Gemeinschaft mit Vorbereiteten oder Unvorbereiteten

  • Mein Mann organisierte vor Kurzem eine Survival-Veranstaltung (Laufen nach Karte und Kompass, Feuermachen, Lagerbau etc. - ohne kommerziellen Hintergrund übrigens).
    Ganz klar, dass die Leute, die unbedingt dabei sein wollten, und wegen denen der Termin verschoben wurden, dann wegen dem schlechten Wetter nicht gekommen sind.
    Dabei wollte mein Mann den Termin eben wegen dem Schlechtwetter nochmals verschieben, was aber seitens der Teilnehmer abgelehnt wurde, weil man sich im Ernstfall das Wetter ja auch nicht aussuchen kann.


    Unsere Überlegung jetzt:Wir haben hier in etwa das, was gerne als Fluchtburg bezeichnet wird und sind auch bereit, im Notfall noch Leute bei uns aufzunehmen.


    Nun stellt sich mir aber die Frage: Macht es überhaupt Sinn, sich mit “Vorbereiteten” zusammen zu tun.


    Gehen wir mal davon aus, die hätten eine Anreise von 10-50 km.Würden sie sich “zeitig” auf den Weg machen, dann könnten sie bestimmt noch Etliches von ihrem Hab und Gut und den Vorräten mitbringen (ggf. mehrfach fahren).
    Da sie aber ja selber gut vorbereitet sind, werden sie wohl erst mal daheim die Klappen dicht machen und abwarten, und erst dann ihr Heim verlassen, wenn es wirklich nicht mehr anders geht (ist auch verständlich).
    Kann aber ja gut sein, dass es dann bei uns auch schon richtig rund geht, und wir schon längst dringend “Unterstützung” bräuchten.
    Und dann wird auch niemand mehr in der Lage sein, so “wertvolle” Sachen unbemerkt zu transportieren.
    Das heißt, die kommen unter Umständen auch mit nahe null (o.K., jetzt mal vom Wissen und der inneren Einstellung abgesehen).


    Das nächste Problem könnte sein, dass in so einer Gruppe dann niemand die “unangenehmen” Arbeiten übernehmen will: “Ich hab ja schon das Dosenbrot mitgebracht”, “Von mir stammen die Waffen” … was weiß ich noch …
    Jedenfalls ist es doch für jeden Vorbereiteten ganz normal, dass wir hier Wasser, Essen, Wärme, Licht etc. haben und auch teilen.


    Aber einer unvorbereiteten Familie mit zwei hungrigen kleinen Kindern muss das doch wie ein Wunder vorkommen, wenn wir sie zum Bleiben einladen.
    Und ich kann mir vorstellen, dass die dann wesentlich mehr "Motivation" haben, mit uns die Wiese in Gemüsebeete zu verwandeln oder nachts Wache zu schieben (nur mal so als Beispiel).


    Habt Ihr Euch da schon Gedanken gemacht?
    Bin schon auf Euere Antworten gespannt.
    Lina

    Jeder Fortschritt ist ein Schritt fort von der Natur.

  • Bevor es jetzt Beschwerden hagelt: Als ich das Thema erstellt habe, hatte mein Text noch Absätze und Leerzeilen.
    Und wenn ich auf "Bearbeiten" gehe, dann klappt das nicht.


    nur zur Info
    Lina


    ... so, nun hab ich´s doch noch hingekriegt ...seufz

    Jeder Fortschritt ist ein Schritt fort von der Natur.

  • Hallo Lina,




    Hier einige Gedanken dazu:




    1. Wesentlich ist nicht der Vorbereitungsgrad der Mitstreiter sondern viel mehr ob die Chemie zwischen den Menschen stimmt.


    2. Ich würde viel mehr auf die Fähigkeiten der Personen schauen als auf den materiellen Vorbereitungsstand.
    Ein unvorbereiteter Elektroingenieur samt Famile wäre mir lieber als ein Banker mit 200 Dosenbroten.


    3. In dem Moment wenn man Menschen bei sich aufnimmt wird aus "meinem Haus" sofort "unser Haus". Vorallem wenn ihr z.B. zu dritt seit und 7 Leute aufgenommen habt wird es schwierig diese wieder los zu werden. Dies zeigt sich vor allem beim Thema Waffen sehr deutlich. Würdest Du eine Pistole freiwillig zurückgeben die man dir geliehen hat ?


