Angesichts des sich verschärfenden Ukraine-Kriegs möchte ich mal einen Elefanten im Raum ansprechen:
Wie verhalten wir uns bzw. wie sorgen wir vor, sollte der Konflikt militärisch in unsere heile Welt hinein eskalieren?
Vor zwei Wochen hatte Saltpreppi hier eine Studie des RAND-Thinktanks verlinkt. In der Studie wurden relativ nüchtern verschiedene Eskalationsszenarien erörtert:
ZitatSzenario A: Russland greift ein NATO-Depot in Polen mit Marschflugkörpern an, keine menschlichen Verluste, geringe Auswirkung auf NATO-Operationen
Szenario B: Russland zerstört einen US-Aufklärungssatelliten, kurzfristig kaum Auswirkungen, mittelfristig Auswirkungen durch Trümmerwolke im Orbit
Szenario C: Russland greift drei Luftwaffenstützpunkte in Polen und Rumänien an, die für die Unterstützung der Ukraine wichtig sind. Zwei Dutzend Verluste nd etwas Auswirkung auf Ukraine-Unterstützung.
Szenario D: Russland greift sechs wichtige Air Bases und Seehäfen der NATO an (inkl. Rotterdam und Ramstein), 200 Opfer, begrenzte andauernde Auswirkung auf Handlungsfähigkeit der Stützpunkte
Im Moment deutet vieles daraufhin, dass die Ukraine im Süden eine Gegenoffensive starten will, um die Region entlang des Dnipro zu kontrollieren und Druck auf die Krim auszüben, während die Russen versuchen werden, das zu verhindern und versuchen werden, im Osten weiter über Bachmut/Soledar hinaus ins Land vorzustoßen, um zumindest den Donbass wieder unter russische Kontrolle zu bringen. Denkbar wäre auch ein Vorstoß von Norden aus Belarus Richtung Kiew.
Gleichzeitig beginnt in Kürze eine massive Unterstützung der Ukraine durch die Anlieferung von Panzern etc. aller Art. Das kann/wird zu einer sehr undurchsichtigen und hektischen Gemengelage führen.
Von daher steigt meiner Meinung nach die Wahrscheinlichkeit an, dass wir uns auf die Szenarien A/B/C/D der RAND-Studie zubewegen.
Russland wird nicht tatenlos zusehen, wie große Mengen an schweren Waffen für eine Gegenoffensive der Ukrainer ins Land gebracht werden.
Die Reaktion des Westens auf eines der ABCD-Szenarien dürfte irgendwann eine direkte militärische sein. Z.B. Zerstörung der Startbasen von russischen Langstreckenbombern oder von Schiffen/U-Booten, die Marschflugkörper verschießen können.
Daraufhin dürfte es erneut zu einer Gegenreaktion Russlands kommen.
Denkbar wäre auch, dass die Szenarien nacheinander durchlaufen werden A -> B -> C -> D.
Weite Teile Mitteleuropas sind z.B. mit einem Kinschal-Marschflugkörper, der z.B. über der Krim von einem Trägerflugzeug gestartet wird, erreichbar. Der Kinschal hat 2.000km Reichweite, damit ist alles, was östlich eines Bogens von Genf über Köln, Hamburg, Kopenhagen, Stockholm bis nach Helsinki liegt, problemlos erreichbar. Ich halte es für eher unwahrscheinlich, dass in Osteuropa stationierte Patriot-Systeme in diesem Fall wirksam eingreifen könnten.
Wir sollten uns damit auseinandersetzen, bevor es Realität wird. In der Öffentlichkeit bei uns ist der Krieg noch sehr weit weg und die einzige Auswirkung sind ukrainische Flüchtlinge, die bei uns überall untergebracht werden müssen, aber in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle spielen - anders als 2015, als entsprechende Boulevardmedien eine Anti-Flüchtlingsstimmung regelrecht herbeitrommelten.
Rein technisch wird ein einzelner Marschflugkörper mit einem konventionellen Sprengkopf nur eine räumlich relativ begrenzte Wirkung haben und aus medizinischer Sicht mit einem Flugzeugabsturz eines Verkehrsflugzeugs vergleichbar sein (RAND geht von 200 Opfern aus). Dennoch dürfte die psychologische Wirkung ganz verheerend sein und unsere Gesellschaften möglicherweise so in einen Schockzustand versetzen, dass noch ganz andere Dinge quasi als Kollateralschaden passieren.
Eine Folge (neben allgemeiner Kopflosigkeit) könnten Ausfälle in unseren Infrastrukturen sein - Personal, das nicht zum Dienst erscheint, weil es geschockt ist oder eine "Jetzt-ist-eh-alles-egal-Stimmung" verbreitet sich und Menschen werden fahrlässig/leichtsinnig.
Eine andere Folge könnte aber auch sein, dass man zusammensteht und Kräfte mobilisiert, die russische Aggression abzuwehren (Zulauf bei den Streitkräften, Freiwilligen-Korps).
Das Thema Zivilschutz mach Schweizer Vorbild dürfte an Bedeutung gewinnen.
Und: man muss schon fast sagen glücklicherweise laufen bei uns überall konkrete Vorsorgemaßnahmen für eine Lage mit flächendeckendem Stromausfall, um Situationen umgehen zu können, in der Infrastrukturen und Kommunikationssysteme nicht oder nur eingeschränkt verfügbar sind. Diesse Vorbereitungen (autarke KatS-Stützpunkte für die Bevölkerung, verbesserte Handlungs- und Durchhaltefähigkeit von Führungs- und Versorgungseinrichtungen usw.) sind natürlich auch bei einer militärischen Bedrohungslage hilfreich: wenn ich in jeder Kommune grundsätzlich in der Lage bin, wenigstens 72h autark zu sein, ist das schon sehr wertvoll. Das sah vor 1-2 Jahren noch ganz anders aus.