Die Frage ist tatsächlich, ob wir uns ein "richtiges" Krisenszenario vorstellen können und ob die Realität dann nicht eine völlig andere sein wird. Aus der Ukraine hört man vergleichsweise wenig, dass normale Mitbürger raubend und mordend übereinander herfallen, um des eigenen Vorteils willen. Aber in unseren Vorrats-Angst-Szenarien wird immer genau diese Eskalation als Grund für Geheimnistuerei und verschlossene Türen bemüht. In Wirklichkeit verhält sich die "Masse" an normalen Menschen sehr diszipliniert (das gilt nicht für alkoholisierte Fussballhooligans). Wie hier auf dem für mich zutiefst beeindruckenden/erschütternden Bild aus dem Ukraine-Krieg, das fluchtbereite Menschen zeigt, die dichtgedrängt Schutz vor Artillerie- und Luftangriffen unter einer teilweise zerstörten Brücke suchen.
In der IT, speziell in der Open Source Community gilt die Erkenntnis, dass "security by obscurity" nie eine nachhaltig sicherer Ansatz ist, um irgendwas zu schützen. Denn so können Schwachstellen nicht aufgedeckt werden und sobald einer eine Schwachstelle gefunden hat, fällt das gesamte Sicherheitskonzept in sich zusammen.
Wenn ich nun mein Überleben bzw. den Schutz meiner Essensvorräte ausschließlich auf Geheimhaltung aufbaue, dass also niemand weiss, dass ich größere Essensvorräte lagere, dann bin ich auf sehr dünnem Eis. Denn die Gefahr, dass "es" herauskommt, ist ja immer da. Nur mal eben vergessen die Tür zuzumachen, ein Kind das herumstromert oder eben die Nachbarin, die auf der Suche nach jemand, zufällig in den Vorratsbereich stolpert.
Was dann? Die Zahl der Mitwisser steigt ab dann exponentiell, man bekommt das nicht mehr unter Kontrolle.
Ist die Kacke dann wirklich am dampfen, dann wird man sehr schnell den Ruf weghaben, ein Geizkragen zu sein, der andere zu seinem Vorteil leiden lässt. Egal ob der Vorwurf überhaupt berechtigt ist, man wird sehr schnell in die Defensive geraten. Und ruckzuck wird sich eine (hungrige) Gruppe um einen herum bilden, die dann ganz "demokratisch" beschließt, dass die Vorräte doch besser Allgemeingut für die Gruppe seien.
Es könnte sogar sein, dass in einer allgemein festgestellten Notlage der Tatbestand des "Hamsterns" wieder illegal wird, wie im 2. Weltkrieg und der Nachkriegszeit. Da wird dann auch nicht gefragt, ob man die "zuvielen" Vorräte ja schon lange vor der Krise angelegt hat. Wenn alle Hunger haben, wird auch das was an Vorräten aufzutreiben ist, bewirtschaftet werden. D.h. wer größere Vorräte hat, darf nicht frei über sie verfügen, sondern muss sie z.B. einer staatlichen Stelle zur Verfügung stellen (in D ist im Ernährungssicherstellungsgesetz dafür eine finanzielle Entschädigung vorgesehen) und diese Stellen entscheiden dann, wer wieviel von den Vorräten bekommt. Für das vorrathaltende Individuum zwar doof, aber gesamtgesellschaftlich sinnvoll. Man teilt das wenige, was man hat, mit allen.
Mir schwebt da ein kommunaler Bevorratungsansatz vor, das wird übrigens mittlerweile auch im "Parlament" der deutschen Kommunen, dem Städte- und Gemeindetag ernsthaft diskutiert: das anlegen von Notvorräten für die Bevölkerung unter Aufsicht und Kontrolle der Kommunen. Leute satt zu bekommen, ist keine Raketenwissenschaft. Dazu brauchts etwas Lagerlogistik mit Lagerfläche und einem Rotationskonzept. Das World Food Programme des UNHCR geht von rund 2.000 Kilokalorien pro Person und Tag aus. Das kriegt man mit 400g Getreidemehl/Reis/Bulgur, 58g Protein und 43g Fett hin.
Um 1.000 Menschen z.B. 30 Tage zu versorgen, bräuchte man entsprechend 12t Mehl, 1.74t Proteine und 1.29t Fett/Öl. Das sind vom Platzbedarf her weniger als 20m³. Eine kleine Einzelgarage hat über 30m³ Volumen. D.h. man könnte so einen Vorrat relativ problemlos in existierenden Infrastrukturen verteilt unterbringen (z.B. bei Polizeiwachen, Feuerwehren, DRK Ortsvereinen etc.) und rotiert die Sachen über Kantinen, Mensen, Gastronomie und Vereinsfeste. Man wird nie eine Vollverpflegung anstreben bzw. erreichen können, aber das wird auch nicht nötig sein. Entscheidend dürfte in einer Ernährungskrise sein, dass man denen hilft, die sich Lebensmittel nicht mehr leisten können oder die Probleme haben, sie zu organisieren, weil sie dazu zu gebrechlich sind, ihnen die Mobilität fehlt oder die Connections, um an Lebensmittel ranzukommen.