    Wir sind wieder bei Punkt 1. Die Chemie muß stimmen !!!. Man muß sich vertrauen können. Wenn die Chemie und Grundeinstellung stimmt, ist es selbstverständlich das man Wache hält und gemeinsam arbeitet.


    Fazit:


    Prio 1: Chemie
    Prio 2: Fähigkeiten


    Erst dann kommt es auf das Material an.

  • Hallo Lina,


    gute Idee - vom Prinzip her - andere offen aufzunehmen. Falls ihr noch keine praktischen Erfahrungen mit Gruppen und dern Dynamik habt, insbesondere, wenn man "eingesperrt" ist, würde ich das versuchen nachzuholen. Gruppenpsychologie, Teamwork, Machtstrukturen und Sozialverhalten sind da so Stichworte. Eine Gruppe zusammenzuhalten und am Funktionieren zu halten, setzt eine klare Struktur, Aufgabenverteilung, eine Hierarchie und Möglichkeiten zur Durchsetzung von Entscheidungen voraus. Als Student lernt man sowas ansatzweise in einer WG, als Angestellter im direkten Umfeld des persönlichen Arbeitsplatzes. Kinder lernen es in Ferienlagern und Urlauber bei Gruppenreisen.


    Am besten funktioniert ein Gruppe, die einen "Chef" hat, der ganz klar das Sagen hat und von der Gruppe akzeptiert wird. Grundsatzdiskussionen, ob Geschirrspülen in einer Krisensituation notwendig ist oder ob "gegessen wird, was auf den Tisch kommt" usw. sollten erst gar nicht zugelassen werden. Dazu gehört sowas wie Führungsstärke, sonst nehmen einem die eingeladenen Mitmenschen schnell das Heft aus der Hand und man ist plötzlich nur noch geduldet im eigenen Haus...


    Hinzu kommt, dass man nicht für jedes Szenario die gleichen Regeln anwenden kann. Klar stärkt jedes "wehrtaugliche" Gruppenmitglied die Gruppe - das nützt aber nur, wenn es auch was abzuwehren gibt, andernfalls ist es erst mal ein weiterer "Esser", der die verfügbaren Ressourcen für jeden anteilig reduziert. Und mit jedem aufgenommenen Mitmenschen steigt das Risiko, einen Quertreiber an Bord geholt zu haben, einen Psychopathen, der die Gruppenmitglieder manipuliert und gegen einen aufwiegelt oder - im Fall einer Pandemie z.B. - trägt ein Aufgenommener möglicherweise den gefährlichen Erreger in sich....


    Ich persönlich würde die "Samaritertätigkeit" auf nahe Verwandte und ausserhalb wohnende Familienmitglieder beschränken, sozusagen dem eigenen "Stamm" und "Schwiegerstamm" Vorrang gewähren. Darüberhinaus würde ich eher anstreben, mich mit Gleichgesinnten zu vernetzen und so ein Netzwerk aufzubauen, dem ich vertrauen kann. Denn irgendwann muss man seine "Fluchtburg" auch mal verlassen oder gar völlig aufgeben, da nützt es nix, wenn man eine riesen Gruppe aus lauter Elektroingenieuren :winking_face: um sich geschart hat und dann plötzlich alle auf der Strasse stehen. Deshalb halte ich krisenfeste Kommunikationsmittel (und -prozeduren) für wichtig. Internet, sofern verfügbar, dann Amateurfunk, CB-Funk, WiFi-Langstreckenverbindungen. Auf lokaler Ebene kann man sich sehr gut mit MESH-Netzwerken aus WLAN-Routern, die man in Eigenregie und ohne externes Internet betreibt, drahtlos vernetzen. Schliesslich würde ich so rasch wie möglich versuchen, die normalen Strukturen und Abläufe zumindest vor Ort wieder herzustellen. D.h. man sollte Kontakte z.B. mit dem Bürgermeisteramt, der Feuerwehr, Handwerksbetrieben, Ärzten usw. knüpfen und mithelfen, die "öffentliche Ordnung", Versorgungsinfrastruktur, Lebensmittelproduktion, Dienstleistungen etc. nach und nach wieder herzustellen. Wenn sich jeder nur darauf vorbereitet, sich dauerhaft "einzuigeln", wird der Schlamassel auf Dauer nur schlimmer ohne jede Aussicht auf Besserung. Das vergessen viele und planen bei ihren Vorbereitungen eher egoistisch nur die möglichst lange eigene Autarkie evtl. verbunden mit Auswandern, nach dem Motto "Nach mir die Sintflut". Das kann es aber nicht sein. Ich sehe einen Crash oder Zusammenbruch als eine Störung, eine Zäsur, die es zu überwinden gilt, nicht als das Ende aller Tage (auch wenn das für viele sexier zu sein scheint - Wiederaufbau klingt halt anstrengender als Untergang...)


