Restaurierung Holzherd von 1918

  • Ich geh schon seit ca. 1,5 Jahren mit der Idee schwanger auf dem Balkon einen Holzherd zu installieren, der auch für den Kaltwintergarten-Balkon eine Heizfunktion übernehmen kann. Dank der Emissionsschutzverordnung war ich immer zögerlich und auch zu faul den Schorni anzurufen, ob ich das Ding mit zusätzlichem Feinstaubfilter genehmigt bekomme. Dazu noch die "interne Vorgabe" es sollte ein Herd aus den USA oder Kanada sein, Baujahr um 1900.


    Schorni hat heute (trotz Sonntag) auf meinen Anruf reagiert und mir gesagt das mit einem Edelstahlrohr in der Esse und mit passivem zusätzlichem Feinstaubfilter er das Ding abnehmen wird. Formalien also überschaubar, Esse ist vom Balkon direkt zu erreichen.


    Dann kurz vor dem Mittag mal bei Kleinanzeigen gestöbert und quasi den 6er im Lotto gefunden. Einen kanadischen Herd von 1918, dazu noch in Norddeutschland in Ostholstein in nur 140km Entfernung und für 250 Tacken VB inseriert. Das war Schicksal, manchmal finden einen Gegenstände zum richtigen Zeitpunkt und nicht man selber die Sachen. Das Ding war sogar noch da, also hingefahren und besichtigt. Guter Zustand, keine Risse etc. Eine Schmuck-Abdeckplatte muss am Rahmen geschweisst werden, Pillepalle. Bei 200€ bin ich mir mit dem Verkäufer einig geworden, gleich bezahlt und nächstes Wochenende leih ich mir einen Transporter von einem Kumpel um das Ding abzuholen:


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    Was dann an Arbeiten ansteht die ich bis November erledigen will:


    1. Das Ding Strippen und dann

    2. Emailleteile mit meiner Spezialmethode reinigen

    3. den Grundkörper beim Bauhof vom Kumpel sandstrahlen, dann Folienzelt aufbauen und das Ding mit Bauheizung auf 60 Grad komplett erhitzen, dann Lackierung mit schön dünnflüssigem Ofenlack (verläuft und hält besser bei aufgeheiztem

    Objekt)

    4. die vernickelten Zierelemente schleifen, Polieren und selber Nach-Vernickeln

    5. Backofen ist noch ok, ist innerwärts emailliert

    6. Verrohrung Schornstein, Feinstaubfilter passiv und Zugverstärker einbauen

    7. Balkon neu arrangieren von der Aufstellung her

    8. Das Teil anschließen und von anderem Kumpel der ein Waldgrundstück hat abgelagertes Holz holen, dafür muss ich ihm dann aber helfen die gleiche Menge an frischem Holz nach zu schlagen und in Scheitform zu bringen


    Ich berichte, wenn es mit den Arbeiten los geht.


    An den amerikanisch/kanadischen Modellen mag ich die häufig in den Baujahren vorkommenden oberen Ablage-Warmhaltefächer. Das Ding kam mal mit einem kanadischen Frauchen nach Deutschland die hier einen Deutschen geheiratet hatte, ihen Hausstand mit rüber gebracht hat, dann hat der Typ aber fremdgevögelt und sie ist ohne

    Hausstand zurück nach Kanada gegangen.


    Einziges Teil was fehlt ist die Regulierungsklappe für den Zug in der Rückwand, hier stellt eine neue Klappe aber kein Problem dar, da ich sowieso den Rohranschluss von eckig auf rund (europäisch) umbauen muss. Ist aber kein großes Ding, das kann ich mit Formteilen aus dem Katalog machen das passt.


    Ich finde die alten amerikanischen Holzherde einfach nur wunderschön, besser als die alten deutschen Küchenhexen. Außerdem gefällt mir die innerwärtige Heissluftzirkulation besser.

    Der Bote der Wahrheit braucht ein schnelles Pferd

  • PS: der rechte Anbausatz am Herd ist für das warmhalten von Wasser und als Ablagefläche falls kein Wasser vorgewärmt werden muss.


