Die Frugalismus-Geschichte ist sei ein paar Jahren ja en vogue. Ich sehe das im Kern kritisch, insbesondere unter den hier oft diskutierten Aspekten. Natürlich sei jedem und jeder mit deutlich überdurchschnittlichem Verdienst der Rückzug aus dem Arbeitsleben gegönnt, wenn seine oder ihre Kapitalerträge das zulassen.
Kritisch würde ich aber Folgendes bewerten:
- Bei denjenigen, die das propagieren, sollte man mal genau hinschauen, wie lange die das durchgezogen haben und ob es wirklich funktioniert oder ob sie das durch andere Geldquellen querfinanzieren, zum Beispiel Erbschaft oder die Erträge aus ihren Frugalisten-Influencer-Aktivitäten.
- Gefährlich finde ich solche Versuche bei Leuten mit durchschnittlichem oder leicht überdurchschnittlichem Einkommen. Da verfolgt man eventuell einen überambitionierten Sparplan und versagt sich dadurch andere Dinge, beispielsweise den Erwerb von Wohneigentum, den Wechsel in einer erfüllenderen, aber niedriger bezahlten Job oder ein weiteres Kind, um am Ende vielleicht schon mit 40 oder 50 aus dem Berufsleben auszusteigen und dann ärmlich vor sich hin zu leben.
- Die 4% halte ich zwar nicht für sehr konservativ, aber für eine Zahl, mit der man durchaus mal arbeiten kann. Nur muss man diese Rendite je nach genauem Konzept vielleicht 60 Jahre durchhalten können. Da kann sehr viel passieren. Ich meine nicht mal unbedingt eine schwere Wirtschaftskrise (denn durch die wäre vermutlich auch der reguläre Job futsch). Es reicht schon, dass eine nur moderate Finanztransaktions- oder Vermögenssteuer (wieder-)eingeführt oder die Kapitalertragssteuer bzw. der Rentenbeitrag erheblichen angehoben wird. Dann kann so eine auf knapp genähte Anlageplanung schnell vor die Hunde gehen.
- Viele solche Konzepte propagieren ja das Investment in Aktien oder zumindest stark aktienlastig, ob per ETF oder auf anderen Wegen. Die halte ich grundsätzlich für riskant. Aktien sind sicher eine wichtige Assetklasse, aber Diversifikation ist eine Investment-Grundregel, und deshalb sollte man auch andere Anlageformen abbilden. Dann wird es aber mit den 4% wieder schwierig.
- Gerade wenn man einen Krisenvorsorge-Ansatz verfolgt, ergeben sich dadurch nochmal besondere Investment- und Lebensführungsentscheidungen, die teilweise im Widerspruch zum Frugalismus stehen. Zum Beispiel sind umfassende Vorräte, Equipment, physisches Edelmetall, ein unter diesen Gesichtspunkten ausgebautes eigenes und schuldenfreies Haus, das Ausweichquartier etc. gebundenes Kapital, das keine Rendite bringt. Die Zeit, die man im Gemüsegarten oder mit dem Erlernen von Survivalskills erbringt, geht davon ab, was man während der angenommen kürzeren Arbeitsphase ranklotzen muss, um das möglichst viel Anlagekapital zu sammeln.
Unter dem Strich kann man sicher das Ziel verfolgen, mit Hilfe der Kapitalerträge früher aus dem Berufsleben auszusteigen, aber das erscheint mir nur für eine relativ kleine Gruppe überhaupt machbar. Auf keinen Fall sollte man das versuchen, wenn es nur bei äußerst knapper Rechnung und optimalem Verlauf funktionieren kann. Dann scheitert das sicher. Und über die psychologischen Aspekte könnte man scih nochmal ewig auslassen.