    Grüsse


    Tom

  • Hi, Lina!


    Für mich klingt das so, als würdet ihr euch mit "beliebigen" Personen zusammentun wollen,
    ob vorbereitet oder nicht.


    Ich rate dazu, daß ihr euch, jetzt in Zeiten, wo es noch möglich ist, mit Leuten anfreundet,
    die eure Interessen teilen. Und mit denen gemeinsame Unternehmungen macht und
    auch gemeinsam Schwierigkeiten (des Alltages, wie auch Situationen im Wald, im Urlaub etc.) teilt.


    Auch klingt es so für mich, als würdest Du Dir vorstellen, daß ein Leben in der Not
    ohne Hierarchien funktioniert.
    Das tut es nicht.
    Sinnvoll wird es natürlich sein, wenn jemand die Führung inne hat, der auch wirklich was zu sagen hat
    und deren Leitung man sich auch anvertrauen kann.


    Es wird kaum so sein, daß aus Dankbarkeit zb. eine fremde Familie den Acker pflügt.
    Kann sein. Das gibts sicherlich, aber davon ausgehen würde ich nicht.


    Abgesehen davon...auch eine scheinbar simple Aufgabe (Wache schieben) würde ich nur denen in die Hände
    geben, die das auch tun und können.
    Das ist nämlich in Wirklichkeit eine äußerst delikate und verantwortungsvolle Aufgabe.
    (Ich war selbst oft Wachkommandant und es ist sogar in ruhigen Friedenszeiten zu sehr sehr heiklen Angelegenheiten gekommen.)


    Leute, die schon in Zeiten wie diesen nicht zu einer Survivalveranstaltung kommen, egal wie das Wetter ist,
    kannst Dir sowieso abschminken.


    Ich sags mal ganz anders: ich hatte früher eine eigenwillige Regel, wenn ich eine Frau kennen lernte....
    ...wenn ich an ihr nach 3 Tagen campen unter auch widrigen Umständen noch Interesse habe,
    und sie auch an mir, dann stehen die Chancen gut.


    "Beziehungsritual" - Copyright by Occam :face_with_rolling_eyes:


    Ciao,
    Occam

    "Alle, außer mir, haben sich verirrt!"... Indiana Jones

  • Hallo Occam,


    Du hast geschrieben:


    ...wenn ich an ihr nach 3 Tagen campen unter auch widrigen Umständen noch Interesse habe,
    und sie auch an mir, dann stehen die Chancen gut.


    Das finde ich gut ! Meine Frau campiert schon seit über 30 Jahren mit mir, auch wenn sie ab und zu ein bisschen mault... :winking_face:


    Gruss,


    Udo (DL 8 WP)

  • Zitat von Lina;82668

    ...
    Unsere Überlegung jetzt:Wir haben hier in etwa das, was gerne als Fluchtburg bezeichnet wird und sind auch bereit, im Notfall noch Leute bei uns aufzunehmen.


    Nun stellt sich mir aber die Frage: Macht es überhaupt Sinn, sich mit “Vorbereiteten” zusammen zu tun.


    Gehen wir mal davon aus, die hätten eine Anreise von 10-50 km.Würden sie sich “zeitig” auf den Weg machen, dann könnten sie bestimmt noch Etliches von ihrem Hab und Gut und den Vorräten mitbringen (ggf. mehrfach fahren).


    Hallo Lina,


    es macht Sinn. Würde ich zu Deinem Kreis gehören, könnte ich zum Beispiel Aluboxen mit der Aufschrift "Umweltanalytik" (Schadstoffnachweise, Wasser- und Bodenanalytik), "Strahlungsmesstechnik" (keine Kernwaffennahtrefferdetektoren, sondern echte Messgeräte), "Funk" (Sprach- und Datenkommunikation weltweit, wenn Handynetze und www nicht mehr existieren), "Werkzeugkiste Elektro", "Werkzeugkiste Mechanik", einen Notstromdiesel mit Treibstoff und einige andere Gimmicks mitbringen, z.B. meinen Navigationskoffer inclusive Sextant - und ich brächte natürlich auch das Wissen mit, damit umzugehen.