    Onkel Vladimir kann mich dann mal im Winter.

    Der Bote der Wahrheit braucht ein schnelles Pferd

  • Die Bauweise mit den Warmhaltefächern kannte ich noch nicht, sieht ungewohnt und praktisch aus.

    Eine Firma die in Winnipeg Öfen herstellt versteht vermutlich etwas von der Sache, mindest.ens sind dort die klimatischen Voraussetzungen für Heizbedarf gegeben.


    "Onkel Vladimir kann mich dann mal im Winter"

    Na ja, kann er so sehr wie du Holz hast. Holzöfen sind gefrässig, auch wenn sie gut sind.


    Zwei Fragen noch:
    Du erwähnst bei den Arbeiten die Erneuerung der Schamottierung nicht. Sind diese Amerikaner nur aus Guss, oder ist die Schamotte noch ok? Bei den Herden, die ich bisher gebrauchsfertig hergerichtet habe, war jedesmal die Schamottierung erneuerungsbedürftig.


    Ist das Wasserwarmhaltefach so ausgelegt, dass man den Ofen beheizen darf, wenn es leer ist? Bei den Herden Schweizer Bauart, die ich kenne, muss das Wasserschiff gefüllt sein, sonst geht es kaputt, oder man nimmt es weg und legt einen Ersatzdeckel auf das Loch.

  • @ Bärti :


    ich würd mir nicht nur den Transporter vom Kumpel ausleihen, sondern mindestens 1-2 Kumpels , wenn Du zum Ein- und Ausladen keinen Gabelstapler hast. Das Ding macht einen nicht ganz leichten Eindruck.

  • Die amerikanischen Holzherde hatten eine Zeit lang immer den Aufbau mit der Rückwand und dem oberen Warmhaltefach. Es gibt Modelle die sind noch kräftiger zum Warmhalten ausgelegt, da wird das Ofenrohr direkt durch das Fach mittig geführt, andere wie meiner haben da ein Flaches aber breites Rohr hinter dem Fach laufen.


    So sehen dann die Herde mit direkter Rohrdurchführung aus (Bildquelle Etsy):


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    Da waren dann vermutlich recht hohe Temperaturen im Fach zum Nachgaren möglich oder man hat das Fach zum Vorwärmen der Teller genutzt:


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    Ich glaube das wurde damals von der Firma Monarch in den USA eingeführt, bin mir aber nicht sicher. Die Herde gab es von zig Herstellern in etlichen Varianten. Es gibt welche mit Holz- und Kohlebefeuerung, welche nur mit Holzbefeuerung usw. Um 1920 kosten die Herde meist zwischen 30 und 45 Dollar je nach Ausstattungsgrad. Beispiel einer alten Werbung welche unterschiedliche Modelle einer Baureihe zeigt:


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    Es gab seltener welche mit Schamott, meist waren das reine Gusseisenmodelle. Scheint meiner auch zu sein von der Machart.


    Das Wasserbecken kann auch unbefüllt genutzt werden. Es ist über 2 Gusseisenösen an der Seite nur eingehängt und wird nicht direkt von der heißen Luft umströmt. Ist also etwas um das Wasser vorzuwärmen nur durch die seitliche Strahlungswärme des Ofens. Also nicht so wie die Wasserschiffe der europäischen Herde die ja einer viel größeren Dauerhitze ausgesetzt sind.

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  • Ich hab zum Glück Schwerlastgurte da :winking_face:


    Der Landwirt wo ich den gekauft habe hat nen Gabelstapler in seiner Riesenscheune, da ist das Aufladen kein Problem. Das Ding ist schwer, wirkt aber auf den Bildern größer als er wirklich ist. Von der Grundfläche her mit dem eingehängten Wasserbecken so klein wie eine Europalette. Das gäbe es größere und schwerere Modelle vor denen ich dann wirklich Respekt hätte beim Transport:


    https://www.pinterest.at/pin/298293175309956373/


    Das sind dann wirkliche Bandscheibendestruktoren.

