja irrational, weiter Geld zu machen, wenn man das, was man schon hat, zu Lebzeiten nie mehr aufbrauchen kann.
    Wir benehmen uns da nicht anders wie ein alleinstehender 90jähriger Mann, der noch für 30 Jahre Brennholz hat und es weiterhin sammelt. Trotzdem wird das, wenn es um Geld geht, kaum je hinterfragt.


    Der Spielleiter hat Mühe zu erklären, warum sich in solchen Spielen viele Teilnehmer nicht logisch verhalten. Er kann offenbar nicht nachvollziehen, dass Geld nicht der einzige Verhaltensmasstab sein muss. Die meisten Menschen funktionieren zum Glück nicht so eindimansional, sonst würde unsere Gesellschaft schon lange nicht mehr bestehen.
    Hier wäre dann auch meine Kritik am obigen Zitat: " ... in einer Welt aus Arschlöchern was zu erreichen." Die Arschlöcher sind die Ausnahme, und es wäre schön, wenn das so bliebe.


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    Nachtrag: In der modernen Welt ist Schummeln nicht nur ok, sondern es wird sogar als dumm angesehen, wenn man das nicht tut, falls man sicher sein kann, dass es nicht auskommt.
    In Personaltests stellt man deshalb Fragen wie "Würden sie an der Kasse im Supermarkt die Kassiererin darauf hinweisen, wenn Sie irrtümlich zuviel Herausgeld bekommen?" . Wer da mit Ja antwortet, könnte vom Personalchef als unehrlich angesehen werden, denn solches Verhalten passt nicht ins Denkschema der Leute, deren einziger Lebenszweck es zu sein scheint, ihr Einkommen zu optimieren.

  • Hallo zusammen


    Ich höre da meine Grossmutter, sie war (leider) Tirolerin und hat den 2. Weltkrieg als Mädchen/junge Frau in Innsbruck erlebt.
    Zu einer Zeit als wirklich alle Hunger hatten besorgten meine beiden Grossonkel für die Familie zusätzliche Nahrung bei der Wehrmacht.
    Natürlich mussten sie aufpassen, dass sie nicht erwischt wurden. Aber das was mir am meistens zu Grüblen gibt, ist folgendes Zitat:


    "Der Hunger war schlimm, das man Freunden und Nachbaren nicht trauen konnte schlimmer."


    Selbst wenn die zwei Lausbuben erfolgreich waren, konnte man allen anderen nichts davon abgeben.


    Ich denke dieses Verhalten ist ebenfalls auf die Anonymität zurückzuführen, welche eben schon in einer kleineren Stadt vorhanden ist.


    Aber auch in kleineren Gruppen ist eine gewisse Vorsicht geboten. Den es wird ja geschätzt das ca. 10% der Bevölkerung ein psychisches Problem haben das eigentlich behandelt werden sollte.
    Da ist aber weder Gier, Dummheit noch Egoismus eingerechnet. Ich denke eine gewisse Zeit kann man einen gesitteten Umgang aufrechterhalten. Aber spätestens wenn die Ersten Hunger haben und dieser weder durch offizielle Stellen, noch Freunde und Verwandte gestillt wird, ist es mit der Moral oder Fairness nicht mehr weit her.


    Davon nehme ich mich persönlich nicht unbedingt aus. Den wenn trotz aller meiner Vorbereitungen und Fähigkeiten meine Kinder kurz vor dem Verhungeren wären, würde auch mein moralischer Kompass eingemottet werden.


    Gruss
    Sommer

  • Zitat von jp10686;294027

    Nachtrag: In der modernen Welt ist Schummeln nicht nur ok, sondern es wird sogar als dumm angesehen, wenn man das nicht tut, falls man sicher sein kann, dass es nicht auskommt.
    In Personaltests stellt man deshalb Fragen wie "Würden sie an der Kasse im Supermarkt die Kassiererin darauf hinweisen, wenn Sie irrtümlich zuviel Herausgeld bekommen?" . Wer da mit Ja antwortet, könnte vom Personalchef als unehrlich angesehen werden, denn solches Verhalten passt nicht ins Denkschema der Leute, deren einziger Lebenszweck es zu sein scheint, ihr Einkommen zu optimieren.


    Hallo JP


    Kommt immer darauf an wo in der Welt das sein mag.


    Bei uns bzw. bei mir ist das ein Charakterzug, entweder man hat ihn oder halt nicht!


    ICH würde es ehrlich sagen.


    Sollte mir so eine Frage eines Personalverantwortlichen gestellt werden .., und negativ bewertet werden .....


    DANN bin ich in der falschen Firma.