    Man kann sich also kostspielige Einzelanschaffungen teilen. Nicht jeder in der Gruppe muss sie haben, aus Gründen der Redundanz vielleicht zwei.


    Last but not least bringt jeder sein persönliches Fachwissen mit. Ein Ingenieur, ein Arzt, ein Schreiner, ein Metzger und ein Maurer, jeder mit berufstypischer Ausrüstung, können da ein perfektes Team sein .... Ich fürchte, Betriebswirte und Juristen werden sich beizeiten ein paar survivalgeeignete Hobbies zulegen müssen. :lachen:


    Zitat von Lina;82668


    Das nächste Problem könnte sein, dass in so einer Gruppe dann niemand die “unangenehmen” Arbeiten übernehmen will: “Ich hab ja schon das Dosenbrot mitgebracht”, “Von mir stammen die Waffen” … was weiß ich noch …


    Da muss es von Anfang an ganz klare Spielregeln geben. Regeldiskussionen erst im Konfliktfall zu starten und das in der Manier einer Studenten-WG "ausdiskutieren" zu wollen, geht unweigerlich schief. Wer sich der Gruppe anschliessen will, wird vorher gefragt, ob er die regeln der Gruppe akzeptiert. Wer sich nicht einfügt, darf sein Dosenbrot oder seine Waffen nehmen und gehen. Das sollte von Anfang an klar sein.

    Zitat von Lina;82668


    Aber einer unvorbereiteten Familie mit zwei hungrigen kleinen Kindern muss das doch wie ein Wunder vorkommen, wenn wir sie zum Bleiben einladen.


    So die schöne Theorie, die natürlich auch zutreffen kann. Die Realität könnte aber auch lauten: Können nichts, wollen nichts beitragen, nehmen aber gern die gemeinsamen (von anderen bereiteten) Mahlzeiten wahr und sind, bevor ihr sie rausschmeisst, mit einem Teil eurer Ausrüstung verschwunden ...


    Trau, schau wem.


    Viele Grüsse


    Matthias

    They who can give up essential liberty to obtain a little temporary safety, deserve neither liberty nor safety.
    Benjamin Franklin (1775)

  • Waldschrat
    Juristen kann man immer gebrauchen, z.B. um die Genießbarkeit von Wasser/Pflanzen zu testen oder die Grenzen eines verseuchten Gebietes zu detektieren:grosses Lachen:
    Okay, Scherz beiseite und meine Entschuldigung an alle Rechtsverdreher die dies gelesen haben.


    Ganz wichtige Gedanken die Lina da geäußert hat. Wenn man die Möglichkeit hat eine Fluchtburg einzurichten und andere aufzunehmen ist es unbedingt nötig sich auch mit Gruppendynamik zu beschäftigen - und zwar möglichst schon im Vorfeld.
    In einer Krisensituation ist Teamwork überlebensnotwendig deswegen sollte man auch versuchen nur Leute aufzunehmen, die ins Team passen - ich finde das sogar Fähigkeiten und Vorräte hinterdem zurückstehen müssen.
    Als kleines Negativbeispiel: Bei meiner Arbeit wird Teamarbeit ganz gross geschrieben - aber unser Team besteht aus sechs Mitarbeitern und davon sind vier sog. Alpha-Männchen - das kann nicht gut gehen.
    Andererseits ist es natürlich nicht abzuschätzen, wie sich Fremde in die Gemeinschaft einfügen können.
    Ist also ein ganz schwieriges Thema.
    Vielleicht solte man von vorne herein Kontakt zu Leuten aufnehmen, die notwendige Fähigkeiten haben und sie so gut wie möglich kennenlernen und wenn alles passt, nimmt man sie im E-Fall mit ins Boot.
    Andere könnte man vielleicht "auf Honorarbasis" aufnehmen - sprich Unterkunft und Essen gegen Arbeitsleistung. Wenn es nach der Krise an den Wiederaufbau geht, braucht man nicht nur Fachleute, sondern auch schiere Arbeitskraft für die simplen Aufgaben, die aber auch unbedingt erledigt werden müssen.


    Auf jeden Fall ein Punkt, über den man genauer nachdenken muss


    Viele Grüsse
    Papa Bär

  • Zitat von Waldschrat;82711

    Da muss es von Anfang an ganz klare Spielregeln geben.