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  • Die wirklichen Bandscheibenkiller sind nicht die ganz grossen, denn da versucht man es gar nicht erst.

    Aber die Gewichtsklasse, die man meint schaffen zu können, und dann muss man doch irgendwie schief oder schräg heben, die ist gefährlich.

  • Etwas OT:

    Ich hab in jungen Jahren mit einem Freund zusammen nebenher alte Klaviere gekauft, gerichtet und wieder verkauft. Also die Holz- und Lack-Arbeiten selber gemacht, dann zum Klavierstimmer. Das "ekligste" Monstrum haben wir geschenkt bekommen, als wir dem Kunden ein anderes geliefert haben. Wir wuchten das "neue" in den ersten Stock, ins Wohnzimmer, dann steht da noch eines! - Das braucht er nicht mehr, meint er - haben wir dann kostenlos entsorgt, das alte Ding mit Kerzenleuchtern dran. :)

    War irre schwer, wir hätten Geld verlangen sollen. Es hatte einen gusseisernen Rahmen, geschätzte 300kg. War zu zweit echt heftig, Erst recht in einem so engen Treppenhaus, das wir das Klavier senkrecht stellen mussten, um um die Kurve zu kommen.Am nächsten Tag hatte ich einen risiegen blauen Fleck auf der Schulter, wo der Gurt saß. Aber hat sich gelohnt, das Klavier hat über 2000,-DM Gewinn gebracht. Aber heute würde ich gar nicht mehr darüber nachdenken, sowas zu bewegen.

    Der Optimist glaubt in der besten aller Welten zu leben.
    Der Pessimist denkt: Der Optimist hat recht, alle anderen Welten sind noch schlechter.


    BZHYY65R

  • Hallo Baerti,

    was für einen passiven Feinstaubfilter wirst Du verwenden? Meine Eltern haben einen Kachelofen, den ich letztes Jahr stillegen musste, da ein neuer Einsatz zu teuer geworden wäre.


    Ich habe schon einiges im Netz darüber recherchiert, aber es scheint als ob die Ofenbauer lieber neue Öfen verkaufen als passende Filter anzubieten. Optimal wäre es bei uns wenn der Filter irgendwo im Schornsteinrohr, z.B. weiter oben wo die Revisionsöffnung ist verbaut werden könnte.


    Gruß Bilbo3000


    PS: Toller Ofen, spannendes Projekt - ich lesen immer wieder gerne Deine detailierten Restaurierungsberichte, super!

  • Welchen Filter da werde ich mich mit dem Schorni absprechen, der kommt in ca. 2 Wochen vorbei, ich werde berichten….

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  • Wer übrigens gerne mal in alten Katalogen blättert:


    https://archive.org/details/ca…918sear/page/848/mode/2up


    Der Sears-Katalog von 1918. Die hatten ja damals quasi "alles" im Angebot, Waffen, Werkzeug, Häuser, Herde, Küchenkram etc.


    Wenn man sich mal langweilt schön zum nachstöbern was so vor 100 Jahren im Gebrauch war. Teilweise geile Sachen dabei die heute schon nahezu vergessen sind……

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  • Der Katalog hat was von Red Dead Redemption :grinning_face_with_smiling_eyes: Sehr cool. In Museen hat man ja selten die Chance zu blättern. Das ist schon nett mit einer Internetquelle.

  • Toll die Petrollampen ab Seite 1212. Wobei erstaunlicherweise fast alles Flachdochtbrenner sind, nicht die damals in Europa üblichen besseren Kosmos oder Matador.

  • Heute Herd von dem Bauern abgeholt. Der hatte einen Gabelstapler zum Verladen da. Den eigentlichen Herd hab ich in die Halle von einem Kumpel gebracht wo ich ihn Entrosten werde. Das Untergestell und die Rückwand mit dem Wärmekasten kam nach Hause um dran Rumprökeln zu können.