    Ernst

  • Hallo zusammen,


    ich kann Ernst da nur beipflichten. Die Sache mit dem Wechselgeld ist eine Frage von Charakter und Erziehung. Ich korrigiere die Person an der Kasse dann auch immer und gebe das Geld zurück.


    Mittlerweile ist es aber so, dass der in solchen Fällen notwendige Stornovorgang anscheinend gefühlt so aufwändig ist, dass das höfliche Danke des Kassenpersonal des öfteren mal auf der Strecke bleibt. Oder man es in der Gastronomie mit wahren Arithmetikgenies zu tun hat, die beim Addieren von Hand auf die unglaublichsten Ergebnisse kommen. Da habe ich auch schon mal fünf Minuten diskutiert, dass die Rechnung für drei Pizzen a 10 Euro und drei Getränke mit Sicherheit nicht 28,70 sein kann.


    Das alles nagt dann auch irgendwann auch an den Grundfesten meiner Erziehung.


    Was ich damit sagen will: Fairness, Anstand und Ehrlichkeit sind zum Teil kulturell anerzogene Verhaltensweisen und je öfter ich mit diesem Verhalten nicht mehr die erwartete positive Reaktion erziele, je eher bin ich geneigt, auf die Verhaltensweisen zu verzichten.


    Viele Grüße
    hzs68

    Wer mit dem Feuer spielen will, muss wissen, wo das Wasser steht. (Oliver Tietze)

  • Eine längere Krise hat einen grossen Unterschied zum eingangs geschilderten Experiment: Was passiert wenn jeder Hunger hat und man für sich und Familie ernsthaft ums überleben kämpfen muss?? Ich denke, spätestens dann schaltet auch der Seriöseste auf Panik/Ueberlebensmodus. Jeder ist sich dann der Nächste... genau das kann ein solches Experiment nicht simulieren.


    Gruss
    Canelo

  • Hallo miteinander,
    ich sehe das so wie viele Foristi, ich gebe alles zurück, was ich zuviel bekommen habe.
    Ich habe aber auch gelernt, das Rückgeld genau zu kontrollieren, da das Verkaufspersonal es da auch nicht so genau nimmt.
    Aber weshalb ich hier überhaupt schreibe, ist, in den siebzigern mußte ich jede Woche bei verschiedenen Banken immer mehrere Tausend DM in bar abholen.


    Einmal hatte mir eine Angestellte der Sparkasse Witten 2000 DM zu viel ausgezahlt,
    ich merkte das erst ca. 1 Std,. später, und wir sind dann zurückgefahren.
    Ihr könnt Euch nicht das erleichterte Gesicht des Mädels vorstellen.
    Ein sehr schönes Erlebnis, welches ich nicht missen möchte.
    Gruß Udo

  • Zitat von Oscar;292266


    Es wird ja für einige Szenarien, auf die man sich vorbereiten möchte, gerne die Theorie bemüht, dass Menschen sich nur so lange an Regeln, Gesetze und Verhaltensnormen halten, wie es für sie praktisch ist bzw., dass alle sofort freidrehen und marodierend durch die Welt ziehen.


    Hallo,


    das Thema führt ja zumeist zu recht hitzigen Diskussionen.


    Ich denke, wie man sich selber verhält kann man nicht unbedingt vorhersagen, ich kann es jedenfalls nicht.


    Ich finde es interessant, wie weit die Spanne geht.
    Da ist der Soldat, der sich auf eine Handgranate wirft und so seine Kameraden rettet.
    Auf der anderen Seite die Geschichten aus dem 30 jährigen Krieg, aus Gebieten in denen der Hunger wütete, wenn morgens einer das Dorf verließ und dann nicht wieder kam …


    Ob jetzt Berichte aus Stalingrad oder Sarajevo weiterhelfen weiß ich nicht.


    In D sind wir schon lange keine Homogene Gesellschaft mehr. Ab und zu wird auch die Anonymität angesprochen. Man sollte aber bedenken, daß bei uns inzwischen Volksgruppen leben, die eine starke familiäre Bindung haben, sowie ein gewisses Nationalbewußtsein. Das schreibe ich völlig ohne Wertung.


    Gruß


    Peter

  • Zitat von "Oscar"

    Es wird ja für einige Szenarien, auf die man sich vorbereiten möchte, gerne die Theorie bemüht, dass Menschen sich nur so lange an Regeln, Gesetze und Verhaltensnormen halten, wie es für sie praktisch ist


    Da gibts immer noch den berühmten kategorischen Imperativ von Kant, vereinfacht in der Volksweisheit
    "Was du nicht willst dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu"
    Ich sehe keinen Grund, das auf Nicht-Krisenzeiten zu beschränken.