    Da brauchst Du schon die Juristen. :grosses Lachen: Bleiben noch die Betriebswirte. Die bauen dann die neue Organisation auf, den Handel zu anderen Gruppen, etc. Und verkaufen alles als Reality Survival Event.


    Herzliche Grüsse
    linthler

  • Zitat von Papa Bär;82714

    ...


    Vielleicht solte man von vorne herein Kontakt zu Leuten aufnehmen, die notwendige Fähigkeiten haben und sie so gut wie möglich kennenlernen und wenn alles passt, nimmt man sie im E-Fall mit ins Boot.



    Hallo Papa Bär,


    das "ins Boot nehmen" ist gar nicht so dumm. Ich habe Menschen noch nie besser kennengelernt als auf einem mehrwöchigen Segeltörn - übrigens ein Grund, warum ich zunehmend nur noch als Zweierteam mit meiner Frau segele.


    Da Du auf einem U-Boot gefahren bist: Ein extrem gutes Buch über die Psychodynamik einer Gruppe von Menschen auf engem Raum in kritischen Situationen ist für mich "Das Boot" von Lothar Buchheim. Den Film, obwohl der auch seine Qualitäten hatte, fand ich im Vergleich zum Buch eher schwach, weil da die vielen feinen psychologischen Nuancen des Buchs verloren gegangen sind.


    Allgemein: Wie lerne ich einen Menschen wirklich kennen, wie lerne ich abschätzen, ob er auch in einer Survivalsituation teamfähig ist? Mindestens zwei, besser drei Wochen gemeinsam Segeln, Bergwandern, Kanufahren, Radtour, Trekking, Geländewagentour durch die Sahara, ....


    Besonders Segeln und Sahara sind klassische Tests. Wer mit konstanten Salzwassergüssen von der Luvseite immer noch klaglos seinen Dienst am Steuer versieht, oder ohne Murren bei 40 °C im nicht vorhandenen Schatten zum zehnten mal am Tag Sandbleche schleppt, der passt ins Team ...:)




    Viele Grüsse


    Matthias

    They who can give up essential liberty to obtain a little temporary safety, deserve neither liberty nor safety.
    Benjamin Franklin (1775)

  • Zitat

    Ein extrem gutes Buch über die Psychodynamik einer Gruppe von Menschen auf engem Raum in kritischen Situationen ist für mich "Das Boot" von Lothar Buchheim. Den Film, obwohl der auch seine Qualitäten hatte, fand ich im Vergleich zum Buch eher schwach, weil da die vielen feinen psychologischen Nuancen des Buchs verloren gegangen sind.


    Waldschrat
    Standardlektüre:), mit deinen Anmerkungen dazu hast du recht.


    Auch deinen weiteren Ausführungen stimme ich zu - mit einer kleinen Ausnahme

    Zitat

    Wer mit konstanten Salzwassergüssen von der Luvseite immer noch klaglos seinen Dienst am Steuer versieht

    meckern gehört mit dazu - solange die Arbeit trotzdem vernünftig erledigt wird.

    Aber ich sehe da noch ein anderes Problem: darf jemand die Führung beanspruchen, weil er den größten Beitrag geleistet hat (Fluchtburg+Vorräte eingerichtet, Bootseigner usw.) obwohl er für die Führung einer Gruppe gar nicht geeignet ist? Wie seht ihr das?


    Viele Grüsse
    Papa Bär

  • Zitat von Papa Bär;82723

    Waldschrat


    Aber ich sehe da noch ein anderes Problem: darf jemand die Führung beanspruchen, weil er den größten Beitrag geleistet hat (Fluchtburg+Vorräte eingerichtet, Bootseigner usw.) obwohl er für die Führung einer Gruppe gar nicht geeignet ist? Wie seht ihr das?


    Viele Grüsse
    Papa Bär


    Klare Ansage: Ja, es sei denn, unter Gleichberechtigten vorher anders vereinbart. Wenn jemand über Ressourcen verfügt, ich ihn aber für inkompetent halte, dann sollte ich ihn meiden oder ggf., wenn ich es später merke, die Gruppe verlassen. Wenn jemand sich ohne jede Vorbereitung einer Gruppe anschliesst und dann Führungsansprüche stellt, könnte man sehr wohl fragen, weshalb er diese Führungsansprüche nicht durch überlegene Vorbereitung unterstreichen kann.


    Beispiel Segeln: Meine Frau und ich haben die erforderlichen Scheine und schon ein paar Seemeilen auf dem Buckel, wir haben das Boot gechartert und sind dafür verantwortlich, die Mitsegler nicht.