    Rückwand demontiert in alle Einzelteile:


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    Fazit bisher:


    1. keine Durchrostungen nur Oberflächenrost

    2. Vernickeln muss ich alle vormals vernickelten Teile da die unschön matt mit Flugrostansätzen haben/sind. ich werde dazu die Tampon-Methode anwenden. Bedeutet dann: Anschleifen, Nickel Haftgrund, Vergoldung und final auf die Vergoldung die Vernickelung dann reicht das mit dem Rostschutz (das Ding wird ja quasi "Draußen" stehen, da muss ich mir Mühe geben. Vergolden und Vernickeln direkt über Aufragspad (wie Tampon aber fester Stoff) über Edelstahlelektrode (Gold-Zwischenschicht) und Nickelelektrode bei Vernickelung gestülpt. Erspart einem ein Bad anzusetzen, ich zeig das mal die Tage.

    3. Emailleteile super bis auf einige Abschürfungen beim oberen auf dem Wärmekasten befindlichen Anti-Absturzblech. Warum da ist mir ein Rätsel, da kommt man eigentlich nicht ran. Naja, is dann halt so und wozu hab ich Emaillack zum Ausbessern da.


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    Erkenntnis: die Amis waren nicht doof beim Konstruieren. Blechstärke ist ok aber nicht bombastisch. Um das Auszugleichen haben die den Warmhaltekasten aus einem Stück gestanzt und dann nur über die Kantbank gezogen. Die Nickel-Zierstützen und Nickel-Blendleisten sind dicker. Da die dann gefühlt 1000 Schrauben haben wird dadurch eine sehr feste Gesamtkonstruktion erreicht. Von der Bauart her scheint sich da Ikea was abgeschaut zu haben.


    In den nächsten Tagen ist dann abends Rostbürsten und Schleifen angesagt. Außerdem warte ich noch auf den Ofenlack. Muß auch noch neue Nickel-Schrauben bestellen, ich werde wohl welche mit Hutkopf nehmen die finde ich ganz hübsch.

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  • Heute war Schleifabend bei den vernickelten Teilen des Aufbaus von dem Herd. Den Zustand hatte der Kram vorher:


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    Leichte aber noch erträgliche Rostpickelbildung. Bevor ich den Krempel neu beschichte muss erst einmal der Flugrost runter und die Narben im Metall etwas geglättet werden. Das Metall hat genug Stärke hier robuster vorzugehen. Deshalb Fächerscheibe auf die Flex und dann gib ihm:


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    So sehen die Teile jetzt aus, ein Seitenteil hat einen kleinen Riss den ich morgen noch Schweißen will. Da man noch Schleifriefen sieht müssen die Teile noch mal per Hand als Abschluss wie folgt behandelt werden:


    1. Abschleifen mit 800er und 1200er Naßschleifpapier

    2. Entfettung

    3. finale galvanische Entrostung

    4. Nickel-Grundschicht auftragen

    5. Vergoldung

    6. Nickel Endbeschichtung drauf


    Da ich für die Tamponvernickelung noch auf Teile warte die morgen kommen soll ist der Plan am Donnerstag mit der Vernickelung zu beginnen. Sollte das zeitlich klappen stell ichdann mal hier die Vorgehensweise Schritt für Schritt rein am Beispiel von einem Bauteil, kann ja auch für andere Anwendungen interessant sein.

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  • PS: das Ganze soll eine ordentliche Restauration werden aber man soll dem Herd sein Alter auch noch ansehen können und es soll ein Gebrauchsgegenstand bleiben. Insofern wird das keine Chichi-Restauration werden wo man sich am Ende nicht mehr traut einen Herd auf den Topf zu stellen. Gleichzeitig soll sie aber so gut weden, dass der Herd permanent draußen auf dem Balkon in einem Quasi-Kaltwintergarten stehen kann. Da in Hamburg die Luft immer recht salzig ist muss man bei sowas insbesondere beim Rostschutz und der Rostvorsorge genau arbeiten.

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