    Klare Regel: Demokratie herrscht, wenn der Anker unten oder die Leinen fest sind. Dann wird diskutiert, ob wir morgen weiter segeln wollen, ggf. auch wohin, oder ob wir einen faulen Tag mit Schnorcheln und Angeln in einer schönen Ankerbucht verbringen oder einen Landgang machen wollen. Im Prinzip "one man, one vote", aber auch hier hat die letzte Stimme der Wetterbericht. Wenn für morgen auflandiger Starkwind angesagt ist, dann wird die Bucht auch entgegen der Mehrheitsmeinung verlassen.


    Unterwegs teile ich mir mit meiner Frau die Wachführung und da gilt gegenüber Mitseglern eine ganz klare Hierarchie. Auf das Kommando "Kurs 310" will ich binnen zehn Sekunden (meine Frau nach fünf Sekunden :)) hören "310 liegt an!"


    Weisungsbefugnis sehe ich ansonsten eher an Kompetenz als an Anteil an der Vorbereitung oder Eigentum gebunden. Nehmen wir an, in einem medizinischen Notfall an Bord hätten meine Frau und ich (beide medizinische Laien) einen Arzt als Mitsegler dabei. In diesem Fall hätte er natürlich in Sachen Medizin das Kommando. Würde er mir nach der Untersuchung des Patienten sagen: "Setz sofort einen Mayday ab.", würde ich das ohne Diskussion tun.



    Viele Grüsse


    Matthias

    They who can give up essential liberty to obtain a little temporary safety, deserve neither liberty nor safety.
    Benjamin Franklin (1775)

  • Ich finde (als Segler aus früheren Zeiten) sind das gute Beispiele. Daher gefällt es mir auch.


    Man muss allgemein differenzieren. Wer anderen hilft, weil er sie einlädt, an seinen Vorräten teilzuhaben, hat erstmal eine "Holschuld".


    Wer nur glaubt mit gehortetem Gold und Silber alles und alle dominieren zu können, wird eher ein kurzes Leben haben. Dass reicht nicht.


    Bestenfalls herrscht Vernunft, dann wird jeder seine Stärken und Schwächen zeigen und andere werden sie erkennen. Basisdemokratie, jeder wird geachtet und alle haben den Vorteil.


    Schlechtestenfalls herrschen die Egos. Mord und Totschlag, keiner statt alle werden überstehen.


    Dass auf die Schnelle, denn es gibt so viele Szenarien die denkbar sind, so viele Charaktere, so viele Möglichkeiten.


    Die "weise Diktatur", einen möglichst unegoistischen Menschen, der mit Vernunft, Verstand und wohlbegründet sagt wo es lang geht, braucht es jedoch gerade in Zeiten des Chaos. Schafft er es die Menschen von seinen Fähigkeiten zu überzeugen, mehr Lob als Tadel auszusprechen, kann er/sie sich auch durchsetzen und die meisten werden überleben.


    LG
    Peace

    Das Paradies liegt nicht jenseits, sondern abseits.

  • @ Waldschrat


    Soweit sicher richtig, aber stell Dir vor, Du segelst unter einem anderen Skipper mit. Er scheint sich auszukennen, hat das Boot sorgfältig ausgerüstet, ist ein angenehmer Kamerad und interessanter und sympathischer Mensch.
    Nun zieht Schlechtwetter auf, Du bist mit seiner Navigation nicht ganz einverstanden, aber da er zu wissen scheint, was er tut, führst Du seine Kommandos weiter aus. Ist ja schließlich auch nicht die Zeit um zu diskutieren.
    Nun wird das Wetter schnell schlechter und mit einem Mal liegt ihr auf Legerwall und der Skipper rennt kopflos wie weiland Klaus Störtebeker umher.
    Bist Du in solchen/ähnlichen Situationen nicht verpflichtet, das Kommando zu übernehmen obwohl Du Dich doch zu Beginn des Törns ihm unterstellt hast und ihm das Boot gehört bzw. er dafür verantwortlich ist?


    Peacefool

    Zitat

    Die "weise Diktatur", einen möglichst unegoistischen Menschen, der mit Vernunft, Verstand und wohlbegründet sagt wo es lang geht, braucht es jedoch gerade in Zeiten des Chaos. Schafft er es die Menschen von seinen Fähigkeiten zu überzeugen, mehr Lob als Tadel auszusprechen, kann er/sie sich auch durchsetzen und die meisten werden überleben.


    Dazu sage ich: "Macht korrumpiert, aber absolute Macht ist doch eigentlich ganz nett"(Ist ein Zitat,aber ich weiß nicht mehr von wem)


    Demokratie und Krise passen für mich überhaupt nicht zusammen. "Meinungen sind wie A****löcher, bei jedem vorhanden" , und in einer Krisensituation fehlt einfach die Zeit sich hinzusetzen und eine Grundsatzdiskussion zu führen.
    Die besten Beispiele dafür geben auch gleich die Erfinder der Demokratie: die alten Griechen. In einer Krisenzeit wurde die Demokratie ausgesetzt und diktatorisch geführt. Selbiges galt in der Zeit der römischen Republik.


    Mir ging es eher darum:
    Die Krise ist aktuell. Eine Gruppe hat sich zusammengefunden um auf der Fluchtburg/Boot von jemanden den Überlebenskampf zu führen und Du stellst fest, daß der Besitzer nicht zur Führung geeignet ist. Er kann sich nicht entscheiden, ändert oft seine Meinung und Entscheidungen, so sie dann getroffen werden, erweisen sich als suboptimal. Die Gruppe zu verlassen ist sehr schwierig, da inzwischen das Überleben außerhalb der Gemeinschaft sehr viel schwieriger ist als zu Beginn bzw. unmittelbar vor der Krise.
    Ist da nicht jemand, der aufgrund seiner Bildung und vor allem aufgrund seiner Persönlichkeit dazu prädestiniert ist, moralisch/ethisch verpflichtet die Führung zu übernehmen um schlimmeres zu verhindern?


    Viele Grüsse
    Papa Bär

  • Morgen,


    ich würde auch nur Personen aufnehmen, bei denen die Chemie stimmt. Schwierig wird es aber, wenn Fremde vorbeikommen. Man kennt ja deren Absichten nicht. Ich denke, wenn ich sie aufnehmen könnte und auch Verstärkung durch weitere Leute bräuchte, würde ich sie aufnehmen. Allerdings vorerst nur eine Rastmöglichkeit anbieten, in der Hoffnung, sie nach kurzem einschätzen zu können.
    Setzt aber voraus, dass sie keine Möglichkeit haben, volle Einsicht in meine Vorbereitungen zu haben.
    (Könnten ja Plünderer sein, kann aber i.M. nicht einschätzen, wie groß diese Gefahr dann wäre)


    Zum Thema Führungsrolle abgeben/abgeben müssen:
    Ich hoffe, dass ich persönlich einen besseren Anführer erkennen würde und ihm die Rolle übertragen würde.


    Viele wenn und aber. Ist wahrscheinlich alles dann doch Bauchgefühl.
    Ich hoffe auf eine gute Menschenkenntnis meinerseits.


    Gruß Nils

  • Ich bin mir nicht sicher, ob das Kriterium wirklich "vorbereitet oder unvorbereitet" ist. Weiter spielt sicher auch eine Rolle, um was für eine Krise es sich handelt. Ist z.B. absehbar, dass in naher Zukunft Recht und Ordnung wieder hergestellt sein und in der Zwischenzeit erfolgte Straftaten verfolgt werden, etc.


    Das wichtigste scheint für mich die Basis unserer Gesellschaft zu sein: Vertrauen. Vor allem, wenn keine Polizei und Sanität mehr kommen und man darauf angewiesen ist, dass sich die Mitmenschen von selbst weiterhin an die ethischen Grundwerte halten.


    Vertrauen braucht die Übereinstimmung von Worten und Taten, entsprechend also gemeinsame Zeit/Erfahrungen, um diese Übereinstimmung zu erleben. Was beschleunigt werden kann durch gemeinsame Zeit auf engem Raum und stärkerem Aufeinanderangewiesensein (z.B. reisen).


    An die Führung in einer Krise hätte ich die Erwartung, dass sie/er sich voll für die Gruppe engagiert und es schafft, die Gruppendynamik so zu beeinflussen, dass das Potenzial jedes einzelnen zum Wohl der ganzen Gruppe genutzt/eingebracht werden kann. Also nicht jemand, der Chef spielt, auch nicht jemand, der bei allen Fragen der kompetenste ist, sondern jemand, der die Gruppe so zu koordinieren vermag, dass die bestmöglichen Lösungen gefunden werden können. Letztlich auch jemand, dem vertraut wird (der in meinen Augen also auch klar und transparent ist), dass er die anderen ernst nimmt, achtet, respektiert, aber auch Konflikte konstruktiv angeht und die Gruppe schützt. Natürlich können und müssen für Abläufe Verantwortungen und Anweisungen festgelegt werden. Dies kann auf zwei Arten geschehen, entweder durch gemeinsames Festlegen, Konsens, Überzeugung oder durch Einschüchterung/Angst. Zweites käme in unserer Gesellschaft kaum gut an und würde nach der Wiederherstellung von Recht und Ordnung wahrscheinlich geahndet. Terroristen und die Mafia arbeiten so. Bei konsensorientierten Gruppen besteht halt immer die Gefahr, dass sie bei grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten auseinanderbrechen. Das gehört dazu und sehe ich auch nicht als problematisch, solange sich die Gruppen danach nicht bekriegen, sondern jede quasi im evolutiven Wettbewerb ihre Ideen/Ansätze weiterverfolgt. Man kann ja auch Untergruppen bilden, die einen probieren das, die anderen das, am Ende nimmt man die überzeugendere Lösung. Solange die Ressourcen sowas zulassen und grundsätzlich die gleichen Werte geteilt werden ("Grundgesetz der Gruppe").


    Der Gruppenführer hätte auch den Gruppenbildungsprozess zu führen. Sofern man dafür Zeit hat. Aber blitzschnelle Entscheidungen sind vermutlich häufiger in Notfällen als in Krisen. Vielleicht beginnt die Krise mit einem Notfall, aber danach dürfte es schon etwas Zeit geben, um die Sache überlegt anzugehen.


    Herzliche Grüsse
    linthler

  • Ich wüßte ehrlich gesagt nicht wie ich mich im Fall Aufnahme von Fremden verhalten würde.Einerseits bin ich meine gesamte Kindheit und Jugend zu Mitgefühl, Gemeinschaftssinn und Solidarität erzogen worden,andererseits bin ich aber auch mein gesamtes Erwachsenen-Leben dadurch immer wieder ausgenutzt worden.
    Und ein gebranntes Kind scheut bekanntlich das Feuer.
    Ansonsten würde ich mich im Fall der Fälle auch weniger als Führer sehen sondern mehr als "Abteilungsleiter" für die Bereiche in denen ich mich richtig auskenne. Also würde ich es eher als Geschenk des Himmels betrachten wenn jemand eine Gruppe besser führen könnte als ich.

  • Zitat von Papa Bär;82749

    Ich wüßte ehrlich gesagt nicht wie ich mich im Fall Aufnahme von Fremden verhalten würde.


    Ich denke, die meisten wären sehr vorsichtig. Deshalb sollte man seine Nachbarschaft im normalen Alltag kennen(lernen). Weiter ist es sehr abhängig von der einzelnen Situation (inkl. Bauchgefühl) und den Zukunftsperspektiven, ob und welches Risiko man Fremden gegenüber eingeht. Wo man sie allenfalls schlafen lässt, ob sie unbewaffnet sein müssen, ob es eine Familie mit Kindern oder ein kräftiger junger Mann ist, usw. Viele "wenns und danns", die sich ergeben würden.


    Herzliche Grüsse
    linthler

  • Ich kann mich der Aussage von linthler nur anschliessen. Selbst Personen die man zu kennen scheint haben in einer Extremsituation ein anderes Verhalten "drauf" als im normalen geregelten Leben.


    Wie gesagt es gibt vieles dabei zu bedenken...


    Chani

  • Die Chemie innerhalb einer Gruppe muss schon stimmen. Denn Reibereien sind unvermeidlich, denn das gehört zur Gruppenbildung ("forming"-"storming"-"performing").
    Kleine Unterschiede darf es geben, die ergeben immer neue Denkansätze. Personen aus verschiedenen Schichten und Berufen können auch bereichernd sein.
    Eine gute Vorbereitung ist sinnvoll und auch in Ordnung, aber ich für meinen Teil halte es trotzdem mit dem "Murphy Laws of Combat": Kein Plan übersteht den ersten Angriff! Sprich, die beste Planung nützt nichts, denn in der Realität wird eh wieder alles anders sein.


    Daraus folgt: Eventualplanungen machen, Vorbehaltene Entschlüsse fassen und so die eigene Handlungsfähigkeit/-freiheit erhalten.